JudikaturBvwgL518 2287742-1

L518 2287742-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
26. April 2024

Spruch

L518 2287744-1/9E

L518 2287742-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Markus STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerde der (1). XXXX , geb. XXXX und des mj. (2.) XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten von der Mutter, beide StA. Armenien, beide vertreten durch die BBU GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.01.2024, 1376465903-232349420 und 1376466007-232349438, wegen §§ 3, 8, 10 und 57 AsylG 2005, § 18 BFA-VG und §§ 46, 52 und 55 FPG 2005, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.04.2024, zu Recht:

A) Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die Beschwerdeführer (in weiterer Folge gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch kurz als BF1 und BF2 bezeichnet), reisten am 08.11.2023 auf dem Luftweg legal aus Armenien aus und in das österreichische Bundesgebiet ein. Die BF1 brachte am 11.11.2023 für sich und ihren minderjährigen Sohn einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

I.2. Am 11.11.2023 suchten die BF die PI Wien-Billrothstraße auf und teilten mit, dass sie Asyl beantragen. Die BF1 gab dazu bekannt, dass sie in Armenien von Ihrem Ex-Ehemann und Vater ihres Sohnes verfolgt und bedroht werden würde. Über Reisedokumente würden sie nicht verfügen, da diese sich in Frankreich befänden. Die Reisepässe konnte jedoch Im Zuge der weiteren Amtshandlung durch die Sicherheitsbeamten vorgefunden werden und wurden diese sichergestellt.

Im Zuge der am 11.11.2023 durchgeführten Erstbefragung teilte die BF1 dann zum Ausreisegrund befragt mit „Ich habe Probleme mit meinem Lebensgefährten. Er hat mich und meinen Sohn geschlagen und versucht zu erwürgen. Einmal wurde mein Sohn sogar durch meinen Lebensgefährten nackt ausgezogen und in das Stiegenhaus geschickt. Die Polizei in Armenien konnte uns nicht helfen. Mein Lebensgefährte hat eine Person beauftragt mich und meinen Sohn zu verfolgen und zu beobachten. Diese Person hat mich bedroht, ich solle auf den Anspruch auf Alimente verzichten sonst würde es für mich und meinen Sohn schlecht enden. Auch fremde Personen haben meinem Sohn bei der Schule Süßigkeiten angeboten, welche vergiftet sein könnten. Ein anderes Mal haben sie die Zugangsdaten für sein Mobiltelefon verlangt. Ich befürchte diese Personen wollten mich finanziell schädigen. Ich habe Angst um mein Leben und das meines Sohnes. Das sind all meine Fluchtgründe“. Für den BF2 gab die BF1 bekannt, dass dieser keine eigenen Gründe hat.

I.3. Nach Zulassung des Verfahrens wurden die BF am 25.01.2024 vor dem BFA, ASt Graz, niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der BF1 zum Ausreisegrund befragt bekannt „Ich und mein Lebensgefährte haben 12 Jahre zusammengelebt. Die letzten drei Jahren wurden schwierig und dies hat in weiterer Folge zur Trennung geführt. Ich habe ihm verziehen, damit ich meine Beziehung retten kann. Er hat mir und dem Kind gegenüber Gewalt angewendet, er hat uns geschlagen. Er hat immer wieder das Kind erniedrigt, indem er ihm gesagt hat, dass er ein niemand sei. Durch die Schläge und der Schupferei kam mein Sohn zu Sturz und hat sich verletzt. Es kam vor, dass die Nachbarn mich in der Arbeit angerufen haben und mir mitteilten, dass aus unserer Wohnung Lärm kommt. Ich konnte aber nicht so einfach die Arbeit verlassen und habe die Nachbarn gebeten, nachzusehen. Diese teilten mir dann mit, dass mein Sohn Würgespuren hatte. Diese Spuren waren lange am Hals zu sehen. Er hatte ihn auch mal an einen unbekannten Ort gelassen und gemeint, dass er ihn erziehen wollte. Er wollte sehen, was mein Sohn in dieser Situation macht. Mein Sohn hatte viel Angst und Stress. Nach einer Stunde hat ihn Artur dann abgeholt. Als unser Sohn acht oder neun Jahre alt war, hat er ihn splitternackt ausziehen lassen und ihn ins Stiegenhaus gesperrt. Auf meine Frage hin, hat er gesagt, dass er ihn bestraft hat, damit er nicht mehr lügt. Als mein Sohn mit seinem Vater etwas unternehmen wollte, hat er ihn an die Wand gedrückt und geschüttelt. Der Grund dafür war, dass mein Sohn einmal meinte, sein Vater wäre selbst ein Angsthase, nachdem er ihn so betitelte, weil er weinte. Er hat mich auch geschlagen und ich trug blauen Flecken davon. Er hatte auch versucht, gegen meinen Willen mit mir Geschlechtsverkehr zu haben. Das war der Grund, warum ich mich von ihm getrennt haben. Das war im Jahr 2017…… Artur ist immer wieder gekommen, hat gegen die Türe getreten und hat uns bedroht. Das war im Sommer 2023 und deshalb habe ich beschlossen, mit meinem Sohn auszureisen“.

Für den BF2 wurde von der BF1 explizit bekannt gegeben, dass er keine eigenen Fluchtgründe hat.

I.4. Die Anträge der BF auf internationalen Schutz wurden folglich mit Bescheiden des Bundesamtes vom 27.01.2024 gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 18 Abs. Z 1 und 4 BFA-VG wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 55 Abs 1a FPG keine Frist zur freiwilligen Ausreise gewährt (Spruchpunkt VII.).

Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das BFA aus, dass die BF ihre Heimat lediglich aufgrund privater Probleme der BF1 verlassen haben. Es kann daher nicht festgestellt werden, dass sie in Armenien der Gefahr einer individuellen, konkret gegen die BF gerichteten Verfolgung durch den Staat ausgesetzt waren bzw. sind. Dies wurde auch dezidiert verneint und führte die BF1 deutlich an, dass es sich lediglich um Probleme mit einer Privatperson, nämlich dem Ex-Lebensgefährten, handelt. Festgestellt wurde weiters, dass die BF1 sich aufgrund Ihrer Probleme an die Gerichte und an die Polizei wandte, die auch tätig wurden. Ebenso holte sie sich Hilfe im Büro für Menschenrechte und der NGO, die Sie moralisch unterstützen und begleiteten. Ebenso hatten Sie Gespräche mit Psychologen und Juristen. Auch ist darauf zu verweisen, dass Armenien ein sicherer Herkunftsstaat laut Herkunftsstaatenverordnung ist. Der Staat ist schutzwürdig und schutzwillig!

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar, weshalb Rückehrentscheidung und Abschiebung in Bezug auf Armenien zulässig sind.

I.5. Gegen die im Spruch genannten Bescheide wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Begründend wurde ausgeführt, dass der ehemalige Lebensgefährte der BF1 durch seine Tätigkeit als TV-Journalist einflussreiche Kontakte in höchste Behördenkreise hat und selbst persönliche Kontakte zu Spitzenpolitiker in Armenien pflegt. Auch wären die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen unvollständig. Das BFA übersieht zudem, dass den BF in Armenien als Opfer von häuslicher Gewalt kein effektiver Rechtsschutz zukommt.

Beantragt werde jedenfalls eine mündliche Beschwerdeverhandlung, weiters den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben und den BF den Status des Asylberechtigten, in eventu den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen; den angefochtenen Bescheid bezüglich der Spruchpunkte III. bis VII. zu beheben bzw. dahingehend abzuändern, dass die Rückkehrentscheidung aufgehoben, die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig erklärt und den BF ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK erteilt wird; in eventu den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen; Angeregt wird, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zukommen zu lassen.

I.6. Am 15.04.2024 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein der BF, deren rechtsfreundlichen Vertretung sowie einer Dolmetscherin für die armenische Sprache durchgeführt.

I.7. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die BF1 führt den im Spruch genannten Namen, sie ist Staatsangehörige von Armenien, Angehörige der armenischen Volksgruppe und Christin. Die BF1 wurde am XXXX in XXXX geboren. Die BF1 besuchte zehn Jahre lang die Schule und studierte danach elf Jahre lang Medizin. Vor der Ausreise war sie als Frauenärztin in mehreren Kliniken in Jerewan und Lektorin an der Universität beruflich tätig. Bis zur Ausreise lebte sie in einer Eigentumswohnung in Jerewan. Die Identität der BF1 steht fest.

Die BF1 lebte bis 2017 mit dem Journalisten XXXX in einer Lebensgemeinschaft. XXXX ist der Vater des BF2. Mit Beschluss vom 18.06.2020 kommt der BF1 das alleinige Sorgerecht für den BF2 zu.

Bei der BF1 wurde eine Zyste in der Lunge und ein Myom in der Gebärmutter festgestellt, ansonsten ist sie gesund und benötigt keine Medikamente. Es ist geplant, dass das Myom am 29.04.2024 im Landeskrankenhaus XXXX entfernt wird.

In Jerewan leben noch zwei Brüder mit ihren Familien, sowie zahlreiche Cousins und Cousinen, insgesamt handelt es sich um ca. 20 Personen. Die BF1 pflegt einen innigen Kontakt zu ihren Brüdern. Weiters hat sie noch regen Kontakt zu einer Freundin und zahlreichen Kollegen.

Der BF2 führt den im Spruch genannten Namen, ist Staatsangehöriger von Armenien, Angehöriger der armenischen Volksgruppe und Christ. Der BF2 wurde am XXXX in Jerewan geboren. Der BF2 lebt bei und von der BF1. Vor der Ausreise besuchte er in Jerewan die erste Klasse der Oberstufe. Die Identität der BF2 steht fest.

Der BF2 ist gesund und benötigt keine Medikamente.

Der Aufenthalt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet war und ist nicht nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Z. 3 FPG 2005 geduldet. Ihr Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Sie wurden nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

Die BF gehörten keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatten in ihrem Herkunftsstaat vor der Ausreise keine Schwierigkeiten mit staatlichen Organen, Sicherheitskräften oder Justizbehörden zu gewärtigen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer vor der Ausreise Schwierigkeiten aufgrund ihres religiösen Bekenntnisses bzw. ethnischen Zugehörigkeit zu gewärtigen hatten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt waren oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF von einer unbekannten Person verfolgt wurden.

Festgestellt wird, dass die Polizei bzw. die staatlichen Stellen nach Verständigung durch die BF1 jeweils tätig wurden.

Die BF verfügen über eine – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherte Existenzgrundlage in ihrem Herkunftsstaat sowie über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte und eine hinreichende Versorgung mit Nahrung und Unterkunft.

Die BF halten sich seit 08.11.2023 in Österreich auf und beziehen Grundversorgung. Im Bundesgebiet halten sich keine Verwandten der BF auf. Die BF1 ist, außer für den BF2, für niemanden sorgepflichtig. Die BF besuchen Deutschkurse. Die BF sind in keinen Vereinen oder Organisationen tätig. Die BF1 hilft in der Unterkunft in der Küche und bei medizinischen Notfällen. Der BF2 besucht die fünfte Klasse des BORG Kindberg. Für die BF1 wurde ein vages Schreiben des Dr. TELFEYAN in Vorlage gebracht, aus welchem hervorgeht, dass sie in dessen Ordination am Ausmaß von bis zu 12 Stunden als Assistentin angestellt werden könnte. Die BF haben keine österreichischen Freunde. Unterstützungsschreiben wurden nicht vorgelegt. Die BF sind strafrechtlich unbescholten.

Im gegenständlichen Fall ergab sich weder eine maßgebliche Änderung bzw. Verschlechterung in Bezug auf die die BF betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen in der Person der BF gelegenen Umständen.

Ebenso ergab sich keine sonstige aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation der BF. Eine relevante Änderung der Rechtslage konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.

In Bezug auf die individuelle Lage der BF im Falle einer Rückkehr nach Armenien konnte keine im Hinblick auf den Zeitpunkt, an dem letztmalig über den Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich geänderte oder gar verschlechterte Situation festgestellt werden.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass den BF eine aktuelle sowie unmittelbare persönliche und konkrete Gefährdung oder Verfolgung in ihrem Heimatland Armenien droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wären.

Weiter konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Armenien eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für die BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ nicht vor.

Weitere Ausreisegründe und/oder Rückkehrhindernisse kamen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht hervor.

II.1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

An dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass es sich bei Armenien um einen sicheren Herkunftsstaat gem. § 19 BFA-VG handelt. Zur aktuellen Lage in Armenien werden folgende (allgemeinen) Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:

Länderspezifische Anmerkungen

Letzte Änderung 2023-10-10 11:59

Sofern nicht anders angegeben, schließen die Themenbereiche der Länderinformationen zu Armenien die Situation in der separatistischen Entität Berg-Karabach, die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört, nicht ein. Dazu darf bemerkt werden, dass durch die jüngsten Ereignisse im Sept. 2023 (Exodus des größten Teils der dort ansässigen Bevölkerung aus Bergkarabach nach Armenien aufgrund des Einmarsches aserbaidschanischer Truppen) diese Region auch bekannt als selbst ernannte Republik Arzach mit Jänner 2024 aufgelöst werden soll.

Armenien wird in Österreich laut Herkunftsstaaten-Verordnung (HStV) derzeit als sicherer Herkunftsstaat geführt. Vom länderkundlichen Standpunkt aus geben die jüngsten Aktualisierungen der Länderinformationen zu Armenien keinen Anlass zur Änderung der länderkundlichen Einschätzung zur Eigenschaft als sicherer Herkunftsstaat im Sinne der HStV.

COVID-19

Letzte Änderung 2023-10-10 12:00

Informationen zur COVID-19-Situation in Armenien werden hauptsächlich in diesem Kapitel ihren Eingang finden. Vereinzelte Informationen finden sich jedoch auch in den nachfolgenden Kapiteln.

Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der John Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

In Armenien wurden fast alle COVID-bezogenen Beschränkungen aufgehoben (WKO 26.5.2022).

Seit Anfang März 2022 ist die Maskenpflicht in allen Innenbereichen (mit Ausnahme von medizinischem Personal in Krankenhäusern sowie in allen öffentlichen Verkehrsmitteln und in Taxis) aufgehoben. Seit 1.Mai 2022 besteht keine 3-G-Nachweispflicht mehr. Für die Einreise nach Armenien besteht seit 1. Mai 2022 ebenfalls keine 3-G-Nachweispflicht (WKO 26.5.2022).

Die internationalen regulären Flugverbindungen nach/von Jerewan sind wieder möglich (WKO 26.5.2022).

Politische Lage

Letzte Änderung 2023-10-10 12:00

Die armenische Verfassung sieht eine parlamentarische Republik mit einer Einkammer-Legislative, der Nationalversammlung (Parlament), vor. Der vom Parlament gewählte Premierminister steht an der Spitze der Regierung; der ebenfalls vom Parlament gewählte Präsident hat weitgehend eine zeremonielle Funktion (USDOS 20.3.2023).

Die Nationalversammlung besteht aus mindestens 101 Mitgliedern, die für eine Amtszeit von fünf Jahren nach einem neu eingeführten Verhältniswahlsystem mit geschlossenen Listen gewählt werden, wodurch das frühere zweistufige Verhältniswahlsystem vereinfacht wird. Bis zu vier zusätzliche Sitze sind für Vertreter ethnischer Minderheiten reserviert, und es können weitere Sitze hinzugefügt werden, um sicherzustellen, dass die Oppositionsparteien mindestens 30 Prozent der Sitze halten (FH 10.3.2023).

Die internationalen Beobachter der OSZE haben die vorgezogene Parlamentswahl in Armenien am 20.06.2021 als demokratisch, fair und frei eingestuft. Den Wählern seien eine breite Palette von Möglichkeiten geboten, die freiheitlichen Grundrechte respektiert worden und die Kandidaten konnten einen freien Wahlkampf führen. Die Partei des bisherigen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan hatte die Parlamentswahl mit rund 54 % der Stimmen gewonnen (BAMF 28.6.2021; vgl EurasiaNet 21.6.2021, USDOS 20.3.2023, FH 10.3.2023). Die neue Regierung unter Pashinjan hat sich verpflichtet, seit Langem bestehende Probleme wie systemische Korruption, undurchsichtige Politikgestaltung, ein fehlerhaftes Wahlsystem und schwache Rechtsstaatlichkeit anzugehen (HRW 13.1.2022; vgl. USDOS 20.3.2023, BAMF 16.8.2021).

Im April 2021 änderte das Parlament die bestehenden Wahlgesetze, um den Empfehlungen der Venedig-Kommission und des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) der OSZE Rechnung zu tragen. Die vorgezogenen Wahlen im Juni 2021 wurden erfolgreich nach dem reformierten System durchgeführt, bei dem die territorialen Listen abgeschafft und das bestehende Wahlsystem vereinfacht wurde. Die Änderungen fanden breite Unterstützung bei den politischen Kräften und der Zivilgesellschaft; weitere Reformen wurden im Mai 2021 verabschiedet und sollen 2022 in Kraft treten (FH 10.3.2023).

Im April 2021 nahm das Parlament Änderungen an, die härtere Strafen für Stimmenkauf, Gewalt im Zusammenhang mit Wahlen und die Störung des Wahlprozesses vorsehen und die Behinderung von Wahlkampfaktivitäten unter Strafe stellen (FH 10.3.2023; vgl. USDOS 12.4.2022). Obwohl bei den Wahlen 2021 ein Rückgang solcher Praktiken zu verzeichnen war, berichteten internationale Beobachter über angebliche Wahlstörungen, darunter vereinzelte Vorfälle von Stimmenkauf und Missbrauch von Verwaltungsmitteln (FH 10.3.2023; vgl. USDOS 20.3.2023).

In der armenischen Hauptstadt Jerewan kam es nach der schnellen Kapitulation der politischen Führung Berg-Karabachs [Anm.: nach dem dortigen Einmarsch aserbaidschanischer Truppen im September 2023] zu massiven Protesten, Zusammenstößen mit der Polizei und zahlreichen Verhaftungen. Tausende Demonstrierende verlangten den Rücktritt von Ministerpräsident Paschinjan. Sie warfen ihm Verrat sowie Nachgiebigkeit gegenüber Aserbaidschan vor und forderten die Wiederaufnahme der militärischen Unterstützung von Berg-Karabach. Oppositionsvertretende erklärten, sie prüften im Parlament die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens (AA 25.9.2023).

Sicherheitslage

Letzte Änderung 2023-10-10 15:10

Am 19.09.23 hat Aserbaidschan eine Militäroperation zur Eroberung der Region Berg-Karabach gestartet. Nur einen Tag später ergaben sich die Karabach-Armenier (AA 25.9.2023). Russland als traditionelle Schutzmacht Armeniens hatte die Aserbaidschaner bei ihrer Militäroffensive gewähren lassen. Armeniens Regierungschef Paschinjan machte Moskau deshalb Vorwürfe. Russland warf Jerewan wiederum vor, mit seiner jüngsten Hinwendung zum Westen einen "großen Fehler" zu begehen (derStandard 28.9.2023).

In der armenischen Hauptstadt Jerewan kam es nach der schnellen Kapitulation der politischen Führung Berg-Karabachs zu massiven Protesten, Zusammenstößen mit der Polizei und zahlreichen Verhaftungen. Tausende Demonstrierende verlangten den Rücktritt von Ministerpräsident Paschinjan. Sie warfen ihm Verrat sowie Nachgiebigkeit gegenüber Aserbaidschan vor und forderten die Wiederaufnahme der militärischen Unterstützung von Berg-Karabach. Oppositionsvertretende erklärten, sie prüften im Parlament die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens (AA 25.9.2023).

Viele Armenierinnen und Armenier werfen der traditionellen Schutzmacht Russland, die seit dem sechswöchigen Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan im Herbst 2020 eine Friedenstruppe mit rd. 2.000 Soldaten vor Ort stationiert hat, vor, sie im Stich gelassen zu haben. Armenien ist militärisch betrachtet Aserbaidschan eindeutig unterlegen und kann nicht mehr auf die Unterstützung der russischen Führung bauen (AA 25.9.2023; vgl. DW 21.9.2023)).

Nach der Massenflucht der Armenierinnen und Armenier aus Berg-Karabach kamen die meisten Menschen in der armenischen Grenzstadt Goris an. Die Flüchtlinge besitzen in der Regel bereits auch die armenische Staatsangehörigkeit oder können sie nun problemlos beantragen. Berichten zufolge wollen viele Flüchtlinge versuchen, zunächst in der Hauptstadt Jerewan unterzukommen. Armenien mit seinen rd. drei Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern befindet sich in einer schweren innen- und außenpolitischen Krise, die durch die Flüchtlinge und die angespannte wirtschaftliche Situation verschärft wird. UN-Generalsekretär Guterres kündigte unterdessen eine UN-Mission in Berg-Karabach an, was laut Beobachtenden jedoch zu spät komme und an der völkerrechtswidrigen Vertreibung der armenischen Bevölkerung nichts mehr ändern könne. Armenien ist dringend auf Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft angewiesen. Auch gibt es in Armenien ernsthafte Befürchtungen, dass Aserbaidschan unter Umständen als nächstes Ziel die territoriale Integrität Armeniens infrage stellen könnte, um sich durch den Süden Armeniens einen Landweg bzw. Korridor in die aserbaidschanische Exklave Nachitschewan zu schaffen (AA 9.10.2023).

Justizwesen/Rechtsschutz

Letzte Änderung 2023-10-10 12:02

Obwohl das Gesetz eine unabhängige Justiz vorsieht, wurde diese aufgrund ihrer Geschichte von Korruption und politischer Einflussnahme, ihres Widerstands gegen Reformen und der jüngsten öffentlichkeitswirksamen Skandale nicht als unabhängig oder unparteiisch angesehen. Es gab unbestätigte Berichte über Versuche der Regierung, Richter zu beeinflussen. Die hohe Zahl der Fälle, das mangelnde Vertrauen der Öffentlichkeit und der Vorwurf des Drucks durch die Regierung hielten Fachleute davon ab, sich auf Richterstellen zu bewerben (USDOS 20.3.2023). Richter fühlen sich Berichten zufolge unter Druck gesetzt, mit Staatsanwälten zusammenzuarbeiten, um Angeklagte zu verurteilen. Der Anteil an Freisprüchen ist extrem niedrig. Die Behörden wenden das Recht selektiv an, und ein ordnungsgemäßes Verfahren ist weder in Zivil- noch in Strafsachen gewährleistet (FH 10.3.2023).

Das zivil- und strafrechtliche Gerichtssystem besteht aus drei Instanzen; daneben existieren eine Verwaltungsgerichtsbarkeit und das Verfassungsgericht. Die Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis hat sich seit Mitte 2018 verbessert. Die Regierung treibt eine Justizreform mit dem Ziel größerer Effizienz der Justiz voran, die allerdings seit 2020 ins Stocken geraten ist. Kollektivhaft (z. B. innerhalb der Familie) gibt es in Armenien nicht (AA 25.7.2022). Die Regierung veröffentlichte 2019 eine auf fünf Jahre angelegte Strategie zur Reform der Justiz; die Reformen wurden 2022 fortgesetzt, kamen jedoch nur langsam voran (FH 10.3.2023).

Beobachter stellten fest, dass die Bestechung von Richtern zwar kein weitverbreitetes Problem mehr sei, dass aber Verteidiger von ihren Mandanten Geld erpressten, indem sie behaupteten, es sei für die Bestechung eines Richters bestimmt, wodurch das Vertrauen in das System untergraben wurde (USDOS 20.3.2023).

Am 6. Juli nahm das Parlament Änderungen am Gerichtsgesetzbuch an, die Disziplinarverfahren gegen Richter ermöglichen, die über Fälle entschieden haben, in denen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu irgendeinem Zeitpunkt während des Verfahrens Menschenrechtsverletzungen festgestellt hat (USDOS 20.3.2023).

Die Bürger hatten auch die Möglichkeit, die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Rechtsakten, die ihre Grundrechte und -freiheiten verletzten, vor dem Verfassungsgericht anzufechten. Bürger, die den innerstaatlichen Rechtsweg ausgeschöpft haben, können bei angeblichen Verstößen der Regierung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention den EGMR anrufen (USDOS 20.3.2023). Die Regierung hielt sich im Allgemeinen an die vom EGMR ausgesprochenen Entschädigungszahlungen (USDOS 12.4.2022).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen und sehen das Recht jeder Person vor, die Rechtmäßigkeit ihrer Festnahme oder Inhaftierung vor Gericht anzufechten. Bei der Prüfung der Festnahme muss das Gericht auch die Rechtmäßigkeit der Verhaftung prüfen. Das Gesetz schreibt vor, dass die Polizei die Festgenommenen über die Gründe für ihre Festnahme sowie über ihr Recht zu schweigen, einen Rechtsbeistand zu haben und einer Person ihrer Wahl ihren Aufenthaltsort mitzuteilen, informieren muss. Eine Kaution war eine legale Option (USDOS 20.3.2023).

Die Verfassung und die Gesetze sehen das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren vor, aber die Justiz setzte dieses Recht nicht durch. Das Gesetz sieht die Unschuldsvermutung vor, aber Verdächtige kamen in der Regel nicht in den Genuss dieses Rechts. Die Pflichtverteidiger waren überlastet. Das Gesetz sieht vor, dass Angeklagte Zeugen zur Rede stellen, Beweise vorlegen und die Argumente im Vorfeld eines Prozesses prüfen können, doch hatten Angeklagte und ihre Anwälte kaum die Möglichkeit, den Zeugen oder der Polizei zu widersprechen, während die Gerichte dazu neigten, das Material der Staatsanwaltschaft routinemäßig zu akzeptieren (USDOS 20.3.203).

Menschenrechtsanwälten zufolge wurde weiterhin in erheblichem Umfang von der Untersuchungshaft Gebrauch gemacht, wobei die Verdächtigen die Beweislast dafür tragen, dass sie keine Fluchtgefahr darstellen oder die Ermittlungen nicht behindern. Mit der neuen Strafprozessordnung wurden auch neue Präventivmaßnahmen wie Hausarrest und Verwaltungsaufsicht eingeführt, die die Inanspruchnahme der Untersuchungshaft möglicherweise verringern könnten (USDOS 20.3.2023).

Die lange Untersuchungshaft blieb ebenso ein Problem (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 10.3.2023). Einige Beobachter sahen in der übermäßig langen Untersuchungshaft ein Mittel, um Angeklagte zu einem Geständnis oder zur Offenlegung selbstbelastender Beweise zu bewegen. Mit der neuen Strafprozessordnung wurden strenge Beschränkungen für die Dauer der Untersuchungshaft und die Dauer der Ermittlungen eingeführt. Nach der neuen Strafprozessordnung darf die Höchstdauer der Untersuchungshaft die in dem angeklagten Artikel vorgesehene Freiheitsstrafe nicht überschreiten (USDOS 20.3.2023).

Die Behörden setzten Gerichtsbeschlüsse im Allgemeinen durch (USDOS 12.4.2022). Der Partnerschaftsrat der EU bekräftigte das gemeinsame Bekenntnis der EU und Armeniens zu den Menschenrechten, den Grundfreiheiten, der Rechtsstaatlichkeit und den demokratischen Grundsätzen. Der Partnerschaftsrat begrüßte die bisherigen Erfolge bei der Umsetzung der nationalen Strategie Armeniens für Justiz- und Rechtsreformen, räumte jedoch ein, dass nach wie Herausforderungen bestünden (EU - Rat der EU 18.5.2022).

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung 2023-10-10 12:03

Die nationale Polizei ist für die innere Sicherheit zuständig, während der Nationale Sicherheitsdienst für die nationale Sicherheit, nachrichtendienstliche Tätigkeiten und die Grenzkontrolle verantwortlich ist (CIA 26.9.2023; vgl. AA 25.7.2022). Seit dem 30. Dezember ist der Polizeichef dem Innenminister unterstellt, der wiederum direkt dem Premierminister untersteht. Der Innenminister wird vom Präsidenten auf Vorschlag des Premierministers ernannt. Der Leiter des Nationalen Sicherheitsdienstes ist ebenfalls direkt dem Premierminister unterstellt (USDOS 20.3.2023; vgl. AA 25.7.2022). Die zivilen Behörden behielten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte. Es gab Berichte, wonach Angehörige der Sicherheitskräfte einige Missbräuche begangen haben (USDOS 20.3.2023).

Polizei und Nationaler Sicherheitsdienst (NSD) sind direkt der Regierung unterstellt. Ein Innenministerium gibt es nicht. Die Aufgaben beider Organe sind voneinander abgegrenzt. Hin und wieder treten aber Kompetenzstreitigkeiten auf, z. B. wenn ein vom NSD verhafteter Verdächtiger ebenfalls von der Polizei gesucht wird (AA 25.7.2022).

Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung 2023-10-10 12:21

Die Verfassung und das Gesetz verbieten derartige Praktiken. Dennoch gab es Berichte, dass Angehörige der Sicherheitskräfte weiterhin Personen in ihrem Gewahrsam folterten oder anderweitig misshandelten. Menschenrechtsanwälten zufolge definiert das Strafgesetzbuch zwar Folter und stellt sie unter Strafe, nicht aber andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (USDOS 20.3.2023).

Es gibt keine systematischen Folterungen (AA 25.7.2022). Gleichwohl ist bekannt, dass festgenommene Personen in Polizeistationen mitunter geschlagen wurden (AA 25.7.2022; vgl. FH 10.3.2023, USDOS 20.3.2023). Folteropfer können den Rechtsweg nutzen, einschließlich der Möglichkeit, sich an den Verfassungsgerichtshof bzw. den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu wenden (AA 25.7.2022). Menschenrechtsaktivisten behaupteten, dass die fehlende Rechenschaftspflicht für alte und neue Fälle von Missbrauch durch die Strafverfolgungsbehörden weiterhin zum Fortbestehen des Problems beiträgt (USDOS 20.3.2023; vgl. AA 20.6.2021).

Mit der Auflösung des Sonderermittlungsdienstes (SIS) im Jahr 2021 wurde die Untersuchung von Folterfällen zunächst auf den Nationalen Sicherheitsdienst (NSS), den Internationalen Strafgerichtshof und den neu geschaffenen Antikorruptionsausschuss umverteilt. Mit der Inkraftsetzung einer neuen Strafprozessordnung am 1. Juli wurde die Zuständigkeit für die Untersuchung von Folterstrafsachen auf den Untersuchungsausschuss übertragen, aber die Funktion der Voruntersuchung von Straftaten (einschließlich Folter), die von Ermittlern des Untersuchungsausschusses begangen wurden, wurde dem NSS übertragen (USDOS 20.3.2023).

Die Strafverfolgungsbehörden verließen sich weiterhin auf Geständnisse und Informationen, die sie bei Verhören erhalten hatten, um Verurteilungen zu erreichen. Nach Ansicht von Menschenrechtsanwälten waren die verfahrensrechtlichen Schutzmaßnahmen gegen Misshandlungen bei polizeilichen Vernehmungen, wie die Unzulässigkeit von durch Gewalt oder Verfahrensverstöße erlangten Beweisen, unzureichend, ebenso wie das in den Polizeistationen installierte Videoüberwachungssystem (USDOS 20.3.2023).

Folter und Misshandlung im Gewahrsam halten an und werden häufig ungestraft verübt. Selbst wenn strafrechtliche Ermittlungen aufgrund von Foltervorwürfen eingeleitet werden, werden sie meist mit der Begründung eingestellt, dass keine Straftat begangen wurde, oder sie werden eingestellt, weil ein Verdächtiger nicht identifiziert werden konnte. Sieben Jahre, nachdem Folter in Armenien zu einem spezifischen Straftatbestand wurde, fällte ein Gericht im März sein erstes Urteil zu solchen Vorwürfen und verurteilte einen ehemaligen Gefängnisbeamten zu sieben Jahren und sechs Monaten. Zuvor mussten sich Beamte, die wegen körperlicher Misshandlung zur Rechenschaft gezogen wurden, mit dem allgemeinen Straftatbestand des "Amtsmissbrauchs" auseinandersetzen (HRW 12.1.2023).

Zur Bekämpfung der Folter veranstaltete die Regierung im Laufe des Jahres gezielte Schulungen für Richter, Staatsanwälte, Ermittler, militärisches Führungspersonal, Militärpolizei, Polizei und Gefängnispersonal (USDOS 12.4.2022).

Am 25. Mai [2021] veröffentlichte das Komitee des Europarats zur Verhütung von Folter (CPT) einen Bericht über seinen letzten regelmäßigen Besuch im Land im Dezember 2019. Das CPT stellte fest, dass die große Mehrheit der von seiner Delegation befragten Personen, die sich in Polizeigewahrsam befanden oder kürzlich befunden hatten, angaben, dass sie angemessen behandelt worden waren (USDOS 12.4.2022).

Korruption

Letzte Änderung 2023-10-10 12:54

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen bei behördlicher Korruption vor (USDOS 20.3.2023). Das Land hat ein Erbe von systemischer Korruption in vielen Bereichen (USDOS 12.4.2022). Die Behörden ergriffen Maßnahmen zur Stärkung des institutionellen Rahmens für die Korruptionsbekämpfung, einschließlich der Schaffung des rechtlichen Rahmens für den Antikorruptionsgerichtshof, der als Spezialgericht für Korruptionsfälle dienen soll. Der Antikorruptionsausschuss, der als Hauptuntersuchungsorgan für Korruptionsfälle dient, nahm im Laufe des Jahres seine Tätigkeit auf (USDOS 20.3.2023).

Im April 2020 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das die Möglichkeiten der Staatsanwälte erweitert, korrupte Handlungen ehemaliger Beamter zu untersuchen. Nach dem neuen Gesetz können Staatsanwälte leichter die Beschlagnahme unrechtmäßig erworbener Vermögenswerte beantragen, wenn deren Status vor Gericht bewiesen wird, und sie dürfen Taten untersuchen, die zehn Jahre zurückliegen (FH 3.3.2021). Im November 2022 traten der neue Anti-Korruptionsgerichtshof und die Anti-Korruptionskammer des Kassationsgerichtshofs in Kraft, nachdem die beiden Gremien im April 2021 per Gesetz geschaffen worden waren. Im August 2022 leitete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren zur Wiedererlangung gestohlener Vermögenswerte von angeblich korrupten ehemaligen Beamten des vorrevolutionären Regimes ein (FH 10.3.2023).

Die Korruption ist nach den politischen Ereignissen im Jahr 2018 deutlich zurückgegangen. Die Regierung unternimmt Schritte zur Beseitigung von oligarchischen Strukturen und Hindernissen. Im November 2019 wurde vom Parlament eine neue Kommission zur Vorbeugung von Korruption gewählt. Die Regierung hat im Jahr 2021 eine Sonderermittlungsbehörde für Korruptionsbekämpfung eingerichtet (AA 25.7.2022).

Das Gesetz verlangt von hochrangigen Beamten und ihren Familien, jährliche Vermögenserklärungen abzugeben, die teilweise im Internet öffentlich zugänglich waren. Die Kommission zur Verhinderung von Korruption (CPC), die im November 2019 die Ethikkommission für hochrangige Beamte ersetzt hat, führt die Analyse der Vermögenserklärung durch (USDOS 30.3.2021).

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex (CPI) von Transparency International für das Jahr 2022 belegte Armenien Rang 63 von 180 bewerteten Ländern (TI 2023). Im Vergleich zu 2021: Platz 58 (TI 1.2022).

NGOs und Menschrechtsaktvisten

Letzte Änderung 2023-10-10 12:54

Die meisten inländischen und internationalen Menschenrechtsgruppen arbeiteten im Allgemeinen ohne staatliche Einschränkungen und konnten ihre Erkenntnisse über Menschenrechtsfälle frei untersuchen und veröffentlichen (USDOS 20.3.2023). Während einige Regierungsbeamte mit ihnen kooperierten und auf ihre Ansichten eingingen, berichteten zivilgesellschaftliche Organisationen, dass es nur wenige Treffen mit Regierungsbeamten (sowohl online als auch persönlich) gab und dass die Regierung die Ansichten von NGO-Sachverständigen in mehreren wichtigen Bereichen, wie etwa der Rede- und Pressefreiheit, ignorierte oder nicht einholte. In anderen Bereichen, wie z. B. bei den Reformen zur Förderung einer unparteiischen, unabhängigen Justiz, sammelte die Regierung Berichte und Empfehlungen der Zivilgesellschaft, aber es war unklar, inwieweit die Empfehlungen berücksichtigt wurden (USDOS 12.4.2022).

Die Regierung unternahm nichts, um zivilgesellschaftliche Organisationen vor Desinformation oder Drohungen zu schützen, einschließlich Drohungen, einzelnen Aktivisten zu schaden (USDOS 20.3.2023). Ein Trend, der im Jahr 2020 einsetzte, führte dazu, dass Akademiker und andere Meinungsführer, einschließlich derjenigen, die sich für die Menschenrechte einsetzen, aufgrund von Hasskampagnen, die von nationalistischen Gruppen und Personen, die der Opposition und Russland nahestehen, angezettelt wurden, zögerten, ihre Meinung öffentlich zu äußern, insbesondere online. Infolgedessen nahm der konstruktive Diskurs über Menschenrechte allgemein ab. Die Regierung verfolgte keine Aufrufe zur Schädigung zivilgesellschaftlicher Akteure im Rahmen der 2020 verabschiedeten Gesetzgebung, die öffentliche Aufrufe zur Gewalt unter Strafe stellt (USDOS 20.3.2023).

In Armenien sind zahlreiche NGOs tätig, die meisten von ihnen haben ihren Sitz in Eriwan. Diese NGOs verfügen nicht über nennenswerte lokale Finanzmittel und sind häufig auf ausländische Geber angewiesen (FH 10.3.2023).

Die Tätigkeit von Menschenrechtsorganisationen ist nach der „Samtenen Revolution“ 2018 wirksamer geworden. Die Regierung Pashinyan bezieht die NGOs in die Entscheidungsprozesse mit ein, auch wenn sich einige NGOs, z. B. im Umweltbereich, eine noch stärkere Wahrnehmung wünschen. Angehörige von NGOs werden seit den Wahlen im Dezember 2018 in größerer Zahl zu Abgeordneten gewählt (AA 25.7.2022).

Ombudsperson

Letzte Änderung 2023-10-10 12:55

Das Amt des Menschenrechtsverteidigers (die Ombudsperson) hat den Auftrag, die Menschenrechte und Grundfreiheiten auf allen Ebenen der Regierung vor Missbrauch zu schützen. Das Büro arbeitete unabhängig und fungierte als wirksamer Anwalt in Einzelfällen (USDOS 20.3.2023). Das Büro lehnte es jedoch ab, einige Fälle im Zusammenhang mit LGBTQI+ Personen zu übernehmen (USDOS 12.4.2022).

Die vom Parlament gewählte und als unabhängige Institution in der Verfassung verankerte „Ombudsperson für Menschenrechte“ muss einen schwierigen Spagat zwischen Exekutive und den Rechtsschutz suchenden Bürgern vollziehen. Die Kompetenzen der Ombudsperson wurden im Jahr 2016 durch ein eigenes Gesetz erweitert (AA 25.7.2022).

Die Ombudsperson kann Empfehlungen aussprechen, hat aber nicht die Befugnis, diese durchzusetzen (USDOS 2.6.2022).

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung 2023-10-10 13:08

Die Verfassung enthält einen ausführlichen Grundrechtsteil modernen Zuschnitts, der auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte mit einschließt. Durch Verfassungsänderungen im Jahr 2015 wurde der Grundrechtekatalog noch einmal erheblich ausgebaut. Ein Teil der Grundrechte können im Ausnahmezustand oder im Kriegsrecht zeitweise ausgesetzt oder mit Restriktionen belegt werden. Gemäß Artikel 80 der Verfassung ist der Kern der Bestimmungen über Grundrechte und –freiheiten unantastbar. Extralegale Tötungen, Fälle von Verschwindenlassen, unmenschliche, erniedrigende oder extrem unverhältnismäßige Strafen, übermäßig lang andauernde Haft ohne Anklage oder Urteil bzw. Verurteilungen wegen konstruierter oder vorgeschobener Straftaten sind nicht bekannt (AA 25.7.2022).

Die Regierung Pashinyan geht bestehende Menschenrechtsdefizite weitaus engagierter als die Vorgängerregierungen an. Die Menschenrechtslage hat sich insgesamt verbessert. Mängel bestehen jedoch nach wie vor bei der konsequenten Umsetzung der Gesetze. Vor allem im Kampf gegen Korruption und Wirtschaftskriminalität und beim Aufbrechen der alten verkrusteten Strukturen hat Premierminister Pashinyan sichtbare Erfolge erzielt (AA 25.7.2022). Daneben bestehen allerdings weiter Defizite bei der Untersuchung und Bestrafung mutmaßlicher Übergriffe durch ehemalige und derzeitige Regierungsbeamte und Strafverfolgungsbehörden (UDOS 20.3.2023).

Die Verfassung verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion, der politischen Meinung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögensstatus, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder anderer persönlicher oder sozialer Umstände. Das Strafgesetzbuch verbietet die ungleiche Behandlung von Personen aus den genannten Gründen, wenn eine solche Behandlung die Menschenrechte und die rechtmäßigen Interessen einer Person verletzt, und betrachtet die gleiche Handlung, wenn sie von Beamten begangen wird als einen erschwerenden Umstand. Die Regierung setzte das Gesetz gegen rassistische/ethnische Gewalt und Diskriminierung uneinheitlich durch (USDOS 20.3.2023).

Das Gesetz schützt die Freizügigkeit und das Recht des Einzelnen, seinen Wohnsitz, seinen Arbeitsplatz und seine Ausbildung zu wechseln. In der Praxis wird der Zugang zur Hochschulbildung durch eine Kultur der Bestechung etwas erschwert. Das armenische Recht schützt die Eigentumsrechte in angemessener Weise, auch wenn die Beamten diese in der Vergangenheit nicht immer eingehalten haben (FH 10.3.2023).

Die Regierung Armeniens erfüllt die Mindeststandards für die Beseitigung des Menschenhandels nicht vollständig, unternimmt aber erhebliche Anstrengungen, um diese zu erreichen. Es gab keine Berichte über das Verschwinden von Personen durch oder im Namen von Regierungsbehörden. Es gab keine Berichte darüber, dass die Regierung oder ihre Vertreter im Laufe des Jahres willkürliche oder rechtswidrige Tötungen begangen haben (USDOS 20.3.2023).

Die Verfassung verbietet unbefugte Durchsuchungen und sieht das Recht auf Privatsphäre und Vertraulichkeit der Kommunikation vor. Die Behörden dürfen keine Telefone abhören, keine Korrespondenz abfangen und keine Durchsuchungen durchführen, ohne die Erlaubnis eines Richters einzuholen, der zwingende Beweise für kriminelle Aktivitäten vorlegt. Die Verfassung sieht jedoch Ausnahmen vor. Die Bürger haben die Möglichkeit, ihre Regierung in freien und fairen, regelmäßig stattfindenden, geheimen Wahlen auf der Grundlage des allgemeinen und gleichen Wahlrechts zu wählen (USDOS 20.3.2023).

Meinungs- und Pressefreiheit

Letzte Änderung 2023-10-10 14:09

In der Verfassung und im Gesetz ist das Recht auf freie Meinungsäußerung verankert, auch für Mitglieder der Presse und anderer Medien. Die Regierung hat dieses Recht im Allgemeinen respektiert, wenn auch mit einigen Einschränkungen. Einzelpersonen durften die Regierung kritisieren, ohne Repressalien befürchten zu müssen (USDOS 20.3.2023). Im Juli 2022 entfernte der Justizminister Bestimmungen aus dem Strafgesetzbuch, die Verleumdung unter Strafe stellten. Diese Bestimmungen waren im Juli 2021 in Kraft getreten und hatten zur Einleitung von mindestens neun Strafverfahren gegen Personen geführt, die der Beleidigung von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens beschuldigt wurden (FH 10.3.2023).

Unabhängige und investigative Medien arbeiten in Armenien relativ frei und veröffentlichen in der Regel online. Kleine unabhängige Medien bieten oft eine solide Berichterstattung, die die Darstellungen der staatlichen Rundfunkanstalten und anderer etablierter Medien infrage stellt. Im Vergleich dazu sind die meisten Printmedien und Rundfunkanstalten mit politischen oder größeren kommerziellen Interessen verbunden (FH 10.3.2023).

Die meisten Rundfunk- und Fernsehsender und Zeitungen waren im Besitz von Privatpersonen oder Gruppen, von denen die meisten Berichten zufolge mit der früheren Regierung oder den parlamentarischen Oppositionsparteien in Verbindung standen und die tendenziell die politischen Neigungen und finanziellen Interessen ihrer Eigentümer widerspiegelten. Derzeitige und frühere Regierungsbehörden und Oppositionsparteien erwarben weitere Medien, was die Polarisierung noch verschärfte. Es gab nur noch wenige unabhängige Medien, die nicht von der finanziellen Unterstützung politisch verbundener Geber abhingen; diejenigen, die noch existierten, waren aufgrund ihrer begrenzten Einnahmen aus Werbung und Abonnementgebühren auf die Unterstützung internationaler Geber angewiesen (USDOS 20.3.2023).

Die Rundfunkmedien, insbesondere das öffentliche Fernsehen, blieben für die Mehrheit der Bevölkerung eine der wichtigsten Nachrichten- und Informationsquellen. Einigen Medienbeobachtern zufolge präsentierte das öffentlich-rechtliche Fernsehen weiterhin Nachrichten und politische Debatten von einem regierungsfreundlichen Standpunkt aus, obwohl es auch weiterhin für oppositionelle Stimmen zugänglich war (USDOS 20.3.2023).

Journalist:innen sind, außer in Fällen schwerer Straftaten, nicht verpflichtet, vertrauliche Quellen offen zu legen. Das Fernsehen ist nach wie vor das am weitesten verbreitete Informationsmedium. Zahlreiche TV-Medien werden von alten Einflussgruppen kontrolliert und versuchen gezielt, die öffentliche Meinung zu manipulieren bzw. Stimmung gegen die Regierung zu machen. Die Vergabe der (befristeten) Sendelizenzen ist weiterhin problematisch. Die Printmedien genießen große Unabhängigkeit, haben jedoch – insbesondere außerhalb der Hauptstadt – ein wesentlich kleineres Publikum als die elektronischen Medien. Internetseiten sind frei zugänglich (AA 25.7.2022).

Das Komitee zum Schutz der Meinungsfreiheit (CPFE), eine lokale NRO, stellte eine Zunahme der Gewalt gegen Journalisten fest. Bis Juni 2022 dokumentierte es 12 Vorfälle mit 13 Opfern (HRW 12.1.2023; vgl. FH 10.3.2023, AI 27.3.2023), die sowohl von Beamten als auch von Privatpersonen verübt wurden. Die meisten Vorfälle ereigneten sich während verschiedener Proteste der Opposition (HRW 12.1.2023).

Am 25. Mai verabschiedeten regierungsnahe Gesetzgeber ein Gesetz, das es staatlichen Stellen erlaubt, Journalisten die Zulassung zu entziehen, wenn sie zweimal innerhalb eines Jahres gegen die "Arbeitsregeln" der zuständigen Stellen verstoßen haben (USDOS 20.3.2023).

Das Recht auf Privatsphäre und Vertraulichkeit der Kommunikation ist grundsätzlich vorhanden. Ohne richterliche Erlaubnis und der Angabe zwingender Beweise für kriminelle Aktivitäten, dürfen Behörden keine Telefone abhören, Korrespondenzen abfangen oder Durchsuchungen durchführen. Die Verfassung sieht jedoch Ausnahmen vor (USDOS 20.3.2023).

Auf der Rangliste der Pressefreiheit für 2022 befindet sich Armenien auf Platz 51 von 180 gelisteten Ländern (RSF 2023). Im Vergleich zu 2021: Platz 63 (RSF 2022).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Letzte Änderung 2023-10-11 06:14

In der Verfassung und in den Gesetzen sind die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit verankert. Die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen, es gab jedoch einige Einschränkungen (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 10.3.2023).

Die Strafverfolgungsbehörden griffen während des gesamten Jahres bei Protesten in die Versammlungsfreiheit ein. Das armenische Helsinki-Komitee, eine Nichtregierungsorganisation, dokumentierte einen unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt bei Oppositionsprotesten im Mai und Juni (HRW 12.1.2023). Es wurde mehrfach berichtet, dass die Polizei während der Proteste im Laufe des Jahres willkürlich Demonstranten festnahm. Ein Bericht der Ombudsperson stellte außerdem fest, dass die Polizei unverhältnismäßige Gewalt anwandte, um Demonstranten festzuhalten, aber auch, dass die Demonstranten die Polizei provozierten, indem sie Beleidigungen riefen, und Schultergurte und Abzeichen abrissen (USDOS 20.3.2023; vgl. AI 27.3.2023).

Das Gesetz schützt das Recht aller Beschäftigten, unabhängige Gewerkschaften zu gründen und ihnen beizutreten, mit Ausnahme des nicht zivilen Personals der Streitkräfte und der Strafverfolgungsbehörden (FH 10.3.2023; vgl. USDOS 20.3.2023). Das Gesetz sieht auch das Streikrecht vor, mit denselben Ausnahmen, und lässt Tarifverhandlungen zu (USDOS 20.3.2023).

Sowohl die Oppositionsparteien als auch die außerparlamentarische Opposition können sich frei äußern (AA 25.7.2022). Im Januar 2021 traten Änderungen des Parteiengesetzes in Kraft, mit denen die öffentliche Finanzierung politischer Parteien an die Vertretung von Frauen und des ganzen Landes gebunden und individuelle Spenden begrenzt wurden. An den vorgezogenen Parlamentswahlen im Juni 2021 nahm eine noch nie da gewesene Anzahl politischer Einheiten (22 politische Parteien und 4 Bündnisse) teil (FH 10.3.2023).

Das Gesetz schränkt weder die Registrierung noch die Tätigkeit von politischen Parteien ein (USDOS 20.3.2023).

Im Januar 2021 traten Änderungen des Parteiengesetzes in Kraft, die die öffentliche Finanzierung politischer Parteien an die Vertretung von Frauen und des Landes binden und die Spenden von Einzelpersonen begrenzen (FH 10.3.2023).

Es gibt keine Berichte darüber, dass Personen, die im Ausland politisch aktiv waren, nach ihrer Rückkehr nach Armenien Repressionen erfahren hätten (AA 25.7.2022).

Es gab keine glaubwürdigen Berichte über politische Gefangene oder Inhaftierte (USDOS 20.3.2023).

Todesstrafe

Letzte Änderung 2023-10-11 07:44

Armenien hat im September 2003 die Todesstrafe abgeschafft; dies ist in Artikel 24 der Verfassung verankert (AA 25.7.2022; vgl. AI 21.4.2020, Standard 19.4.2003, Frankreich Diplomatie 10.2022).

Religionsfreiheit

Letzte Änderung 2023-10-11 07:47

Die Religionsfreiheit ist verfassungsrechtlich garantiert und darf nur durch Gesetze und nur soweit eingeschränkt werden, wie dies für den Schutz der staatlichen und öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral notwendig ist. Gemäß Artikel 17 der Verfassung wird zudem die Freiheit der Tätigkeit von religiösen Organisationen garantiert. Es gibt keine verlässlichen Angaben zum Anteil religiöser Minderheiten an der Gesamtbevölkerung; Schätzungen zufolge machen sie weniger als 5 % aus. Auch in den 2015 beschlossenen Verfassungsänderungen genießt die Armenisch-Apostolische Kirche (AAK) nach wie vor Privilegien, die anderen Religionsgemeinschaften nicht zuerkannt werden (Zulässigkeit der Eröffnung von Schulen, Herausgabe kirchengeschichtlicher Lehrbücher, Steuervorteile u. a. bei Importen, Wehrdienstbefreiung von Geistlichen, Kirchenbau). Bei der Diskussion über ein überfälliges und erst Ende 2017 verabschiedetes Gesetz gegen häusliche Gewalt spielte die Kirche eine konstruktive Rolle. Zunehmend nimmt die Kirche ihre soziale Verantwortung wahr (etwa durch Aufbau von Jugendzentren). Religionsgemeinschaften sind nicht verpflichtet, sich registrieren zu lassen. Religiöse Organisationen mit mindestens 200 Anhängern können sich jedoch amtlich registrieren lassen und dürfen dann Zeitungen und Zeitschriften mit einer Auflage von mehr als 1.000 Exemplaren veröffentlichen, regierungseigene Gelände nutzen, Fernseh- oder Radioprogramme senden und als Organisation Besucher aus dem Ausland einladen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Religionsgemeinschaften die Registrierung verweigert wurde bzw. wird. Bekehrungen durch religiöse Minderheiten sind zwar gesetzlich verboten; missionarisch aktive Glaubensgemeinschaften wie die Zeugen Jehovas oder die Mormonen sind jedoch tätig und werden staatlich nicht behindert. Dies wird von offiziellen Vertretern der Zeugen Jehovas bestätigt (AA 25.7.2022; vgl. USDOS 2.6.2022).

Laut der Volkszählung von 2011 bekennen sich etwa 92 % der Bevölkerung zum armenisch-apostolischen Glauben. Andere religiöse Gruppen umfassen römische Katholiken, armenische unierte (mekhitaristische) Katholiken, orthodoxe Christen und evangelikale Christen, einschließlich Anhänger der Armenischen Evangelischen Kirche, Angehörige der Pfingstkirche, Siebenten-Tags-Adventisten, Baptisten, charismatische Christen und Zeugen Jehovas. Es gibt auch Anhänger der Kirche Jesu Christi und der Heiligen Apostolischen Katholischen Assyrischen Kirche des Ostens, Molokan-Christen, Jeziden, Juden, Baha'is, schiitische Muslime, sunnitische Muslime und Heiden, die Anhänger eines vorchristlichen Glaubens sind. Nach Angaben von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde gibt es etwa 800 bis 1.000 Juden im Land (USDOS 15.5.2023; vgl. CIA 26.9.2023).

Die meisten religiösen Minderheiten, einschließlich der Siebenten-Tags-Adventisten, evangelikaler christlicher Gruppen, der Zeugen Jehovas und der Baha'is, berichteten, dass die öffentliche Einstellung ihnen gegenüber im allgemeinen positiv sei und dass es nur wenig oder gar keine negative Medienberichterstattung über sie gebe, obwohl mehrere Medien im Laufe des Jahres negative Berichte über sie brachten (USDOS 15.5.2023).

Gesellschaftlicher und familiärer Druck war weiterhin eine große Abschreckung für ethnische Armenier, eine andere Religion als den armenisch-apostolischen Glauben zu praktizieren (USDOS 2.6.2022).

Ethnische Minderheiten

Letzte Änderung 2023-10-11 10:30

Die Bevölkerung setzt sich aus ca. 96 % armenischen Volkszugehörigen und ca. 4 % Angehörigen anderer Ethnien (vor allem Jesiden, Russen, Kurden und Assyrer, denen nach der Verfassung bzw. dem Wahlgesetz als den vier größten Minderheitengruppen jeweils ein Parlamentssitz zusteht) zusammen. Die Volkszugehörigkeit wird in armenischen Reisepässen nur eingetragen, wenn der Passinhaber dies beantragt. Die Verfassung garantiert nationalen Minderheiten das Recht, ihre kulturellen Traditionen und ihre Sprache zu bewahren, in der sie u. a. studieren und veröffentlichen dürfen. Zugleich verpflichtet ein Gesetz alle Kinder zu einer Schulausbildung in armenischer Sprache. Dennoch wird an einigen armenischen Schulen in Gegenden mit jesidischer Bevölkerung (derzeit in 23 Dörfern) auch Unterricht in Jesidisch erteilt. Angehörige der jesidischen Minderheit berichten zwar immer wieder über Diskriminierungen, aber weder Jesiden noch andere Minderheiten sind Ziel systematischer und zielgerichteter staatlicher Repressionen (AA 25.7.2022).

Die Verfassung verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion, der politischen Meinung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögensstatus, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder anderer persönlicher oder sozialer Umstände. Das Strafgesetzbuch verbietet die ungleiche Behandlung von Personen aus den oben genannten Gründen, wenn diese Behandlung die Menschenrechte und die rechtmäßigen Interessen einer Person verletzt, und betrachtet die gleiche Handlung von Beamten als erschwerenden Umstand (USDOS 20.3.2023).

Es gibt keine Gesetze, die die Beteiligung von Angehörigen von Minderheitengruppen am politischen Prozess einschränken, und sie haben sich auch beteiligt (USDOS 20.3.2023). Für die vier größten ethnischen Minderheiten des Landes sieht das Gesetz einen zusätzlichen Sitz in der Nationalversammlung vor: Jesiden, Kurden, die assyrische und die russische Gemeinschaft (USDOS 12.4.2022). Bis zu vier zusätzliche Sitze sind für Vertreter ethnischer Minderheiten reserviert, und weitere Sitze können hinzugefügt werden, um sicherzustellen, dass die Oppositionsparteien mindestens 30 Prozent der Sitze halten. Alle vier müssen über eine Parteiliste gewählt werden. Im Jahr 2021 gewann Civil Contract drei Minderheitensitze, die ethnische Russen, Jesiden und Kurden vertraten, während die Armenia Alliance einen Sitz als Vertreter der ethnischen Assyrer gewann (FH 10.3.2023).

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen

Letzte Änderung 2023-10-11 11:14

Männer und Frauen sind in allen Bereichen rechtlich gleichgestellt, aber Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor ein Problem (USDOS 20.3.2023). Der patriarchalische Charakter der Gesellschaft verhinderte jedoch eine umfassende Beteiligung von Frauen am politischen und wirtschaftlichen Leben und an Entscheidungspositionen im öffentlichen Sektor. Parlamentarierinnen und andere weibliche Beamte waren häufig mit geschlechtsspezifischer Belästigung und Missbrauch konfrontiert (USDOS 20.3.2023). Frauen besetzten zwei von 16 Kabinettsposten, etwa 36 % der Sitze in der Nationalversammlung und etwa 31 % der Sitze in den Kommunalparlamenten - ein Anstieg von 8,7 % vor den Kommunalwahlen 2021. In der Nationalversammlung gab es keine weiblichen Vizepräsidenten oder Fraktionsvorsitzenden, und nur zwei der 12 ständigen Parlamentsausschüsse hatten weibliche Vorsitzende. In den 10 Regionen des Landes gab es eine Gouverneurin (USDOS 20.3.2023).

Frauen sind in Politik und Regierung nach wie vor unterrepräsentiert, und die meisten Parteien tun wenig, um die Interessen von Frauen zu berücksichtigen, abgesehen von der Erfüllung der Geschlechterquote auf den Kandidatenlisten (FH 10.3.2023). Die Gesetzgebung schreibt vor, dass Frauen und Männer jeweils mindestens 30 % der Kandidaten bei den Wahlen zur Nationalversammlung stellen müssen, was eine Erhöhung der zuvor geltenden Quote von 25 % bedeutet. Nach der Änderung des Wahlgesetzes im Jahr 2020 wurde die 30-%-Quote auch auf alle Kommunalwahlen angewandt, die ab 2021 nach dem Verhältniswahlsystem stattfanden (USDOS 20.3.2023).

Frauen hatten in der Regel nicht die gleichen beruflichen Möglichkeiten und Löhne wie Männer, und die Arbeitgeber wiesen ihnen oft niedere oder schlechter bezahlte Tätigkeiten zu. Das Arbeitsgesetzbuch sieht zwar die "rechtliche Gleichstellung" aller Parteien in einem Arbeitsverhältnis vor, schreibt aber nicht ausdrücklich gleichen Lohn für gleiche Arbeit vor. Obwohl Frauen im Informations- und Kommunikationstechnologiesektor gut vertreten waren, waren sie in Führungspositionen unterrepräsentiert und wiesen in diesem Sektor ein ausgeprägteres geschlechtsspezifisches Lohngefälle auf. Der Familienstand spielte bei der Beschäftigung eine Rolle. Geschiedene Frauen stellten die Mehrheit der erwerbstätigen Frauen, während verheiratete Männer bei den Männern die Mehrheit bildeten (USDOS 20.3.2023).

Glaubhafte Berichte über Zwangsheiraten liegen nicht vor (AA 25.7.2022). Vergewaltigung ist eine Straftat. Die Höchststrafe beträgt 15 Jahre. Für die Verfolgung von Vergewaltigung in der Ehe gelten die allgemeinen Vergewaltigungsgesetze (USDOS 20.3.2023). Häusliche Gewalt ist weit verbreitet und wird nicht angemessen verfolgt, und die Dienste für die Opfer sind unzureichend (FH 10.3.2023; vgl. USDOS 20.3.2023). Im neuen Strafgesetzbuch wird häusliche Gewalt als erschwerender Umstand bei einer Reihe von Straftaten genannt, aber häusliche Gewalt ist kein eigenständiger Straftatbestand (HRW 12.1.2023; vgl. USDOS 20.3.2023). Häusliche Gewalt wurde nach den allgemeinen Gewaltgesetzen verfolgt und je nach Anklage mit unterschiedlichen Strafen belegt (Mord, Gesundheitsschädigung, Vergewaltigung usw.) (USDOS 20.3.2023).

Das Gesetz gegen häusliche Gewalt wurde Ende 2017 vom Parlament verabschiedet. Das Gesetz über Gewalt in der Familie aus dem Jahr 2017 verpflichtet die Polizei zum sofortigen Eingreifen, "wenn die begründete Annahme besteht, dass eine unmittelbare Gefahr einer Wiederholung oder Fortsetzung der Gewalt" in der Familie besteht (HRW 13.1.2022). Die Strafverfolgungsbehörden sind nicht ausreichend für die gesetzlich vorgeschriebenen Schutzmechanismen zur Verhinderung häuslicher Gewalt, wie etwa Schutzanordnungen, sensibilisiert und geschult und wenden diese nicht angemessen an bzw. setzen sie nicht angemessen durch (HRW 12.1.2023). Enge Definitionen im Gesetz gegen Gewalt in der Familie verhinderten, dass Missbrauchsopfer, die nicht verheiratet waren oder in einer Lebensgemeinschaft mit ihrem Partner lebten, Schutz und Unterstützung durch das Gesetz erhielten (USDOS 12.4.2022). Im Laufe des Jahres stellte die Regierung weiterhin begrenzte Mittel zur Unterstützung von zwei Zentren zur Betreuung von Opfern häuslicher Gewalt bereit (USDOS 20.3.2023).

Nach Angaben der NRO Coalition to Stop Violence against Women (Koalition zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen) erschwerten Lücken in der Gesetzgebung und eine unsachgemäße Durchsetzung des Gesetzes den Zugang von Opfern häuslicher Gewalt zu Dienstleistungen. Die Polizei verwarnte die Täter weiterhin, ohne Maßnahmen zum Schutz der Überlebenden zu ergreifen. Die Polizei kann in Notfällen Schutzanordnungen für bis zu 20 Tage erteilen, wenn ein Familienmitglied Gewalt gegen ein anderes ausgeübt hat und die begründete Annahme besteht, dass eine unmittelbare Gefahr wiederholter Gewalt besteht; für längerfristige Schutzanordnungen müssen die Betroffenen einen Antrag bei einem Gericht stellen (USDOS 12.4.2022).

Die Behörden haben in allen Regionen Armeniens Unterstützungszentren eröffnet, die Opfer häuslicher Gewalt psychologisch und anderweitig unterstützen, doch die staatliche Finanzierung dieser Zentren ist nach Angaben von Frauenrechtsgruppen unzureichend (HRW 12.1.2023). In Armenien gibt es nur ein (AA 25.7.2022) bzw. zwei Frauenhäuser für Opfer häuslicher Gewalt. Beide befinden sich in Eriwan und werden von einer Nichtregierungsorganisation betrieben (HRW 12.1.2023; vgl. USDOS 20.3.2023). Armenien verfügt auch nicht über einen allgemeinen Hotlinedienst für Opfer häuslicher Gewalt (HRW 13.1.2022).

Das Gesetz befasst sich zwar mit unzüchtigen Handlungen und unanständigem Verhalten, deckt aber nicht alle Elemente der sexuellen Belästigung ab. Das Gesetz betrachtet "sexuelle Belästigung" als eine Form der geschlechtsspezifischen Diskriminierung. Das Arbeitsgesetzbuch enthält keinen Hinweis auf sexuelle Belästigung, und es gibt kein spezielles Gesetz, das sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verbietet oder strafrechtliche oder zivilrechtliche Sanktionen für sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vorsieht (USDOS 20.3.2023).

Kinder

Letzte Änderung 2023-10-11 14:05

Die Regierung räumte der Deinstitutionalisierung der Kinderbetreuung und dem Ausbau der familienbasierten Betreuung weiterhin Priorität ein. Die Umsetzung des umfassenden Programms zur Verwirklichung des Rechts des Kindes auf ein Leben in der Familie und des Rechts auf eine harmonische Entwicklung für den Zeitraum 2020-2023 wurde fortgesetzt, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der Stärkung und dem Ausbau von Tagesbetreuungsdiensten und des Pflegekinderwesens lag. Die Zahl der in Pflegefamilien untergebrachten Kinder stieg weiter an, auch die Zahl der in Pflegefamilien untergebrachten Kinder mit Behinderungen. Kinder erhalten die Staatsbürgerschaft von einem oder beiden Elternteilen. Ein zentralisiertes System erstellte eine ärztliche Geburtsbescheinigung, um die Umgehung der Geburtsregistrierung nahezu unmöglich zu machen (USDOS 20.3.2023).

Das Gesetz über die Rechte des Kindes verbietet Misshandlungen, und das Strafgesetzbuch sieht Strafen für solche Misshandlungen vor. Nach den militärischen Auseinandersetzungen im Jahr 2020 und den anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Pandemie blieb die Bereitstellung von psychischer Gesundheit und psychosozialer Unterstützung für Kinder und ihre Familien eine Priorität für die Regierung. Die Regierung verließ sich bei der Bereitstellung dieser Dienste weitgehend auf NGOs und internationale Partner (USDOS 20.3.2023). Die staatlichen Dienste verfügten nur über begrenzte Kapazitäten und Ressourcen für den Schutz und die Verbesserung der psychischen Gesundheit und des psychosozialen Wohlbefindens von Kindern und ihren Bezugspersonen. Beobachtern zufolge räumte die Regierung der Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder Priorität ein (USDOS 12.4.2022).

Die Einschulungs- und Anwesenheitsquoten von Kindern ethnischer Minderheiten, insbesondere von Jesiden, Kurden und Molokanern, lagen deutlich unter dem Durchschnitt, und die Abbrecherquote nach der neunten Klasse war höher. Sieben Schulen im ganzen Land boten jesidischen und assyrischen Sprachunterricht entweder als Teil des Hauptlehrplans oder als außerschulischen Unterricht an. Die jesidische Gemeinschaft hielt die Zahl der Schulen angesichts der Größe der Gemeinschaft für unzureichend. Jesidische Eltern beklagten sich weiterhin darüber, dass der Unterricht keinen Standards entspreche und weitgehend ineffektiv sei (USDOS 20.3.2023).

Das gesetzliche Mindestalter für die Eheschließung beträgt 18 Jahre, obwohl eine Person mit Zustimmung eines Erziehungsberechtigten im Alter von 17 Jahren oder im Alter von 16 Jahren einen Partner heiraten kann, der mindestens 18 Jahre alt ist. Die frühe Verheiratung von Mädchen war Berichten zufolge in jesidischen Gemeinschaften weit verbreitet. Berichten zufolge verließen einige Mädchen die Schule entweder als Folge der Frühverheiratung oder um einer Entführung und Zwangsheirat zu entgehen (USDOS 20.3.2023).

Das Gesetz verbietet die sexuelle Ausbeutung von Kindern und sieht Freiheitsstrafen von sieben bis 15 Jahren für die Verurteilung von Verstößen vor. Eine Verurteilung wegen Kinderpornografie wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren geahndet. Das Mindestalter für einvernehmlichen Sex liegt bei 16 Jahren (USDOS 20.3.2023).

Es gibt keine Zwangsrekrutierung von Kindern (AA 25.7.2022).

Das Gesetz verbietet alle schlimmsten Formen der Kinderarbeit. In den meisten Fällen liegt das Mindestalter für die Beschäftigung bei 16 Jahren, doch können Kinder mit Erlaubnis der Eltern oder eines Vormunds bereits ab 14 Jahren arbeiten. Die Behörden haben die geltenden Gesetze nicht wirksam durchgesetzt. Die Strafen für Verstöße entsprachen denen für andere schwere Straftaten, reichten aber nicht aus, um die Einhaltung zu erzwingen. Kinder, die jünger als 14 Jahre waren, arbeiteten in einer Vielzahl von Branchen, darunter in der Landwirtschaft, auf dem Bau und beim Betteln (USDOS 12.4.2022). Die Regierung erhebt nicht routinemäßig offizielle Daten über Kinderarbeit und pflegt diese auch nicht. Darüber hinaus entspricht das Mindestalter für die Arbeit nicht den internationalen Standards, da die Arbeitsgesetzgebung nicht für Kinder gilt, die im informellen Sektor arbeiten (USDOL 28.9.2022).

Der Nationale Aktionsplan der Regierung zur Bekämpfung des Menschenhandels trat im Juni 2020 in Kraft, und die Umsetzung in mehreren Bereichen begann sofort. Darüber hinaus verabschiedete die Regierung einen neuen Verweisungsmechanismus, um minderjährigen Opfern des Menschenhandels Unterstützung zu bieten (USDOL 29.9.2021). Im Jahr 2021 machte Armenien minimale Fortschritte bei den Bemühungen um die Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit. Die Regierung hat den Personalbestand ihrer Arbeitsaufsichtsbehörde von 27 auf 50 Inspektoren nahezu verdoppelt und beabsichtigt, mehr als 90 Inspektoren einzustellen. Die Gesundheits- und Arbeitsaufsichtsbehörde veranstaltete außerdem regelmäßige Schulungen für Inspektoren im ganzen Land und schloss eine Vereinbarung mit der Landwirtschaftlichen Universität, um Studenten in Arbeitsfragen, einschließlich Kinderarbeit und Menschenhandel, zu schulen. Trotz neuer Initiativen zur Bekämpfung der Kinderarbeit werden Armenien jedoch nur minimale Fortschritte bescheinigt, da das Land weiterhin Rückschritte in der Gesetzgebung macht, die Fortschritte bei der Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit verzögern. Die Arbeitsinspektoren sind immer noch nicht befugt, unangekündigte Inspektionen durchzuführen, obwohl sie 2021 zusätzliche Befugnisse erhielten (USDOL 28.9.2022).

Das Staatsangehörigkeitsgesetz sieht die Verleihung der Staatsangehörigkeit an staatenlose Kinder vor, die auf dem Staatsgebiet geboren wurden (USDOS 20.3.2023).

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung 2023-10-11 14:52

Das Gesetz sieht garantierte Bewegungsfreiheit im Inland, Auslandsreisen, Auswanderung und Repatriierung vor. Die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 20.3.2023).

Aufgrund des zentralistischen Staatsaufbaus und der geringen territorialen Ausdehnung gibt es kaum Ausweichmöglichkeiten gegenüber zentralen Behörden. Bei Problemen mit lokalen Behörden oder mit Dritten kann jedoch ein Umzug Abhilfe schaffen (AA 25.7.2022).

Die Einreise nach Aserbaidschan über die Landgrenze aus Armenien ist nicht möglich. Das betrifft auch die Region Bergkarabach und den sogenannten „Latschin-Korridor“. Die Landgrenze zum Iran ist nur unter strengen Gesundheitsauflagen passierbar. Die Grenzen zur Türkei sind seit Jahren dauerhaft geschlossen (AA 2.10.2023; vgl. BMEIA 2.10.2023).

Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089129.html, Zugriff 2.10.2023

IDPs und Flüchtlinge

Letzte Änderung 2023-10-11 14:52

Die Behörden arbeiteten mit dem Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen, Flüchtlingen, zurückkehrenden Flüchtlingen, Asylbewerbern, Staatenlosen oder anderen betroffenen Personen Schutz und Hilfe zu bieten (USDOS 20.3.2023). Es gab Berichte über nicht systembedingte Diskriminierung bei der Annahme von Anträgen und bei der Inhaftierung von Asylbewerbern aufgrund des Herkunftslandes, der Rasse oder der Religion des Asylbewerbers sowie über Schwierigkeiten bei der Integration. Kontaktpersonen aus der Zivilgesellschaft berichteten von diskriminierenden Haltungen und Misstrauen gegenüber ausländischen Migranten, die Arbeit suchen (USDOS 20.3.2023).

Das Gesetz sieht die Gewährung des Asyl- oder Flüchtlingsstatus vor, und die Regierung hat ein System zur Gewährung von Schutz für Flüchtlinge eingerichtet. Das Gesetz verpflichtet die Inhaftierungsbehörde, die Inhaftierten über ihr Recht auf Asylantragstellung zu informieren, und sieht eine Frist von 15 Tagen für die Antragstellung vor. Der UNHCR berichtete über Probleme mit den ordnungsgemäßen Notifizierungsverfahren, die zu verpassten Fristen und Ablehnungen von Asylanträgen führten (USDOS 20.3.2023). Das Gesetz berücksichtigt die besonderen Bedürfnisse von Kindern, Menschen mit geistigen Behinderungen und Traumaüberlebenden und erlaubt Haftanstalten, Asylanträge entgegenzunehmen. Das Gesetz wurde im Allgemeinen in dem Maße durchgesetzt, wie es die Ressourcen zuließen. Flüchtlinge, die nicht der armenischen Volksgruppe angehörten, konnten eine erleichterte Einbürgerung beantragen (USDOS 20.3.2023).

Die Regierung nahm Flüchtlinge zur Neuansiedlung auf und bot den in ihrem Hoheitsgebiet lebenden Flüchtlingen die Einbürgerung an. Im Mai nahm die Regierung den konzeptionellen Rahmen für die staatliche Steuerung der Migration an, der die Entwicklung der Integrationsstrategie 2021-31 und des Aktionsplans für 2021-26 vorsah. Der Rahmen bot auch Integrationsprogramme für Rückkehrer aus westeuropäischen Ländern an, die entweder freiwillig zurückkehrten oder vom Aufnahmeland abgeschoben wurden (USDOS 12.4.2022).

Die Behörden boten einigen vertriebenen ethnischen Armeniern aus dem Ausland weiterhin eine Reihe von Schutzoptionen an, darunter die beschleunigte Einbürgerung, eine Aufenthaltsgenehmigung oder den Flüchtlingsstatus. Durch die rasche Einbürgerung erhielten die Vertriebenen den gleichen Rechtsanspruch auf Gesundheitsversorgung und die meisten anderen sozialen Dienste wie andere Bürger. Viele der landesweiten Reformen, wie die Bereitstellung von mehr Sozialleistungen, höheren Renten und einer leichter zugänglichen Gesundheitsversorgung, kamen auch den Flüchtlingen zugute, die eingebürgert wurden (USDOS 20.3.2023).

Flüchtlinge, die keine ethnischen Armenier sind, können eine erleichterte Einbürgerung beantragen, die das Bestehen eines Tests erfordert, der sich auf die Kenntnis der Verfassung konzentriert (USDOS 20.3.2023).

Das Gesetz sieht die Verleihung der Staatsbürgerschaft an staatenlose Kinder vor, die auf dem Territorium des Landes geboren wurden (USDOS 20.3.2023).

Seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien kamen über 20.000 Flüchtlinge nach Armenien (99 % armenisch-stämmige Christen), davon wurde ein Großteil aufgrund des gegenüber Immigranten armenischer Abstammung liberalen armenischen Staatsangehörigkeitsrechts mittlerweile eingebürgert (AA 25.7.2022).

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung 2023-10-11 14:53

In Armenien ist ein breites Warenangebot in- und ausländischer Herkunft vorhanden. Auch umfangreiche ausländische Hilfsprogramme tragen zur Verbesserung der Lebenssituation von benachteiligten Gruppen bei. Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung ist nach wie vor finanziell nicht in der Lage, seine Versorgung mit den zum Leben notwendigen Gütern ohne Unterstützung durch humanitäre Organisationen sicherzustellen. Nach Schätzungen der Weltbank für 2020 leben 27 % der Armenier unterhalb der Armutsgrenze. Ein Großteil der Bevölkerung wird finanziell und durch Warensendungen von Verwandten im Ausland unterstützt. Das die Armutsgrenze bestimmende Existenzminimum beträgt in Armenien ca. AMD 60.000 [ca EUR 146] im Monat, der offizielle Mindestlohn AMD 55.000. Das durchschnittliche Familieneinkommen ist mangels zuverlässiger Daten schwer einzuschätzen. Der Großteil der Armenier geht mehreren Erwerbstätigkeiten und darüber hinaus privaten Geschäften und Gelegenheitstätigkeiten nach (AA 25.7.2022).

Im Jahr 2022 hat die Arbeitslosenquote in Armenien geschätzt rund 12,50 % betragen. Für das Jahr 2023 wird die Arbeitslosenquote in Armenien auf rund 12,50 % prognostiziert (statista 3.8.2023). Im Jahr 2022 ist die Arbeitslosigkeit auf den niedrigsten Stand seit vielen Jahren gefallen (WKO 4.2023).

Armenien verfügt über reiche Vorkommen mineralischer Rohstoffe. Die armenische Wirtschaft wuchs 2022 um +12,1 %. Das ist die höchste jährliche Wachstumsrate der letzten 15 Jahren. Aufgrund der begrenzten Verarbeitungskapazität werden die Bergbauprodukte bisher als Rohstoffe exportiert. Die Landwirtschaft gehört zu den wichtigsten Wirtschaftssektoren des Landes, auch wenn dieser Sektor 2022 stagnierte. Das Wirtschaftswachstum konzentrierte sich bislang primär auf die Hauptstadt Jerewan. Das Entwicklungsgefälle zwischen der Hauptstadt Jerewan und den Regionen des Landes bleibt groß. Die ländlichen Regionen haben eine hohe Unterbeschäftigung und niedriges Einkommen. Um die regionale Entwicklung weiter anzukurbeln, verfolgt die armenische Regierung eine aktive Regionalpolitik (WKO 4.2023).

Die durch den Krieg ausgelöste massive Migration von Russen nach Armenien förderte die Wirtschaftsleistung, trug aber auch zu einem Anstieg der Mietpreise und der Lebenshaltungskosten im Allgemeinen bei (AI 27.3.2023).

Das Gesetz verbietet und kriminalisiert alle Formen von Zwangs- und Pflichtarbeit. Am 5. Oktober nahm die Regierung eine Definition von Zwangs- und Pflichtarbeit in das Arbeitsgesetzbuch auf. Die Strafverfolgung war nicht proaktiv und stützte sich weitgehend auf die Selbstauskunft der Opfer (USDOS 20.3.2023).

Das Gesetz sieht eine 40-Stunden-Woche, 20 Tage bezahlten Jahresurlaub und einen Ausgleich für Überstunden und Nachtarbeit vor (USDOS 20.3.2023).

Sozialbeihilfen

Letzte Änderung 2023-10-16 09:31

Das Ministerium für Arbeit und soziale Angelegenheiten verwaltet das Sozialschutzsystem in Armenien. Zu den wichtigsten Arten staatlicher Sozialleistungen in Armenien gehören: Familienbeihilfe, Sozialleistungen, dringende Unterstützungen, pauschales Kindergeld, Kinderbetreuungsgeld bis zum Alter von zwei Jahren, Leistungen bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit, Mutterschaftsgeld, Altersbeihilfe, Invaliditätsleistungen, Leistungen bei Verlust der geldverdienenden Person, Bestattungsgeld (IOM 2021).

Personen, die das 63. Lebensjahr vollendet und mindestens 10 Jahre Berufserfahrung haben, haben Anspruch auf eine arbeitsbedingte Rente. Personen, die keinen Anspruch auf eine arbeitsbedingte Rente haben, haben mit 65 Jahren Anspruch auf eine altersbedingte Rente. In Armenien gibt es zwei Kategorien von Renten: Arbeitsrenten umfassen Altersrenten, privilegierte Renten, Renten für langjährige Betriebszugehörigkeit, Invalidenrenten und Hinterbliebenenrenten. Militärrenten umfassen Renten für Langzeitdienstleistern, Invaliditätsrenten und Hinterbliebenenrenten (IOM 2021).

Das Ministerium für Arbeit und Soziales (MLSA) implementiert Programme zur Unterstützung von schutzbedürftigen Personen: Behinderte, ältere Personen, RentnerInnen, Waisen, Opfer von Menschenhandel, Frauen und Kinder. Der Zugang zu diesen Leistungen erfolgt über die 51 Büros des staatlichen Sozialversicherungsservice (IOM 2021).

Die staatliche Arbeitsagentur des Ministeriums für Arbeit und Soziales setzt die staatlichen Programme um, die darauf abzielen, eine nachhaltige Beschäftigung für Arbeitssuchende und die Befriedigung der Nachfrage nach Arbeitskräften zu sichern und eine effektive Nutzung der verfügbaren Arbeitskräfte zu gewährleisten. Eine detaillierte Beschreibung der Programme ist auf der offiziellen Website der staatlichen Arbeitsagentur unter www.employment.am zu finden. In Armenien gibt es auch private Arbeitsvermittlungsagenturen, die freie Stellen ausschreiben (IOM 2021).

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung 2023-10-11 14:53

Krankenhäuser – insbesondere außerhalb der großen Städte – entsprechen nicht dem europäischen Standard (BMEIA 5.10.2023). Die medizinische Grundversorgung ist flächendeckend gewährleistet. Das Gesundheitssystem besteht aus einer staatlich garantierten und kostenlosen Absicherung sowie einer individuellen und freiwilligen Krankenversicherung. Jeder Mensch in der Republik Armenien hat Anspruch auf medizinische Hilfe und Dienstleistungen, unabhängig von Nationalität, Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, Alter, politischen und sonstigen Überzeugungen, sozialer Herkunft, Eigentum oder sonstigem Status (IOM 2020). Die primäre medizinische Versorgung wird in der Regel entweder durch regionale Polikliniken oder ländliche Behandlungszentren erbracht. Die sekundäre medizinische Versorgung wird von 37 regionalen Krankenhäusern und einigen der größeren Polikliniken mit speziellen ambulanten Diensten übernommen, während die tertiäre medizinische Versorgung größtenteils den staatlichen Krankenhäusern und einzelnen Spezialeinrichtungen in Jerewan vorbehalten ist (AA 25.7.2022).

Die primäre medizinische Versorgung ist grundsätzlich kostenfrei. Kostenlose medizinische Versorgung gilt nur noch eingeschränkt für die sekundäre und die tertiäre Ebene. Das Fehlen einer staatlichen Krankenversicherung erschwert den Zugang zur medizinischen Versorgung insoweit, als für einen großen Teil der Bevölkerung die Finanzierung der kostenpflichtigen ärztlichen Behandlung extrem schwierig geworden ist. Viele Menschen sind nicht in der Lage, die Gesundheitsdienste aus eigener Tasche zu bezahlen. Der Abschluss einer privaten Krankenversicherung übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der meisten Familien bei Weitem (AA 25.7.2022).

Informationen über soziale Bevölkerungsgruppen, die berechtigt sind, kostenlose Medikamente durch lokale Polikliniken zu erhalten, sind verfügbar unter: www.moh.am (IOM 2020).

Die Versorgung mit Arzneimitteln, inklusive Einwegspritzen kann nicht immer gewährleistet werden (BMEIA 5.10.2023). Die Einfuhr von Medikamenten zum persönlichen Gebrauch ist beschränkt auf 10 Arzneimittel, mit jeweils 3 Packungen (IOM 2020; vgl. BMEIA 5.10.2023). Verschreibungen müssen in russischer oder armenischer Sprache mitgeführt werden (BMEIA 5.10.2023).

Ein Grundproblem der staatlichen medizinischen Fürsorge ist die schlechte Bezahlung des medizinischen Personals (für einen allgemein praktizierenden Arzt ca. EUR 250/Monat). Hochqualifizierte und motivierte Mediziner wandern in den privatärztlichen Bereich ab, wo Arbeitsbedingungen und Gehälter deutlich besser sind. Der Ausbildungsstand des medizinischen Personals ist zufriedenstellend. Die Ausstattung der staatlichen medizinischen Einrichtungen mit technischem Gerät ist dagegen teilweise mangelhaft. In einzelnen klinischen Einrichtungen – meist Privatkliniken – stehen hingegen moderne Untersuchungsmethoden wie Ultraschall, Mammografie sowie Computer- und Kernspintomografie zur Verfügung (AA 25.7.2022).

Die größeren Krankenhäuser in Eriwan sowie einige Krankenhäuser in den Regionen verfügen über psychiatrische Abteilungen und Fachpersonal. Die technischen Untersuchungsmöglichkeiten haben sich durch neue Geräte verbessert. Die Behandlung von posttraumatischem Belastungssyndrom (PTBS) und Depressionen ist auf gutem Standard gewährleistet und erfolgt kostenlos. Die Anzahl der kostenlosen Behandlungsplätze für Dialyse ist begrenzt, aber gegen Bezahlung von ca. USD 100 jederzeit möglich. Selbst Inhaber kostenloser Behandlungsplätze müssen aber noch in geringem Umfang zuzahlen. Derzeit ist die Dialysebehandlung in fünf Krankenhäusern in Eriwan möglich, auch in den Städten Armavir, Gjumri, Kapan, Noyemberyan und Vanadsor sind die Krankenhäuser entsprechend ausgestattet (AA 25.7.2022).

Problematisch ist die Verfügbarkeit von Medikamenten, da nicht immer alle Präparate vorhanden sind. Nach dem Regierungsbeschluss vom 23.11.2006 ist die Ausgabe von Medikamenten in Polikliniken kostenlos bei bestimmten Krankheiten und für Menschen, die in die Kategorie 1 besonders schutzbedürftiger Personen fallen. Hierzu gehören insbesondere Kinder und Menschen mit mittlerer bis schwerer Behinderung. Patienten der Kategorie 2 müssen 50 %, Patienten der Kategorie 3 müssen 70 % ihrer Medikamentenkosten selbst tragen (AA 25.7.2022).

Rückkehr

Letzte Änderung 2023-10-12 06:23

Rückkehrende werden grundsätzlich nach Ankunft in die Gesellschaft integriert. Sie haben Zugang zu allen Berufsgruppen, auch im Staatsdienst, und überdurchschnittlich gute Chancen, Arbeit zu finden. Für rückkehrende Migranten wurde ein Beratungszentrum geschaffen; es handelt sich um ein Projekt der französischen Büros für Einwanderung und Migration (OFFI). Rückkehrer können sich auch an den armenischen Migrationsdienst wenden, der ihnen mit vorübergehender Unterkunft und Beratung zur Seite steht. Fälle, in denen Rückkehrer festgenommen oder misshandelt wurden, sind nicht bekannt (AA 25.7.2022).

Seit 2019 führ der Migrationsdienst der Republik Armenien das "Staatliche Programm zur primären Unterstützung der Wiedereingliederung von zurückgekehrten (einschließlich unfreiwillig zurückgekehrten) Staatsbürger:innen in die Republik Armenien" durch. Das Programm bietet armenischen Staatsbürger:innen, die nach Armenien zurückkehren primäre Unterstützung, um ihre vollständige und nachhaltige Wiedereingliederung zu gewährleisten (IOM 2020).

Das Reintegrationsprogramm „Frontex − Joint Reintegration Services“ (FX JRS) bietet in Kooperation mit einer lokalen Partnerorganisation Unterstützung bei Reintegration nach der Rückkehr nach Armenien an (return from Austria, ohne Datum).

II.2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Das erkennende Gericht hat durch die vorliegenden Verwaltungsakte Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren sowie eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.

II.2.2. Die Feststellungen zur Person der BF ergeben sich aus ihren in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben sowie den Sprach- und Ortskenntnissen und den vorgelegten armenischen Reisepässen.

II.2.3 Zur Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen -sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges- handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten – von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen – diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteiennahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behaupteter Maßen Verfolgten unterstellt werden kann. Hingegen findet sich hinsichtlich der Überlegungen zur diplomatischen Zurückhaltung bei Menschenrechtsorganisationen im Allgemeinen das gegenteilige Verhalten wie bei den oa. Quellen nationalen Ursprunges. Der Organisationszweck dieser Erkenntnisquellen liegt gerade darin, vermeintliche Defizite in der Lage der Menschenrechtslage aufzudecken und falls laut dem Dafürhalten –immer vor dem Hintergrund der hier vorzunehmenden inneren Quellenanalyse- der Organisation ein solches Defizit vorliegt, dies unter der Heranziehung einer dem Organisationszweck entsprechenden Wortwahl ohne diplomatische Rücksichtnahme, sowie uU mit darin befindlichen Schlussfolgerungen und Wertungen –allenfalls unter teilweiser Außerachtlassung einer systematisch-analytischen wissenschaftlich fundierten Auswertung der Vorfälle, aus welchen gewisse Schlussfolgerungen und Wertungen abgeleitet werden- aufzuzeigen (vgl. Erk. des AsylGH vom 1.8.2012, Gz. E10 414843-1/2010).

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu (zur den Anforderungen an die Aktualität einer Quelle im Asylverfahren vgl. etwa Erk. d. VwGH v. 4.4.2001, Gz. 2000/01/0348). Eine maßgebliche Änderung der asyl- und abschieberelevanten Situation ist seit Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht eingetreten.

Die BF traten den Quellen und deren Kernaussagen, welche in den Länderfeststellungen getroffen wurden, nicht konkret und substantiiert entgegen.

Die Republik Österreich betrachtet zudem die Republik Armenien als sicheren Herkunftsstaat im Sinne des § 19 BFA-VG und geht daher von der normativen Vergewisserung der Sicherheit Armeniens aus.

II.2.4. In Bezug auf den weiteren festgestellten Sachverhalt ist anzuführen, dass die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76; Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305) im hier dargestellten Rahmen im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze in sich schlüssig und stimmig ist.

Im Rahmen der oa. Ausführungen ist durch das erkennende Gericht anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten -–z. B. gehäufte und eklatante Widersprüche ( z. B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z. B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461)- zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.

Auch wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es der Verwaltungsbehörde [nunmehr dem erkennenden Gericht] nicht verwehrt ist, auch die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden. (VwGH v. 29.6.2000, 2000/01/0093).

Weiter ist eine abweisende Entscheidung im Verfahren nach § 7 AsylG [numehr: § 3 AsylG] bereits dann möglich, wenn es als wahrscheinlich angesehen wird, dass eine Verfolgungsgefahr nicht vorliegt, das heißt, mehr Gründe für als gegen diese Annahme sprechen (vgl zum Bericht der Glaubhaftmachung: Ackermann, Hausmann, Handbuch des Asylrechts [1991] 137 f; s.a. VwGH 11.11.1987, 87/01/0191; Rohrböck AsylG 1997, Rz 314, 524).

Der belangten Behörde ist insofern zuzustimmen, als sie zum Schluss kommt, dass die BF in Armenien keiner asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt waren bzw. im Fall einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären.

II.2.5. Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte vor Ort zu verifizieren, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153; 15.03.2016, Ra 2015/01/0069).

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der Glaubhaftmachung im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinn der Zivilprozessordnung zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht setzt dabei positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der hierzu geeigneten Beweismittel, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus (VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058 mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt ebenso wie die Beweisführung den Regeln der freien Beweiswürdigung (VwGH 27.05.1998, Zl. 97/13/0051). Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers sind positive Feststellungen von der Behörde nicht zu treffen (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers hat der Verwaltungsgerichtshof als Leitlinien entwickelt, dass es erforderlich ist, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht (VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314).

Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass ein Vorbringen im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden kann, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650).

II.2.6. Unter Berücksichtigung der vorstehend angeführten Rechtsprechung ist es den BF nicht gelungen, ein asylrelevantes Vorbringen darzulegen. Darüber hinaus geht das BVwG aus folgenden Erwägungen von der Unglaubwürdigkeit der Angaben des BF zum Ausreisegrund aus: gegen die Glaubwürdigkeit der BF spricht bereits, dass sie am 08.11.2023 legal auf dem Luftweg aus Armenien ausgereist sind. Auch waren die BF im Besitz eines Visums C. Sowohl bei der Beantragung und Ausfolgung des Visums, als auch bei der Ausreise kam es zu keinerlei Problemen.

Den eigentlichen Fluchtgrund betreffend, vermochte vor allem die BF1, auf dessen Vorbringen sich auch der BF2 vollinhaltlich stützt, ebenfalls nicht von ihrer Glaubwürdigkeit zu überzeugen.

So führte die BF1 in der Erstbefragung zum Ausreisegrund befragt an „Ich habe Probleme mit meinem Lebensgefährten. Er hat mich und meinen Sohn geschlagen und versucht zu erwürgen. Einmal wurde mein Sohn sogar durch meinen Lebensgefährten nackt ausgezogen und in das Stiegenhaus geschickt. Die Polizei in Armenien konnte uns nicht helfen. Mein Lebensgefährte hat eine Person beauftragt mich und meinen Sohn zu verfolgen und zu beobachten. Diese Person hat mich bedroht, ich solle auf den Anspruch auf Alimente verzichten sonst würde es für mich und meinen Sohn schlecht enden. Auch fremde Personen haben meinem Sohn bei der Schule Süßigkeiten angeboten, welche vergiftet sein könnten. Ein anderes Mal haben sie die Zugangsdaten für sein Mobiltelefon verlangt. Ich befürchte diese Personen wollten mich finanziell schädigen. Ich habe Angst um mein Leben und das meines Sohnes. Das sind all meine Fluchtgründe“. Bezüglich ihres Sohnes teilte sie mit, dass dieser die gleichen Fluchtgründe hat. Vom BF2, der von seiner Mutter gesetzlich vertreten wird, wurde diesbezüglich bekannt gegeben „Ich habe Probleme mit meinem Vater und meinem Halbbruder. Ich fürchte sie. Ich werde psychisch und physisch unter Druck gesetzt. Ich werde geschlagen. Ich wurde nicht gut behandelt. Mehrmals wurde ich alleine auf der Straße zurückgelassen, dies wurde von ihm als Scherz angesehen. Er versuchte mich einmal mit beiden Händen zu erwürgen und hob mich dabei vom Boden auf. Er beschimpft mich und sagt mir sinngemäß, ich sei kein wertvoller Mensch. Das sind all meine Fluchtgründe“.

In der Einvernahme vor dem BFA, bei welcher die BF1 ein handgeschriebenes A4 Blatt vor sich liegen hatte, brachte sie dann vor „Ich und mein Lebensgefährte haben 12 Jahre zusammengelebt. Die letzten drei Jahren wurden schwierig und dies hat in weiterer Folge zur Trennung geführt. Ich habe ihm verziehen, damit ich meine Beziehung retten kann. Er hat mir und dem Kind gegenüber Gewalt angewendet, er hat uns geschlagen. Er hat immer wieder das Kind erniedrigt, indem er ihm gesagt hat, dass er ein niemand sei. Durch die Schläge und der Schupferei kam mein Sohn zu Sturz und hat sich verletzt. Es kam vor, dass die Nachbarn mich in der Arbeit angerufen haben und mir mitteilten, dass aus unserer Wohnung Lärm kommt. Ich konnte aber nicht so einfach die Arbeit verlassen und habe die Nachbarn gebeten, nachzusehen. Diese teilten mir dann mit, dass mein Sohn Würgespuren hatte. Diese Spuren waren lange am Hals zu sehen. Er hatte ihn auch mal an einen unbekannten Ort gelassen und gemeint, dass er ihn erziehen wollte. Er wollte sehen, was mein Sohn in dieser Situation macht. Mein Sohn hatte viel Angst und Stress. Nach einer Stunde hat ihn Artur dann abgeholt. Als unser Sohn acht oder neun Jahre alt war, hat er ihn splitternackt ausziehen lassen und ihn ins Stiegenhaus gesperrt. Auf meine Frage hin, hat er gesagt, dass er ihn bestraft hat, damit er nicht mehr lügt. Als mein Sohn mit seinem Vater etwas unternehmen wollte, hat er ihn an die Wand gedrückt und geschüttelt. Der Grund dafür war, dass mein Sohn einmal meinte, sein Vater wäre selbst ein Angsthase, nachdem er ihn so betitelte, weil er weinte. Er hat mich auch geschlagen und ich trug blauen Flecken davon. Er hatte auch versucht, gegen meinen Willen mit mir Geschlechtsverkehr zu haben. Das war der Grund, warum ich mich von ihm getrennt haben. Das war im Jahr 2017.“

Von der BF1 wurde für ihren Sohn keine anderen Ausreisegründe bekannt gegeben. Der BF2 teilte dessen ungeachtet selbst vor dem BFA mit „Mein Vater stalkt mich. Ich habe ihn des Öfteren gesehen und gemerkt, dass er mich beobachtet. Beim Abschlussfest habe ich ihn auch gesehen. Das ist alles!“ Zu den ausschlaggebenden Gründen für die Ausreise befragt, teilte der BF2 dann mit „Es gab kein Ereignis, aber mein Vater kam in letzter Zeit immer wieder zu uns und hat uns belästigt, woraufhin meine Mutter meinte, wir müssen jetzt was machen“.

Aufgrund der vagen und allgemein gehaltenen Angaben mussten der BF1 vor dem BFA dezidierte Fragen gestellt werden. So gab sie auf Nachfrage bekannt, dass sie mit dem Vater ihres Sohnes, Herrn XXXX , von 2006 bis 2017 eine Lebensgemeinschaft hatte. Anfänglich wohnte sie bei ihm im Haus der Eltern, im Jahr 2015 wurde eine Eigentumswohnung erworben. Bezüglich dieser Eigentumswohnung gibt die BF1 dann im weiteren Verlauf dann mehrere Varianten bekannt, die einzig belegen, dass ihre Ausführungen nicht glaubwürdig sind. So teilt sie vor dem BFA mit, dass sie und Artur eine gemeinsame Hypothek aufgenommen haben, er sich aber nicht bei der Rückzahlung beteiligt hätte. Die Wohnung wäre dadurch fast konfisziert worden, wie sie weiter ausführte. Das Objekt konnte in weiterer Folge jedoch fertig bezahlt werden, weil ihre Brüder ihr dabei geholfen hätten. Diese hätten sie finanziell unterstützt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab sie konträr dazu bekannt, dass der Kredit von ihr und Artur gemeinsam abbezahlt worden sei. Ihr ehemaliger Lebensgefährte würde jedoch jetzt seinen Anteil einfordern. Dazu bleibt festzuhalten, dass der Vater des BF2 nach der Trennung aus der Wohnung aus- und wieder in sein Elternhaus einzog, damit die BF weiter die Wohnung nutzen konnten. Weiters bleibt festzuhalten, dass die BF1 einmal mitteilt, dass der ehemalige Lebensgefährte sich nicht an der Rückzahlung beteiligte und der Kredit nur dank ihrer Brüder zurückgezahlt werden konnte, an anderer Stelle führt sie aus, dass der Kredit von ihr und Artur gemeinsam abbezahlt wurde. Die BF1 ist sich offenbar nicht sicher, wer genau jetzt den Kredit für das einst gemeinsam angeschaffte Objekt bediente. Und selbst für den Fall, dass die Variante der gemeinsamen Rückzahlung der Wahrheit entspricht, ist es auch – außer für die BF1 offenbar – selbstverständlich nachvollziehbar, wenn der ehemalige Lebensgefährte nach seinem Auszug die von ihm geleisteten Zahlungen einfordert. Ein derartiges Vorgehen stellt auch im Bundesgebiet keine Ausnahme dar. Inwieweit die Forderung berechtigt sind, wäre von einem Zivilgericht zu beurteilen.

Auch hinsichtlich der Obsorge für ihren Sohn konnte die BF1 keine gleichbleibenden Angaben tätigen. So gab sie vor dem BFA bekannt, dass sie aufgrund eines Gerichtsbeschlusses die alleinige Obsorge habe und der Sohn folgerichtig bei ihr lebt. Dies konnte auch aus dem vorgelegten Beschluss vom 18.06.2020 entnommen werden, wenn darin festgehalten ist, dass der BF1 die alleinige Obsorge zugesprochen wurde und der Kindesvater Alimente zu zahlen hat. In der mündlichen Verhandlung teilte sie dann konträr dazu mit, dass ihr und dem Kindesvater die gemeinsame Obsorge zugesprochen wurde. Mehr als merkwürdig mutet zudem an, dass sie dem Richter nun bekannt gab, dass sie mit dem Kindesvater kirchlich verheiratet war. Vor dem BFA gab sie lediglich bekannt, dass eine Lebensgemeinschaft bestand. Sie hätte jedoch bis dato keine Unterhaltszahlungen bekommen. Dem Richter gegenüber gab sie bekannt, dass deswegen sogar ein Strafverfahren eingeleitet wurde. Das Gericht hätte ihr daraufhin bekannt gegeben, dass der Kindesvater zahlungsunfähig wäre, weswegen sie keinen Unterhalt bekomme. Vor diesem Hintergrund ist auch das Vorbringen der BF1 nicht plausibel, dass ihr ehemaliger Lebensgefährte eine Person beauftragt hätte, der sie und ihren Sohn verfolgen und beobachten würde, bzw. sie von dieser Person bedroht worden wäre, dass sie auf die Alimente verzichten solle, ansonsten es für sie und den BF2 schlecht enden werde. Es wurde bereits im Beschluss vom 18.06.2020 festgehalten, dass der Kindesvater Alimente zu bezahlen hat, die Ausreise der BF erfolgte über drei Jahre später. Dem Bundesverwaltungsgericht erhellt sich nicht, warum die BF bedroht worden wären auf Alimentationszahlungen zu verzichten, wenn es ohnehin einen offiziellen Beschluss gibt und der Kindesvater sich offenbar weigert, der Zahlungsverpflichtung nachzukommen bzw. festgestellt wurde, dass er zahlungsunfähig sei. So ist den vorgelegten Unterlagen zu entnehmen, dass der ehemalige Lebensgefährte von der Alimentationszahlung befreit wurde, weil er über kein Einkommen, Eigenmittel etc. verfügt. Es ist nicht plausibel, dass der Ex-Lebensgefährte sich einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzen soll, wenn ohnedies gerichtlich die Uneinbringlichkeit der Alimente festgestellt wurde und sohin für den Ex-Lebensgefährten kein darüber hinausgehender Nutzen entsteht.

Auch muss in aller Deutlichkeit festgehalten werden, dass der von der BF1 behauptete einflussreiche Kontakt des Kindesvaters in höchste Behördenkreise und Kontakt zu Spitzenpolitiker, weswegen sie von staatlicher Seite keine Hilfe erhalten hätte, sohin nicht der Wahrheit entsprechen kann. Der Kredit für die Wohnung wurde – von wem auch immer – abbezahlt und steht einzig die BF1 im Grundbuch. Das alleinige Sorgerecht für den Sohn wurde laut Angaben der BF1 vor dem BFA sowie Bezug nehmend auf den in Vorlage gebrachten Gerichtsbeschluss der BF1 (AS58) zugesprochen und hatten die BF auch keinerlei Probleme bei der Ausstellung der Reisepässe (im Jahr 2021) und der Visa, sowie bei der Ausreise auf dem Luftweg selbst. Hätte der Kindesvater tatsächlich einen derart großen Einfluss wäre die Vaterschaft des BF2 wohl nicht in einem, wenn auch lang währenden Gerichtsverfahren, die verpflichtende Alimentationszahlungen sowie der BF1 die alleinige Obsorge der BF2 zugesprochen worden, bzw. wäre auch die legale Ausreise nicht so friktionsfrei erfolgt. Zudem wurden alle von der BF1 verständigten staatlichen Stellen auch immer tätig. Nur weil die BF1 mit dem Ergebnis der Tätigkeiten offensichtlich nicht einverstanden war, kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass die staatlichen Stellen ihrer Arbeit nicht nachgingen. Die von der BF1 vor dem BFA getätigte Äußerung, der Kindesvater hätte der Ausstellung der Visa zugestimmt, weil sie auf die Bezahlung der Alimente verzichtete, wird sohin auch als Schutzbehauptung angesehen. Es wurde ohnehin festgehalten, dass der ehemalige Lebensgefährte von der Zahlung mangels Einkommen und Eigenmittel befreit wurde, und erweist sich die Zustimmung insoweit als obsolet. Auch unter dem Gesichtspunkt, dass der BF1, wie sie vor dem BFA selber angab und durch ein in Vorlage gebrachtes Bescheinigungsmittel selber untermauerte, die alleinige Obsorge über das Kind hat, erweist sich das Erfordernis der Zustimmung zur Visaerteilung durch den Kindesvater als fragwürdig.

Auch bei den Ausführungen hinsichtlich der häuslichen Gewalt verwickelten sich die BF laufend in nicht zu übersehende Widersprüche. So gab die BF1 vor dem BFA bekannt, dass der ehemalige Lebensgefährte sie und ihren Sohn geschlagen hätte und versuchte ihn zu erwürgen. Auch sei der BF2 nackt in das Stiegenhaus geschickt worden. Der BF2 wiederum gab vor dem BFA bekannt, dass er alleine auf der Straße zurückgelassen worden wäre und sein Vater einmal versucht hätte, ihn zu erwürgen. In der mündlichen Verhandlung gab der BF2 konträr dazu bekannt, dass sein Kopf vom Vater mit einem Fuß auf dem Boden fixiert worden wäre. Kurze Zeit später teile er dann dem Richter abweichend mit, dass sein Kopf vom Vater mit beiden Beinen festgehalten wurde und er sich nicht bewegen konnte. Die Vorfälle wären nie bei der Polizei angezeigt worden, er wäre auch nicht medizinisch versorgt worden, wie er dem Richter auf Nachfrage bekannt gab. Von der BF1 wurde vor dem BFA auch noch behauptet, dass der ehemalige Lebensgefährte im Jahr 2017 versucht hätte, sie gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr zu zwingen, dessen ungeachtet teilt sie bei der nächsten Frage mit, dass er impotent gewesen wäre. Diesen behauptete Vorfall wurde von der BF1 in der mündlichen Verhandlung mit keinem Wort erwähnt.

Auch teilte die BF1 vor dem BFA im Rahmen der freien Erzählung mit, dass fremde Personen dem BF2 vor der Schule Süßigkeiten angeboten hätten, welche vergiftet hätten sein können. Ein anderes Mal hätten sie die Zugangsdaten für sein Mobiltelefon verlangt. Im Rahmen konkreter Nachfragen komprimierte sie diese beiden erwähnten Ereignisse dann auf einen Vorfall zusammen, indem sie bekannt gab „Mein Sohn erzählte mir, dass zwei Frauen auf ihn zukamen, wobei eine Frau aussah wie die Freundin seines Halbbruders, ihn ansprachen und von ihm verlangten, ihnen den Code mitzuteilen, denn er demnächst von der Bank bekäme, welchen er ihnen mitteilen soll. Angeblich hätte sein Halbbruder bei der Bank Probleme, aber ich denke, sie wollten uns in finanzielle Schwierigkeiten bringen. Während sie auf den Code wartete, haben sie ihm Zigaretten und Süßigkeiten angeboten. Ich glaube, dass in den Süßigkeiten Drogen oder so drinnen war“. Vom BF2 wurde ein derartiger Vorfall mit keinem Wort erwähnt.

Hinsichtlich dem von der rechtsfreundlichen Vertretung substanzlos behaupteten fehlenden Rechtsschutz bei häuslicher Gewalt ist dem Länderinformationsblatt zu entnehmen Das Gesetz gegen häusliche Gewalt wurde Ende 2017 vom Parlament verabschiedet. Das Gesetz über Gewalt in der Familie aus dem Jahr 2017 verpflichtet die Polizei zum sofortigen Eingreifen, "wenn die begründete Annahme besteht, dass eine unmittelbare Gefahr einer Wiederholung oder Fortsetzung der Gewalt" in der Familie besteht (HRW 13.1.2022)…..Im Laufe des Jahres stellte die Regierung weiterhin begrenzte Mittel zur Unterstützung von zwei Zentren zur Betreuung von Opfern häuslicher Gewalt bereit (USDOS 20.3.2023).

Massiv gesteigert und widersprüchlich brachte die BF1 dann in der mündlichen Verhandlung noch vor, dass der ehemalige Lebensgefährte nach der Trennung jedes Mal betrunken nach Haus kam, wild an der Tür klopfte und dabei drohte, sie und ihren Sohn „rauszuschmeißen“ und zu zerstückeln. Vom Richter wurde die BF1 befragt, ob sie sich diesbezüglich jemals an die Polizei oder andere staatlichen Institutionen gewandt habe. Dazu führte sie aus, dass sie sich in den Jahren 2017, 2018 und 2021 an die Polizei wandte. Diese hätte aber, als sie Namen ihres ehemaligen Lebensgefährten hörten und wussten, dass es sich um einen berühmten Journalisten handelt, nichts unternommen. Die BF1 zielte sohin wieder auf den behaupteten großen Einfluss ihres ehemaligen Lebensgefährten ab. Aus diesem Grund wurde die Frage wiederholt, woraufhin sie ausweichend bekannt gab „lch habe mich an das Büro des Vertreters zum Schutz der Menschenrechte gewandt. Mir wurde zugehört, ich erhielt rechtliche Beratung. Nachgefragt gebe ich an, dass ich nie zur Polizei oder zu Gericht begleitet worden bin. Nachgefragt gebe ich an, dass ich den Vertreter für Menschenrechte nicht gefragt habe, mich zur Polizei bzw. zum Gericht vertreten“. Nachdem die BF1 die Frage, welchem Zweck das Asylverfahren dient nicht beantworten konnte, wurde sie diesbezüglich manuduziert, woraufhin sie bekannt gab „lch wandte mich im Jahr 2022 an die Polizei.“

Festgehalten werden muss zudem noch, dass die BF im November 2023 ausreisten und die Trennung der BF1 von ihrem Lebensgefährten bereits im Jahr 2017 erfolgte.

II.2.7. Schlussendlich bleibt festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht aufgrund der teils massiv gesteigerten, widersprüchlichen und unplausiblen Vorbringen der BF, primär der BF1, von der Unglaubwürdigkeit der Fluchtgeschichte ausgeht, was zudem durch die Ausführungen der BF1, dass Ärzte in Armenien schlecht verdienen bzw. ein niedriges Gehalt bekommen, bestätigt wurde.

Zusammenfassend ist zum Vorbringen der BF auszuführen, dass das erkennende Gericht zur Überzeugung gelangte, dass in den Angaben der BF glaubwürdige Anknüpfungspunkte oder Hinweise für eine individuelle Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention nicht erkennbar waren.

Unter Heranziehung dieses Sachverhaltes und der offensichtlich missbräuchlichen Asylantragstellung im Zusammenhang mit der allgemein gehaltenen, widersprüchlichen und teilweise nicht nachvollziehbaren Begründung der Anträge auf internationalen Schutz ist daher davon auszugehen, dass das Vorbringen der BF nicht den Tatsachen entspricht und lediglich zur Begründung der Asylanträge und unter Umgehung der fremdenrechtlichen sowie niederlassungsrechtlichen Bestimmungen zur Erreichung – wenn nicht sogar zur absichtlichen Erschleichung – von Aufenthaltstiteln für Österreich nach dem Asylgesetz frei konstruiert wurden.

Dazu ist grundsätzlich in diesem Zusammenhang auszuführen, dass etwaige wirtschaftliche oder private Schwierigkeiten objektiv nicht dazu geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zu begründen. Der bloße Wunsch in Österreich ein besseres Leben aufgrund eines erhofften leichteren Zugangs zum Arbeitsmarkt zu haben, vermag die Gewährung von Asyl jedenfalls nicht zu rechtfertigen.

Aber selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens würde eine Schutzgewährung ausscheiden. Die BF haben behauptet, durch Privatpersonen verfolgt zu werden, eine staatliche Verfolgung wurde nicht behauptet. Hinsichtlich Armenien ist festzuhalten, dass die Polizei bzw. staatlichen Behörden Schutzfähig und Schutzwillig sind. Selbst wenn gerichtlich strafbare Handlungen durch einzelne fehlgeleitete Polizeiorgane verübt werden. Auch wenn ein solcher Schutz nicht lückenlos (so wie in keinem Staat auf der Erde) möglich ist, stellen die geschilderten Drohungen in ihrem Herkunftsstaat offensichtlich amtswegig zu verfolgende strafbare Handlungen dar und existieren andererseits im Herkunftsstaat Behörden, welche zur Strafrechtspflege bzw. zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit berufen und auch effektiv tätig sind. Die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der Behörden ist somit gegeben.

Dazu ist grundsätzlich in diesem Zusammenhang auszuführen, dass etwaige wirtschaftliche oder private Schwierigkeiten objektiv nicht dazu geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zu begründen. Der bloße Wunsch in Österreich ein besseres Leben aufgrund eines erhofften leichteren Zugangs zum Arbeitsmarkt zu haben, vermag die Gewährung von Asyl jedenfalls nicht zu rechtfertigen.

II.2.8. Nach Ansicht des ho. Gerichts hat die belangte Behörde auch ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung der angefochtenen Bescheide die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung in der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Den BF ist es nicht gelungen, der Beweiswürdigung der belangten Behörde dermaßen konkret und substantiiert entgegen zu treten, dass Zweifel an der Beweiswürdigung der belangten Behörde aufgekommen wären. Von den BF wurde es unterlassen, durch klare, konkrete und substantiierte Ausführungen darzulegen, warum sie vom Vorliegen einer mangelhaften Ermittlungstätigkeit durch die belangte Behörde ausgehen. Da somit weder aus dem amtswegigen Ermittlungsergebnis im Beschwerdeverfahren noch aus den Ausführungen der BF ein substantiierter Hinweis auf einen derartigen Mangel vorliegt, kann ein solcher nicht festgestellt werden.

II.2.9. Zu den bekannt gegebenen Leiden der BF1 bleibt noch festzuhalten, dass es sich dabei um keine lebensbedrohlichen Krankheiten handelt. Zudem hat nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind.

Zu der in Österreich geplanten Operation (Entfernung eines Myoms in der Gebärmutter) bleibt noch festzuhalten, dass sich die Kosten in Armenien, laut Auskunft der BF1, auf ca. 600.000 Dram belaufen. Bei einem monatlichen Gehalt der BF1 von ca. 200.000 Dram scheint dieser Betrag zwar hoch, aber nicht unleistbar. Zudem ist für Ende April ein derartiger Eingriff ohnehin noch in Österreich geplant, wo die BF1 eine hochqualifizierte und vor allem kostenlose Behandlung erhält.

Wie bereits ausgeführt, handelt es sich bei den Leiden um keine lebensbedrohlichen Krankheiten. Auch ist den Länderinformationen der Staatendokumentation zu entnehmen, dass Die medizinische Grundversorgung ist flächendeckend gewährleistet. Das Gesundheitssystem besteht aus einer staatlich garantierten und kostenlosen Absicherung sowie einer individuellen und freiwilligen Krankenversicherung. Jeder Mensch in der Republik Armenien hat Anspruch auf medizinische Hilfe und Dienstleistungen, unabhängig von Nationalität, Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, Alter, politischen und sonstigen Überzeugungen, sozialer Herkunft, Eigentum oder sonstigem Status (IOM 2020). Die primäre medizinische Versorgung ist grundsätzlich kostenfrei.

II.2.10. Schließlich ist im vorliegenden Beschwerdefall zu beachten, dass es sich bei den beschwerdeführenden Parteien um eine Mutter mit einem mündig minderjährigen Kind und damit um besonders vulnerable und besonders schutzbedürftige Personen handelt. Diese besondere Vulnerabilität ist bei der Beurteilung, ob den beschwerdeführenden Parteien bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besonders zu berücksichtigen. Dies erfordert insbesondere eine konkrete Auseinandersetzung damit, welche Rückkehrsituation die BF tatsächlich vorfinden (siehe dazu statt aller VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0336 mwN; VfGH 11.12.2018, E 2025/2018).

Im gegenständlichen Fall ist festzuhalten, dass der minderjährige BF (16 Jahre alt) keiner besonders gefährdeten Gruppe angehört und ist auch von einer Rückkehr des minderjährigen BF gemeinsam mit seiner Mutter davon auszugehen, sodass die Betreuung, Erziehung und Beaufsichtigung des Minderjährigen sichergestellt ist.

Das Bundesverwaltungsgericht kann außerdem in Ansehung des minderjährigen BF nicht die reale Gefahr erkennen, im Rückkehrfall von häuslicher Gewalt betroffen zu sein. Die Mutter vermittelt den Eindruck, am Wohlergehen ihres minderjährigen Sohnes sehr interessiert zu sein. Hinweise auf gewalttätige Übergriffe auf die Minderjährigen im Bundesgebiet liegen nicht vor. Ausgehend davon ist auch nicht zu besorgen, dass der minderjährige BF im Rückkehrfall einem davon abgeleiteten Risiko ausgesetzt wäre oder er sonst von häuslicher Gewalt betroffen wäre. Die Beziehung der Mutter zum Kindesvater wurde 2017 beendet, der BF2 wohnt bei und von der Mutter. Die vorgebrachte häusliche Gewalt konnte teilweise nicht glaubhaft gemacht werden, zum anderen wurden die verständigten staatlichen Stellen jeweils tätig, auch wenn dies vielleicht nicht im Sinne der BF erfolgt sein mag.

In Armenien ist die Grundversorgung mit Nahrung und medizinische Versorgung gegeben und steht den schulpflichtigen Kindern auch ein diskriminierungsfreier Zugang zum Schulsystem offen. Ob der obenstehenden Erwägungen und den getroffenen Feststellungen zur Sicherheitslage in der Herkunftsregion der BF ist nicht zu besorgen, dass der minderjährige BF als besonders vulnerable Personen im Rückkehrfall von terroristischen oder kriminellen Aktivtäten betroffen wäre. Aufgrund der Verfahrensergebnisse ist auch nicht davon auszugehen, dass er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit sonstiger Gewalt, wie etwa Blutrache oder einem Ehrenmord, zum Opfer fallen würde. Ein dahingehendes Vorbringen wurde im Verfahren nicht erstattet und es kann das Bundesverwaltungsgericht in Ansehung der persönlichen Profile der BF auch kein amtswegig wahrzunehmendes besonderes Gefährdungsmoment erkennen.

Aufgrund der oben dargelegten Erwägungen zur sozioökonomischen Lage kann schließlich nicht die reale Gefahr erkannt werden, dass die BF im Rückkehrfall von einer unzureichenden Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern oder von Unterernährung betroffen wären. Hinweise auf Versorgungsengpässe bzw. Engpässe bei der Versorgung mit Gütern, die Kinder für ihre Bedürfnisse benötigen, liegen ausweislich der Feststellungen nicht vor.

Ausgehend von den persönlichen Profilen der BF und den Erwägungen zur Lebensgrundlage im Herkunftsstaat geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass dem minderjährigen BF im Wege der Versorgung durch seine Mutter Eltern und den zahlreichen Verwandten in Armenien nicht nur eine hinreichende Absicherung im Hinblick auf die Güter des täglichen Bedarfs, sondern insbesondere auch im Hinblick auf ihre altersgerechten Bedürfnisse erfahren wird.

II.2.11. Die Sicherheitslage in Armenien kann, von der Problemzone Nagorny-Karabach abgesehen, als unbedenklich bezeichnet werden. Jerewan liegt annähernd 300km von Bergkarabach entfernt und ist über den internationalen Flughafen erreichbar.

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kann in Anbetracht der Feststellungen zur Sicherheitslage in Armenien nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz der BF dort davon ausgegangen werden muss, dass sie wahrscheinlich Opfer eines terroristischen Anschlages, krimineller Aktivtäten oder sonstiger Gewalt, wie etwa einem Ehrenmord oder Blutrache, würde.

Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf die BF, welche zu einer im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung stark erhöhte Gefährdung durch terroristische Aktivitäten oder kriminelle Aktivtäten hindeuten würden, kamen im Verfahren nicht hervor. Eine dahingehende darstellbare Gefährdung im Rückkehrfall kann sohin ausgeschlossen werden.

II.2.12. Die BF1 ist arbeitsfähig und kann so auch für den Unterhalt für sich und ihren Sohn aufkommen. In Jerewan leben noch zwei Brüder mit ihren Familien, sowie zahlreiche Cousins und Cousinen, insgesamt handelt es sich um ca. 20 Personen. Die BF1 pflegt einen innigen Kontakt zu ihren Brüdern. Weiters hat sie noch regen Kontakt zu einer Freundin und zahlreichen Kollegen und verfügt noch über ihre Eigentumswohnung. Den BF steht somit eine Rückkehr nach Jerewan offen. Einer Aufnahme und Unterstützung durch die in Armenien aufhältige Verwandtschaft ist somit als gesichert anzusehen. Zudem steht der armenische Migrationsdienst den Rückkehrern mit vorübergehender Unterkunft und Beratung zur Seite. Die BF1 hat Zugang zum Arbeitsmarkt, der BF2 kann weiters zur Schule gehen und werden die BF in Armenien so wieder in die Gesellschaft integriert. Die Chancen eine Arbeit zu finden, sind als überdurchschnittlich gut zu bezeichnen, auch wenn die BF1 substanzlos bekannt gibt, dass sie wegen ihren ehemaligen Lebensgefährtin keine Arbeit finden wird. Der BF1 ist sehr wohl die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit möglich und zumutbar.

Zudem ist es den BF zumutbar, das – wenn auch nicht sonderlich leistungsfähige – Sozialsystem (vgl. Länderinformationen) des armenischen Staates oder karitativer Einrichtungen in Anspruch zu nehmen.

II.2.13. Bezüglich der Integration der BF bleibt festzuhalten, dass sich die BF seit 08.11.2023 in Österreich aufhalten und Grundversorgung beziehen. Im Bundesgebiet halten sich keine Verwandten der BF auf. Die BF1 ist, außer für den BF2, für niemanden sorgepflichtig. Die BF besuchen Deutschkurse. Die BF sind in keinen Vereinen oder Organisationen tätig. Die BF1 hilft in der Unterkunft in der Küche und bei medizinischen Notfällen. Der BF2 besucht die fünfte Klasse des BORG Kindberg. Für die BF1 wurde ein vages Schreiben des Dr. TELFEYAN in Vorlage gebracht, aus welchem hervorgeht, dass sie in dessen Ordination am Ausmaß von bis zu 12 Stunden als Assistentin angestellt werden könnte. Die BF haben keine österreichischen Freunde. Unterstützungsschreiben wurden nicht vorgelegt. Die BF sind strafrechtlich unbescholten. Eine maßgebliche Integration ist folgerichtig nicht ansatzweise erkennbar.

II.2.14. Die Außerlandesschaffung von Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn die Betroffenen dort keine Lebensgrundlage vorfinden, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 MRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 21.02.2017, Ro 2016/18/0005).

In Ansehung der BF und den bereits getätigten Ausführungen sind folgende Erwägungen zu im Rückkehrfall zu erwartenden sozioökonomischen Lage maßgeblich:

Die sozioökonomische Lage in Armenien spricht gegen exzeptionelle Umstände. Den eingesehenen Länderberichten lässt sich nicht entnehmen, dass diese von Massenarbeitslosigkeit, Not oder Elend in großem Ausmaß geprägt wäre. Im gegeben Kontext ist von Bedeutung, dass nach der Rechtsprechung das Vorliegen exzeptioneller Umstände detailliert und konkret darzulegen ist, umso mehr als in Armenien Familien leben, was dafürspricht, dass zumindest im Regelfall sehr wohl eine Lebensgrundlage im Herkunftsstaat besteht. Eine glaubhafte Darstellung exzeptioneller Umstände im Sinn der eingangs zitieren Rechtsprechung erfolgte im Verfahren nicht.

Ein dahingehendes Vorbringen wurde im Verfahren zudem nicht erstattet und es kann das Bundesverwaltungsgericht in Ansehung des persönlichen Profils der BF auch kein amtswegig wahrzunehmendes besonderes Gefährdungsmoment erkennen. Die Sicherheitslage in Armenien ist nicht problematisch. Zudem ist die Republik Armenien sicherer Herkunftsstaat im Sinne des § 19 BFA-VG und der Herkunftsstaaten-Verordnung.

Aufgrund der oben dargelegten Erwägungen zur sozioökonomischen Lage kann schließlich nicht die reale Gefahr erkannt werden, dass die BF im Rückkehrfall von einer unzureichenden Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern oder von Unterernährung betroffen wäre. Hinweise auf Versorgungsengpässe bzw. Engpässe bei der Versorgung mit Gütern, liegen ausweislich der Feststellungen nicht vor.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

II.3.1.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

Dass Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idgF geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Herkunftsstaat ist der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt oder im Falle der Staatenlosigkeit, der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes, wobei die Asylbehörde [das Gericht] nicht an die Angaben des Antragstellers gebunden ist, sondern die Staatsangehörigkeit amtswegig - allenfalls auch von den Angaben des Antragstellers abweichend - festzustellen hat. Hinsichtlich der Ermittlungspflicht des Herkunftsstaates wird hier auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs hingewiesen. Dieser hat in seinem Erkenntnis vom 16.04.2002, Zahl: 2000/20/0131, ausgeführt: "... Dazu ist festzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter dem Begriff des Herkunftsstaates ... derjenige Staat zu verstehen ist, hinsichtlich dessen bei der Entscheidung über den Asylantrag das Bestehen einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr zu prüfen ist. Im Falle einer evident falschen Darstellung einer Bedrohungssituation in einem vom Asylwerber fälschlich als Herkunftsstaat bezeichneten Staat ist die Asylbehörde ohne ein weiteres konkretes Vorbringen oder sonstigen konkreten Hinweis nicht verhalten zu ermitteln, welcher Staat der (wahre) Herkunftsstaat des Asylwerbers sein könnte und ob er dort allenfalls im Sinne der Flüchtlingskonvention bedroht sein könnte." (vgl. auch VwGH vom 23.07.1999, Zahlen: 98/20/0464 und 99/20/0220).

Auch in seinem Erkenntnis vom 06.03.2001, Zahl 2000/01/0402, nimmt der Verwaltungs-gerichtshof Bezug auf sein Erkenntnis vom 23.07.1999, Zahlen: 98/20/0464 und 99/20/0220, und erläutert, dass diesem "bereits deutlich zu entnehmen ist, dass die Angabe des Herkunftsstaates im Rahmen der Erfüllung der den Asylwerber treffenden Pflicht zur Mitwirkung an der Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes zu erfolgen hat und es im Falle einer zunächst wahrheitswidrigen Angabe bei entsprechender Ergänzung des Vorbringens (oder bei Vorliegen "sonstiger Hinweise") auch die Pflicht der Behörde sein kann, auf die Gefahr der Verfolgung in einem anderen - tatsächlichen - Herkunftsstaat einzugehen.

Aus der zitierten Judikatur geht zweifelsfrei hervor, dass die Behörde [das Gericht] - entsprechende Hinweise vorausgesetzt, nicht nur den tatsächlichen Herkunftsstaat eines Asylwerbers zu ermitteln, sondern darüber hinaus nach dessen Feststellung diesen zum Gegenstand von Ermittlungen bezüglich der Gewährung von Asyl oder subsidiärem Schutz zu machen hat.

Für Staatenlose gilt der Staat ihres früheren gewöhnlichen Aufenthaltes als Herkunftsstaat iSd § 15 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005. Der zeitliche Bezug des Wortes "frühere" ist nicht auf die Asylantragstellung im Sinne von "wo hat sich der Fremde vor der Asylantragstellung aufgehalten" bezogen, sondern ist im Zusammenhang mit der Flüchtlingsdefinition der GFK davon auszugehen, dass sich der Wortsinn "frühere" auf den Vorgängeraufenthaltsstaat bezieht, also auf jenen Staat, in dem sich der Fremde dauernd aufgehalten hat, bevor er in den Asylantragstaat eingereist ist (vgl. Frank/Anerinhof/Filzwieser, AsylG 2005, 3. Auflage, K36f zu §2).

Primär ist jener Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, als dessen Herkunftsstaat zu bezeichnen.

Die Gleichsetzung des Staates des früheren Aufenthaltes mit dem Herkunftsstaat setzt eine annähernd gleiche Qualität der Beziehung zwischen Fremden und Aufenthaltsstaat voraus. Der bloße Aufenthalt - insbesondere der illegale - kann keine einer Staatsbürgerschaft gleichwertige Staat-Bürger-Beziehung bewirken.

UNHCR erläutert in seinem Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (1993), es müsse zur Festlegung des maßgeblichen Herkunftsstaates geprüft werden, ob eine Wechselbeziehung zwischen den angegebenen Fluchtgründen und dem Land, in dem der bisherige Wohnsitz lag, und im Verhältnis zu dem Furcht vor Verfolgung geltend gemacht wird, bestehe. Er bezieht sich dabei (wie auch Grahl-Madsen, The Status of Refugees in International Law I (1966), 160 f) auf die Materialien zur Genfer Flüchtlingskonvention, wonach es sich um das Land handle, "in dem er (der Asylwerber) seinen Wohnsitz hatte und wo er Verfolgung erlitten hatte bzw. fürchtete, verfolgt zu werden, wenn er dahin zurückkehrte" (UNHCR-Handbuch, Rz 103). Gefordert wird eine 'feste Bindung' zu diesem Staat im Sinne einer zumindest für eine gewisse Dauer erfolgten Verlagerung der Interessen dorthin (vgl. Grahl-Madsen, a.a.O., 160; Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (1999(, Rz 158, und ihm folgend das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/01/0089, sowie Schmidt/Frank, AsylG 1997, K 22 zu § 1). Unter dem "Land seines (das heißt des Asylwerbers) gewöhnlichen Aufenthaltes" ("country of his former habitual residence" bzw "pays dans laquelle elle avait sa résidence habituelle") iSd Art 1 lit A Z 2 GFK ist nur ein solcher Aufenthalt zu verstehen, der sich auf eine gewollte Rechtsbeziehung zwischen Flüchtling und Aufenthaltsstaat gründet.

Solch eine Beziehung würde jedenfalls bei sich unrechtmäßig im betreffenden Staatsgebiet aufhaltenden Personen nicht vorliegen (vgl. Amann, Die Rechte des Flüchtlings, 129, zum gleichlautenden Begriff des "gewöhnlichen Aufenthaltes" in Art 14 GFK; Frank/Anerinhof/Filzwieser, AsylG 2005, 3. Auflage, E7 zu §2).

II.3.1.2. Familienverfahren gemäß § 34 AsylG:

Stellt ein Familienangehöriger von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist (Z 1); einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist (Z 2) oder einem Asylwerber (Z 3) einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt gemäß § 34 Abs. 1 AsylG dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Gemäß § 34 Abs. 5 AsylG gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Die BF1 ist die Mutter des minderjährigen BF2. Hinsichtlich der BF1 und des BF2 liegt daher ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG vor.

Zu A)

II.3.2. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 3 AsylG lauten:

„§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) …

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

...“

Gegenständlicher Antrag war nicht wegen Drittstaatsicherheit (§ 4 AsylG), des Schutzes in einem EWR-Staat oder der Schweiz (§ 4a AsylG) oder Zuständigkeit eines anderen Staates (§ 5 AsylG) zurückzuweisen. Ebenso liegen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Asylausschlussgründe vor, weshalb der Antrag des BF inhaltlich zu prüfen war.

Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262). Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194)

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

II.3.2.2. Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH vom 16.11.2016, Zl. Ra 2016/18/0233).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (in etwa VwGH vom 01.02.1995, Zl. 94/18/0731; vom 16.11.2016, Zl. Ra 2016/18/0233 und vom 10.08.2017, Zl. Ra 2017/20/0153). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre überhaupt fraglich, ob unter solchen Umständen noch von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (vgl. VwGH vom 20.05.2015, Zl. Ra 2015/20/0030 und vom 10.08.2017, Zl. Ra 2017/20/0153).

Die StatusRL 2011/95/EU sieht einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (VwGH vom 16.11.2016, Zl. Ra 2016/18/0233).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH vom 08.06.2000, Zl. 99/20/0597 und vom 01.09.2005, 2005/20/0357).

II.3.2.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erweist sich die gegenständliche Beschwerde als unbegründet:

Es ist festzuhalten, dass die BF keine Fluchtgründe ins Treffen führten, die auf eine persönliche Verfolgung im Herkunftsland im Sinne der GFK, mithin aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung schließen lassen.

Auch eine Verfolgung durch staatliche Behörden bzw. dass eine solche Verfolgung durch staatliche Behörden drohen würde, wurde von den BF nicht in substantiierter Weise behauptet oder belegt und verneinten sie eine solche zudem dezidiert. Aber selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens würde eine Schutzgewährung ausscheiden. Hinsichtlich Armenien ist festzuhalten, dass die Polizei bzw. staatlichen Behörden Schutzfähig und Schutzwillig sind. Auch wenn ein solcher Schutz nicht lückenlos, wie in keinem anderen Staat der Erde sonst auch möglich ist, stellen die geschilderten Drohungen in ihrem Herkunftsstaat offensichtlich amtswegig zu verfolgende strafbare Handlungen dar und existieren andererseits im Herkunftsstaat Behörden, welche zur Strafrechtspflege bzw. zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit berufen und auch effektiv tätig sind. Die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der Behörden ist somit gegeben. Zudem wäre es dem BF freigestanden, sich an eine übergeordnete Polizeidienststelle, eine StA ein Gericht oder einer NGO oder den Ombudsmann zu wenden.

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft, wobei als zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ erachtet wird. Diese ist dann gegeben, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist.

II.3.2.4. Wie im gegenständlichen Fall aber bereits in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert wurde, war dem Vorbringen der BF, primär natürlich jenem der BF1, zum behaupteten Ausreisegrund insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden kann. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung [nunmehr „Status eines Asylberechtigten“] einnimmt (vgl. VwGH v. 20.6.1990, Zl. 90/01/0041).

Im gegenständlichen Fall erachtet das erkennende Gericht in dem im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Umfang die Angaben als unwahr, sodass die von den BF behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden können, und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohl begründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Im vorliegenden Fall gelangt das Bundesverwaltungsgericht aus oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich erörterten Gründen zum Ergebnis, dass die BF keiner individuellen Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt waren oder im Fall der Rückkehr ausgesetzt wären, sodass internationaler Schutz nicht zu gewähren ist. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).

Da sich auch im Rahmen des sonstigen Ermittlungsergebnisses bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen der Gefahr einer Verfolgung aus einem in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Grund ergaben, scheidet die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten somit aus.

Bezüglich der Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder unruhebedingten Lebensbedingungen zurückzuführen sind, bleibt festzuhalten, dass diese keine Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes darstellen, da alle Bewohner gleichermaßen davon betroffen sind.

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass bestehende schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur hinzunehmen sind, weil das Asylrecht nicht die Aufgabe hat, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die etwa in Folge des Krieges, Bürgerkrieges, Revolution oder sonstiger Unruhen entstehen, ein Standpunkt den beispielsweise auch das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft in Punkt 164 einnimmt (VwGH 14.03.1995, Zl. 94/20/0798). Die Beschwerdeführer sind außerdem sunnitischen und schiitischen Glaubens, sie haben demnach im Fall einer Rückkehr insbesondere keine Schwierigkeiten aufgrund ihres Religionsbekenntnisses zu befürchten.

II.3.3. Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat

II.3.3.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 8 AsylG lauten: „§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 … zu verbinden.

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offensteht. …“

Bereits § 8 AsylG 1997 beschränkte den Prüfungsrahmen auf den „Herkunftsstaat“ des Asylwerbers. Dies war dahingehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen war, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.4.1999, 98/20/0561; 20.5.1999, 98/20/0300). Diese Grundsätze sind auf die hier anzuwendende Rechtsmaterie insoweit zu übertragen, als dass auch hier der Prüfungsmaßstab hinsichtlich des Bestehend der Voraussetzungen, welche allenfalls zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führen, sich auf den Herkunftsstaat beschränken.

Art. 2 EMRK lautet:

„(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. (2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt:

a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen;

b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern;

c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken.“

Während das 6. ZPEMRK die Todesstrafe weitestgehend abgeschafft wurde, erklärt das 13. ZPEMRK die Todesstrafe als vollständig abgeschafft.

Art. 3 EMRK lautet: „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“

Folter bezeichnet jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind (Art. 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984).

Unter unmenschlicher Behandlung ist die vorsätzliche Verursachung intensiven Leides unterhalb der Stufe der Folter zu verstehen (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10. Aufl. (2007), RZ 1394).

Unter einer erniedrigenden Behandlung ist die Zufügung einer Demütigung oder Entwürdigung von besonderem Grad zu verstehen (Näher Tomasovsky, FS Funk (2003) 579; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention 134f).

Art. 3 EMRK enthält keinen Gesetzesvorbehalt und umfasst jede physische Person (auch Fremde), welche sich im Bundesgebiet aufhält.

Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung (nunmehr Rückkehrentscheidung) eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der betroffenen Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele: VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat der bP zu berücksichtigen, auch wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein „ausreichend reales Risiko“ für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes („high threshold“) dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (vgl. Karl Premissl in Migralex „Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in „Dublin-Verfahren““, derselbe in Migralex: „Abschiebeschutz von Traumatisieren“; EGMR: Ovidenko vs. Finnland; Hukic vs. Scheden, Karim, vs. Schweden, 4.7.2006, Appilic 24171/05, Goncharova Alekseytev vs. Schweden, 3.5.2007, Appilic 31246/06.

Der EGMR geht weiters allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonst. unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

Gem. der Judikatur des EGMR muss ein BF die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 – Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller „Beweise“ zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt -so weit als möglich- Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005)

Auch nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, VwGH 17.7.1997, Zl. 97/18/0336). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre (VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua), gesundheitliche (VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601) oder finanzielle (vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099) Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).

Voraussetzung für das Vorliegen einer relevanten Bedrohung ist auch in diesem Fall, dass eine von staatlichen Stellen zumindest gebilligte oder nicht effektiv verhinderbare Bedrohung der relevanten Rechtsgüter vorliegt oder dass im Heimatstaat des Asylwerbers keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht (mehr) vorhanden ist und damit zu rechnen wäre, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in [nunmehr] § 8 Abs. 1 AsylG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 26.6.1997, 95/21/0294).

Der VwGH geht davon aus, dass der Beschwerdeführer vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in dessen Herkunftsstaat (Abschiebestaat) mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr betroffen zu sein. Wird dieses Wahrscheinlichkeitskalkül nicht erreicht, scheidet die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten somit aus.

Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinn des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solch innerstaatlich bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (VG München 13.05.2016, M 4 K 16.30558).

Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende und damit allgemeine Gefahr in der Person des Beschwerdeführers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Bedrohung darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH U. 17.02.2009, C-465/07). Ob eine Situation genereller Gewalt eine ausreichende Intensität erreicht, um eine reale Gefahr einer für das Leben oder die Person zu bewirken, ist insbesondere anhand folgender Kriterien zu beurteilen: ob die Konfliktparteien Methoden und Taktiken anwenden, die die Gefahr ziviler Opfer erhöhen oder direkt auf Zivilisten gerichtet sind; ob diese Taktiken und Methoden weit verbreitet sind; ob die Kampfhandlungen lokal oder verbreitet stattfinden; schließlich die Zahl der getöteten, verwundeten und vertriebenen Zivilisten (EGRM U 28.06.2011, Sufi/Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 8319/07, 11449/07).

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt jedoch nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; EGMR U 20.07.2010, N. gegen Schweden, Nr. 23505/09; U 13.10.2011, Husseini gegen Schweden, Nr. 10611/09). Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, zur Lage in Bagdad). Die bloße Möglichkeit einer den betreffenden Bestimmungen der EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427).

Im Hinblick der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die der Beschwerdeführer typischerweise zurückkehren wird. Zur Feststellung der Gefahrendichte kann auf eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung zurückgegriffen werden. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (dt BVerwG 17.11.2011, 10 C 13/10).

Dessen ungeachtet sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auch dann abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offen steht (§ 8 Abs. 3 AsylG 2005).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen im Übrigen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141).

II.3.3.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall werden im Lichte der dargestellten nationalen und internationalen Rechtsprechung folgende Überlegungen angestellt:

Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 bzw. 3 EMRK abgeleitet werden kann.

Aufgrund der Ausgestaltung des Strafrechts des Herkunftsstaates der BF scheidet das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des Art. 2 EMRK, oder des Protokolls Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe aus.

Da sich der Herkunftsstaat der BF nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für die BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.

Es kann auch nicht erkannt werden, dass den BF im Falle einer Rückkehr nach Armenien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), haben sie doch selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung nach Armenien jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und sie in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären.

Aus der sonstigen allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt abgeleitet werden.

Zu den Leiden der BF1 wird festgehalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. die Beschlüsse des VwGH vom 21. Februar 2017, Ro 2016/18/0005 und Ra 2017/18/0008 bis 0009, unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien; auch Beschluss des VwGH vom 23.3.2017, Ra 2017/20/0038; siehe auch Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“]; Erk. d. VfGH 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9). Bloß spekulative Überlegungen über einen fehlenden Zugang zu medizinischer Versorgung sind ebenso unbeachtlich wie eine bloße Minderung der Lebensqualität (Urteil des EGMR (Große Kammer) vom 27. Mai 2008, N. v. The United Kingdom, Nr. 26.565/05).

Wie bereits erwähnt, geht der EGMR weiter davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonst, unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet und kann nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen {EGMR 02.05. 1997 -146/1996/767/964 („St. Kitts-Fall")}. Im Zusammenhang mit einer Erkrankung des Beschwerdeführers nahm der EGMRaußerordentliche, ausnahmsweise vorliegende Umstände im „St. Kitts-Fall" an. Im Mai 1997hatte der EGMR die Abschiebung eines HIV-infizierten Drogenhändlers, welcher lautmedizinischen Erkenntnissen auch in Großbritannien bei entsprechender Behandlung nur mehr ca. 8-14 Monate zu leben gehabt hätte und sich somit im fortgeschrittenen Krankheitsstadium befand, aus Großbritannien auf seine Heimatinsel St. Kitts/kleine Antillen (Karibik) als "unmenschliche Behandlung" im Sinne des Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention angesehen. Die im zitierten Erkenntnis beschriebene außergewöhnliche, exzeptionale Notlage (er hätte dort keinen Zugang zu medizinischer Versorgung und Betreuung, nicht einmal zu einem Pflegebett gehabt hätte und wäre so qualvollst, einsam und in extremer Armut gestorben) die ihn dort erwarte, würde seine Lebenserwartung deutlich reduzieren und ihn psychischem und physischem Leiden aussetzen. Diese Abschiebung war daher in diesem Einzelfall unzulässig (EGMR 02. 05. 1997 - 146/1996/767/964).

Auch der Umstand, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland schlechter wären als im Aufenthaltsland, und allfälligerweise "erhebliche Kosten" verursachen, ist nichtausschlaggebend (HUKIC gg. Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05).

Die genannten allgemeinen Ausführungen gelten auch beim Vorliegen psychischer Erkrankungen bzw. Störungen. Zur Verdeutlichung der vom EGMR gesetzten Schwelle sei hier auf die Entscheidung SALKIC and others against Sweden (Application no. 7702/04) hingewiesen, wo die Zulässigkeit der Abschiebung schwer traumatisierter und teilweise suizidale Tendenzen aufweisende Bosnier nach Bosnien und Herzegowina bejaht wurde, wobei hier wohl außer Streit gestellt werden kann, dass das bosnische Gesundheitssystem dem schwedischen qualitätsmäßig unterliegt.

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Armenien nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.

Dass sich der Gesundheitszustand durch die Abschiebung verschlechtert ("mentaler Stress" ist nicht entscheidend), ist vom Antragsteller konkret nachzuweisen, bloße Spekulationen über die Möglichkeit sind nicht ausreichend. In der Beschwerdesache OVDIENKO gg. Finland vom 31.05.2005 (Appl. 1383/04), wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers, der sich seit 2002 in psychiatrischer Behandlung befunden hat und der selbstmordgefährdet war, für zulässig erklärt; mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung in die Ukraine ist kein ausreichendes „real risk“.

Aufgrund der hier vorliegenden Krankheitsbilder ist jedenfalls nicht ableitbar, dass eine Überstellung nach Armenien zu einer Beeinträchtigung des gesundheitlichen Zustandes der BF1 führt, womit folgerichtig keine Verletzung von Art 3 EMRK gegeben ist.

Es liegt aktuell auch bei der BF1 keine derartige Erkrankung vor, welche das Risiko bergen würde, im Falle der Rückkehr unter qualvollen Umständen in Armenien zu sterben. Es kann auch nicht von einem gänzlichen Fehlen von angemessenen Behandlungsmöglichkeiten ausgegangen werden und muss zwar eventuell mit einer Verschlechterung des persönlichen Zustandes der BF1 gerechnet werden, diese ist jedoch nicht unwiederbringlich oder derart gravierend, dass eine Abschiebung unzulässig zu erklären oder subsidiärer Schutz zu gewähren wäre. Auch steht es den BF selbstverständlich frei, Sozialleistungen zu beziehen.

Im vorliegenden Fall konnten seitens der BF1 keine akut existenzbedrohenden Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Armenien belegt werden.

Im gegenständlichen Fall besteht im Lichte der Berichtslage kein Hinweis, dass die BF1 vom Zugang zu medizinsicher Versorgung in Armenien ausgeschlossen wäre und bestehen auch keine Hinweise, dass die seitens der BF1 beschriebenen und diagnostizierten Krankheiten nicht behandelbar wären. Auch faktische Hindernisse, welche das Fehlen eines Zugangs zur medizinischen Versorgung aus in der Person der BF gelegenen Umständen belegen würden, kamen nicht hervor.

Ebenso ist davon auszugehen, dass Österreich in der Lage ist, im Rahmen aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausreichende medizinische Begleitmaßnahmen zu setzen (VwGH 25.4.2008, 2007/20/0720 bis 0723, VfGH v. 12.6.2010, Gz. U 613/10-10 und die bereits zitierte Judikatur; ebenso Erk. des AsylGH vom 12.3.2010, B7 232.141-3/2009/3E mwN). Zur individuellen Versorgungssituation der BF wird weiter festgestellt, dass diese im Herkunftsstaat über eine hinreichende Existenzgrundlage verfügt. Einerseits stammt die BF aus einem Staat, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist und andererseits gehört sie keinem Personenkreis an, von welchem anzunehmen ist, dass sie sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann.

II.3.3.3. Aufgrund der oa. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass die BF1 im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat ihre dringendsten Bedürfnisse befriedigen können und nicht über eine, allfällige Anfangsschwierigkeiten überschreitende, dauerhaft aussichtslose Lage geraten.

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden die BF somit nicht in ihren Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden.

Weder droht den BF im Herkunftsstaat das reale Risiko einer Verletzung der oben genannten gewährleisteten Rechte, noch bestünde die Gefahr, der Todesstrafe unterzogen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen, sodass der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides zu Recht abgewiesen wurde.

II.3.4. Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung

II.3.4.1. Gesetzliche Grundlagen:

§ 10 AsylG 2005, Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme:

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.“

§ 9 BFA-VG, Schutz des Privat- und Familienlebens:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

§ 58 AsylG 2005, Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln:

§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

(2) Das Bundesamt hat einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. § 73 AVG gilt.

(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(4) Das Bundesamt hat den von Amts wegen erteilten Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 oder 57 auszufolgen, wenn der Spruchpunkt (Abs. 3) im verfahrensabschließenden Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist. Abs. 11 gilt.

(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

(6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.

(7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Abs. 11 gilt.

(8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(9) Ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige

1. sich in einem Verfahren nach dem NAG befindet,

2. bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt oder

3. gemäß § 95 FPG über einen Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten verfügt oder gemäß § 24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt ist

soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt. Dies gilt auch im Falle des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge.

(10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

(11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist

1. das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder

2. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.

Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

(12) Aufenthaltstitel dürfen Drittstaatsangehörigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, nur persönlich ausgefolgt werden. Aufenthaltstitel für unmündige Minderjährige dürfen nur an deren gesetzlichen Vertreter ausgefolgt werden. Anlässlich der Ausfolgung ist der Drittstaatsangehörige nachweislich über die befristete Gültigkeitsdauer, die Unzulässigkeit eines Zweckwechsels, die Nichtverlängerbarkeit der Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 56 und die anschließende Möglichkeit einen Aufenthaltstitel nach dem NAG zu erlangen, zu belehren.

(13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

1. ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und

2. die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben.“

(14) Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, durch Verordnung festzulegen, welche Urkunden und Nachweise allgemein und für den jeweiligen Aufenthaltstitel dem Antrag jedenfalls anzuschließen sind. Diese Verordnung kann auch Form und Art einer Antragstellung, einschließlich bestimmter, ausschließlich zu verwendender Antragsformulare, enthalten.

§ 52 FPG, Rückkehrentscheidung:

„§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumfreien Einreise entgegengestanden wäre,

2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I. Nr. 68/2017 aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel “Daueraufenthalt – EU” verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.“

§ 55 FPG, Frist für die freiwillige Ausreise

§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.

(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.

(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.

§ 18 BFA-VG, lautet auszugsweise:

„Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde“

(1) Einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz kann das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn

1. der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 19) stammt,

2. schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt,

3. der Asylwerber das Bundesamt durch falsche Angaben oder Dokumente oder durch Verschweigen wichtiger Informationen oder durch Zurückhalten von Dokumenten über seine Identität oder seine Staatsangehörigkeit zu täuschen versucht hat,

4. der Asylwerber Verfolgungsgründe nicht vorgebracht hat,

5. das Vorbringen des Asylwerbers zu seiner Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht,

6. gegen den Asylwerber vor Stellung des Antrags auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, eine durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist, oder

7. der Asylwerber sich weigert, trotz Verpflichtung seine Fingerabdrücke abnehmen zu lassen.

Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“

II.3.4.2. Die gegenständlich in Österreich gestellten Anträge auf internationalen Schutz waren abzuweisen. Es liegt daher kein rechtmäßiger Aufenthalt (ein sonstiger Aufenthaltstitel des drittstaatsangehörigen Fremden ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht behauptet) im Bundesgebiet mehr vor und fallen die BF nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.

Es liegen keine Umstände vor, dass den BF allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre.

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

II.3.4.3. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

II.3.4.4. Die BF halten sich seit 08.11.2023 in Österreich auf und beziehen Grundversorgung. Im Bundesgebiet halten sich keine Verwandten der BF auf. Die BF1 ist, außer für den BF2, für niemanden sorgepflichtig. Die BF besuchen Deutschkurse. Die BF sind in keinen Vereinen oder Organisationen tätig. Die BF1 hilft in der Unterkunft in der Küche und bei medizinischen Notfällen. Der BF2 besucht die fünfte Klasse des BORG Kindberg. Für die BF1 wurde ein vages Schreiben des Dr. TELFEYAN in Vorlage gebracht, aus welchem hervorgeht, dass sie in dessen Ordination am Ausmaß von bis zu 12 Stunden als Assistentin angestellt werden könnte. Die BF haben keine österreichischen Freunde. Unterstützungsschreiben wurden nicht vorgelegt. Die BF sind strafrechtlich unbescholten.

Die Rückkehrentscheidung stellt somit keinen Eingriff in das Recht auf Familienleben dar, sondern allenfalls einen solchen in das Privatleben.

II.3.4.5. Gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Zweifellos handelt es sich sowohl beim BFA als auch beim ho. Gericht um öffentliche Behörden im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und ist der Eingriff in § 10 AsylG gesetzlich vorgesehen.

Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens des BF im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 (2) EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.

Im Einzelnen ergibt sich aus einer Zusammenschau der oben genannten Determinanten im Lichte der geltenden Judikatur Folgendes:

- Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war:

Die BF sind seit 08.11.2023 in Österreich aufhältig. Sie reisten legal mit einem Visum-C aus Armenien auf dem Luftweg aus und in das Bundesgebiet ein.

Die BF konnten ihren Aufenthalt lediglich durch die Stellung unbegründeter Anträge auf internationalen Schutz vorübergehend legalisieren. Hätten sie diese unbegründeten Asylanträge nicht gestellt, wären sie rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig bzw. wäre davon auszugehen, dass der rechtswidrige Aufenthalt bereits durch entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen in der Vergangenheit beendet worden wäre und sie sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten würden.

- das tatsächliche Bestehen eines Privatlebens:

Die BF verfügen über keine relevanten privaten Anknüpfungspunkte.

- die Schutzwürdigkeit des Privatlebens

Die BF begründeten ihr Privatleben zu einem Zeitpunkt, als der Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisiert war. Auch war der Aufenthalt der BF zum Zeitpunkt der Begründung der Anknüpfungspunkte im Rahmen des Privatlebens ungewiss und nicht dauerhaft, sondern auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkt.

Letztlich ist auch festzuhalten, dass die BF nicht gezwungen sind, nach einer Ausreise allenfalls bestehende Bindungen zur Gänze abzubrechen. So stünde es ihr frei, diese durch briefliche, telefonische, elektronische Kontakte oder durch gegenseitige Besuche aufrecht zu erhalten (vgl. Peter Chvosta: „Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK“, ÖJZ 2007/74 mwN).

- Grad der Integration

Die BF sind erst kurz in Österreich aufhältig, haben hier keine qualifizierten Anknüpfungspunkte und waren im Asylverfahren nicht in der Lage, ihren Antrag ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zu begründen. Im Bundesgebiet halten sich keine Verwandten der BF auf. Die BF1 ist, außer für den BF2, für niemanden sorgepflichtig. Die BF besuchen Deutschkurse. Die BF sind in keinen Vereinen oder Organisationen tätig. Die BF1 hilft in der Unterkunft in der Küche und bei medizinischen Notfällen. Der BF2 besucht die fünfte Klasse des BORG Kindberg. Für die BF1 wurde ein vages Schreiben des Dr. TELFEYAN in Vorlage gebracht, aus welchem hervorgeht, dass sie in dessen Ordination am Ausmaß von bis zu 12 Stunden als Assistentin angestellt werden könnte. Die BF haben keine österreichischen Freunde. Unterstützungsschreiben wurden nicht vorgelegt.

In diesem Zusammenhang sei auch auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die –hier bei weitem nicht vorhandenen- Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).

Insoweit die BF1 Mit Schriftsatz vom 17.4.2024 eine am selben Tag datierte Anstellungszusage eines allgemeinmedizinisch praktizierenden Arztes in Vorlage bringt, demzufolge die BF1 im Ausmaß von 12 Stunden als Assistentin arbeiten könnte, zumal die Russisch- und Armenischkenntnisse der BF1 nützlich wären, war festzustellen, dass angesichts der Arbeitsstunden (12 Std) und mangels Verdienstangaben nicht von einer zur Selbsterhaltungsfähigkeit führenden Tätigkeit der BF auszugehen ist.

- Bindungen zum Herkunftsstaat

Die BF verbrachten annähernd ihr gesamtes Leben in Armenien, wurde dort sozialisiert, sind Angehörige der armenischen Volksgruppe und bekennen sich zum Christentum. Die BF sprechen die dortige Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. In Jerewan leben noch zwei Brüder mit ihren Familien, sowie zahlreiche Cousins und Cousinen, insgesamt handelt es sich um ca. 20 Personen. Die BF1 pflegt einen innigen Kontakt zu ihren Brüdern. Weiters hat sie noch regen Kontakt zu zahlreichen Kollegen. Ebenso ist davon auszugehen, dass es noch Bezugspersonen etwa im Sinne eines gewissen Freundes- und/oder Bekanntenkreises der BF existieren, da nichts darauf hindeutet, dass sie vor der Ausreise im Herkunftsstaat in völliger sozialer Isolation gelebt hätten. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es dem BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.

- strafrechtliche Unbescholtenheit

Die BF sind strafrechtlich unbescholten bzw. strafunmündig.

Diese Feststellung stellt laut Judikatur weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420). Der VwGH geht wohl davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält.

- die Frage, ob das Privatleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren

Den BF musste bei der Antragstellung klar sein, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung des Asylantrages nur ein vorübergehender ist.

- mögliches Organisationsverschulden durch die handelnden Behörden in Bezug auf die Verfahrensdauer

Ein derartiges Verschulden kann der Aktenlage nicht entnommen werden.

- Kindeswohl

Allfällige ungünstigere Entwicklungsbedingungen im Ausland begründen für sich allein noch keine Gefährdung des Kindeswohls, vor allem dann, wenn die Familie von dort stammt (OGH 08.07.2003, Zl. 4Ob146/03d unter Verweis auf Coester in Staudinger, BGB13 § 1666 Rz 82 mwN). Zudem gehören die Eltern und deren sozioökonomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes (ebd.).

Bei der Beurteilung, ob im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Verletzung von durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechten droht, ist nach der Judikatur des VwGH eine eventuelle besondere Vulnerabilität der Betroffenen im Speziellen zu berücksichtigen, wobei der VwGH auch auf die Definition schutzbedürftiger Personen in Art. 21. Der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) verweist (vgl. zuletzt VwGH vom 13.12.2018, Zl. Ra 2018/18/0336 sowie vom 30.08.2017, Zl. Ra 2017/18/0089 zum Irak sowie VwGH vom 06.09.2018, Ra 2018/18/0315 und diverse andere zu Afghanistan). Art. 21 der Aufnahmerichtlinie zählt als besonders schutzbedürftige Personen unter anderem Minderjährige auf.

Der Verfassungsgerichtshof hat - aufgrund der vom BVwG selbst herangezogenen UNHCR-Richtlinien- in seiner Entscheidung vom 12.12.2018, Zl E 667/2018 hinsichtlich einer Familie aus Kabul festgehalten, dass Familien mit besonderem Schutzbedarf - nach Ansicht des UNHCR - nur dann eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offensteht, wenn sie Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, die Zurückkehrenden tatsächlich zu unterstützen. Die zugrundeliegende Entscheidung des BVwG wurde behoben, da vom BVwG nicht näher begründet wurde, warum es davon ausging, dass der Bruder der Erstbeschwerdeführerin eine sechsköpfige Familie ausreichend unterstützen könne bzw wolle. Es sei verabsäumt worden, die Erstbeschwerdeführerin zur konkreten Lebenssituation ihres Bruders und ihrer Schwester zu befragen.

Demnach wird von der Judikatur – zuletzt auch in einer Einzelentscheidung hinsichtlich des sicheren Herkunftsstaates Armenien (VwGH vom 07.03.2019, Ra 2018/21/0216 bis 0217-13) - eine konkrete Auseinandersetzung damit gefordert, welche Rückkehrsituation eine Familie mit minderjährigen Kindern im Herkunftsstaat tatsächlich vorfindet, insbesondere unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit (VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479) sowie der Unterkunftsmöglichkeit (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315).

Im vorliegenden Fall ist daher insbesondere zu berücksichtigen, dass der BF2 mit 16 Jahren ein mündig minderjähriges Kind – somit Angehöriger einer besonders vulnerablen und besonders schutzbedürftigen Personengruppe - ist. Daher ist eine konkrete Auseinandersetzung mit der Rückkehrsituation, die der minderjährige BF bzw. seine Mutter mit ihrem minderjährigen Sohn im Heimatstaat tatsächlich vorfinden würden, erforderlich.

Im gegenständlichen Fall sind sowohl die Mutter als auch der minderjährige Sohn armenische Staatsbürger und sind somit alle BF im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen. Der minderjährige BF teilt somit das sozioökonomische Schicksal seiner Mutter. Den BF stehen nach der Rückkehr sowohl private, karitative als auch bei Bedarf staatliche Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung. Es kann davon ausgegangen werden, dass sie Unterkunft finden werden und wird auf die Beweiswürdigung oben verwiesen. In Jerewan ist die BF1 noch Eigentümerin einer Wohnung. Zudem kann der BF2 seine Schulbildung in Jerewan beenden. Eine Verletzung des Kindeswohles ist daher nicht ersichtlich.

- Auswirkung der allgemeinen Lage in Armenien auf die BF

Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass dem Art. 8 EMRK innewohnenden Recht auf das Privat- und Familienleben auch ein Recht auf körperliche Unversehrtheit abzuleiten ist (vgl. etwa Erk. d. VwGH vom 28.6.2016, Ra 2015/21/0199-8). Vor diesem Hintergrund ist die Zulässigkeit von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Lichte des Art. 8 EMRK auch vor dem Hintergrund der Lage im Herkunftsstaat, welche die bP im Falle einer Rückkehr vorfinden, zu prüfen, wobei bereits an dieser Stelle Art. 8 EMRK –anders als Art. 3 leg. cit.- einen Eingriffsvorbehalt kennt.

Im Rahmen der Beurteilung der allgemeinen Lage in der der Republik Armenien ist zu berücksichtigen, dass –wie bereits mehrfach erwähnt- gem. § 1 der Herkunftsstaaten-Verordnung (HStV), BGBl. II Nr. 177/2009 idgF, Armenien als sicherer Herkunftsstaat gilt und ergaben sich im gegenständlichen Fall keine Hinweise auf einen aus diesem Blickwinkel relevanten Sachverhalt.

Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, uva).

Der VwGH hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine (damals) Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).

Ebenso wird durch die wirtschaftlichen Interessen an einer geordneten Zuwanderung und das nur für die Dauer des Asylverfahrens erteilte Aufenthaltsrecht, das fremdenpolizeiliche Maßnahmen nach (negativer) Beendigung des Asylverfahrens vorhersehbar erscheinen lässt, die Interessensabwägung anders als in jenen Fällen, in welchen der Fremde aufgrund eines nach den Bestimmungen des NAG erteilten Aufenthaltstitels aufenthaltsberechtigt war, zu Lasten des (abgelehnten) Asylsuchenden beeinflusst (vgl. Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, Seite 348).

Es ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Notwendigkeit einer [damals] Ausweisung von Relevanz, ob der Fremde seinen Aufenthalt vom Inland her legalisieren kann. Ist das nicht der Fall, könnte sich der Fremde bei der Abstandnahme von der [damals] Ausweisung unter Umgehung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen den tatsächlichen (illegalen) Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer verschaffen, was dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenrechts zuwiderlaufen würde.

Gem. Art 8 Abs. 2 EMRK ist ein Eingriff in das Grundrecht auf Privat- und/oder Familienleben zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Abs. 2 leg. cit. genannten Ziele notwendig ist. Die zitierte Vorschrift nennt als solches Ziel u.a. die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, worunter nach der Judikatur des VwGH auch die geschriebene Rechtsordnung zu subsumieren ist. Die für den Aufenthalt von Fremden maßgeblichen Vorschriften finden sich –abgesehen von den spezifischen Regelungen des AsylG- seit 1.1.2006 nunmehr im NAG bzw. FPG.

Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist für die Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung und diese Wertung des Gesetzgebers geht auch aus dem Fremdenrechtspaket 2005 klar hervor. Demnach ist es gemäß den nun geltenden fremdenrechtlichen Bestimmungen für einen BF grundsätzlich nicht mehr möglich, den Aufenthalt vom Inland her auf Antrag zu legalisieren, da eine Erstantragsstellung für solche Fremde nur vom Ausland aus möglich ist. Wie aus dem 2. Hauptstück des NAG ersichtlich ist, sind auch Fremde, die Familienangehörige von in Österreich dauernd wohnhaften österreichischen Staatsbürgern sind, davon nicht ausgenommen. Im gegenständlichen Fall ist bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Sachverhalt ersichtlich, welcher die Annahme rechtfertigen würde, dass der BF gem. § 21 (2) und (3) NAG die Legalisierung ihres Aufenthaltes vom Inland aus offensteht, sodass sie mit rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens eine unbedingte Ausreiseverpflichtung trifft, zu deren Durchsetzung es einer Rückkehrentscheidung bedarf.

Bei rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens sind die BF somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen sei ergänzend das Erkenntnis des VfGH 17. 3. 2005, G 78/04 ua erwähnt, in dem dieser erkennt, dass auch das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den Interessen des Fremden bei der (damals) Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen sind.

Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.

Der Rechtsprechung des EGMR folgend (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z. B. eine Ausweisung- bzw. Rückkehrentscheidung) aber auch in das nach Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in einem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

Im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zur Praxis hinsichtlich Rückkehrentscheidungen der Vertragsstaaten dürfte es für den Schutzbereich des Anspruches auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 EMRK hingegen nicht ausschlaggebend sein, ob der Aufenthalt des Ausländers - im Sinne einer Art „Handreichung des Staates“ - zumindest vorübergehend rechtmäßig war (vgl. Ghiban gg. Deutschland, 16.09.2004, 11103/03; Dragan gg. Deutschland, 07.10.2004, Bsw. Nr. 33743/03; SISOJEVA (aaO.)) bzw. inwieweit die Behörden durch ihr Verhalten dazu beigetragen haben, dass der Aufenthalt des Betreffenden bislang nicht beendet wurde. Der EGMR hat diese Frage zwar noch nicht abschließend entschieden, jedoch in Fallkonstellationen das Recht auf Privatleben erörtert, in denen ein legaler Aufenthalt der Beschwerdeführer nicht vorlag. Hat er in der Rechtssache GHIBAN (aaO.) zu einem rumänischen Staatsangehörigen, der wegen Staatenlosigkeit nicht abgeschoben werden konnte, die Frage letztlich noch offen gelassen ("Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Aufenthalt des Bf. unter diesen Umständen eine ausreichende Grundlage für die Annahme eines Privatlebens war..."), so nahm er in der bereits mehrfach zitierten Rechtssache Sisojeva (aaO.) einen Eingriff in das Privatleben an, obwohl die Beschwerdeführer in Lettland keinen rechtmäßigen Aufenthalt hatten.

Wenn man – wie die Judikaturentwicklung des EGMR auch erkennen lässt – dem Aufenthaltsstatus des Fremden für die Beurteilung des Vorliegens eines Eingriffes in das durch Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben keine Relevanz beimisst, so wird die Frage der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Schrankenprüfung nach Artikel 8 Absatz 2 EMRK Berücksichtigung zu finden haben.

Weiter wird hier auf das Urteil des EGMR Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06 verwiesen, wo dieser folgende Kernaussagen traf:

Im gegenständlichen Fall erachtete es der EGMR nicht erforderlich, sich mit der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Frage auseinanderzusetzen, ob durch das Studium der Beschwerdeführerin im UK, ihr Engagement in der Kirche sowie ihre Beziehung unbekannter Dauer zu einem Mann während ihres fast 10-jährigen Aufenthalts ein Privatleben iS von Art. 8 EMRK entstanden ist.

Dies wird damit begründet, dass im vorliegenden Fall auch das Bestehen eines Privatlebens ohne Bedeutung für die Zulässigkeit der Abschiebung wäre, da einerseits die beabsichtigte Abschiebung im Einklang mit dem Gesetz steht und das legitime Ziel der Aufrechterhaltung und Durchsetzung einer kontrollierten Zuwanderung verfolgt; und andererseits jegliches zwischenzeitlich etabliertes Privatleben im Rahmen einer Interessenabwägung gegen das legitime öffentliche Interesse an einer effektiven Einwanderungskontrolle nicht dazu führen könnte, dass ihre Abschiebung als unverhältnismäßiger Eingriff zu werten wäre.

Die zuständige Kammer merkt dazu an, dass es sich hier im Gegensatz zum Fall ÜNER gg. Niederlande (EGMR Urteil vom 05.07.2005, Nr. 46410/99) bei der Beschwerdeführerin um keinen niedergelassenen Zuwanderer handelt, sondern ihr niemals ein Aufenthaltsrecht erteilt wurde und ihr Aufenthalt im UK daher während der gesamten Dauer ihres Asylverfahrens und ihrer humanitären Anträge unsicher war.

Ihre Abschiebung in Folge der Abweisung dieser Anträge wird auch durch eine behauptete Verzögerung der Behörden bei der Entscheidung über diese Anträge nicht unverhältnismäßig.

II.3.4.6. Letztlich ist festzustellen, dass eine Gegenüberstellung der von den BF in ihrem Herkunftsstaat vorzufindenden Verhältnissen mit jenen in Österreich im Rahmen einer Interessensabwägung zu keinem Überwiegen der privaten Interessen der BF am Verbleib in Österreich gegenüber den öffentlichen Interessen an einem Verlassen des Bundesgebietes führen würde.

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie die BF erfolgreich auf das Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen.

Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrag unterlassen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip [„no one can profit from his own wrongdoing“], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).

Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige Integration der BF in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Sicht sind nicht erkennbar. Die BF halten sich im Vergleich zu ihrem Lebensalter erst einen sehr kurzen Zeitraum in Österreich auf. Eine über das normale Maß hinausgehende gesellschaftliche Integration ist nicht erkennbar. Die BF haben ihr gesamtes Leben in Armenien verbracht und wurde dort sozialisiert. Es ist daher davon auszugehen, dass auf Grund dieser engen Beziehungen zum Herkunftsstaat im Vergleich mit dem bisherigen Leben in Österreich die Beziehungen zu Armenien eine – wenn überhaupt vorhandene – Integration in Österreich bei weitem überwiegen.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse der BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

II.3.5. Abschiebung

II.3.5.1. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).

Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 EMRK oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Abs 2) oder solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs 3).

Im gegenständlichen Fall sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung nach Armenien unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in gegenständlichen Beschwerden nicht schlüssig dargelegt und wurden bzw. werden hierzu bereits an entsprechend passenden Stellen des gegenständlichen Erkenntnisses Ausführungen getätigt, welche die in § 50 Abs. 1 und 2 FPG erforderlichen Subsumtionen bereits vorwegnehmen.

Eine im § 50 Abs. 3 FPG genannte Empfehlung des EGMR liegt ebenfalls nicht vor.

Schließlich sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde in den angefochtenen Bescheiden gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung nach Armenien unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in gegenständlichen Beschwerden nicht schlüssig dargelegt.

II.3.5.2. Gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG kann das BFA einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne des § 19 BFA-VG stammt. Gemäß Z 4 leg.cit. ist dies zudem möglich, wenn der Asylwerber Verfolgungsgründe nicht vorgebracht hat.

Gemäß § 19 Abs. 5 BFA-VG kann die Bundesregierung bestimmte Staaten durch Verordnung als sichere Herkunftsstaaten definieren. Gemäß § 1 Z 13 der Herkunftsstaaten-Verordnung (HStV) gilt Armenien als sicherer Herkunftsstaat. Verfolgungsgründe wurden von keinem der beiden BF vorgebracht.

Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG hätte das Bundesverwaltungsgericht binnen einer Woche ab Beschwerdevorlage die aufschiebende Wirkung zuerkennen müssen, wenn anzunehmen gewesen wäre, dass den BF eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3, 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention gedroht hätte oder für sie als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich gebracht hätte.

Aus den vorangehenden Ausführungen zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und zur Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung folgt, dass keine Rechtsverletzung drohte, welche die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung geboten hätte.

Besondere individuelle Gründe, die für die Gewährung einer aufschiebenden Wirkung der Beschwerde sprechen könnten, wurden im gesamten, so auch im Beschwerdeverfahren, durch sämtliche Ausführungen ausreichend konkret und substantiiert nicht dargelegt, bzw. konnten die BF das Vorliegen von diesbezüglich besonders berücksichtigungswürdigen Gründen insgesamt nicht glaubhaft machen.

Wie die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden zu Recht dargelegt hat, gilt Armenien als sicherer Herkunftsstaat und haben die BF zudem keine Verfolgungsgründe vorgebracht. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ist somit zu Recht erfolgt und konnte so der Anregung der rechtsfreundlichen Vertretung, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, nicht entsprochen werden.

Folglich war auch gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise festzulegen.

II.3.5.3. Da auch alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Rückkehrentscheidungen und keine Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, waren die Beschwerden auch gegen diese Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.

B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zur Auslegung des Begriffs des internationalen Schutzes, sowie des durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienlebens, sowie zur Feststellung des Herkunftsstaates bzw. den rechtlichen Folgen von dessen Nichtfeststellbarkeit abgeht.

Im Falle verfahrensrechtlicher Neuordnungen wird auch die einheitliche Judikatur zu den Vorgängerbestimmungen verwiesen.

Aufgrund der oa. Ausführungen war die Revision nicht zuzulassen.

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