JudikaturBvwgW148 2289668-1

W148 2289668-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
25. April 2024

Spruch

W148 2289668-1/5Z

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Stefan KEZNICKL als Vorsitzenden und die Richterin MMag. Dr. Esther SCHNEIDER und den Richter Dr. Gert WALLISCH als Beisitzer über die Beschwerden vom 02.04.2024 1. der XXXX AG, 2. des XXXX und 3. des XXXX , alle vertreten durch Fritsche Frank Fletzberger Rechtsanwälte GmbH, 1010 Wien, gegen das Straferkenntnis der Finanzmarktaufsichtsbehörde vom XXXX .2024 zu GZ. XXXX in einer Verwaltungsstrafsache nach dem Finanzmarkt-Geldwäschegesetz beschlossen:

A)

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Stehen das sekundäre Unionsrecht (insbesondere Artikel 60 Absatz 5 und Absatz 6 iVm Artikel 58 Absatz 1 bis Absatz 3 iVm Artikel 59 Absatz 1 der Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG, des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission, ABl. L 141/73 vom 05.06.2015, zuletzt geändert durch Richtlinie (EU) 2019/2177 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2019) wie auch die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Europäischen Union (insbesondere effet utile)

den Bestimmungen des § 35 Absatz 1 bis Absatz 3 (über die Strafbarkeit von juristischen Personen) und § 36 (Verlängerung der Verjährungsfrist) österreichisches Finanzmarkt-Geldwäschegesetz (FM-GwG) entgegen,

die in Verbindung mit der Auslegung dieser Bestimmungen durch den österreichischen Verwaltungsgerichtshof verlangen, dass es zur Bestrafung der juristischen Person zwingend erforderlich ist, dass zuvor einem Organwalter oder einer anderen natürlichen Person, die für die juristische Personen gehandelt hat, eine förmliche Parteistellung als Beschuldigter (unter strikter Wahrung aller Parteienrechte) einzuräumen und weiters auch zwingend im Spruch (Tenor) des Straferkenntnisses gegenüber der juristischen Person festzustellen ist, dass die dort konkret zu nennende natürliche Person (oder der Organwalter) tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat, um dieses Verhalten in einem weiteren Schritt der juristischen Person zuzurechnen, wobei die Verfolgungsverjährung ab Ende der Tathandlung binnen einer Frist von drei Jahren, die Strafbarkeitsverjährung binnen einer Frist von fünf Jahren eintritt?

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Absatz 9 B-VG in Verbindung mit § 25a Absatz 3 VwGG nicht zulässig.

Text

Begründung

Zu A)

Gegenstand des Ausgangsverfahrens

1. Vorlegendes Gericht:

Bundesverwaltungsgericht

Republik Österreich

Erdbergstraße 192-196

1030 Wien

Österreich.

2. Parteien des Verfahrens:

I. Finanzmarktaufsichtsbehörde Abteilung Verfahren und Recht Otto-Wagner-Platz 5, 1090 Wien,

II. XXXX AG, Z.Hd. Fritsche Frank Fletzberger Rechtsanwälte GmbH, Nibelungenstraße 11/4, 1010 Wien,

III. XXXX Z.Hd. Fritsche Frank Fletzberger Rechtsanwälte GmbH, Nibelungenstraße 11/4, 1010 Wien und

IV. XXXX Z.Hd. Fritsche Frank Fletzberger Rechtsanwälte GmbH, Nibelungenstraße 11/4, 1010 Wien.

3. Dem Verfahren liegt ein Straferkenntnis der österreichischen Finanzmarktaufsichtsbehörde („FMA“ oder auch „belangte Behörde“) vom XXXX 2024, GZ. XXXX , zugrunde, mit dem sie eine juristische Person (die beschwerdeführende Gesellschaft) gem. § 35 Absatz 1 bis Absatz 3 FM-GwG verwaltungsstrafrechtlich bestraft hat, weil sie einen Verstoß gegen geldwäscherechtliche Sorgfaltspflichten (§§ 23 Absatz 1 iVm 6 Absatz 1 Z 2 FM-GwG) vom 15.09.2017 bis 11.10.2019 zu verantworten habe. Dabei stützt sich das Straferkenntnis auf § 35 FM-GwG, wonach juristische Personen bestraft werden können.

4. Weil dem österreichischen Verwaltungsstrafrecht die Strafbarkeit der juristischen Person fremd sei, ist deren Bestrafung gem. § 35 Absatz 1 und 2 FM-GwG in Verbindung mit der Auslegung durch den österreichischen Verwaltungsgerichtshof nur dann rechtmäßig, wenn zuvor das (objektiv) tatbestandsmäßige, rechtswidrige und (subjektiv) schuldhafte Handeln der konkret zu nennenden natürlichen Person (bzw. eines Organwalter) „gemäß § 34 Abs. 1 bis 3“ (FM-GwG) festgestellt und der juristischen Person in weiterer Folge zugerechnet wurde. Dabei ist es erforderlich, erstens, dass die natürliche Person, deren Handeln der juristischen Person zugerechnet werden soll, in diesem Verfahren zuvor selbst als Beschuldigte (Partei mit allen Rechten) und nicht bloß als Zeuge eingebunden und behandelt wurde sowie zweitens, dass im Spruch (Tenor) des Straferkenntnisses an die juristische Person dieses tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handeln des identifizierten Organwalters (der identifizierten natürlichen Person) nicht nur festgestellt, sondern dieses drittens auch im Spruch (Tenor) der juristischen Person zugerechnet wird. Dies führt auch – regelmäßig – dazu, dass Fehler im Verfahren gegenüber dem Organwalter (bzw. der natürlichen Person), die für die juristische Person gehandelt haben, etwa bspw. dass die relevante Person nur als Zeuge (unter Wahrheitspflicht) befragt wurde, zur Verfahrenseinstellung (bzw. Aufhebungen im Instanzenzug) im Verfahren der juristischen Person führt. Gleiches gilt ex lege, wenn das Verfahren nicht binnen der Frist der Verfolgungsverjährung durch die FMA eingeleitet wurde sowie wenn binnen der Strafbarkeitsverjährungsfrist keine endgültige Entscheidung gefällt werden konnte (bspw. rechtskräftige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes als Beschwerdeinstanz).

5. Aus diesem Grund sind auch im gegenständliche Ausgangsverfahren zwei weitere natürliche Personen („Zurechnungspersonen“) Partei (Beschuldigte) des Verfahrens, weil es nach dem oben Beschriebenen geboten ist, dass sie aufgrund ihrer Parteienrechte als Beschuldigte auch Adressaten des Straferkenntnisses der juristischen Person sind und folglich auch beschwerdelegitimiert sind, obwohl die belangte Behörde eine Bestrafung dieser natürlichen Personen nie angestrebt hatte.

6. Diese Erfordernisse betr. die „Zurechnungspersonen“ an das Verfahren gegenüber der juristischen Person bzw. den Spruch des Straferkenntnisses wie auch die (ohne Unterbrechung aufgrund des nunmehrigen Vorlageverfahrens) in Kürze ex lege eintretende Strafbarkeitsverjährung bilden den Anlass zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof.

Relevante Rechtsvorschriften

7. Die relevanten Vorschriften der Richtlinie (EU) 2015/849 („4. Geldwäscherichtlinie“) lauten auszugsweise samt Überschrift wie folgt:

„[Erwägungsgrund] 59: Die Bedeutung der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sollte die Mitgliedstaaten veranlassen, im nationalen Recht wirksame, verhältnismäßige und abschreckende verwaltungsrechtliche Sanktionen und Maßnahmen für den Fall vorzusehen, dass die zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften nicht eingehalten werden. Derzeit wenden die Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen die wichtigsten Präventivvorschriften eine ganze Reihe unterschiedlicher verwaltungsrechtlicher Sanktionen und Maßnahmen an. Diese Diversität könnte jedoch die Bemühungen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung beeinträchtigen und bedroht die Einheitlichkeit der Gegenmaßnahmen der Union. Daher sollte diese Richtlinie verwaltungsrechtliche Sanktionen und Maßnahmen der Mitgliedstaaten zumindest für schwere, wiederholte oder systematische Verstöße gegen die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden, die Aufbewahrung von Aufzeichnungen und Belegen, die Meldung von verdächtigen Transaktionen und die internen Kontrollen der Verpflichteten anwenden können, vorsehen. Die Sanktionen und Maßnahmen sollten ausreichend breit gefächert sein, damit die Mitgliedstaaten und die zuständigen Behörden den Unterschieden zwischen Verpflichteten, insbesondere zwischen Kreditinstituten und Finanzinstituten und anderen Verpflichteten, was ihre Größe, Merkmale und Art der Geschäftstätigkeit anbelangt, Rechnung tragen können. […]

Abschnitt 4

Sanktionen

Artikel 58

(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Verpflichteten für Verstöße gegen die nationalen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie gemäß diesem Artikel und den Artikeln 59 bis 61 verantwortlich gemacht werden können. Jede sich daraus ergebende Sanktion oder Maßnahme muss wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

(2) Unbeschadet des Rechts der Mitgliedstaaten, strafrechtliche Sanktionen vorzusehen und zu verhängen, legen die Mitgliedstaaten Vorschriften für verwaltungsrechtliche Sanktionen und Maßnahmen fest, stellen sicher, dass ihre zuständigen Behörden solche Sanktionen und Maßnahmen für Verstöße gegen die zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen nationalen Rechtsvorschriften verhängen können, und gewährleisten, dass sie angewandt werden.

[…]

(3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass bei für juristische Personen geltenden Verpflichtungen im Falle von Verstößen gegen die zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen nationalen Rechtsvorschriften Sanktionen und Maßnahmen gegen die Mitglieder des Leitungsorgans und andere natürliche Personen, die nach nationalem Recht für den Verstoß verantwortlich sind, verhängt werden können.

Artikel 59

(1) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass dieser Artikel zumindest für die Verstöße gegen die in folgenden Artikeln festgelegten Anforderungen durch die Verpflichteten gilt, wenn es sich um schwerwiegende, wiederholte oder systematische Verstöße oder eine Kombination davon handelt: a) Artikel 10 bis 24 (Sorgfaltspflicht gegenüber Kunden), b) Artikel 33, 34 und 35 (Verdachtsmeldungen), c) Artikel 40 (Aufbewahrung von Aufzeichnungen) und d) Artikel 45 und 46 (interne Kontrollen).

[…]

Artikel 58

[…]

(5) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine juristische Person für Verstöße im Sinne des Artikels 59 Absatz 1 verantwortlich gemacht werden kann, die zu ihren Gunsten von einer Person begangen wurden, die allein oder als Teil eines Organs der juristischen Person gehandelt hat und die aufgrund einer der folgenden Befugnisse eine Führungsposition innerhalb der juristischen Person innehat: a) Befugnis zur Vertretung der juristischen Person, b) Befugnis, Entscheidungen im Namen der juristischen Person zu treffen, oder c) Kontrollbefugnis innerhalb der juristischen Person.

(6) Die Mitgliedstaaten stellen ferner sicher, dass eine juristische Person verantwortlich gemacht werden kann, wenn mangelnde Überwachung oder Kontrolle durch eine in Absatz 5 dieses Artikels genannte Person das Begehen eines der in Artikel 59 Absatz 1 genannten Verstöße zugunsten der juristischen Person durch eine ihr unterstellte Person ermöglicht hat.

[…].“

8. §§ 34 bis 36 Finanzmarkt-Geldwäschegesetz (FM-GwG), in der Fassung BGBl. I Nr. 118/2016 (betr. § 34 Absatz 1 bis Absatz 3; mit BGBl. I Nr. 107/2017 wurde lediglich der damalige § 34 Absatz 4 aufgehoben; derzeit hat Absatz 4 idF BGBl. I Nr. 62/2019 einen hier nicht relevanten anderen Regelungszusammenhang) und in der Fassung BGBl. I Nr. 17/2018 (betr. § 35 Absatz 1 bis Absatz 2; mit BGBl. I Nr. 107/2017 wurde lediglich Absatz 4 aufgehoben), lauten samt Überschriften auszugsweise:

„8. Abschnitt

Strafbestimmungen und Veröffentlichungen

Pflichtverletzungen

§ 34. (1) Wer als Verantwortlicher (§ 9 VStG) eines Verpflichteten, die Pflichten gemäß

[…]

2. § 5 bis § 12 (Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden) und der aufgrund von § 6 Absatz 4, § 8 Absatz 5 und § 9 Absatz 4 erlassenen Verordnungen der FMA,

[…]

8. § 23 Absatz 1 bis 3 oder 6 (interne Organisation),

[…]

verletzt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der FMA mit einer Geldstrafe bis zu 150 000 Euro zu bestrafen.

(2) Wenn es sich bei den Pflichtverletzungen gemäß Absatz 1 Z 2, 4, 7, 9 und 10 um schwerwiegende, wiederholte oder systematische Verstöße oder eine Kombination davon handelt, beträgt die Geldstrafe bis zu 5 000 000 Euro oder bis zu dem Zweifachen des aus der Pflichtverletzung gezogenen Nutzens, soweit sich dieser beziffern lässt.

(3) Wer als Verantwortlicher (§ 9 VStG) eines Verpflichteten

1. wiederholt oder systematisch vorgeschriebene Angaben zum Auftraggeber oder zum Begünstigten unter Verstoß gegen Art. 4 bis 6 der Verordnung (EU) 2015/847 nicht übermittelt,

2. die Aufbewahrung von Aufzeichnungen gemäß Art. 16 der Verordnung (EU) 2015/847 nicht sicherstellt und dies ein wiederholtes, systematisches und schweres Versäumnis darstellt,

3. es verabsäumt wirksame risikobasierte Verfahren unter Verstoß gegen Art. 8 oder 12 der Verordnung (EU) 2015/847 einzuführen oder

4. sofern der Verpflichtete ein zwischengeschalteter Zahlungsdienstleister gemäß Art. 3 Z 5 ist, in schwerwiegender Weise gegen Art. 11 oder 12 der Verordnung (EU) 2015/847 verstößt,

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der FMA mit einer Geldstrafe bis zu 5 000 000 Euro oder bis zu dem Zweifachen des aus der Pflichtverletzung gezogenen Nutzens, soweit sich dieser beziffern lässt, zu bestrafen.

[…]“

„Strafbarkeit von juristischen Personen

§ 35. (1) Die FMA kann Geldstrafen gegen juristische Personen verhängen, wenn eine Pflichtverletzung gemäß § 34 Absatz 1 bis 3 zu ihren Gunsten von einer Person begangen wurde, die allein oder als Teil eines Organs der juristischen Person gehandelt hat und die aufgrund einer der folgenden Befugnisse eine Führungsposition innerhalb der juristischen Person innehat:

1. Befugnis zur Vertretung der juristischen Person,

2. Befugnis, Entscheidungen im Namen der juristischen Person zu treffen oder

3. Kontrollbefugnis innerhalb der juristischen Person.

(2) Juristische Personen können wegen Pflichtverletzungen gemäß § 34 Absatz 1 bis 3 auch dann verantwortlich gemacht werden, wenn mangelnde Überwachung oder Kontrolle durch eine in Absatz 1 genannte Person die Begehung einer in § 34 Absatz 1 bis 3 genannten Pflichtverletzungen zugunsten der juristischen Person durch eine für sie tätige Person ermöglicht hat.

[…].“

„Verlängerung der Verjährungsfrist

§ 36. Bei Verwaltungsübertretungen gemäß diesem Bundesgesetz gilt anstelle der Frist für die Verfolgungsverjährung (§ 31 Absatz 1 VStG) eine Frist von drei Jahren. Die Frist für die Strafbarkeitsverjährung (§ 31 Absatz 2 VStG) beträgt in diesen Fällen fünf Jahre.“

Zu den beiden Vorlagefragen

9. Dem österreichischen Verwaltungsstrafrecht (VStG) war die Bestrafung einer juristischen Person bislang fremd. Stattdessen wurde nach § 9 VStG die Bestrafung einer natürlichen Person vorgesehen, der das Fehlverhalten zugerechnet wurde. Es haftete die natürliche Person, die eine bestimmte Verantwortung (qua Organstellung oder Beauftragung) in der juristischen Person innehatte, für ein festgestelltes Fehlverhalten.

Mit der Einführung der hier relevanten Bestimmunge des § 35 Absatz 1 bis 3 FM-GwG (bzw. zuvor schon des § 99d alt Bankwesengesetz idF BGBl. I Nr. 184/2013 als wortgleiche Vorgängerbestimmung) fand die Bestrafung der juristischen Person Eingang in das österreichische Verwaltungsstrafrecht.

10. Im Wesentlichen wurde mit § 35 Absatz 1 und 2 FM-GwG der Artikel 59 in Verbindung mit Artikel 60 Absatz 5 und 6 der Richtlinie (EU) 2015/849 umgesetzt (vgl. unten die in Rz 12 wiedergegebenen Erläuterungen im Ministerialentwurf zu § 35 leg.cit.). Die Umsetzung des Richtlinientextes (Art. 60 Absatz 5) erfolgte jedoch mit einer bedeutsamen Ergänzung, die sich in § 35 Absatz 1 FM-GwG findet, wonach als zusätzliche Bedingung für die Bestrafung einer juristischen Person eingefügt wurde, (wörtlich) dass „eine Pflichtverletzung gemäß § 34 Absatz 1 bis 3“ zu ihren Gunsten von einer Person begangen wurde. Diese einschränkende Wortfolge findet sich im Richtlinientext nicht und wurde vom österreichischen Gesetzgeber eingefügt (vgl. den Wortlaut des Artikel 60 Absatz 5 der Richtlinie oben in Rz. 7). In § 34 Absatz 1 bis 3 FM-GwG ist jedoch die Bestrafung einer natürlichen Person nach dem österreichischen System des § 9 VStG geregelt, die in Artikel 60 Absatz 5 und 6 der Richtlinie nicht enthalten ist; dort ist lediglich vorgesehen, dass eine natürliche Person zu Gunsten der juristischen Person handelt und aufgrund einer bestimmten Befugnis eine Führungsposition innehatte; ferner können auch andere natürliche Personen für die juristische Person Verantwortlichkeit begründen, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen (Artikel 60 Absatz 6 und 5 der Richtlinie). Eine subjektive (verwaltungs)strafrechtliche Zuordnung zu einer identifizierten natürlichen Person ist jedoch gerade nicht vorgesehen.

11. Aus der Wortfolge „eine Pflichtverletzung gemäß § 34 Abs. 1 bis 3“ in § 35 Absatz 1 FM-GwG und dem Verweis auf § 9 Verwaltungsstrafgesetz in § 34 Absatz 1 FM-GwG hat die Judikatur des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs (im Folgenden: VwGH) folgende (zusätzliche) Anforderungen an die Strafbarkeit der juristischen Person nach § 35 FM-GwG abgeleitet. Es wird, wie oben bereits kurz angedeutet, angemerkt, dass diese Judikatur zwar zu § 99d alt Bankwesengesetz entwickelt wurde (diese Bestimmung ist mittlerweile außer Kraft getreten), jedoch weiterhin auch zu § 35 FM-GwG angewendet wird.

12. Beginnend mit VwGH vom 29.03.2019, Ro 2018/02/0023 (vgl. aber auch VwGH 13.12.2019, Ra 2019/02/0184, sowie 13.12.2019, Ro 2019/02/0011, und VwGH 08.09.2022, Ro 2022/02/0017), trägt die ständige Judikatur folgende Überlegungen (wörtliche teilweise Wiedergabe mit Randziffern):

[…] 16 Davon ausgehend stellen sich im Revisionsfall - wegen des unionsrechtlichen Bezugs unter dem Aspekt eines fairen Verfahrens gemäß Art. 47 Absatz 2 GRC, auf den sich auch juristische Personen berufen können (vgl. Jarras, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47 Rz 12) - weitere, auch vom Verwaltungsgericht aufgeworfene Fragen, zumal § 99d BWG - anders als die Verbandsverantwortlichkeit nach dem VbVG - nicht von verfahrensrechtlichen Bestimmungen flankiert ist.

17 Auch findet sich sonst kein besonderes Verfahrensrecht für das Verwaltungsstrafverfahren gegen juristische Personen, weshalb - soweit auf juristische Personen anwendbar - auf das von der FMA bei der Ahndung von Verwaltungsübertretungen heranzuziehende FMBAG sowie das VStG (Art. I Absatz 2 Z 2 EGVG), das wiederum auf Teile des AVG verweist (§ 24 VStG) und das (subsidiär) auch im verwaltungsgerichtlichen Strafverfahren anzuwenden ist (§ 38 VwGVG), zurückzugreifen ist.

18 Den Ausgangspunkt eines Verwaltungsstrafverfahrens bildet § 25 VStG, wonach Verwaltungsübertretungen (mit Ausnahme von Privatanklagesachen) von Amts wegen zu verfolgen sind (Grundsatz der Amtswegigkeit). Die Behörde hat daher grundsätzlich ein Verwaltungsstrafverfahren einzuleiten und eine Strafe zu verhängen.

[…]

21 Blickt man auf die wegen des Unionsrechtsbezugs hier maßgebenden Verfahrensgarantien des Art. 47 GRC, ist es folgerichtig, dass die juristische Person als Beschuldigte nach § 32 VStG anzusehen ist, wenn sie im Verdacht steht, eine Verwaltungsübertretung zu verantworten zu haben und die Behörde gegen sie eine Verfolgungshandlung richtet. Sie ist dann auch Partei im Sinne des AVG.

22 Ist die juristische Person Beschuldigte im Verwaltungsstrafverfahren (§ 32 VStG), hat sie alle mit dieser Parteistellung verbundenen Rechte. So etwa ist dem Beschuldigten rechtliches Gehör einzuräumen (§ 40 VStG), er muss an ihn gestellte Fragen nicht beantworten (§ 33 Absatz 2 VStG). Der Beschuldigte hat Zugang zu einem Gericht (Verwaltungsgericht), das grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen hat (§ 44 VwGVG), in der dem Beschuldigten Frage- und Informationsrechte zustehen, er kann sich auch vertreten lassen (§ 46 VwGVG). Auch ermöglicht der Strafrahmen des § 99d Absatz 3 BWG mangels Untergrenze eine einzelfallgerechte Strafhöhe (zur Verfassungsmäßigkeit von § 99d BWG in Bezug auf die Strafhöhe vgl. VfGH 13.12.2017, G 408/2016-31 ua).

23 Zudem sind auch die Einschränkungen und Ausnahmen vom Amtswegigkeitsprinzip, die sich etwa aus § 25 Absatz 3 VStG (Absehen von der Anzeigeerstattung), aus § 34 VStG (Vorläufiges Absehen von der Einleitung oder Fortführung des Strafverfahrens) oder aus § 45 Absatz 1 VStG (Absehen von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens und Einstellung) ergeben, auf das gegen die juristische Person als Beschuldigte geführte Verfahren zu ihren Gunsten anwendbar, soweit sie nicht ausschließlich auf natürliche Personen zugeschnitten sind.

24 Durch diese der juristischen Person zukommende prozedurale Rechtsstellung wird den an das Recht auf ein faires Verfahren gestellten Anforderungen entsprochen, weshalb die von Art. 47 GRC geforderten Verfahrensgarantien in einem Verfahren nach dem VStG auch für die juristische Person gewährleistet sind (vgl. zu Art. 6 EMRK im Strafverfahren gegen einen Verband nochmals VfGH 2.12.2016, G 497/2015 ua).

25 Die Bestrafung der juristischen Person nach der in Rede stehenden Bestimmung setzt voraus, dass eine ihr zurechenbare natürliche Person (Führungsperson) eine Straftat begangen hat. Der Strafbarkeit der juristischen Person nach § 99d Absatz 1 und 2 BWG liegt dabei der Vorwurf zu Grunde, die dort genannten Führungspersonen hätten gegen die dort angeführten "Verpflichtungen verstoßen" (Absatz 1) oder sie hätten durch mangelnde Kontrolle oder Überwachung eine "Mitarbeitertat" ermöglicht (Absatz 2).

26 Die in § 99d BWG verwiesenen Verbots- und Gebotsnormen richten sich entweder direkt an die juristische Person (§ 98 Absatz 1 BWG) oder an den Verantwortlichen gemäß § 9 VStG (§ 98 Absatz 2, Absatz 5, Absatz 5a und § 99 Absatz 1 BWG).

27 Der verfassungsrechtlich geforderte Zusammenhang für die Zurechnung der Anlasstat zur juristischen Person kommt dadurch zum Ausdruck, dass einerseits eine Führungsperson entweder die Tat selbst begangen hat (Absatz 1) oder die Begehung der Tat eines Mitarbeiters durch mangelnde Überwachung und Kontrolle ermöglicht wurde (Absatz 2), andererseits Verbandspflichten verletzt wurden (§ 98 Absatz 1 BWG) bzw. der Verband einen Nutzen aus der Tat zieht (§ 99d Absatz 3 leg.cit.) (vgl. zu § 3 VbVG neuerlich VfGH 2.12.2016, G 497/2015 ua).

28 Wegen eines Verstoßes gegen eine verwaltungsstrafrechtlich sanktionierte Verpflichtung kann bestraft werden, wer den entsprechenden Tatbestand rechtswidrig und schuldhaft (§ 5 VStG) verwirklicht; im konkreten Fall einen oder mehrere Tatbestände des § 98 Absatz 1, Absatz 2 Z 7 und 11, Absatz 5, Absatz 5a oder § 99 Absatz 1 Z 3 oder 4 BWG.

29 Da die juristische Person nicht selbst handeln kann, ist ihre Strafbarkeit gemäß § 99d BWG eine Folge des tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens einer Führungsperson. Demgemäß ist für die Wirksamkeit der gegen die juristische Person gerichteten Verfolgungshandlung die genaue Umschreibung der Tathandlung der natürlichen Person vonnöten. Eine Verfolgungshandlung im Sinne der §§ 31 und 32 VStG muss nämlich eine bestimmte Verwaltungsübertretung zum Gegenstand haben, was erfordert, dass sie sich auf alle der späteren Bestrafung zugrunde liegenden Sachverhaltselemente beziehen muss (VwGH 8.3.2017, Ra 2016/02/0226, mwN). Richtet sich ein so erhobener Vorwurf gegen die juristische Person, so ist - wegen der Abhängigkeit der Strafbarkeit der juristischen Person von der Übertretung der ihr zurechenbaren natürlichen Person – [Anm: Hervorhebung durch den Verfasser] darin auch der Vorwurf gegen die darin genannte natürliche Person enthalten.

30 Wird aber einer namentlich genannten oder aus der sonstigen Umschreibung eindeutig nach individuellen Kriterien bestimmten (vgl. Lewisch/Fister/Weilguni, Verwaltungsgstrafgesetz2, Rn 13 zu § 32) Führungsperson in einer Verfolgungshandlung gegen die juristische Person eine der genannten Straftaten vorgeworfen und kommt die Führungsperson für eine Bestrafung in Betracht, was aufgrund der in § 99d BWG verwiesenen Bestimmungen (nur) auf die Verantwortlichen gemäß § 9 VStG zutrifft, steht der Verantwortliche gemäß § 9 VStG im Verdacht dieser Verwaltungsübertretung, weshalb er ab diesem Zeitpunkt gemäß § 32 Absatz 1 VStG Beschuldigter ist, zumal die Amtshandlung nicht an den Verdächtigen adressiert sein muss (vgl. aaO, Rn 15). Neben der besonderen Stellung im Verwaltungsstrafverfahren als Partei ist dieser Umstand auch für die Verfolgungsverjährung sowohl hinsichtlich der juristischen als auch der natürlichen Person von Bedeutung (§ 31 Absatz 1 VStG).

31 Bei dieser Gelegenheit ist festzuhalten, dass es - sei es für die Verfolgungshandlung, sei es für die Bestrafung - für die Bestimmtheit der verfolgten Person, soweit sie im Spruch nicht ohnehin namentlich genannt wird, nicht ausreicht, wenn auf der Erledigung nicht beigeschlossene Urkunden (wie im vorliegenden Straferkenntnis auf das "Firmenbuch") verwiesen wird; wie oben gezeigt wurde, genügt die bloße Bestimmbarkeit der Person nicht [Anm: Hervorhebung durch den Verfasser].

32 Die Stellung als Beschuldigter hat für den Verantwortlichen zur Folge, dass er nicht nur in einem allenfalls gegen ihn geführten Verfahren als Beschuldigter zu behandeln ist, sondern auch im Verfahren gegen die juristische Person, andernfalls seine Parteirechte nicht gewährleistet wären.

33 Mit Blick auf die eingangs wiedergegebene Zulässigkeitsfrage bedeutet dies, dass das Verfahren gegen die natürliche Person nicht vorrangig zu führen und zu beenden ist sowie keinen Schuldspruch gegen diese erfordert, um auch die juristische Person bestrafen zu dürfen. Für eine Bestrafung der juristischen Person ist vielmehr entscheidend, dass die zur Beurteilung eines tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens, das auch allfälligen zusätzlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit genügt, erforderlichen Feststellungen getroffen und im Spruch alle notwendigen Elemente für eine Bestrafung der natürlichen Person aufgenommen werden (§ 44a VStG), mit dem Zusatz, dass das Verhalten der natürlichen Person der juristischen Person zugerechnet werde. [Anm: Hervorhebung durch den Verfasser]. Es kommt nicht darauf an, ob und gegebenenfalls gegen welche natürliche Person - ebenfalls - ein Verwaltungsstrafverfahren geführt wird oder wurde.

34 Im Ausgangsverfahren hat sich die FMA im Straferkenntnis vom 13. September 2016 auf die Bestimmungen des § 98 Absatz 5a Z 3 BWG iVm § 99d BWG gestützt, die das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis auch wiedergegeben hat. Aus der weiteren Begründung des angefochtenen Erkenntnisses ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht (wegen der geringeren Strafdrohung in § 35 Absatz 3 FM-GwG offenbar gestützt auf einen Günstigkeitsvergleich) die von ihm vertretene Rechtsmeinung auch auf die seit 1. Jänner 2017 in Geltung befindlichen Bestimmungen der §§ 34 und 35 Finanzmarkt-Geldwäschegesetz (FM-GwG), die die entsprechenden Bestimmungen im BWG ablösten, übertragen wollte.

36 Dazu heißt es in den Erläuterungen zur Stammfassung BGBl. I Nr. 118/2016 auszugsweise (RV 1335 BlgNR 25. GP, 22):

„Zu § 34:

Absatz 1 entspricht im Wesentlichen § 99 Absatz 2 BWG bzw. § 322 VAG 2016 und soll wie bisher die Verletzung aller im Zusammenhang mit den Bestimmungen zur Verhinderung der Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung relevanten Pflichten sanktionieren....

Zu § 35:

Mit Absatz 1 und 2 wird Art. 59 in Verbindung mit Art. 60 Absatz 5 und 6 der Richtlinie (EU) 2015/849 umgesetzt. Gemäß dem Erwägungsgrund 59 sind im nationalen Recht wirksame, verhältnismäßige und abschreckende verwaltungsrechtliche Sanktionen und Maßnahmen vorzusehen. Ein wesentliches Element hiefür ist die direkte Verantwortlichkeit und Sanktionierung von juristischen Personen zusätzlich zu den verantwortlichen natürlichen Personen (§ 9 VStG). Die Strafmöglichkeit ist dann gegeben, wenn Personen, die bestimmte ‚Schlüsselfunktionen‘ bei juristischen Personen ausüben, gegen gesetzliche Verpflichtungen dieses Gesetzes verstoßen, die sich an juristische Personen als Normadressaten richten. ...“

[…]

38 In den Erläuterungen (RV 1661 BlgNR 25. GP S. 54) heißt es dazu:

„In § 99d Absatz 5 BWG wurde der FMA die Möglichkeit eingeräumt, von einer Verfolgung des Verantwortlichen gemäß § 9 VStG abzusehen, wenn für denselben Verstoß bereits gegen die juristische Person eine Strafe verhängt worden ist und keine besonderen Umstände gegen ein Absehen sprechen (vgl. ErlRV 2438 BlgNR 24. GP). Entsprechende Regelungen wurden in das BörseG, das InvFG 2011, das BaSAG, das SFT-Vollzugsgesetz und das ZvVG übernommen. Die Bestimmung des Absatz 6 Z 2 vereinheitlicht diese Bestimmungen und erweitert den Anwendungsbereich auf alle in § 2 FMABG genannten Materiengesetze. Die unionsrechtlich vorgegebenen, im Vergleich zum sonstigen Verwaltungsstrafrecht besonders hohen Strafrahmen im Finanzmarktaufsichtsrecht rechtfertigen die Einräumung eines - im Vergleich zu § 45 Absatz 1 Z 4 VStG - erweiterten Ermessensspielraumes, bei nicht bedeutenden Verstößen von der Bestrafung abzusehen. Absatz 6 Z 1 schafft die Voraussetzungen für die Konzentration der Ressourcen auf die Verfolgung bedeutender Verstöße, um die unionsrechtlich geforderte Verhängung von wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen rasch und konsequent umzusetzen. Die Regelung dient somit auch der Verwaltungsökonomie und dem öffentlichen Interesse an einer möglichst zweckmäßigen, raschen, einfachen und kostensparenden Vollziehung durch die FMA; ein individueller Rechtsanspruch auf ein Absehen von der Bestrafung besteht daher nicht. Der sachliche Anwendungsbereich des Absatz 6 Z 1 wurde so gewählt, dass neben den Verantwortlichen gemäß § 9 VStG alle natürlichen und juristischen Personen, die Adressaten des Aufsichtsrechts sind, erfasst werden."

39 […] Demnach ist bei der Bestrafung von juristischen Personen auch im Geltungsbereich von § 35 FM-GwG, ergänzt durch § 22 Absatz 6 Z 2 FMABG, ebenso vorzugehen, wie dies oben im Verfahren gemäß § 99d BWG vorgezeichnet wurde.

13. Für das Bundesverwaltungsgericht ergeben sich Zweifel an der Zulässigkeit der oben beschriebenen Bedingungen für die Strafbarkeit der juristischen Person (nach § 35 Absatz 1 und 2 FM-GwG), wenn zusätzlich zu Artikel 60 Absatz 5 der 4. Geldwäsche-Richtlinie die oben beschriebenen bzw. wörtlich wiedergegebenen Kriterien für eine Strafbarkeit der juristischen Person gefordert werden. Es erscheint dem vorlegenden Verwaltungsgericht zweifelhaft, ob das nach „§ 34 Abs. 1 bis 3“ vorgesehene Verfahren (für die Strafbarkeit der natürlichen Person) nicht die (materielle) Bestimmung des Artikel 60 Absatz 5 der 4. Geldwäsche-Richtlinie so stark einschränkt, dass eine zusätzliche – und unional nicht vorgesehene – Schwelle eingeführt wird. Deutlich wird das in der oben im Zitat der VwGH-Judikatur (Rz 23) wiedergegebenen Wortfolge „wegen der Abhängigkeit der Strafbarkeit der juristischen Person von der Übertretung der ihr zurechenbaren natürlichen Person“, auch wenn kein eigenes, vorhergehendes Verwaltungsstrafverfahren vom VwGH gefordert wird. Eine solche „Abhängigkeit“ ist nach Ansicht des vorlegenden Gerichts im Richtlinientext (Artikel 60 Absatz 5 und 6) weit weniger eng geregelt („die zu ihren Gunsten von einer Person begangen wurde, die allein oder als Teil eines Organs …“) und führt auch zu einem anderen Ergebnis; vgl. in diesem Kontext nochmals die mehrfache Bedingung nach innerstaatlicher (österreichischer) Lesart:

i) Parteistellung der natürlichen Person als Beschuldigte mit allen Parteirechten (z.B. Entschlagungsrecht);

ii) Feststellung der tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verantwortlichkeit der identifizierten natürlichen Person sowie

iii) doppeltes Erfordernis für den Spruch (Tenor) des Straferkenntnisses der juristischen Person.

Die vom vorlegenden Verwaltungsgericht gehegten Bedenken geschehen vor allem vor dem Hintergrund, dass die mit der 4. Geldwäsche-Richtlinie vorgesehenen verwaltungsrechtlichen „Sanktionen oder Maßnahmen […] wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein“ sollen (vgl. Erwägungsgrund 59 und Artikel 58 Absatz 1 der Richtlinie). Dem steht auch entgegen, dass sich die Verfahren als durchaus komplex und die zugrundeliegenden Begebenheiten oftmals als intransparent und damit der Behörde nicht bekannt erweisen, jedoch dennoch selbst das Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht binnen einer Frist von fünf Jahren ab Tatbegehung abgeschlossen sein muss, andernfalls ex lege Verjährung eintritt.

14. Nach Ansicht des vorlegenden Bundesverwaltungsgerichts ist die in Artikel 60 Absatz 5 und 6 der 4. Geldwäsche-Richtlinie vorgesehenen Strafbarkeit (verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit) eine eigenständige unionsrechtliche Regelung. Die österreichische Regelung des § 35 Absatz 1 FM-GwG (und deren Judikatur) wie auch § 36 FM-GwG ist nicht bloß eine (innerstaatliche und unbedenkliche) verfahrensrechtliche Ausgestaltung, sondern begründet in Wahrheit zusätzliche Anforderungen an die Strafbarkeit der juristischen Person nach dem FM-GwG, die das materielle Unionsrecht einschränken und zu einer Beeinträchtigung der Einheitlichkeit innerhalb der Union bei der Anwendung dieser Bestimmung und zu einer Verletzung des Effektivitätsgrundsatzes führen. Die Wahrung des Vorrangs des Unionsrechts bedeutet, dass es so weit wie möglich anhand des Wortlautes und des Zwecks der umgesetzten Richtlinie auszulegen ist (vgl. Urteil vom 24. Jänner 2012, Dominguez, C-282/10, Rn24).

15. Zusätzlich zu den oben beschriebenen Bedenken, die gegen die innerstaatliche Regelung des § 35 Absatz 1 bis 3 sowie § 36 FM-GWG sprechen, wird die rezente Judikatur des Europäischen Gerichtshofes zu einer ähnlichen Rechtsfigur der Strafbarkeit der juristischen Person im unionalen Datenschutzrecht angeführt. Im Urteil des Gerichtshofes vom 05. Dezember 2023 (Rechtssache C-870/21, Deutsches Wohnen, Rn 77) wurde festgehalten (unter Verweis auf die Judikatur zum Unionskartellrecht), dass es „keine Handlung und nicht einmal eine Kenntnis seitens des Leitungsorgans dieser juristischen Person voraussetzt“, um die juristische Person zur Verantwortung zu ziehen. Weiters hat der Gerichtshof im Tenor festgehalten, dass Artikel 58 Absatz 2 und Artikel 83 Absatz 1 bis 6 der Verordnung (EU) 2016/679 (DSGVO) dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach eine Geldbuße wegen eines in Artikel 83 Absatz 4 bis 6 DSGVO genannten Verstoßes gegen eine juristische Person in ihrer Eigenschaft als Verantwortliche nur dann verhängt werden kann, wenn dieser Verstoß zuvor einer identifizierten natürlichen Person zugerechnet wurde (vgl. dazu die sehr rezente Judikatur des VwGH vom 01.02.2024, Ra 2020(04/187).

16. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts könnte die Judikatur des Gerichtshofes in der Rechtssache C-870/21 auf Artikel 60 Absatz 5 und 6 der 4. Geldwäsche-Richtlinie übertragbar sein, wobei die Rechtsnatur der DSGVO nicht verkannt wird.

17. Aus allen diesen Gründen hegt das Bundesverwaltungsgericht Zweifel an der Vereinbarkeit von § 35 Absatz 1 bis 3 und § 36 FM-GwG (und ihrer Auslegung durch das nationale Höchstgericht) mit dem Unionsrecht (Art. 60 Absatz 5 und 6 der 4. Geldwäsche-Richtlinie) und legt diese Frage dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vor.

Aussetzung

18. Die Einreichung eines Vorabentscheidungsersuchens beim Gerichtshof der Europäischen Union führt dazu, dass das nationale Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofes ausgesetzt wird, ohne dass es eines diesbezüglichen ausdrücklichen Rechtsaktes (Beschlusses) bedarf; eine gesonderte förmliche Unterbrechung ist nicht vorgesehen (vgl. Thienel/Zeleny, Verwaltungsverfahren2, § 38a AVG, Anm 2).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

19. Die Revision ist gemäß Art. 133 Absatz 9 B-VG in Verbindung mit § 25a Absatz 3 VwGG nicht zulässig. Es gibt keine gesonderte Anfechtbarkeit des bloß verfahrensleitenden Beschlusses. Der Vorlagebeschluss im betroffenen Ausgangsverfahren unterscheidet sich insofern von Aussetzungsbeschlüssen in Parallelverfahren. Siehe zur mangelnden Anfechtbarkeit von Vorlagebeschlüssen und Normenanfechtungen im Übrigen auch OGH 09.12.1996, 16 Ok 9/96; 03.05.2012, 10 ObS 67/12v [=RZ 2012, 279].

Rechtssätze
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