JudikaturJustiz10Bs8/24p

10Bs8/24p – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
01. Februar 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr. Sutter (Vorsitz), Mag. a Tröster und Dr. in Steindl-Neumayr in der Strafsache gegen A* wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2 und 3, Abs 4 zweiter Fall FPG über die Beschwerde des A* gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 20. Dezember 2023, AZ 20 HR 262/23w (ON 64 der Akten AZ 834 St 2/23k der Staatsanwaltschaft Graz), in nichtöffentlicher Sitzung den

BESCHLUSS

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.

Text

BEGRÜNDUNG :

Die Staatsanwaltschaft Graz führt zum AZ 834 St 2/23k ein Ermittlungsverfahren (unter anderem) gegen den am ** geborenen rumänischen Staatsangehörigen A* wegen des Verdachts des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2 und 3, Abs 4 zweiter Fall FPG.

Nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen ist A* (dringend) verdächtig, er habe am 10. Oktober 2023 in ** die rechtswidrige Einreise und Durchreise von 39 türkischen Staatsangehörigen, die jeweils nicht im Besitz von Dokumenten waren, die sie zur Ein- und Durchreise durch den Schengenraum berechtigt hätten (§ 15 Abs 2 FPG) in und durch den Mitgliedstaat der Europäischen Union, Österreich, mit dem Vorsatz gefördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, indem er sie mit einem Kfz über den Grenzübergang ** von Slowenien nach Österreich transportierte, wobei die Fremden dadurch, dass sie mehrere Stunden während der Beförderung ohne Unterbrechung auf der Ladefläche eines Kastenwagens im Dunklen, ohne Sitze und Sicherheitsgurte bei äußerst geringer Frischluftzufuhr verharren mussten, längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurden und ihr Leben gefährdet wurde (ON 35.1).

Die Staatsanwaltschaft ordnete am 11. Oktober 2023 – soweit hier von Bedeutung – die Sicherstellung des Bargeldbetrags von EUR 1.605,-- an, den der Beschuldigte A* bei seiner Festnahme am 10. Oktober 2023 bei sich hatte (ON 4). Der Bargeldbetrag wurde zur Sicherung des Verfalls nach § 20 Abs 1 StGB sichergestellt, weil nach der kriminalistischen Erfahrung anzunehmen sei, dass es sich dabei um einen Teil des Schlepperlohns handle (ON 4, AS 3).

Dagegen erhob der Beschuldigte am 7. November 2023 Einspruch wegen Rechtsverletzung (ON 34). Diesen begründete er damit, dass das bei ihm vorgefundene Bargeld aus seinem persönlichen Vermögen stamme, ein etwaiger Schlepperlohn erst nach durchgeführter Schlepperfahrt bezahlt werde und er den sichergestellten Geldbetrag nicht durch eine Straftat erlangt habe, weshalb er auch nicht dem Verfall nach §§ 20 oder 20b StGB unterliege.

In ihrer Stellungnahme vom 28. November 2023 (ON 43) legte die Staatsanwaltschaft unter Bezugnahme auf die Aussagen des Beschuldigten und der geschleppten Personen dar, dass mit Blick auf die Erfahrungswerte aus ähnlich gelagerten Verfahren völlig abwegig sei, dass der Beschuldigte die Fahrten unentgeltlich durchgeführt habe; vielmehr sei anzunehmen, dass dieser den sichergestellten Geldbetrag entweder als Vorschuss erhalten habe oder es sich dabei um Zahlungen der geschleppten Personen handle, deren teilweise Behauptungen, noch nichts gezahlt zu haben bzw nichts über eine Zahlung sagen zu können, ebensowenig glaubhaft seien. Bei dieser Sachlage sei die Sicherstellung gemäß § 110 Abs 1 Z 3 StPO nicht nur erlaubt, sondern geboten, um in einem allfälligen Hauptverfahren den Verfall dieses Geldes aussprechen zu können.

Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 64) gab das Erstgericht dem vom Beschuldigten erhobenen Einspruch wegen Rechtsverletzung nicht Folge, weil es wenig glaubwürdig sei, dass der Beschuldigte durch bloße Gelegenheits(schwarz)arbeiten in Rumänien nach seiner Entlassung aus einer Haftstrafe von 12 Jahren und 5 Monaten im Jänner 2022 einen Bargeldbetrag von EUR 1.605,-- angespart haben will und als Urlaubskassa bei sich geführt habe. Im Hinblick darauf, dass der Beschuldigte Teil eines großen Schlepperrings sei, bestehe vielmehr der begründete Verdacht, dass er den Betrag als Vorschuss von einem Mittäter oder als Zahlung der von ihm geschleppten Personen, sohin Schlepperlohn, erhalten hatte und es sich um einen für die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung erlangten Vermögenswert handle, der dem Verfall unterliege, der aufgrund der unklaren Einkommenssituation des Beschuldigten ohne die Sicherstellung gefährdet oder wesentlich erschwert würde.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Einspruchswerbers (ON 71), mit der er die Aufhebung der Sicherstellung sowie die Freigabe und Ausfolgung des Geldbetrags anstrebt. Der Beschwerdeführer argumentiert, dass die auf bloße Vermutungen gestützte Begründung der Erlangung des Geldbetrags für oder durch die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung völlig unzureichend sei, zumal eine Vorschussgewährung aus dem Akt in keiner Weise hervorkomme, vielmehr als notorisch anzusehen sei, dass der Schlepperlohn erst im Nachhinein bezahlt werde und ein allfälliger Vorschuss für Aufwendungen (Benzin, Maut oä) deutlich geringer wäre.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde ist nicht berechtigt.

Gemäß § 106 Abs 1 StPO steht jeder Person Einspruch an das Gericht zu, die behauptet im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt zu sein, weil ihr die Ausübung eines Rechts nach diesem Gesetz verweigert (Z 1) oder eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen dieses Gesetzes angeordnet wurde (Z 2). Von § 106 Abs 1 StPO geschützte subjektive Rechte sind solche, die dem Betroffenen selbst eine bestimmte Verfahrensposition einräumen (Z 1) oder welche die Voraussetzungen und Bedingungen festlegen, die bei Ermittlungsmaßnahmen oder bei der Ausübung oder Androhung von Zwang gegenüber Betroffenen nach diesem Bundesgesetz konkret einzuhalten sind (Z 2; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 7.1057ff, Pilnacek/Stricker in WK StPO § 106 Rz 11). Bezugspunkt der gerichtlichen Kontrolle ist die Rechtmäßigkeit, nicht die Zweckmäßigkeit einer bestimmten Maßnahme ( Pilnacek/Stricker in WK StPO § 106 Rz 11, § 107 Rz 18). Die Prüfung hat sich auf den Zeitpunkt der Entscheidung (ex-ante-Perspektive) zu beziehen (RIS-Justiz RS0131252; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 7.1063, Fabrizy/Kirchbacher , StPO 14 § 106 Rz 3, Pilnacek/Stricker in WK StPO § 106 Rz 19).

Gemäß § 110 Abs 1 Z 3 StPO ist eine Sicherstellung zulässig, wenn sie zur Sicherung der Konfiskation (§ 19a StGB), des Verfalls (§ 20 StGB), des erweiterten Verfalls (§ 20b StGB), der Einziehung (§ 26 StGB) oder einer anderen gesetzlich vorgesehenen vermögensrechtlichen Anordnung erforderlich scheint. Eine Sicherstellung nach § 110 Abs 1 Z 3 StPO setzt den Verdacht voraus, dass die jeweiligen Voraussetzungen für die Anordnung vorliegen. Der Verdacht muss sich aus rational nachvollziehbaren Fakten, nicht bloßen Vermutungen begründen lassen. An seinen Grad sind aber keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, weil die Sicherstellung lediglich einen ersten Zugriff bewirkt und in erster Linie der provisorischen Sicherung dient. Es müssen daher noch nicht alle Ermittlungen durchgeführt worden sein, um eine längerfristige Sicherungsmaßnahme zu rechtfertigen. Dementsprechend genügt auch der geringe Wahrscheinlichkeitsgrad, wie er auch im Zusammenhang mit dem Einspruch über die Anklageschrift formuliert ist. Schon die Möglichkeit (siehe zu diesem Maßstab Birklbauer in WK StPO § 212 Rz 18f), dass die betreffende Anordnung nach Z 3 leg cit verhängt werden wird, kann zur Sicherstellung führen. Anschließend ist dies nachzuprüfen und kann zu einer (längerfristigen) Beschlagnahme führen ( Tipold/Zerbes in WK StPO § 110 Rz 16).

Die Sicherung des Verfalls setzt den durch bestimmte Tatsachen begründeten Verdacht voraus, dass der Täter für die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung oder durch die Begehung einer solchen Handlung Vermögenswerte erlangt hat (§ 20 Abs 1 StGB). Es muss die begründete Annahme vorliegen, dass tatsächlich mit Verfall vorgegangen werden wird, sodass antizipativ die Voraussetzungen des Verfalls einschließlich möglicher Ausschlussgründe zu prüfen sind. Eine einfache Wahrscheinlichkeit genügt ( Tipold/Zerbes in WK StPO § 110 Rz 17). Zudem muss – wiederum aus bestimmten Tatsachen ableitbar - konkret zu befürchten sein, dass der Verfall ohne die Sicherstellung gefährdet oder wesentlich erschwert würde ( Tipold/Zerbes in WK StPO § 110 Rz 18).

Fallbezogen bestand gegen den Beschuldigten bereits im Zeitpunkt der Anordnung der Sicherstellung in Bezug auf die Fahrt vom 10. Oktober 2023, bei der der Beschuldigte 39 türkische Staatsangehörigen, die jeweils nicht im Besitz von Dokumenten waren, die sie zur Ein- und Durchreise durch den Schengenraum berechtigt hätten (§ 15 Abs 2 FPG), mit einem Kfz über den Grenzübergang ** von Slowenien nach Österreich transportierte, der (nach wie vor aktuelle) sogar zur Dringlichkeit verdichtete Tatverdacht des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2 und 3, Abs 4 zweiter Fall FPG, zu dessen Begründung vollinhaltlich auf die Ausführungen im Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 6. November 2023, AZ 10 Bs 334/23b, verwiesen wird (zur Zulässigkeit: RIS-Justiz RS0119090 [T4]).

Ausgehend von den im Sinne der à prima vista glaubhaften belastenden Angaben der geschleppten Personen vom Beschuldigten im Rahmen eines Schlepperrings vorgenommenen Tathandlungen, den mit der forensischen Erfahrung zu vergleichbaren Schleppereitätigkeiten in Einklang stehenden Angaben eines Geschleppten zu den von diesen an die Schlepper vorab geleisteten hohen Zahlungen (ZV B* ON 2.8 – EUR 12.000,-- für Familie; die Behauptungen einzelner Geschleppter, wonach sie [noch] nichts gezahlt hätten [zB ON 2.9, AS 4], erweisen sich mit Blick darauf als wenig glaubhaft) und dem hohen mit einer derartigen (mit Blick auf die Tatumstände des Transports von 39 Personen im Laderaum eines Kastenwagens klar illegalen) Fahrt verbundenen Risiko bestanden – entgegen den ursprünglichen Angaben des Beschuldigten – bereits ex ante keine Zweifel an der Annahme der Entgeltlichkeit seiner Tätigkeit und konnte begründet angenommen werden, dass ein erheblicher Geldbedarf des Beschuldigten das Motiv für das hochriskante Handeln bildete (vgl ON 35.1, AS 4). Vor diesem Hintergrund können dessen Erklärungen, wonach der mitgeführte (beträchtliche) Bargeldbetrag aus Ersparnissen aus Gelegenheits(schwarz)arbeiten (im Baubereich) stammen soll, die er nach seiner Haftentlassung im Jänner 2022 nach einer nach ca. einem halben Jahr gescheiterten selbstständigen Tätigkeit im letzten Jahr vor seiner Festnahme in Rumänien verdient habe und als Reisekassa für seinen Urlaub in Budapest mitgeführt habe (ON 2.5, AS 3f und 6), nicht überzeugen. Bei der gegenständlichen professionell organisierten Schlepperfahrt und der sich bereits aus seinen Erstangaben ergebenden engen Anbindung an das Schleppermilieu (vgl ON 2.2, AS 2 und ON 2.5, AS 5f zu weiteren [gleichartigen] Fahrten [auch von Budapest nach Deutschland] für „C*“ als maßgeblichem Organisator der gegenständlichen Schlepperei) kann insbesondere die Erklärung, er habe das Geld als Urlaubsbudget bei sich geführt, nicht nachvollzogen werden. Vielmehr konnte im Sinne der vom Beschwerdegericht geteilten Einschätzung der Staatsanwaltschaft in der Sicherstellungsanordnung aufgrund des Umstands, dass der Beschuldigte auf einer unter Berücksichtigung der Vielzahl geschleppter Personen als besonders riskant einzustufenden Schlepperfahrt im Besitz eines Bargeldbetrags von EUR 1.605,-- betreten wurde, begründet angenommen werden, dass dieser oder ein derartiger (§ 20 Abs 3 StGB) erhebliche(r) Betrag für oder durch die mit Strafe bedrohte Handlung der verfahrensgegenständlichen Schlepperei erlangt wurde. Entgegen der Beschwerdeargumentation ist keineswegs notorisch, dass Fahrer erst im Nachhinein bezahlt werden. Im Übrigen stünde selbst die Annahme einer solchen Praxis einer Vorschussgewährung nicht entgegen, die gerade durch das erhöhte – mit der Schleppung von 39 Personen verbundene – Risiko ausreichend indiziert ist. Bei einer Gesamtbetrachtung der dargestellten Tatumstände konnte daher bei Fehlen von Ausschlussgründen nach § 20a StGB jedenfalls mit einfacher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass (die) EUR 1.605,-- für oder durch eine mit Strafe bedrohte Handlung erlangt wurden. Der Geldbedarf als Motiv für die gegenständlichen Tathandlungen und das (auch nach den Angaben des Beschuldigten) Fehlen eines geregelten offiziellen Erwerbs rechtfertigte auch die konkrete Befürchtung, dass der Verfall ohne die Sicherstellung gefährdet oder wesentlich erschwert würde. Der Beschwerdeführer wurde durch die inkriminierte Sicherstellungsanordnung daher nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt.

Der Beschwerde muss somit der Erfolg versagt bleiben.

Der Ausschluss eines weiteren Rechtszugs stützt sich auf § 89 Abs 6 StPO .

Rechtssätze
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