JudikaturJustiz10ObS10/24d

10ObS10/24d – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Birgit Riegler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Hon. Prof. Mag. Sonja Fragner, Rechtsanwältin in Krems an der Donau, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, wegen Kostenübernahme, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 21. Dezember 2023, GZ 10 Rs 105/23v 59, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Mit Bescheid vom 9. 7. 2020 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung des Präparats „ISCADOR M, AMP SER 0 2x7 14 ST“ laut Verordnung eines Facharztes für Innere Medizin (in der Folge: ISCADOR oder auch Misteltherapie) ab.

[2] Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten des Präparats ISCADOR im gesetzlichen Ausmaß durch die Beklagte.

[3] Die Beklagte wandte ein, dass das Präparat ISCADOR nicht im Erstattungskodex enthalten sei. Trotz zahlreicher Studien habe bislang kein eindeutiger Nachweis für eine therapeutische Wirksamkeit von Mistelpräparaten erbracht werden können.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren auch im zweiten Rechtsgang ab.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Nach ständiger Rechtsprechung bestehe bei der Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG grundsätzlich ein Vorrang der wissenschaftlich anerkannten schulmedizinischen Behandlungsmethoden. Sei eine Krankheit durch schulmedizinische Maßnahmen gut zu behandeln, gebe es keinen Anlass für die Finanzierung von „Außenseitermethoden“ im Sinn einer komplementärmedizinischen bzw alternativen Behandlung. Zwar sei bei einer von der Wissenschaft noch nicht anerkannten alternativen Behandlungsmethode („Außenseitermethode“) ein Kostenersatz nicht ausgeschlossen. Er sei jedoch auf Ausnahmefälle eingeschränkt und werde nur dann gewährt, wenn die komplementärmedizinische Heilmethode einer zweckmäßigen Krankenbehandlung entspreche und das Maß des Notwendigen nicht überschreite. Die Behandlung der Nebenwirkungen einer Tumortherapie mit dem Präparat ISCADOR sei eine Außenseitermethode, weil feststehe, dass es keinen objektiv medizinischen Nachweis für die Verbesserung der Lebensqualität von Patienten durch die Einnahme von ISCADOR gebe. Die Klägerin habe die zur Verfügung stehenden schulmedizinischen Behandlungsmethoden zur Behandlung der Nebenwirkungen der Tumortherapie nicht angewandt, sodass nicht davon ausgegangen werden könne, dass diese Behandlungsmethode im Falle der Klägerin nicht erfolgreich bzw jedenfalls mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden gewesen wäre. Darüber hinaus stehe weder eine statistisch untermauerte erfolgreiche Anwendung des Präparats ISCADOR für die hier zu beurteilende Behandlung fest, noch, dass das Präparat tatsächlich im Fall der Klägerin die Verbesserung ihrer Symptome bewirkt habe.

Rechtliche Beurteilung

[6] In ihrer gegen diese Entscheidung gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

[7] 1.1 Die Klägerin stellt die Anwendung der Rechtsprechung zur Übernahme von Kosten von „Außenseitermethoden“ durch das Berufungsgericht nicht in Frage (vgl dazu jüngst 10 ObS 145/22d; RS0083806; RS0083801). Sie argumentiert jedoch auch in der außerordentlichen Revision, dass die Anwendung von ISCADOR keine Außenseitermethode sei, weil es sich dabei um eine nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft anerkannte Behandlungsmethode für den zugelassenen Bereich handle.

[8] 1.2 Richtig ist, dass das Erstgericht festgestellt hat, dass die Therapie mit ISCADOR, einem „Anthroposophikum“, zur unterstützenden Behandlung zum Zweck der Verbesserung der Lebensqualität während oder nach einer Standardtherapie zur Therapie einer Krebserkrankung zugelassen ist und dass es sich dabei um eine nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft anerkannte Behandlungsmethode für den zugelassenen Bereich handelt. Es hat jedoch auch festgestellt, dass es sich dabei um keine Standardtherapie handelt und eine Heilung der Grunderkrankung durch die Misteltherapie nicht zu erwarten ist. ISCADOR ist im Erstattungskodex (§ 351c ASVG) nicht gelistet. Es gibt keinen objektiven medizinisch wissenschaftlichen Nachweis für die Verbesserung der Lebensqualität von Patienten durch die Einnahme von ISCADOR. Die Klägerin empfindet zwar subjektiv die Verbesserung der sich aus den Nebenwirkungen ergebenden Symptome. Die Verbesserung ihrer Lebensqualität ist aber auch auf die Wirkungen der auf schulmedizinischen Methoden basierenden Standardtherapien, denen sich die Klägerin im Zuge der Behandlung ihrer Krebserkrankung unterzog und die eine Reduktion der Tumorlast brachten und insofern erfolgreich waren, als die Klägerin derzeit rezidivfrei ist, zurückzuführen.

[9] 1.3 Der Erstattungskodex schränkt das Recht des Patienten auf die für die ausreichende und zweckmäßige Krankenbehandlung notwendigen Heilmittel nicht ein. Den Patienten der österreichischen Sozialversicherung können vielmehr alle erhältlichen Medikamente verordnet werden, wenn dies im einzelnen Behandlungsfall den gesetzlich festgelegten Kriterien einer ausreichenden, zweckmäßigen und das Maß des Notwendigen nicht überschreitenden Krankenbehandlung dient. Daher muss der versicherten Person der Beweis offen stehen, dass im Einzelfall eine wissenschaftlich noch nicht allgemein gesicherte Methode erforderlich und zweckmäßig war (10 ObS 409/02y mwH; RS0083822 [T2]; RS0083792 mwN). Wenn das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstgerichts in ihrer Gesamtheit dahin versteht, dass der Klägerin dieser Beweis nicht gelungen ist, ist dies im Einzelfall nicht korrekturbedürftig (RS0118891). Unter einer „Außenseitermethode“ versteht man Behandlungsmethoden, die nicht der wissenschaftlich bereits erprobten Schulmedizin zuzuordnen sind, dennoch aber auf medizinisch wissenschaftlichen Erkenntnissen im Sinn des § 2 Abs 2 ÄrzteG beruhen ( Felten/Mosler in SV Komm [243. Lfg] § 133 ASVG Rz 20 mwH). Für die Verwendung von ISCADOR fehlt ein objektiver medizinisch wissenschaftlicher Nachweis der Wirksamkeit. Der Sachverständige aus dem Fachgebiet der Inneren Medizin (Onkologie) hat die Anwendung im Verfahren selbst ausdrücklich als „Außenseitermethode“ bezeichnet. Es steht auch nicht fest, dass die Misteltherapie bei der Klägerin objektiv erfolgreich war, mag sie dies auch subjektiv so empfunden haben. Mag daher das Präparat ISCADOR im konkreten Fall durch den behandelnden Arzt nach den Feststellungen auch lege artis verordnet worden sein, so hat das Berufungsgericht dennoch im Einzelfall nicht unvertretbar das Vorliegen einer „Außenseitermethode“ angenommen.

[10] 2.1 Die Revisionswerberin führt weiters aus, dass, selbst wenn man davon ausgehe, dass eine Behandlung mit ISCADOR eine komplementärmedizinische Behandlung darstelle, zu beachten sei, dass komplementärmedizinische Medikamente immer öfter auch bei schulmedizinischen Behandlungen genutzt werden. Es gebe keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob kostengünstigere komplementärmedizinische Medikamente statt schulmedizinischer Behandlungen über Wunsch der Versicherten bezahlt werden.

[11] 2.2 Dem hat das Berufungsgericht im Einklang mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entgegengehalten, dass ein solcher Kostenersatz voraussetzt, dass eine zumutbare erfolgversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst nicht zur Verfügung stand oder eine solche versucht wurde und erfolglos blieb, während die „Außenseitermethode“ beim Versicherten erfolgreich war oder sie sich ex ante gesehen (zumindest) als erfolgversprechend darstellte (vgl RS0102470; RS0083792 [T2]). Diese Voraussetzungen sind nach den den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen hier nicht erfüllt. Einerseits standen schulmedizinische Maßnahmen zur Behandlung der Nebenwirkungen zur Verfügung, die die Klägerin jedoch nicht (ausreichend) in Anspruch genommen hat. Andererseits steht, wie ausgeführt, gerade nicht fest, dass die „Außenseitermethode“ bei der Klägerin objektiv erfolgreich war. Steht – wie hier – weiters fest, dass eine herkömmliche Behandlungsmethode zur Behandlung der Nebenwirkungen der Tumortherapie hätte angewendet werden können, ist es, worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat, nach der Rechtsprechung nicht wesentlich, wie hoch die Kosten der „Außenseitermethode“ im Vergleich zu jenen der schulmedizinischen Behandlung sind (RS0102470).

Rechtssätze
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