JudikaturJustiz113Ds3/20d

113Ds3/20d – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
03. November 2020

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz als Disziplinargericht für Richter/innen und Staatsanwält/inn/e/n hat durch den Senatspräsidenten Dr. Bergmayr als Vorsitzenden sowie die Senatspräsidentin Dr. Gföllner und den Senatspräsidenten Dr. Neundlinger in der Disziplinarsache gegen ***** , Richter des Landesgerichtes *****, wegen des Dienstvergehens nach § 101 Abs 1 RStDG nach der am 3. November 2020 in Anwesenheit des Disziplinaranwalts EOStA HR Dr. Granzer sowie des Disziplinarbeschuldigten ***** und seines Verteidigers *****, die beiden Letztgenannten zugeschaltet per Videokonferenz, durchgeführten öffentlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

***** ist schuldig. Er hat als Richter des Landesgerichtes ***** die ihm gemäß § 57 Abs 1 RStDG obliegende Verpflichtung, sich mit voller Kraft und allem Eifer dem Dienst zu widmen und die ihm übertragenen Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen, dadurch verletzt, dass er

I. Entscheidungen verzögert ausgefertigt hat, und zwar in den Verfahren

1. *****Cg ***** erst im 14. Monat

2. ***** Cg ***** erst im 14. Monat

3. ***** Cg ***** erst im 13. Monat

4. ***** Cg ***** erst im 10. Monat

5. ***** Cg ***** jedenfalls nicht innerhalb neuneinhalb Monaten

6. ***** Cg ***** erst im 11. Monat

7. ***** Cg ***** jedenfalls nicht innerhalb neun Monaten

8. ***** Cg ***** erst im 9. Monat

9. ***** Cg ***** jedenfalls nicht innerhalb acht Monaten

10. ***** Cg ***** erst im 8. Monat

11. ***** Cg ***** erst im 8. Monat

12. ***** Cg ***** erst im 7. Monat

13. ***** Cg ***** erst im 8. Monat

14. ***** Cg ***** erst im 5. Monat

15. ***** Cg ***** erst im 7. Monat

16. ***** Cg ***** erst im 7. Monat, und

II. im Verfahren ***** Cg ***** über einen Wiedereinsetzungsantrag erst mehr als sieben Monate nach dessen Einbringung entschieden hat und den Akt mit mehr als neunmonatiger Verspätung an das Rechtsmittelgericht vorgelegt hat.

Er hat hiedurch ein Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG begangen. Über ihn wird gemäß §§ 101 Abs 1, 104 Abs 1 lit b RStDG eine Geldstrafe in der Höhe von einem (Brutto-)Monatsbezug verhängt. Gemäß § 137 Abs 2 RStDG hat der Disziplinarbeschuldigte die mit EUR 300,00 bestimmten Verfahrenskosten zu ersetzen.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Aufgrund der Disziplinaranzeige des Präsidenten des Oberlandesgerichtes ***** vom 5. Mai 2020 (ON 1), der schriftlichen Stellungnahme des Disziplinarbeschuldigten vom 22. Juni 2020 (ON 5), der Beschuldigteneinvernahme des Disziplinarbeschuldigten vom 23. Juni 2020 (ON 6), der Registerauszüge (ON 9), des Schreibens des Präsidenten des Oberlandesgerichtes ***** vom 21. Juli 2020 (ON 12), der Auswertungen des Oberlandesgerichtes ***** vom 6. August 2020 (ON 14), des Schreibens des Präsidenten des Oberlandesgerichtes ***** vom 9. September 2020 (S5 ff in ON16), des Nachtrags des Präsidenten des Oberlandesgerichtes ***** vom 22. Oktober 2020 zu seiner Disziplinaranzeige (S 3 ff in ON 22) und der in der Disziplinarverhandlung verlesenen Teile aus Cg-Akten des Landesgerichtes ***** wird folgender Sachverhalt festgestellt:

*****, geboren am *****, wurde mit Wirksamkeit vom ***** zum Richter des Bezirksgerichtes und am ***** zum Richter des Landesgerichtes ernannt. Er leitet seit vielen Jahren am Landesgericht ***** die Abteilung ***** Cg.

***** ist ein erfahrener und routinierter Cg-Richter mit hervorragenden Gesetzeskenntnissen. Er bereitet sich sehr sorgfältig auf die Verhandlungen vor; die Verhandlungsführung ist souverän, die Protokollierung präzise, die Urteile sind sehr ausführlich und in der Regel gut begründet. Sein Arbeitsstil ist von großem Leistungswillen geprägt. Mit Urteil des Oberlandesgerichtes ***** als Disziplinargericht für Richter wurde er am 9. März 2017 eines Dienstvergehens nach § 101 Abs.1 RStDG schuldig erkannt, weil er in einem Cg-Verfahren 2011/2012 für ein halbes Jahr einen Verfahrensstillstand verursacht hatte und in acht Verfahren in den Jahren 2014 bis 2016 gegen die vierwöchige Ausfertigungsfrist des § 415 ZPO verstoßen hatte, wobei die Ausfertigungsdauer zwischen vier Monaten und mehr als ein Jahr betragen hatte. Der Oberste Gerichtshof verhängte dafür am 6. November 2017 über ***** die Disziplinarstrafe des Verweises.

Die Auslastung in der Abteilung ***** Cg des Landesgerichtes ***** betrug im Jahr 2017 98,02 %, 2018 121,79 % und 2019 118,58 %.

Zu Beginn des Jahres 2017 waren in der genannten Abteilung 118 Verfahren offen. In diesem Jahr sind 121 Akten angefallen, erledigt wurden 134, am Ende waren 105 offen.

Im Jahr 2018 fielen 135 Akten an, 108 wurden erledigt, sodass am Ende 132 offen waren.

2019 fielen 133 Akten an, 127 wurden erledigt, sodass am Ende 138 offen waren.

Im ersten Halbjahr 2020 fielen 69 Akten an, 50 wurden erledigt, sodass zur Jahresmitte 157 Akten offen waren.

In der genannten Abteilung schienen in der Prüfliste in den nachgenannten Monaten unter SV6 und SV2 folgende Zahlen auf:

2017:

Jänner 1/2

Februar 1/5

März 1/6

April 1 /4

Mai 1/5

Juni 1/4

Juli 0/3

August 0/3

September 0/4

Oktober 0/6

November 0/4

Dezember 0/2

2018:

Jänner 0/1

Februar 1/4

März 1/5

April 1/7

Mai 1/9

Juni 0/8

Juli 0/10

August 0/7

September 2/11

Oktober 3/11

November 2/13

Dezember 2/13

2019:

Jänner 6/14

Februar 6/20

März 7/19

April 6/19

Mai 5/15

Juni 7/15

Juli 8/16

August 7/12

September 4/9

Dezember 0/6

November 3/4

Dezember 2/5

2020:

Jänner 1/12

Februar 1/13

März 1/14

April 3/16

Mai 7/15

Juni 6/13

Juli 5/10

September 7/16

Zu ***** Cg ***** wurde das 253 Seiten umfassende Urteil am 31. August 2020 ausgefertigt und damit erst im 14. Monat nach Schluss der Verhandlung am 12. Juli 2019.

Zu ***** Cg ***** wurde das 61 Seiten umfassende Urteil am 24. Oktober 2020 ausgefertigt und damit im 14. Monat nach Schluss der Verhandlung am 23. September 2019.

Zu ***** Cg ***** wurde das 47 Seiten umfassende Urteil am 26. September 2020 ausgefertigt und damit erst im 13. Monat nach Schluss der Verhandlung am 18. September 2019.

Zu ***** Cg ***** wurde das 73 Seiten umfassende Urteil am 20. Juli 2020 ausgefertigt und dementsprechend erst im 10. Monat nach Schluss der Verhandlung am 2. Oktober 2019.

Zu ***** Cg *****, in welchem Verfahren neun Verhandlungen stattgefunden hatten, wurde das Urteil noch nicht ausgefertigt und damit jedenfalls nicht innerhalb neuneinhalb Monaten nach Schluss der Verhandlung am 8. Jänner 2020.

Zu ***** Cg ***** wurde das 46 Seiten umfassende Urteil am 29. Oktober 2020 ausgefertigt und damit erst im 11. Monat nach Schluss der Verhandlung am 13. Dezember 2019.

Zu ***** Cg *****, in welchem Verfahren vier Verhandlungen stattgefunden hatten, wurde das Urteil noch nicht ausgefertigt und dementsprechend jedenfalls nicht innerhalb neun Monaten nach Schluss der Verhandlung am 24. Jänner 2020.

Zu ***** Cg ***** wurde der 17 Seiten umfassende Beschluss am 28. September 2020 ausgefertigt und damit erst im 9. Monat nach Schluss der Verhandlung am 27. Jänner 2020.

Zu ***** Cg *****, in welchem Verfahren vier Verhandlungen stattgefunden hatten, wurde das Urteil noch nicht ausgefertigt und dementsprechend jedenfalls nicht innerhalb acht Monaten nach Schluss der Verhandlung am 26. Februar 2020.

Zu ***** Cg ***** wurde das 31 Seiten umfassende Urteil am 12. Juni 2020 ausgefertigt und demnach erst im 8. Monat nach Schluss der Verhandlung am 28. Oktober 2019.

Zu ***** Cg ***** wurde das 32 Seiten umfassende Urteil am 27. Mai 2020 ausgefertigt und demnach erst im 8. Monat nach Schluss der Verhandlung am 15. Oktober 2019.

Zu ***** Cg ***** wurde das 26 Seiten umfassende Urteil am 22. Mai 2020 ausgefertigt und demnach erst im 7. Monat nach Schluss der Verhandlung am 25. November 2019.

Zu ***** Cg ***** wurde das 39 Seiten umfassende Urteil am 19. Juni 2020 ausgefertigt und demnach erst im 8. Monat nach Schluss der Verhandlung am 4. November 2019.

Zu ***** Cg ***** wurde das 18 Seiten umfassende Urteil am 29. Juni 2020 ausgefertigt und demnach erst im 5. Monat nach Schluss der Verhandlung am 3. Februar 2020.

Zu ***** Cg ***** wurde das 34 Seiten umfassende Zwischenurteil am 12. April 2020 ausgefertigt und demnach erst im 7. Monat nach Schluss der Verhandlung am 11. Oktober 2019.

Zu ***** Cg ***** wurde das 31 Seiten umfassende Urteil am 28. April 2020 ausgefertigt und demnach erst im 7. Monat nach Schluss der Verhandlung am 9. Oktober 2019.

Im Verfahren ***** Cg ***** wurde das Urteil vom 25. März 2019 an die Parteien am 29. März 2019 zugestellt. Nachdem die klagende Partei am 25. April 2019 und die beklagte Partei am 26. April 2019 jeweils eine Berufung eingebracht hatten und die klagende Partei am 17. Mai 2019 eine Berufungsbeantwortung erstattet hatte, beantragte die beklagte Partei am 24. Mai 2019 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (bezüglich der in der Berufungsschrift unterbliebenen Verzeichnung der Pauschalgebühr) und die Gewährung von Verfahrenshilfe (in vollem Umfang). Beides wurde vom Disziplinarbeschuldigten am 31. Dezember 2019 bewilligt. Nachdem die klagende Partei bezughabend am 5. Oktober 2020 einen Fristsetzungsantrag gemäß § 91 GOG eingebracht hatte, legte der Disziplinarbeschuldigte den Akt am 19. Oktober 2020 dem Oberlandesgericht ***** zur Entscheidung über die Berufungen vor.

Beweiswürdigend ist festzuhalten, dass sich die festgestellten Verzögerungen unmittelbar aus den Registerauszügen ergeben und vom Disziplinarbeschuldigten auch zugestanden wurden.

Rechtliche Beurteilung

Der Disziplinarbeschuldigte rechtfertigte die langen Ausfertigungsfristen zum einen mit dem hohen Anfall und zum anderen mit besonderen Umständen, welche im Jahr 2020 vorgelegen seien:

Im Februar sei seine Mutter verstorben.

In der coronabedingt verhandlungsfreien Zeit sei die Umstellung auf den elektronischen Akt erfolgt, welche zu einer Mehrbelastung insoweit geführt habe, als die Einschulung bedingt durch den Lockdown überwiegend im Selbststudium habe erfolgen müssen, wozu gekommen sei, dass auch die Adaptierung der Behelfe erforderlich gewesen sei, insbesondere seien Textbausteine zu verfassen gewesen, etwa habe geklärt werden müssen, wie die Kontaktaufnahme mit den Sachverständigen erfolge, und es habe in diesem Zusammenhang ein Merkblatt entwickelt werden müssen, wobei es coronabedingt keine Ansprechpartner, jedenfalls nicht an der Arbeitsstelle, gegeben habe. Weiters habe in dieser Zeit auch das Home-Office eingerichtet werden müssen und er sich mit einer vermehrten Nutzung des Dragon-Sprachprogrammes vertraut machen müssen.

Auch unter Berücksichtigung dieser mehrschichtigen außergewöhnlichen Belastungen ist dem Disziplinarbeschuldigten vorzuwerfen, nicht mehr seiner schon länger ausstehenden Urteile ausgefertigt zu haben. Es fällt auf, dass von den 11 der verfahrensgegenständlichen 16 Akten, in welchen die Urteile schon 2019 angefallen waren, kein einziges im Jänner, nur zwei im Februar, keines im März und nur je zwei im April und Mai ausgefertigt wurden. Dass der Grund hiefür nicht in der gehäuften Ausfertigung anderer Urteile - derlei behauptet der Disziplinarbeschuldigte im Übrigen auch gar nicht - gelegen war, ergibt sich aus dem festgestellten Ansteigen der mehr als zwei Monate und sechs Monate ausstehenden Urteilsausfertigungen ab Jänner, insbesondere ab März 2020. Der Plan des Disziplinarbeschuldigten, vom späten Frühjahr bis Ende Oktober eine verstärkte Verhandlungstätigkeit zu entfalten und dann in den letzten Monaten vor Pensionsantritt, teilweise im Urlaub, in verstärktem Maß Urteile auszufertigen, begegnet zwar keinen Bedenken, sondern zeigt, dass er leistungswillig ist und fleißig sein will. Dennoch hätte er in Anbetracht des langen Zurückliegens des Schlusses der Verhandlung seine Arbeitsleistung mehr in Richtung Ausfertigung der verfahrensgegenständlichen Urteile lenken sollen. Insbesondere fällt auf, dass von ihm auch im Juni nur drei, im Juli und August jeweils eines und im September und Oktober jeweils zwei ausgefertigt wurden und nach wie vor drei Urteilsausfertigungen ausständig sind. Bei dieser Überlegung ist mitberücksichtigt, dass es sich bei den auszufertigenden Urteilen teilweise um überdurchschnittlich schwierige handelt. Hervorzukehren ist das Verfahren ***** Cg *****. Von jenen Urteilen, die nicht von überdurchschnittlichem Schwierigkeitsgrad sind, ist jenes im Verfahren ***** Cg ***** hervorzuheben.

Die Verzögerungen im Verfahren ***** Cg ***** hinwieder sind, insbesondere im Hinblick darauf, dass es sich nicht nur um eine einzige handelt, mit der diesbezüglichen Verantwortung des Disziplinarbeschuldigten, sie seien auf seine Überlastung zurückzuführen, die dazu geführt haben müsse, dass der Akt „aus seinem Gedächtnis gelangt” sei, nicht erklärbar, jedenfalls aber nicht entschuldbar.

Mit Blick auf die in § 57 Abs 1 Satz 2 RStDG normierte Pflicht des Richters zu ordnungsgemäßen Dienstleistungen, welche auch die Verbindlichkeit beinhaltet, die bei Gericht anhängigen Angelegenheiten (bei zu fordernder hoher Qualität) so rasch wie möglich zu erledigen (RIS-Justiz RS0115556), und im Besonderen auf die in § 415 ZPO enthaltene Anordnung, ein Urteil binnen vier Wochen nach Schluss der Verhandlung in schriftlicher Abfassung samt den vollständigen Entscheidungsgründen zur Ausfertigung abzugeben, zum einen und die Vielzahl und die ungewöhnlich lange Dauer der hier festgestellten Verzögerungen (zwischen 5 und 14 Monaten) bei den Urteilsausfertigungen ist das Verhalten des Disziplinarbeschuldigten als Dienstvergehen iSd § 101 Abs 1 RStDG zu qualifizieren. Daran kann das ansonsten untadelige Verhalten des Disziplinarbeschuldigten und der Umstand, dass die jeweiligen Streitparteien die Verzögerungen bei den Urteilsausfertigungen nicht beanstandet haben, nichts ändern.

Das Dienstvergehen musste daher zunächst zu einem Schuldspruch im Disziplinarverfahren führen.

Bei der daran anzuschließenden Straffrage ist zum einen das Vorliegen einer disziplinarrechtlichen Anfassung und die Faktenhäufung sowie die lange Dauer der Verzögerungen zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite hat auch die Überbelastung des Disziplinarbeschuldigten in den Jahren 2018 und 2019 Beachtung zu finden.

Mit Blick auf die dargestellten beiden erschwerenden Umstände kommt die neuerliche Verhängung der niederschwelligsten Disziplinarstrafe, eines Verweises, nicht mehr in Betrachtung, sondern ist eine Geldstrafe zu verhängen.

Angesichts des Leistungswillens des Disziplinarbeschuldigten kann mit einem (Brutto-)Monatsbezug das Auslangen gefunden werden.

Dem Verfahrensumfang und den Einkommensverhältnissen des Disziplinarbeschuldigten entsprechend sind die Kosten des Verfahrens mit EUR 300,00 zu bestimmen (§ 137 Abs 2 RStDG).

Rechtssätze
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