JudikaturJustiz10Bs54/24b

10Bs54/24b – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
14. März 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr. Sutter (Vorsitz), Mag. a Tröster und Dr. in Steindl-Neumayr im Verfahren zur Unterbringung des A* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum gemäß § 21 Abs 1 StGB über den Einspruch des Betroffenen gegen den Antrag der Staatsanwaltschaft Graz auf Unterbringung gemäß § 434 Abs 1 StPO vom 1. Februar 2024, AZ 419 St 34/23i (ON 30 des Akts AZ 9 Hv 140/23v des Landesgerichts für Strafsachen Graz) in nichtöffentlicher Sitzung den

BESCHLUSS

gefasst:

Spruch

Der Einspruch wird abgewiesen und die Rechtswirksamkeit des Antrags auf strafrechtliche Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum gemäß § 21 Abs 1 StGB festgestellt.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.

Text

BEGRÜNDUNG :

Mit Antrag vom 1. Februar 2024 (ON 30) strebt die Staatsanwaltschaft Graz die strafrechtliche Unterbringung des am ** geborenen österreichischen Staatsangehörigen A* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB an, weil der Betroffene am 28. November 2023 in ** unter dem Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, nämlich einer paranoiden Schizophrenie (F20.0), wobei er zum Tatzeitpunkt wegen dieser Störung zurechnungsunfähig war (§ 11 StGB), B* durch die Äußerung „Ich reiß dir jetzt sofort den Schädel herunter! sowie „Du olte Sau, i hau da den Schädel ein!“ mit dem Tod gefährlich bedroht habe, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, wobei der Bedeutungsgehalt seiner Äußerung vor dem Hintergrund des vorliegenden Sachverständigengutachtens dahingehend auszulegen sei, dass er sie in absehbarer Zukunft durch massive Gewalteinwirkung gegen den Kopf, insbesondere durch das Versetzen von kräftigen Hieben mit einem Gegenstand, töten werde und wolle,

sohin eine Tat begangen habe, die ihm außer diesem Zustand als das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB zuzurechnen wäre und mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist.

Da nach seiner Person, seinem Zustand und nach der Art der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten sei, dass A* sonst in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss seiner psychischen Störung neuerlich mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen, insbesondere vorsätzliche an sich schwere Körperverletzungen, begehen werde, werde A* gemäß § 21 Abs 1 StGB in einem forensisch-therapeutischen Zentrum einzuweisen sein.

Zur näheren Darstellung des Sachverhalts und zu den beweiswürdigenden Erwägungen der Anklagebehörde wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des Antrags auf Unterbringung (ON 30, AS 3ff) verwiesen.

Dagegen erhob der Betroffene Einspruch (ON 41.1), in dem er die Unzulässigkeit des Antrags auf Unterbringung nach § 434 Abs 1 StPO mangels Vorliegens des Verdachts einer mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohten Anlasstat im Sinne des § 21 Abs 1 StGB releviert.

Die Oberstaatsanwaltschaft verwies auf ihre Stellungnahme ON 42 (im Beschwerdeverfahren gegen die Anordnung der vorläufigen Unterbringung), wonach ein (sogar dringender) Tatverdacht gemäß § 107 Abs 1 und 2 StGB vorliege.

Der Betroffene trat dem in seiner Äußerung vom 7. März 2024 entgegen.

Rechtliche Beurteilung

Der Einspruch ist nicht berechtigt.

Gemäß § 434 Abs 1 StPO hat die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Unterbringung zu stellen, wenn hinreichende Gründe für die Unterbringung nach § 21 Abs 1 StGB vorliegen. Für diesen Antrag gelten die Bestimmungen über die Anklageschrift (§§ 210 bis 215 StPO) sinngemäß.

Das Oberlandesgericht hat aus Anlass eines Einspruchs die Zulässigkeit der Anklage (hier: des Antrags auf Unterbringung) und die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts von Amts wegen nach allen Richtungen auf das Vorliegen der Voraussetzungen zu prüfen ( Birklbauer in WK StPO § 215 Rz 4; Hinterhofer/Oshidari, System des österreichischen Strafverfahrens Rz 8.31).

Die Anklagebehörde bringt eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Tat, die auch eine Anlasstat für eine Anordnung der Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum ist (§ 21 Abs 1 und 3 StGB), zur Darstellung, ohne dass rechtliche Ausschlussgründe vorliegen (§ 212 Z 1 StPO). Der dem Einspruchswerber im Antrag auf Unterbringung zur Last gelegte Lebenssachverhalt erfüllt - hypothetisch als erwiesen angenommen ( Birklbauer in WK StPO § 212 Rz 4) – eine mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Handlung, nämlich das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB.

Die Beurteilung der Ernstlichkeit einer (sich ihrem Wortlaut nach als Drohung manifestierenden) Äußerung wie auch ihres Sinns und Bedeutungsinhalts betrifft eine Tatfrage (RIS-Justiz RS0092437), wobei von der Anklagebehörde im Antrag auf Unterbringung gemäß § 434 Abs 1 StPO als Bedeutungsinhalt der vom Betroffenen getätigten Äußerungen die ernst gemeinte Ankündigung der Tötung der B* durch massive Gewalteinwirkung gegen den Kopf angenommen wurde. Nach Maßgabe dieses Sachverhalts erfolgte die Subsumtion dieser Handlungen als Anlasstat nach § 107 Abs 1 und 2 StGB zutreffend.

Nach dem Inhalt des Antrags auf Unterbringung beging der Betroffene die Tat unter dem Einfluss eines seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, nämlich einer paranoiden Schizophrenie (F20.0), beruht. Es ist zu befürchten ( Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 21 bis 25 Rz 4), dass er sonst unter dem maßgeblichen Einfluss dieser schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung in absehbarer Zukunft, innerhalb von Wochen oder allenfalls Monaten, neuerlich mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen, nämlich insbesondere (auch) vorsätzliche an sich schwere Körperverletzungen, begehen wird. Bei diesen handelt es sich um (mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte, gegen Leib und Leben gerichtete) Prognosetaten im Sinn des § 21 Abs 3 zweiter Satz StGB (vgl Nimmervoll in SbgK § 21 StGB Rz 77; 11 Os 25/19i). Gründe, die die Unterbringung des Betroffenen aus rechtlichen Gründen ausschließen, sind nach der Aktenlage nicht gegeben.

Auch die Einspruchsgründe der fehlenden Verurteilungswahrscheinlichkeit und der nicht hinreichenden Sachverhaltsklärung (§ 212 Z 2 und 3 StPO) liegen nicht vor.

Ihrer Prüfung ist voranzustellen, dass eine Einstellung des Verfahrens nach § 215 Abs 2 StPO iVm § 212 Z 2 StPO nur dann in Betracht kommt, wenn das Oberlandesgericht zur Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte (hier: Betroffene) der inkriminierten Tat keinesfalls überführt werden könne, somit wenn Dringlichkeit und Gewicht des Tatverdachts trotz eingehender Ermittlungen nicht ausreichen, bei lebensnaher Betrachtung eine Verurteilung (hier: Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum) auch nur entfernt für möglich zu halten ( Birklbauer in WK StPO § 212 Rz 18; Hinterhofer/Oshidari , System des österreichischen Strafverfahrens Rz 8.28). Bei ausermitteltem Sachverhalt kommt dem Oberlandesgericht gleichsam eine Missbrauchskontrolle nur in jenen Fällen zu, in denen die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt (hier: einen Antrag auf Unterbringung stellt), obwohl so gut wie überhaupt keine Verurteilungs- (hier Unterbringungs-)Möglichkeit besteht; andernfalls ist über die erhobenen Vorwürfe in der Hauptverhandlung zu entscheiden ( Birklbauer in WK StPO § 212 Rz 19).

Eine (vorläufige) Zurückweisung der Anklageschrift (hier: des Antrags auf Unterbringung) kommt dann in Betracht, wenn die Staatsanwaltschaft von weiteren möglichen Erhebungen Abstand nimmt und auf Basis eines nicht hinreichend geklärten und ausermittelten Sachverhalts anklagt bzw den Unterbringungsantrag stellt ( Birklbauer in WK StPO § 212 Rz 14). Der Einspruchsgrund des § 212 Z 3 StPO ist daher nicht gegeben, wenn keine (schuld)erheblichen Beweisaufnahmen mehr ausstehen und wenn bei Gegenüberstellung sämtlicher belastender und entlastender Verdachtsmomente sowie unter Berücksichtigung indizierter Rechtfertigungs-, Schuldausschließungs-, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe sowie Verfolgungshindernisse mit einfacher Wahrscheinlichkeit ein Schuldspruch (hier: die Anordnung der Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum) zu erwarten ist ( Birklbauer in WK StPO § 212 Rz 15).

Der antragsgegenständliche Sachverhalt ist hinreichend geklärt. Sowohl der Betroffene als auch das Opfer B* und der bei der Tat anwesende Zeuge C* wurden einvernommen. Außerdem wurde ein Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Univ. Prof. Dr. D* eingeholt. Unter dem Aspekt des § 212 Z 2 StPO ist bei angemessener Würdigung des Beweiswerts der be- und entlastenden Beweismittel die Feststellung der Tatbegehung des Betroffenen als Grundlage für seine strafrechtliche Unterbringung möglich.

In objektiver Hinsicht ergibt sich der gegen den Einspruchswerber bestehende Tatverdacht zum ihm zur Last gelegten Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB entgegen seiner leugnenden Verantwortung (ON 2.5; ON 9; ON 26, AS 2ff) aus den à prima vista glaubhaften, ungeachtet etwas abweichender Formulierungen ihrem wesentlichen Inhalt nach miteinander in Einklang stehenden Schilderungen des Opfers B* (ON 2.7, ON 26, AS 5) und des beim Vorfall anwesenden Zeugen C* (ON 2.6), wobei dem Betroffenen solche drohenden Äußerungen auch nicht wesensfremd sind (vgl Verurteilung zu AZ 24 Hv 55/21a des Landesgerichts für Strafsachen Graz [unter anderem] wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB [vgl ON 17 – Schuldspruch Punkt 3.b]). Ein Grund für eine Falschbeschuldigung ist nicht ersichtlich.

Der im Antrag auf strafrechtliche Unterbringung angenommene, die Qualifikation nach § 107 Abs 2 StGB begründende Bedeutungsinhalt der ernst gemeinten Ankündigung der Tötung des Opfers durch massive Gewalteinwirkungen gegen den Kopfbereich ist zwar aus den im Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 14. Februar 2024, AZ 10 Bs 48/24w, mit dem die vorläufige Unterbringung des Betroffenen aufgehoben und dessen Entlassung aus der vorläufigen Unterbringung angeordnet wurde (ON 43), dargelegten Gründen, auf die vollinhaltlich verwiesen wird (zur Zulässigkeit: RIS-Justiz RS0115236 [T1], RS0119090 [T4]), nicht zur Dringlichkeit verdichtet. Bei einer Gesamtbetrachtung des Wortlauts der von den Zeugen geschilderten Äußerungen in Verbindung mit der vom Opfer glaubhaft beschriebenen Aggressivität des Betroffenen im Zeitpunkt der Tatbegehung (ON 2.7) ist vor dem Hintergrund früherer Gewalthandlungen des A* gegen seine Großmutter der von der Staatsanwaltschaft dem Antrag auf strafrechtliche Unterbringung zugrunde gelegte Bedeutungsgehalt dennoch möglich. Die Verdachtsannahmen zur subjektiven Tatseite der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB, einschließlich der Absicht, das Opfer in Furcht und Unruhe um sein Leben zu versetzen, erschließen sich aus dem dargestellten objektiven Tatgeschehen und den äußeren Tatumständen (RIS-Justiz RS0098671, RS0116882). Insofern ist nach dem im Einspruchsverfahren anzulegenden Prüfungsmaßstab von einer für die Erhebung eines Antrags auf Unterbringung ausreichenden Möglichkeit der Annahme einer nach § 107 Abs 2 StGB qualifizierten gefährlichen Drohung als Anlasstat gemäß § 21 Abs 1 und 3 StGB auszugehen.

Die im Tatzeitpunkt vorliegende Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) aufgrund einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung sowie die nach seiner Person, seinem Zustand und der Art der Tat anzunehmende konkrete Gefahr, der Betroffene werde unter dem maßgeblichen Einfluss seiner nachhaltigen und schwerwiegenden psychischen Störung in absehbarer Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen, insbesondere auch vorsätzliche an sich schwere Körperverletzungen, begehen (RIS-Justiz RS0090401), ergibt sich aus dem im Akt erliegenden, auf die Explorierung des Betroffenen gegründeten, - soweit hier zu beurteilen - unbedenklichen Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Univ. Prof. Dr. D* (ON 28, AS 2 und AS 13f). Die Prognose kann zudem auf das durch Gewaltdelinquenz belastete Vorleben (vgl Strafregisterauskunft ON 21, insbesondere Position 1 wegen u.a. §§ 15, 84 Abs 4 StGB) und die Art der (objektiv weitgehend anlasslosen) Tat gestützt werden.

Die eigenständige Bewertung der Beweismittel begründet im Ergebnis einen hinreichend geklärten Sachverhalt, der die Unterbringung des Betroffenen in einem forensisch-therapeutischen Zentrum – unvorgreiflich der freien Beweiswürdigung durch das Schöffengericht – ausreichend wahrscheinlich erscheinen lässt und die Anordnung einer Hauptverhandlung rechtfertigt.

Auch die Einspruchsgründe nach § 212 Z 4 bis 8 StPO liegen nicht vor. Die Staatsanwaltschaft bezeichnet das objektive und subjektive Tatgeschehen nach Maßgabe des § 211 StPO deutlich, weshalb der Unterbringungsantrag nicht an wesentlichen formellen Mängeln im Sinne der Z 4 des § 212 StPO leidet (vgl RIS-Justiz RS0132892, RS0132893, 11 Os 124/19y). Die Staatsanwaltschaft Graz ruft als berechtigte öffentliche Anklägerin aufgrund des im Sprengel des Landesgerichts für Strafsachen Graz gelegenen Tatorts das nach § 36 Abs 3 StPO örtlich und nach § 31 Abs 3 Z 7 iVm § 434 Abs 2 StPO sachlich zuständige Landesgericht für Strafsachen Graz als Schöffengericht an ( Kirchbacher , StPO 15 § 31 Rz 6). Eine unberechtigte nachträgliche Fortsetzung des Verfahrens nach § 205 Abs 2 StPO erfolgte nicht.

Der Einspruch ist daher abzuweisen und die Rechtswirksamkeit des Antrags auf strafrechtliche Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum gemäß § 21 Abs 1 StGB festzustellen (§ 215 Abs 6 iVm § 434 Abs 1 StPO).

Der Ausschluss eines weiteren Rechtszugs gründet auf § 214 Abs 1 iVm § 434 Abs 1 StPO.

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