JudikaturJustiz113Ds1/22p

113Ds1/22p – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
27. Juni 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz als Disziplinargericht für Richter:innen und Staatsanwält:innen hat durch den Senatspräsidenten Dr. Bergmayr als Vorsitzenden sowie die Senatspräsidentin Dr. Gföllner und den Senatspräsidenten Mag. Frixeder als weitere Mitglieder des Disziplinarsenates in der Disziplinarsache gegen Dr.*** , geboren am ***, Richter des Bezirksgerichtes ***, wegen eines Dienstvergehens nach § 101 Abs 1 RStDG nach der am 27. Juni 2023 in Anwesenheit des Disziplinaranwaltes EOStA Mag. Harald Winkler sowie des Disziplinarbeschuldigten Dr. ***  durchgeführten öffentlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

Dr.***  ist schuldig, er hat als Richter des Bezirksgerichtes entgegen der Pflicht nach § 57 Abs 1 RStDG, sich mit voller Kraft und allem Eifer dem Dienst zu widmen und die ihm übertragenen Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen,

I. in 19 von ihm geführten Verfahren des Bezirksgerichtes ***, in welchem der Schluss der Verhandlung jeweils nach dem 1. Juli 2021 erfolgt ist, die Urteile mit erheblichen, die durch § 415 ZPO vorgegebene Frist von vier Wochen deutlich überschreitenden Verzögerungen zwischen 55 und 156 Tagen ausgefertigt, und zwar

1.) ***C ***/16t: Schluss der Verhandlung am 10.09.2021, Urteil ausgefertigt am 13.03.2022, Fristüberschreitung: 156 Tage

2.) ***C ***/20g: Schluss der Verhandlung am 31.08.2021, Urteil am 24.02.2022, Fristüberschreitung: 149 Tage

3.) ***C ***/18s: Schluss der Verhandlung am 13.07.2021, Urteil am 04.01.2022, Fristüberschreitung: 147 Tage

4.) ***C ***/20m: Schluss der Verhandlung am 07.09.2021, Urteil am 26.02.2022, Fristüberschreitung: 144 Tage

5.) ***C ***/20w: Schluss der Verhandlung am 01.09.2021, Urteil am 16.02.2022, Fristüberschreitung: 140 Tage

6.) ***C ***/20v: Schluss der Verhandlung am 25.08.2021, Urteil am 31.01.2022, Fristüberschreitung: 131 Tage

7.) ***C ***/20p: Schluss der Verhandlung am 09.11.2021, Urteil am 17.03.2022, Fristüberschreitung: 100 Tage

8.) ***C ***/20x: Schluss der Verhandlung am 18.08.2021, Urteil am 20.12.2021, Fristüberschreitung: 96 Tage

9.) ***C ***/21y: Schluss der Verhandlung am 18.11.2021, Urteil am 21.03.2022, Fristüberschreitung: 95 Tage

10.) ***C ***/20y: Schluss der Verhandlung am 20.10.2021, Urteil am 11.02.2022, Fristüberschreitung: 86 Tage

11.) ***C ***/20d: Schluss der Verhandlung am 31.08.2021, Urteil am 22.12.2021, Fristüberschreitung: 85 Tage

12.) ***C ***/20g: Schluss der Verhandlung am 10.11.2021, Urteil am 01.03.2022, Fristüberschreitung: 83 Tage

13.) ***C ***/21k: Schluss der Verhandlung am 12.11.2021, Urteil am 02.03.2022, Fristüberschreitung: 82 Tage

14.) ***C ***/21b: Schluss der Verhandlung am 28.10.2021, Urteil am 14.02.2022, Fristüberschreitung: 81 Tage

15.) ***C ***/20h: Schluss der Verhandlung am 20.10.2021, Urteil am 02.02.2022, Fristüberschreitung: 77 Tage

16.) ***C ***/20d: Schluss der Verhandlung am 24.08.2021, Urteil am 29.11.2021, Fristüberschreitung: 69 Tage

17.) ***C ***/20w: Schluss der Verhandlung am 19.10.2021, Urteil am 20.01.2022, Fristüberschreitung: 65 Tage

18.) ***C ***/21d: Schluss der Verhandlung am 09.11.2021, Urteil am 02.02.2022, Fristüberschreitung: 57 Tage

19.) ***C ***/21d: Schluss der Verhandlung am 07.12.2021, Urteil am 28.02.2022, Fristüberschreitung: 55 Tage

sowie

II. in 15 von ihm geführten Verfahren des Bezirksgerichtes *** Verfahrensstillstände in der Dauer von 104 bis 380 Tagen verursacht, und zwar

1.) ***C ***/17k: Stillstand von 18.10.2021 bis zumindest 28.04.2022, Stillstandsdauer: zumindest 192 Tage

2.) ***C ***/19x: Stillstand von 05.05.2021 bis zumindest 27.04.2022, Stillstandsdauer: zumindest 357 Tage

3.) ***C ***/19p, Stillstand von 04.11.2021 bis 28.04.2022, Stillstandsdauer: 175  Tage

4.) ***C ***/20s: Stillstand von 15.07.2021 bis 12.04.2022, Stillstandsdauer: 271  Tage

5.) ***C ***/20h: Stillstand von 30.03.2021 bis 13.04.2022, Stillstandsdauer 380 Tage

6.) ***C ***/20d: Stillstand von 02.11.2021 bis 28.04.2022, Stillstandsdauer 177 Tage

7.) ***C ***/20z: Stillstand von 01.09.2021 bis 19.04.2022, Stillstandsdauer 230 Tage

8.) ***C ***/20w: Stillstand von 10.11.2021 bis 29.03.2022, Stillstandsdauer 139 Tage

9.) ***C ***/20w: Stillstand von 01.09.2021 bis 28.04.2022, Stillstandsdauer 239 Tage

10.) ***C ***/20y: Stillstand von 14.12.2021 bis 27.04.2022, Stillstandsdauer 134 Tage

11.) ***C ***/20s: Stillstand von 15.06.2021 bis 28.04.2022, Stillstandsdauer 317 Tage

12.) ***C ***/20d: Stillstand von 14.01.2022 bis zumindest 28.04.2022, Stillstandsdauer zumindest 104 Tage

13.) ***C ***/20v: Stillstand von 26.11.2021 bis 29.03.2022, Stillstandsdauer 123 Tage

14.) ***C ***/21z: Stillstand von 02.09.2021 bis 12.04.2022, Stillstandsdauer 222 Tage

15.) ***C ***/21h: Stillstand von 14.09.2021 bis 28.04.2022, Stillstandsdauer 226 Tage.

Er hat hiedurch ein Dienstvergehen gemäß § 101 Abs 1 RStDG begangen.

Gemäß §§ 101 Abs 1, 104 Abs 1 lit b RStDG wird über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von 1,5 (Brutto-) Monatsbezügen verhängt.

Gemäß § 137 Abs 2 RStDG hat er die mit EUR 300,00 bestimmten Kosten des Verfahrens zu ersetzen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Text

Aufgrund der Anzeige des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 22. März 2022 samt Beilagen (ON 1), einer Ergänzung vom 5. Mai 2022 samt Beilagen (ON 2), VJ-Register-Auszügen, Aktenkopien (Beilagen zu ON 3), der Mitteilung des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 29. November 2022 samt Beilagen (ON 10), der Prüflisten SV2 und SV6 (ON 14) und der Verantwortung des Disziplinarbeschuldigten wird folgender Sachverhalt festgestellt:

Dr. *** , geboren am *** , wurde am *** auf die Planstelle eines Richters des Bezirksgerichtes *** ernannt. Er ist dort seit vielen Jahren als Leiter der Gerichtsabteilung *** im Wesentlichen mit den Geschäftsbereichen Streitsachen der allgemeinen und besonderen Gerichtsbarkeit (Geschäftsabteilung ***) und seit *** zu 25% seiner Arbeitskapazität auch mit Unterbringungssachen (Geschäftsabteilung ***) betraut.

Die Auslastung der von ihm geleiteten Geschäftsabteilung(en) betrug im Jahr 2017 93,05 %, im Jahr 2018 95,74 %, im Jahr 2019 99,63 %, im Jahr 2020 98,69 % und im Jahr 2021 92,64 %. In den Prüflisten für die Zeit von Oktober 2017 bis Oktober 2022 schienen im Jahr 2021 monatlich zwischen einem (September) und zehn (Jänner) Akten in der Prüfliste SV2 auf und ein Akt unter SV6. Im Jahr 2022 schienen keine Fälle unter SV6 auf, allerdings etwa im Jänner 2022 zwölf Fälle unter SV2, wobei in den Monaten März, April und Mai in der Rubrik SV2 keine Fälle aufschienen. Im Jahr 2021 haben mehrere Richteramtsanwärter dazu beigetragen, Rückstände in der Gerichtsabteilung des Disziplinarbeschuldigten abzubauen, indem sie Urteile konzipiert haben.

In den im Urteilsspruch unter I. angeführten - neunzehn im zweiten Halbjahr 2021 geschlossenen - Verfahren hat Dr. *** die Urteile erheblich verzögert ausgefertigt, und zwar zwischen 55 Tage und 156 Tage nach Schluss der Verhandlung.

In den im Urteilsspruch unter II. angeführten fünfzehn Verfahren hat Dr. ***  im Zeitraum vom 30. März 2021 bis 28. April 2022 Verfahrensstillstände in der Dauer von 104 bis 380 Tagen verursacht.

Zu diesen Verfahrensstillständen und verzögerten Urteilsausfertigungen kam es, obwohl Dr. ***  teilweise Urlaubsansprüche verfallen hat lassen und er teilweise auch während des Verbrauchs des Urlaubs gearbeitet hat.

Die Dienstbeschreibungen des Dr. *** vom 14. März 1989 und 12. März 1991 lauteten jeweils auf „sehr gut“, jene vom 15. März 2017 und 14. März 2018 jeweils auf „entsprechend“ und jene vom 27. Februar 2019, 23. März 2020 und 17. März 2021 jeweils auf „gut“. Für die Jahre 2022 und 2023 lautete die Dienstbeschreibung auf „nicht entsprechend“. Dr. *** tritt mit Ablauf des 30. Juni 2023 den Ruhestand an.

Dr. *** war zweimal verheiratet. Er ist sorgepflichtig für eine ***-jährige Tochter (Unterhalt EUR 600,00 pro Monat). Weiters hat er monatlichen Unterhalt von EUR 900,00 an seine erste Ehegattin zu zahlen. Darüber hinaus unterstützt er seine zweite Gattin, mit der er das oben genannte gemeinsame Kind hat, mit monatlich EUR 1.000,00 als Rückzahlung für einen Wohnungskredit. Der zweiten Gattin gegenüber hat er zwar keine Unterhaltsverpflichtungen, erbringt diese Leistung jedoch deshalb, weil damit die Versorgung der gemeinsamen Tochter im Hinblick auf den Ankauf einer Nachbarwohnung sichergestellt ist. Er selbst bewohnt ein Haus gemeinsam mit seiner Partnerin; dabei bezahlt er die Hälfte der Miete.

Diese Feststellungen ergeben sich aus den eingangs angeführten Beweismitteln und der geständigen Verantwortung des Disziplinarbeschuldigten, der einräumte, dass es zu den in den Disziplinaranzeigen aufgelisteten Verfahrensstillständen und Verzögerungen bei Urteilsausfertigung gekommen ist und er die Sachen nicht so schnell habe erledigen können, wie es geboten gewesen wäre.

Rechtliche Beurteilung

Die im § 57 Abs 1 RStDG normierte Pflicht des Richters zur ordnungsgemäßen Dienstleistung beinhaltet die Verbindlichkeit, die bei Gericht anhängigen Angelegenheiten so rasch wie möglich zu erledigen. Dazu gehört die möglichst und tunlichst unverzügliche Inangriffnahme aller angefallenen Amtsgeschäfte ebenso wie deren ehebaldige Erledigung aufgrund einer rationellen Arbeitsweise und Arbeitseinteilung (RIS-Justiz RS0115556). Bei der Beurteilung von disziplinären Verfahrens- und Erledigungsverzögerungen ist grundsätzlich ein strenger, objektiver Maßstab anzulegen (RIS-Justiz RS0115557 [T1]).

Für die zahlreichen und teilweise drastischen Verfahrensstillstände und die vielen teils gravierend verzögerten Urteilsausfertigungen - § 415 ZPO sieht vor, dass Urteile binnen vier Wochen nach Schluss der Verhandlung auszufertigen sind - liegt keine sachliche Rechtfertigung vor. Auch besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der von Dr. *** zu bearbeitenden Akten und auszufertigenden Entscheidungen sind nicht hervorgekommen.

In rechtlicher Beurteilung des festgestellten Sachverhalts ist Mag. *** daher ein Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG vorzuwerfen.

Bei der Strafzumessung war mildernd das Geständnis zu berücksichtigen, erschwerend hingegen das Zusammentreffen von Verzögerungen sowohl bei der Verfahrensführung als auch bei der Ausfertigung der Entscheidungen, die jeweils für sich allein geeignet sind, ein Dienstvergehen zu verwirklichen (RIS-Justiz RS0072541; RS0072703 [T1]). Erschwerend war überdies zu berücksichtigen, dass es wegen gleichartiger Dienstvergehen bereits am 15. November 2017 zu 113 Ds 9/17g-29 zu einer disziplinargerichtlichen Verurteilung wegen im Wesentlichen gleichgelagerter Verfahrensstillstände und Verzögerungen bei der Ausfertigung von Entscheidungen gekommen war. Bereits bei dieser Verurteilung wurde eine Geldstrafe in der Höhe von 1,5 brutto Monatsbezügen verhängt. Mit einer Strafe in derselben Höhe war auch bei dieser Verurteilung das Auslangen zu finden, weil die Verurteilung aufgrund der unmittelbar anstehenden Pensionierung des Disziplinarbeschuldigten in spezialpräventiver Hinsicht faktisch keine Wirkung mehr entfalten kann. Zudem war die Schmälerung des frei verfügbaren Einkommens des Disziplinarbeschuldigten durch seine Sorgepflichten zu berücksichtigen, sodass im Ergebnis eine Geldstrafe in der Höhe von 1,5 Monatsbezügen schuldangemessen ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Disziplinarverfahrens gründet sich auf die §§ 137 Abs 2 RStDG und berücksichtigt die Einkommensverhältnisse des Disziplinarbeschuldigten sowie den Verfahrensumfang.

Rechtssätze
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