JudikaturBvwgI417 2290481-1

I417 2290481-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
24. April 2024

Spruch

I417 2290481-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Friedrich Johannes ZANIER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Marokko, vertreten durch die BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.03.2024, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Marokkos, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 21.11.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er mit wirtschaftlichen Motiven begründete.

2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 16.12.2022, Zl. XXXX , wurde sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Marokko abgewiesen, dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig ist. Darüber hinaus wurde ihm keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt, einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt und gegen ihn ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Mangels Erhebung eines Rechtsmittels erwuchs diese Entscheidung in Rechtskraft.

3. Der Beschwerdeführer reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt weiter in die Schweiz, wo er am 28.09.2023 einen weiteren Asylantrag stellte. Die Schweiz richtete am 13.10.2023 ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art 18 Abs. 1 lit b der Dublin III-VO an Österreich, welches zunächst am 17.10.2023 abgelehnt wurde, wobei am 31.10.2023 eine Remonstration gegen die Ablehnung erfolgte. Die Zustimmung zur Rückübernahme erfolgte am 04.11.2023, woraufhin der Beschwerdeführer am 15.02.2024 nach Österreich rücküberstellt wurde.

4. Am 15.02.2024 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Zu den Gründen seiner neuerlichen Antragstellung gab der Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag an, dass seine früheren Fluchtgründe nach wie vor aufrecht seien. Im Falle seiner Rückkehr nach Marokko fürchte er Armut und Arbeitslosigkeit.

5. Mit Verfahrensanordnung der belangten Behörde gemäß § 29 Abs. 3 und § 15a AsylG datiert mit 21.02.2024 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

6. Am 27.03.2024 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde statt und gab der Beschwerdeführer befragt zu den Gründen für seine neuerliche Asylantragstellung zu Protokoll, dass er nach wie vor wirtschaftliche Gründe habe und Armut und Arbeitslosigkeit fürchte. Er wolle in Österreich arbeiten.

7. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 27.03.2024 wies die belangte Behörde den Folgeantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück und wurde ihm keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.).

8. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seiner ausgewiesenen Rechtsvertretung vom 15.04.2024 das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den Beschwerdeführer günstigerer Bescheid erzielt worden wäre.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und zu den Anträgen auf internationalen Schutz:

Der volljährige Beschwerdeführer ist marokkanischer Staatsbürger, leidet an keinen derartigen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen, die einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen und ist arbeitsfähig. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer reiste im November 2022 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte insgesamt zwei Anträge auf internationalen Schutz, wobei gegen ihn aufgrund der Erlassung eines Bescheids der belangten Behörde vom 16.12.2022 eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot besteht.

Er verfügte zu keinem Zeitpunkt über einen regulären österreichischen Aufenthaltstitel und war nur während der Dauer seiner Asylverfahren zum Aufenthalt in Österreich berechtigt.

Zwischen rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens mit Bescheid der belangten Behörde vom 16.12.2022 und der Zurückweisung des gegenständlichen Folgeantrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache mit Bescheid vom 27.03.2024 ist keine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten, welche geeignet wäre, einen neuen Grund für die Gewährung von Asyl oder subsidiären Schutz darzustellen.

Im verfahrensgegenständlichen Folgeverfahren wurden vom Beschwerdeführer keine neuen Fluchtgründe vorgebracht, die zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, und brachte er keine neuen Beweismittel mit wesentlicher Bedeutung betreffend seine Ausreisegründe aus seinem Herkunftsstaat in das Verfahren ein.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Bei Marokko handelt es sich um einen sicheren Herkunftsstaat nach § 1 Z 9 der Herkunftsstaaten-Verordnung. Fallbezogen werden nachstehende Passagen aus dem aktuellen „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Marokko hervorgehoben:

Sicherheitslage:

Marokko kann grundsätzlich als stabiles Land betrachtet werden (EDA 9.5.2023). Das französische Außenministerium rät bis auf einige Regionen zu normaler Aufmerksamkeit im Land. In den Grenzregionen zu Algerien wird zu erhöhter Aufmerksamkeit geraten (FD 6.6.2023). Die Grenze zu Algerien ist seit 1994 geschlossen (AA 8.6.2023; vgl. BMEIA 5.6.2023). Für die Grenzregionen zu Mauretanien in der Westsahara besteht eine Reisewarnung (AA 8.6.2023; vgl. FD 6.6.2023, BMEIA 5.6.2023); zudem besteht eine Bedrohung durch Minen und nicht-detonierte Kampfmittel (AA 8.6.2023; vgl. BMEIA 5.6.2023). Die Grenzregion zu Mauretanien ist zum Großteil vermint. Der einzig offene Grenzübergang nach Mauretanien Guerguarat/ Nouadhibou (Grenzposten PK 55) führt über eine Sandpiste durch vermintes Gebiet. Die Durchfahrt des Bereichs zwischen den beiden Grenzposten wird immer wieder durch wegelagernde Personen erschwert (Anhaltungen, Geldforderungen). Weder die marokkanischen noch mauretanischen Behörden verfügen dort über Exekutivrechte. Aufgrund der Aktivitäten durch die Terrororganisation Al Qaida in der benachbarten Sahelregion und in Westafrika besteht auch in Marokko ein gewisses Risiko (BMEIA 5.6.2023).

In der Region Tanger-Tetouan-Al Hoceima – vor allem im Rif-Gebirge – herrscht aufgrund sozialer Konflikte eine angespanntere Situation als im Rest des Landes. Die Kriminalitätsrate ist infolge des Rauschgifthandels sehr hoch. Es besteht ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (BMEIA 5.6.2023; vgl. AA 8.6.2023).

Marokko kann als sicheres Land angesehen werden, nicht nur in Bezug auf Terrorismus. Ausnahme bildet nur die Westsahara, wo es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen marokkanischen Truppen und der POLISARIO (Frente Popular para la Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro - Volksfront zur Befreiung von Saguía el Hamra und Río de Oro) kommt. Der letzte größere Terroranschlag fand im Jahr 2011 statt. 2018 gab es bei Morden mit mutmaßlich terroristischem Hintergrund zwei, im Jänner 2022 ein weiteres Todesopfer und einen Verletzten, im Dezember 2022 nochmals einen Toten. Die Bedrohung durch den Extremismus ist jedenfalls gegeben; es ist vor allem der Effektivität der Exekutive im Bereich der Terrorismusbekämpfung zu danken, dass terroristische Gruppen kaum aktiv werden können. Die Behörden, hier vor allem das Bureau central d‘investigation judiciaire (BCIJ), sind effektiv beim Erkennen und Verhindern potenzieller terroristischer Bedrohungen durch rechtzeitiges Ausheben von Terrorzellen. Es kommt zu zahlreichen Verhaftungen von Terrorverdächtigen. Im Jahresvergleich 2021 zu 2022 kann eine weitere Verbesserung festgestellt werden, trotz kleinerer Vorfälle – dies zeigt auch die Auswertung des Global Terrorism Index der entsprechenden Jahre (STDOK 11.4.2023).

Demonstrationen und Protestaktionen sind jederzeit im ganzen Land möglich. Vereinzelte gewalttätige Auseinandersetzungen können dabei nicht ausgeschlossen werden (EDA 9.5.2023; vgl. BMEIA 5.6.2023). In den größeren Städten ist fallweise mit Demonstrationen und Ausschreitungen zu rechnen (BMEIA 5.6.2023; vgl. AA 8.6.2023). Proteste entzünden sich meist an wirtschaftlichen und sozialen Missständen (AA 8.6.2023). Es kann zu Taschendiebstählen und Raubüberfällen kommen (BMEIA 5.6.2023).

Partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für Reisen in das Landesinnere des völkerrechtlich umstrittenen Territoriums der Westsahara und in entlegene Saharazonen Südmarokkos. Insbesondere vor der unmittelbaren Grenzregion zu Algerien, wird gewarnt (BMEIA 5.6.2023; vgl. AA 8.6.2023). Von Reisen in das Gebiet der Westsahara wird dringend abgeraten (AA 28.6.2023; vgl. EDA 9.5.2023). Das völkerrechtlich umstrittene Gebiet der Westsahara erstreckt sich südlich der marokkanischen Stadt Tarfaya bis zur mauretanischen Grenze. Es wird sowohl von Marokko als auch von der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario beansprucht. Die United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara MINURSO überwacht den Waffenstillstand zwischen den beiden Parteien. Auf beiden Seiten der Demarkationslinie (Sandwall) sind diverse Minenfelder vorhanden. Seit November 2020 haben die Spannungen in der Westsahara zugenommen. In El Guerguerat an der Grenze zu Mauretanien und entlang der Demarkationslinie ist es wiederholt zu Scharmützeln zwischen marokkanischen Truppen und Einheiten der Frente Polisario gekommen, die manchmal zivile Opfer fordern. Mit weiteren Ereignissen dieser Art muss gerechnet werden (EDA 9.5.2023).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (8.6.2023): Marokko: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/marokkosicherheit/224080, Zugriff 8.8.2023

- BMEIA - Bundesministerium Europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (5.6.2023): Reiseinformation Marokko (Königreich Marokko), https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/marokko/, Zugriff 8.8.2023

- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelenheiten [Schweiz] (9.5.2023): Reisehinweise für Marokko, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/marokko/reisehinweise-fuermarokko.html#eda0aa0c9, Zugriff 8.8.2023

- FD - France Diplomatie [Frankreich] (6.6.2023): Maroc, Entrée/Séjour, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/maroc/#securite, Zugriff 8.8.2023

- STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (11.4.2023): Themenbericht intern: Nordafrika - Terrorismus in Ägypten, Libyen, Marokko und Tunesien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

Rechtsschutz / Justizwesen:

Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, aber die Regierung respektierte die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz nicht immer (USDOS 20.3.2023). In der Praxis unterliegt die Justiz jedoch weiterhin dem Einfluss der Exekutive und ist an die Interessen der Monarchie gebunden (BS 23.2.2022; vgl. FH 2023); zudem wird diese Unabhängigkeit durch Korruption (USDOS 20.3.2023; vgl. AA 22.11.2022, FH 2023) und außergerichtliche Einflüsse unterlaufen (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 2023). Das Gerichtssystem ist nicht unabhängig vom Monarchen, der dem Obersten Justizrat vorsitzt (FH 2023; vgl. BS 2022). Marokko bekennt sich zu rechtsstaatlichen Grundsätzen, allerdings weist das Justizsystem Schwächen (mangelnde Unabhängigkeit der Richter, ausstehende Modernisierung der Justizverwaltung, bedenkliche Korruptionsanfälligkeit) auf. Die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze wird von staatlichen und nicht staatlichen Einrichtungen überwacht bzw. kritisch beobachtet (AA 22.11.2022).

Durch die Zusammenarbeit mit internationalen Partnerorganisationen (EU, Europarat, EU-Mitgliedstaaten) soll die Justiz effizienter, unabhängiger und weniger korruptionsanfällig gemacht werden. Noch liegt sie allerdings in ihrer Unabhängigkeit und Bindung an Recht und Gesetz hinter den in der Verfassung normierten Ansprüchen (Art. 107ff.) zurück. Mit dem in der Verfassung vorgesehenen und im April 2017 eingesetzten Conseil supérieur du pouvoir judiciaire (Oberster Rat der Rechtssprechenden Gewalt - Oberster Justizrat) wurden Richter- und Staatsanwaltschaft aus dem Verantwortungsbereich des Justizministeriums herausgelöst und verwalten sich nun selbst. Der Rat agiert als unabhängige Behörde. Mit der Herauslösung der Staatsanwaltschaft wurde formal die Unabhängigkeit der Ermittlungsbehörden von der Politik gestärkt. Es gibt jedoch Stimmen, die eine direkte Einflussnahme des Palastes befürchten, da sich Richterschaft und Staatsanwaltschaft nunmehr jeder demokratisch legitimierten Kontrolle entziehen (AA 22.11.2022).

Die Verfassung sieht darüber hinaus eine Reihe von Räten und Kommissionen vor, denen konsultative und überwachende Funktionen zukommt (der Oberste Justizrat, Gleichstellungsrat, Hohe Rundfunk-Behörde, Wettbewerbsrat, Nationalstelle für korrekte Verwaltung und Korruptionsbekämpfung, Familien- und Jugendbeirat). Diese Gremien stehen aber teilweise noch vor oder am Beginn der Tätigkeit bzw. muss ihr rechtlicher Unterbau erst geschaffen werden, sodass noch schwer absehbar ist, inwieweit sie für Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung und Achtung der Grundrechte in der Praxis Bedeutung gewinnen (ÖB 8.2021).

Formal besteht Gleichheit vor dem Gesetz. Das extreme Gefälle in Bildung und Einkommen, die materielle Unterentwicklung ländlicher Gebiete und der allgegenwärtige gesellschaftliche Klientelismus behindern allerdings die Umsetzung des Gleichheitsgrundsatzes (AA 22.11.2022). Gesetzlich gilt die Unschuldsvermutung. Der Rechtsweg ist formal sichergestellt. Angeklagte haben das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, auf rechtzeitigen Zugang zu ihrem Anwalt und das Recht, Berufung einzulegen. Das marokkanische Recht sieht Pflichtverteidiger für mittellose Angeklagte vor. Der Zugang zu juristischem Beistand ist in der Praxis noch immer unzulänglich (USDOS 20.3.2023; vgl. AA 22.11.2022). NGOs kritisieren, dass die Beschuldigten zu Geständnissen gedrängt werden (BS 23.2.2022; vgl. AA 22.11.2022). Das Strafprozessrecht erlaubt der Polizei, einen Verdächtigen bis zu 48 Stunden in Gewahrsam (garde à vue) zu nehmen. Der Staatsanwalt kann diese Frist zweimal verlängern. Der Entwurf für ein neues Strafprozessgesetz sieht verbesserten Zugang zu Anwälten bereits im Gewahrsam vor. Das Gesetz wurde noch nicht verabschiedet (AA 22.11.2022).

Berichten zufolge werden Untersuchungshäftlinge in der Praxis länger als ein Jahr festgehalten, und das Gesetz enthält keine Bestimmungen, die es Untersuchungshäftlingen erlauben, ihre Inhaftierung vor Gericht anzufechten. Einige Verdächtige, insbesondere diejenigen, die des Terrorismus beschuldigt werden, werden tage- oder wochenlang in geheimer Haft gehalten, bevor eine formelle Anklage erhoben wird (FH 2023). Zudem wird Angeklagten nach ihrer Verhaftung der sofortige Zugang zu Anwälten verwehrt, und Verteidiger stoßen beim Zugang bei der Vorlage von Prozessbeweisen auf Hindernisse (BS 23.2.2022). Nach der Strafprozessordnung hat ein Angeklagter das Recht, nach 24 Stunden Polizeigewahrsam einen Anwalt zu kontaktieren, was auf 36 Stunden verlängert werden kann. Häftlinge haben jedoch nicht das Recht, einen Anwalt hinzuzuziehen, wenn die Polizei sie verhört oder ihnen ihre Aussagen zur Unterschrift vorlegt. Die Polizei wendet seit vielen Jahren Zwangstaktiken an, um Häftlinge unter Druck zu setzen, selbstbelastende Erklärungen zu unterschreiben, die Richter für Verurteilungen verwendet haben (HRW 12.1.2023).

Im Bereich der Strafzumessung wird häufig kritisiert, dass bestehende Möglichkeiten zur Vermeidung von Haft bei minder schweren Delikten (z. B. Geldstrafen, Sozialstunden) nicht genutzt und Beschuldigte zu Geständnissen gedrängt werden. König Mohammed VI. ordnet zu religiösen und staatlichen Anlässen regelmäßig Amnestien und den Erlass von Reststrafen an. Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden erstmals auch Hirak-Aktivisten berücksichtigt. 2021 wurden 17 Hirak-Häftlinge begnadigt. Im Jahr 2022 wurden bisher knapp 3.000 Häftlinge begnadigt, darunter auch einige Hirak-Häftlinge (AA 22.11.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

- BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 – Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf, Zugriff 8.8.2023

- FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023

- HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/en/document/2085478.html, Zugriff 11.4.2023

- ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 8.8.2023

- USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023

Sicherheitsbehörden:

Der Sicherheitsapparat verfügt über einige Polizei- und paramilitärische Organisationen, deren Zuständigkeitsbereiche sich teilweise überlappen. Die DGSN „Direction Générale de la Sûreté Nationale“ (Nationalpolizei) ist für die Umsetzung der Gesetze zuständig und untersteht dem Innenministerium. Bei den Forces Auxiliaires handelt es sich um paramilitärische Hilfskräfte, die dem Innenministerium unterstellt sind und die Arbeit der regulären Sicherheitskräfte unterstützen. Die Gendarmerie Royale ist zuständig für die Sicherheit in ländlichen Gegenden und patrouilliert auf Nationalstraßen. Sie untersteht dem Verteidigungsministerium (USDOS 20.3.2023; vgl. AA 22.11.2022, ÖB 8.2021). Es gibt zwei Nachrichtendienste: den Auslandsdienst DGED (Direction Générale des Etudes et de Documentation) und den Inlandsdienst DGST (Direction Générale de la Surveillance du Territoire). Im April 2015 wurde zusätzlich das Bureau Central d'Investigations Judiciaires (BCIJ) geschaffen. Es untersteht dem Inlandsdienst DGST (AA 22.11.2022; vgl. ÖB 8.2021).

Das BCIJ hat originäre Zuständigkeiten und Ermittlungskompetenzen im Bereich von Staatsschutzdelikten sowie Rauschgift- und Finanzdelikten im Rahmen von Verfahren der Organisierten Kriminalität (AA 22.11.2022; vgl. ÖB 8.2021) sowie Entführungen. Damit wurde die Schlagkraft des Polizeiapparats gestärkt, diese spezialisierte Polizeitruppe ist besser ausgebildet und besser ausgerüstet. Seit der Gründung des BCIJ im Jahr 2015 wurden 84 Terrorzellen ausgehoben (ÖB 8.2021).

Auch wenn Angehörige der Sicherheitskräfte einige Übergriffe begingen, ist die zivile Kontrolle über die Sicherheitskräfte gemäß USDOS wirksam (USDOS 12.4.2022), gemäß Auswärtigem Amt hingegen sind die Sicherheitskräfte weitgehend der zivilen Kontrolle durch Parlament und Öffentlichkeit entzogen (AA 24.11.2021). [Anm.: Das Auswärtige Amt bezieht sich hier wohl auf die weitgehende Kontrolle der Sicherheitskräfte durch den König und sein Umfeld.] Typisch für das marokkanische politische System ist, dass die Weisungskette der Polizeidienste an der Regierung vorbei unmittelbar zur Staatsspitze führt (ÖB 8.2021).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

- ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023

- USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023

Folter und unmenschliche Behandlung:

Die als Reaktion auf den sogenannten Arabischen Frühling reformierte Verfassung von 2011 enthält einen umfangreichen Katalog an Grund- und Menschenrechten (AA 22.11.2022) und verbietet Folter und unmenschliche Behandlung oder Bestrafung. Folter ist gemäß Verfassung unter Strafe gestellt (USDOS 20.3.2023; vgl. AA 22.11.2022, BS 23.2.2022). Marokko ist Vertragsstaat der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen und hat auch das Zusatzprotokoll unterzeichnet. Der CNDH (Conseil National des Droits de l'Homme / Nationaler Menschenrechtsrat) soll künftig die Rolle des Nationalen Präventionsmechanismus gegen Folter einnehmen (CNDH o.D.). Die Präsidentin des CNDH (A. Bouayash) hat nach ihrem Amtsantritt im Sommer 2019 Foltervorwürfe gegen politische Gefangene zurückgewiesen. Ein Einsatz von systematischer, staatlich angeordneter Folter wird auch von NGOs nicht bestätigt, Fehlverhalten einzelner Personen und mangelnde Ahndung in Fällen von nicht gesetzeskonformer Gewaltanwendung gegenüber Inhaftierten durch Sicherheitskräfte werden indes sehr wohl – dies auch regelmäßig in den Medien – thematisiert. Die Regierung lehnt den Einsatz von Folter ab und bemüht sich um aktive Prävention (AA 22.11.2022).

Wenn auch eine systematische Anwendung von Folter und anderen erniedrigenden Behandlungsweisen nicht anzunehmen ist (ÖB 8.2021; vgl. AA 22.11.2022), werden Folter und folterähnliche Methoden punktuell praktiziert (ÖB 8.2021). Es gibt Berichte, dass Folter oder exzessive Polizeigewalt vorkommen, einschließlich langer und unbestimmter Einzelhaft (AI 27.3.2023; vgl. FH 2023). Folter und erniedrigende Behandlung durch die marokkanischen Behörden stellen ein Problem dar, insbesondere gegenüber Befürwortern der Unabhängigkeit (FH 13.4.2023). Ferner kam es zu Folter und andere Misshandlungen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gefängnisse ungestraft fortgesetzt, insbesondere gegenüber saharauischen Aktivisten (AI 27.3.2023; vgl. FH 13.4.2023). Im Mai 2022 entkam die prominente sahrauische Aktivistin Sultana Khaya dem Hausarrest und reiste nach Spanien, um sich wegen der Folter, die sie seit ihrem Hausarrest im Jahr 2020 bei verschiedenen Polizeiübergriffen erlitten hatte, medizinisch behandeln zu lassen. Es gab keine Ermittlungen zu den Vergewaltigungen und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen gegen sie und ihre Familie (AI 27.3.2023).

Für die Unabhängigkeit der Westsahara eintretende NGOs werfen den Behörden unverhältnismäßigen Gewalteinsatz, Folter und auch willkürliche Verhaftungen und Hausdurchsuchungen vor (AA 22.11.2022). Die Behörden wandten bei mindestens zwei Gelegenheiten exzessive Gewalt an, um friedliche Proteste aufzulösen, darunter Proteste für bessere Arbeitsbedingungen für Lehrer und Proteste für die Rechte der Saharauis, und nahmen einige Teilnehmer fest. Noch gewaltsamer wurden Proteste sahrauischer Aktivisten in der Westsahara unterdrückt. Im April schlugen und traten Polizisten einen Studentenjournalisten bewusstlos. Ferner gingen Polizei und Sicherheitskräfte im März und April mit körperlicher, verbaler und sexueller Gewalt gegen zwölf saharauische Aktivistinnen vor. Zu den angeblichen Übergriffen wurden keine Ermittlungen durchgeführt (AI 27.3.2023).

Inhaftierte Islamisten werfen dem Sicherheitsapparat und insbesondere dem Inlandsgeheimdienst DGST vor, Methoden anzuwenden, die rechtsstaatlichen Maßstäben nicht immer genügen (z. B. lange U-Haft unter schlechten Bedingungen, kein Anwaltszugang, Folter) (AA 22.11.2022).

Diese Umstände werden von Menschenrechts-NGOs und von unabhängigen Beobachtern wiederholt angeprangert, wie insbesondere von der CNDH, vom UN-Sonderbeauftragten für Folter Juan Mendez, von der Arbeitsgruppe über willkürliche Verhaftungen, und von der früheren UN-HCHR Navi Pillay. Der seinerzeitige Justizminister Ramid hat die Staatsanwälte aufgerufen, Hinweisen und Anzeigen auf Folter rigoros nachzugehen, gleichzeitig aber auch auf den Verleumdungstatbestand hingewiesen, falls sich Anschuldigungen als haltlos erweisen (ÖB 8.2021).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

- AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Morocco And Western Sahara 2022, https://www.ecoi.net/en/document/2089568.html, Zugriff 11.4.2023

- CNDH - Conseil National des Droits de l'Homme [Marokko] (o.D.): CNDH mandate for the protection of human rights, https://www.cndh.org.ma/an/presentation/cndhs-mandate-area-human-rights-protection, Zugriff 27.7.2023

- FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023

- FH - Freedom House (13.4.2023): Freedom in the World 2023 - Western Sahara*, https://www.ecoi.net/de/dokument/2090199.html, Zugriff 17.4.2023

- ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023

- USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023

Allgemeine Menschenrechtslage:

Der Grundrechtskatalog (Kapitel I und II) der Verfassung ist substanziell; wenn man noch die durch internationale Verpflichtungen übernommenen Grundrechte hinzuzählt, kann man von einem recht umfassenden Grundrechtsrechtsbestand ausgehen. Als eines der Kerngrundrechte fehlt die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Verfassung selbst stellt allerdings den Rechtsbestand unter den Vorbehalt der traditionellen „roten Linien“ - Monarchie, islamischer Charakter von Staat und Gesellschaft, territoriale Integrität (i. e. Annexion der Westsahara) - quasi als „Baugesetze“ des Rechtsgebäudes. Der vorhandene Rechtsbestand, der mit der neuen Verfassungslage v.a. in Bereichen wie Familien- und Erbrecht, Medienrecht und Strafrecht teilweise nicht mehr konform ist, gilt weiterhin (ÖB 8.2021). In den Artikeln 19 bis 35 garantiert die Verfassung die universellen Menschenrechte. Im Mai 2017 stellte sich Marokko dem Universellen Staatenüberprüfungsverfahren (UPR) des UN-Menschenrechtsrats. Marokko akzeptierte 191 der 244 Empfehlungen. Die nächste Überprüfung im Rahmen der Universellen Staatenüberprüfung (UPR) erfolgte im November 2022 (AA 22.11.2022).

Systematische staatliche Repressionsmaßnahmen gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sind nicht festzustellen. Gewichtige Ausnahme: wer die Vorrangstellung der Religion des Islam infrage stellt, die Person des Königs antastet oder die Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko anzweifelt (AA 22.11.2022). Nichtregierungsorganisationen, darunter die marokkanische Vereinigung für Menschenrechte (AMDH), Amnesty International und saharauische Organisationen, behaupteten, die Regierung habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen inhaftiert, wobei sie vorgebliche Strafanzeigen wie Spionage oder sexuelle Übergriffe vorbrachte (USDOS 20.3.2023). Marokko verfolgt eine aktive Menschrechtspolitik und konnte in wichtigen Bereichen, u. a. Frauenrechte, deutliche Fortschritte erzielen. NGOs kritisieren jedoch zunehmende Einschränkungen von Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit sowie die strafrechtliche Verfolgung von einzelnen Journalisten (AA 28.6.2023).

Verfassung und Gesetz sehen allgemeine Meinungs- und Pressefreiheit vor. Nach wie vor ist die Medienfreiheit jedoch durch die „roten Linien“ der Staatsräson erheblich eingeschränkt (USDOS 20.3.2023; vgl. AA 22.11.2022).

Unabhängige Medien und Journalisten stehen unter erheblichem Druck, und das Recht auf Information wird von einer mächtigen Propaganda- und Desinformationsmaschine zerstört, die der politischen Agenda derer dient, die den Machthabern nahestehen. Unter Druck gaben die letzten unabhängigen Medien in Marokko, die Tageszeitung Akhbar Al Yawm, ihren Kampf auf, ihre letzte Veröffentlichung datiert vom April 2021. Die Hauptinformationsquelle für die Bevölkerung sind soziale Netzwerke und Online-Seiten (RSF 2023). Zu den wichtigsten Fernseh- und Radioeigentümern gehören die Königsfamilie und andere politisch einflussreiche Unternehmer (ROG 2023; vgl. AA 22.11.2022).

Immer wieder werden Journalisten wegen kritischer Berichte beruflich wie privat von staatlicher Seite unter Druck gesetzt, bis hin zu strafrechtlicher Verfolgung aufgrund anderer Delikte wie Unterschlagung oder Sexualstraftaten, obwohl die Beweise laut HRW teilweise dürftig oder zweifelhaft scheinen (AA 22.11.2022). Die Tendenz zur Selbstzensur ist auch bei unabhängigen Medien stark ausgeprägt und bleibt nach wie vor ernsthafte Hindernisse für die Entwicklung einer freien, unabhängigen und investigativen Presse (USDOS 20.3.2023). Für das Jahr 2023 wurde Marokko auf Platz 144 von 180 gelisteten Staaten runtergestuft (RSF 2023; vgl. ROG 2023). Kritik am König ist in Marokko verboten und wird als „Angriff auf die heiligen Werte der Nation“ mit Gefängnis bestraft. Tabuthemen sind auch politische Proteste, die Westsahara-Politik, Korruption hochrangiger Politiker und inzwischen die Massenmigration nach Europa. Immer wieder werden Journalisten wegen unliebsamer Berichte vor Gericht gebracht und zu Haftstrafen verurteilt oder Korrespondenten ausländischer Medien abgeschoben. Zum Einschüchterungsrepertoire des Staats gehören auch Anzeigenboykotte, Drohungen, untergeschobene Drogendelikte, Rufmord, Überfälle, Einbrüche und seit neuestem Anklagen wegen angeblicher Sexualdelikte. Manche Gerichtsprozesse gegen Medienschaffende werden über Jahre hinweg verschleppt (ROG 2023). Es kommt auch zu Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung, v.a. gegen Blogger, Aktivisten und Studenten (FH 2023; vgl. BS 23.2.2022).

Ferner verurteilt Reporter ohne Grenzen (RSF) die Zustimmung der marokkanischen Regierung zu einem Gesetzesvorschlag, der den Nationalen Presserat, ein Selbstregulierungsorgan, das den marokkanischen Medien eine gewisse Unabhängigkeit verliehen hat, ersetzen soll. Der Nationale Presserat, der gemäß der Verfassung von 2011 als beratendes Gremium unter der Ägide des Kommunikationsministeriums eingerichtet wurde, beendete die direkte staatliche Aufsicht über den Mediensektor, als sein Mandat im Oktober 2022 auslief. Sechs Monate später hat die Regierung von Premierminister Aziz Akhannouch den Gesetzentwurf verabschiedet. Beobachter werten diese unerklärliche Entscheidung als Zeichen eines klaren Willens der Regierung, die Kontrolle über die Medien wiederzuerlangen und jegliche Selbstregulierung zu beenden, da mit diesem Gesetz die Befugnisse des Rates auf ein temporäres Komitee überträgt. Der Gesetzentwurf der Regierung muss noch vom Parlament verabschiedet werden, allerdings ist noch nicht bekannt, wann das Parlament den Entwurf prüfen wird (RSF 14.4.2023).

Am 21.11.2022 wurde der Präsident der Anwaltskammer von Rabat und ehemaliger Minister für Menschenrechte, Mohamed Ziane, in seiner Kanzlei ohne richterlichen Beschluss festgenommen, nachdem 20 Sicherheitsbeamten sein Büro gestürmt hatten. Ziane war bereits vier Jahre lang Zielscheibe einer groß angelegten Diffamierungskampagne, die von staatlich gelenkten Online-Medien in einer konzertierten Aktion betrieben wurde, um sein Ansehen zu diskreditieren. Weiters wirft Ziane dem Regime vor, Dissidenten zu unterdrücken und mundtot zu machen. Ziane zufolge hat sich der Nationale Sicherheitsdienst in eine politische Polizei verwandelt, die Dissidenten überwacht und mit Diffamierungen überzieht, die von der Regierung nahestehenden Zeitungen und Websites verbreitet werden. Diese neuartigen Methoden der Unterdrückung, führen zu unfairen Gerichtsverfahren und Urteile gegen unabhängige Journalisten (Quatara.de 6.2.2023). Darüber hinaus werden derzeit laut Presseberichten vom 16.5.2023, neue Vorschriften für Online-Medien und die Nachrichtenberichterstattung erarbeitet. Da elektronische Medien und Nachrichtenagenturen manchmal ohne Lizenz betrieben werden, muss der rechtliche Rahmen definiert werden, um sicherzustellen, dass diese die gleichen Anforderungen erfüllen wie andere Medien. So verfügen digitale Mediendienste beispielsweise nicht über die erforderliche Infrastruktur oder zahlen keine Sozialversicherungsbeiträge für ihre Mitarbeiter. Das Gesetz über den Journalismus und das Verlagswesen stammt aus dem Jahr 2016 (BAMF 22.5.2023).

Ausländische Satellitensender und das Internet sind frei zugänglich (AA 22.11.2022). Gelegentlich unterbrechen die Behörden Webseiten und Internetplattformen (FH 2023). Die Arbeit der Presse wurde in der Covid-19-Krise zeitweise eingeschränkt (zeitweiliges Verbot des Drucks und Verkaufs von Zeitungen und Zeitschriften: Online-Berichterstattung zu COVID-19-Themen weitgehend über offizielle Kommuniqués, teilweise Einschränkung von Auskünften durch staatliche Stellen sowie auch journalistischer Arbeitsmöglichkeiten im Ausnahmezustand) (AA 22.11.2022). Die staatliche Überwachung von Online-Aktivitäten und persönlicher Kommunikation ist ein ernstes Problem. Der Einsatz von Spionageprogrammen und Überwachungstechnologien durch die Regierung ist weit verbreitet (FH 2023). Die – auch im öffentlichen Raum kaum kaschierten – Überwachungsmaßnahmen erstrecken sich auch auf die Überwachung des Internets und elektronischer Kommunikation, wobei Aktivisten, die für eine unabhängige Westsahara eintreten – vor allem im Gebiet der Westsahara selbst – besonders exponiert sind (ÖB 8.2021). Ein Gericht in Casablanca verurteilte einen Mann zu fünf Jahren Haft, weil er sich Ende 2020 auf Facebook kritisch zu den verbesserten diplomatischen Beziehungen zwischen Marokko und Israel äußerte. Ihm wird Kritik am König vorgeworfen, da dieser die Leitlinien der marokkanischen Außenpolitik bestimmt. Laut Artikel 267-5 des Strafgesetzbuches ist für die Untergrabung der Monarchie eine Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren vorgesehen und kann auf fünf Jahre erhöht werden (BAMF 7.8.2023).

Es kommt vereinzelt zur Strafverfolgung von Journalisten. Staatliche Zensur ist nicht bekannt. Viele Medien sind jedoch wirtschaftlich von regierungsnahen Unternehmen abhängig (AA 22.11.2022), bzw. ist diese eng mit den Machtzentren verbunden (BS 23.2.2022; vgl. AA 22.11.2022), und wird durch die Selbstzensur der Medien im Bereich der oben genannten drei Tabuthemen ersetzt (AA 22.11.2022). Gesetzlich unter Strafe gestellt und aktiv verfolgt sind und werden kritische Äußerungen betreffend den Islam, die Institution der Monarchie und die offizielle Position der Regierung zur territorialen Integrität bzw. den Anspruch auf das Gebiet der Westsahara (USDOS 20.3.2023; vgl. HRW 12.1.2023, AA 22.11.2022, ÖB 8.2021). Dies gilt auch für Kritik an Staatsinstitutionen oder das Gutheißen von Terrorismus (ÖB 8.2021; vgl. HRW 12.1.2023). Solche Kritik kann nach dem Strafgesetzbuch strafrechtlich verfolgt werden, wobei die Strafen von Geldstrafen bis zu Freiheitsstrafen reichen können. Der Pressekodex, der auch die Meinungsfreiheit vorsieht, gilt nur für akkreditierte Journalisten. Die privaten Reden und Handlungen akkreditierter Journalisten bleiben laut Strafgesetzbuch strafbar. Lokale NGOs berichteten auch, dass die Behörden trotz der Pressekodizes, die die rechtswidrige Inhaftierung von Personen verhindern sollten, die von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machten, Strafgesetze einsetzten, um Kommentatoren, Aktivisten und Journalisten zu bestrafen, die die Regierung kritisieren (USDOS 20.3.2023). Laut Reporter ohne Grenzen befinden sich aktuell 11 Journalisten und 3 Medienmitarbeiter in Haft (RSF 2023).

Internationale NGOs werfen dem marokkanischen Staat vor, allgemeine Straftatbestände (Sexualstrafrecht, Steuerrecht, Verleumdung) zu nutzen, um kritische journalistische Stimmen und oppositionelle Meinungen zu unterdrücken. Aktivisten, die wegen ihres Engagements für Umweltschutz oder soziale Fragen vor Gericht gestellt und zu Haftstrafen verurteilt werden (AA 22.11.2022). Kritiker werden in unfairen Gerichtsverfahren wegen schwerer Verbrechen wie Geldwäsche, Spionage, Vergewaltigung, sexueller Übergriffe und Menschenhandel angeklagt. Unter den Taktiken, um abweichende Meinungen mundtot zu machen, haben die Behörden auf unfaire Gerichtsverfahren, digitale und Kameraüberwachung, Belästigungskampagnen durch Medien in der Nähe des königlichen Hofes, bekannt als Makhzen, physische Überwachung, Aggression und Einschüchterung sowie gezielte Angriffe auf Angehörige von Aktivisten zurückgegriffen (HRW 12.1.2023). NGOs berichteten auch weiterhin über den Einsatz willkürlicher Überwachung von Menschenrechtsaktivisten und Journalisten, wobei Freedom House über den „weit verbreiteten“ Einsatz von Spyware und Überwachungstechnologien durch die Regierung berichtete. In einem Bericht vom Juli 2022 dokumentierte HRW die physische und elektronische Überwachung durch die Regierung, um unabhängige Journalisten und Menschenrechtsverteidiger zu schikanieren und ihre Rechte zu verletzen. Dem Bericht zufolge kamen mehrere Personen zu dem Schluss, dass einige der über sie in den Medien veröffentlichten Informationen detailliert genug waren, um nur durch staatliche Überwachung erlangt worden zu sein (USDOS 20.3.2023).

Die marokkanischen Behörden haben ihre Schikanen gegen Aktivisten und Kritiker verstärkt (HRW 12.1.2023) und verfolgten und inhaftierten 2022 mindestens sieben Journalisten und Aktivisten wegen Kritik an der Regierung sowie gegen Personen, die online über Religion sprachen oder sich mit Aktivisten solidarisierten (AI 27.3.2023). Zudem wird die Spyware Pegasus gegen Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Oppositionelle, Politiker und Diplomaten eingesetzt (HRW 12.1.2023).

Am 18.1.2023 forderte das EU Parlament Marokko schriftlich dazu auf, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Medienfreiheit zu achten, inhaftierten Journalisten ein faires Verfahren mit sämtlichen Garantien für ein ordnungsgemäßes Verfahren zu garantieren, ihre sofortige vorläufige Freilassung sicherzustellen und die Drangsalierung aller Journalisten, ihrer Anwälte und Familien einzustellen. Ferner fordert das EU Parlament die staatlichen Stellen nachdrücklich auf, ihren internationalen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte im Einklang mit dem Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Marokko nachzukommen und verurteilte aufs Schärfste den Missbrauch von Anschuldigungen sexueller Übergriffe, mit denen Journalisten davon abgehalten werden sollen, ihre Aufgaben wahrzunehmen; und vertritt die Ansicht, dass dieser Missbrauch die Rechte der Frau gefährdet. Zudem fordert das EU Parlament die staatlichen Stellen Marokkos nachdrücklich auf, ihre Überwachung von Journalisten, unter anderem über die Spionagesoftware Pegasus einzustellen und Rechtsvorschriften zum Schutz von Journalisten zu erlassen und umzusetzen (EP 18.1.2023).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind in der Verfassung von 2011 verfassungsrechtlich geschützt, werden aber durch die „roten Linien“ Glaube, König, Heimatland eingeschränkt (AA 22.11.2022; vgl. USDOS 20.3.2023). Versammlungen von mehr als drei Personen sind genehmigungspflichtig (USDOS 20.3.2023). Die Behörden gehen meist nicht gegen öffentliche Ansammlungen und die häufigen politischen Demonstrationen vor, selbst wenn diese nicht angemeldet sind (AA 22.11.2022; vgl. USDOS 20.3.2023). In Einzelfällen kommt es jedoch zur gewaltsamen Auflösung von Demonstrationen (AA 22.11.2022; vgl. FH 2023, USDOS 20.3.2023). Ein großer Rückschlag für die Meinungsfreiheit und die bürgerlichen Freiheiten waren auch die Verhaftungen von Journalisten, Künstlern und Menschenrechtsaktivisten aufgrund verschiedener Anschuldigungen, die ein Zeichen dafür sind, dass das Justizsystem weiterhin gegen Kritiker und unabhängige Akteure eingesetzt wird (BS 23.2.2022).

Obwohl verfassungsmäßig Vereinigungsfreiheit gewährleistet ist, schränkt die Regierung dieses Recht manchmal ein (USDOS 20.3.2023). Organisationen wird die offizielle Registrierung verweigert (HRW 12.1.2023). Politischen Oppositionsgruppen und Organisationen, die den Islam als Staatsreligion, die Monarchie, oder die territoriale Integrität Marokkos infrage stellen, wird kein NGO-Status zuerkannt (USDOS 20.3.2023).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2023): Marokko - Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/marokko-node/politisches-portrait/224120, Zugriff 8.8.2023

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.7.2023

- AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Morocco And Western Sahara 2022, https://www.ecoi.net/en/document/2089568.html, Zugriff 11.4.2023

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.8.2023): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2023/briefingnotes-kw32-2023.html;jsessionid=9297CD92FE9742BDDEEF644C3BE30042.internet271, Zugriff 8.8.2023

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (22.5.2023): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/EN/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2023/briefingnotes-kw21-2023.pdf?__blob=publicationFile amp;v=3, Zugriff 27.7.2023

- BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 – Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf, Zugriff 8.8.2023

- EP - Europäisches Parlament (18.1.2023): Gemeinsamer Entschliessungsantrag zur Lage von Journalisten in Marokko, insbesondere zum Fall Omar Radi, https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/RC-9-2023-0057_DE.html, Zugriff 11.4.2023

- FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023

- HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/en/document/2085478.html, Zugriff 11.4.2023

- ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023

- Quatara.de (6.2.2023): Menschenrechtslage in Marokko, Rabats Verleumdungsmaschinerie, https://de.qantara.de/inhalt/menschenrechtslage-in-marokko-rabats-verleumdungsmaschinerie, Zugriff 21.4.2023

- RSF - Reporters sans frontière (14.4.2023): Le projet de remplacer le Conseil national de la presse au Maroc menace un peu plus l’indépendance de la profession, https://rsf.org/fr/le-projet-de-remplacer-le-conseil-national-de-la-presse-au-maroc-menace-un-peu-plus-l-ind%C3%A9pendance, Zugriff 27.7.2023

- RSF - Reporters sans frontière (2023): Maroc / Sahara occidental, https://rsf.org/fr/pays/maroc-sahara-occidental, Zugriff 22.5.2023

- ROG - Reporter ohne Grenzen (2023): Rangliste der Pressefreiheit, Marokko, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/marokko, Zugriff 22.5.2023

- USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023

Bewegungsfreiheit:

Gesetzlich sind innerhalb des Landes Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung gewährleistet. Die Behörden respektieren diese Rechte im Allgemeinen, obwohl sie die Bewegungsfreiheit auf Gebiete beschränkt, in denen weitverbreitete Unruhen herrschen (USDOS 20.3.2023). Sowohl Marokko als auch die Frente Polisario schränken die Bewegungsfreiheit in der Westsahara ein. Eine in den 1980er Jahren von Marokko errichtete Sandbarriere, die das von Marokko kontrollierte Gebiet von den von den Sahrauis kontrollierten Gebieten im Osten trennt, ist 1.700 Meilen lang. Die Mauer, die auf beiden Seiten von Landminen umgeben ist, stellt das möglicherweise längste zusammenhängende Minenfeld der Welt dar (FH 13.4.2023).

Allerdings genießen auch Sahrawis/Sahraouis innerhalb Marokkos uneingeschränkte Bewegungsfreiheit (AA 22.11.2022). Die Regierung stellt Sahrawis üblicherweise weiterhin Reisedokumente zur Verfügung und ermutigte saharauische Flüchtlinge aus Algerien und anderen Ländern zur Rückkehr, wenn sie die Souveränität der Regierung über die Westsahara anerkennen. Flüchtlinge, die zurückkehren möchten, müssen die entsprechenden Reise- oder Identitätsdokumente bei einem marokkanischen Konsulat im Ausland, häufig in Mauretanien, besorgen. Es wird allerdings von Fällen berichtet, wo die Behörden Sahrawis daran hinderten, Reisen anzutreten (USDOS 20.3.2023).

Wer nicht per Haftbefehl gesucht wird, kann unter Beachtung der jeweiligen Visavorschriften in der Regel problemlos das Land verlassen. Dies gilt auch für bekannte Oppositionelle oder Menschenrechtsaktivisten (AA 22.11.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

- FH - Freedom House (13.4.2023): Freedom in the World 2023 - Western Sahara*, 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2090199.html, Zugriff 17.4.2023

- USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023

Grundversorgung:

Die Grundversorgung der Bevölkerung ist gewährleistet, Brot, Zucker und Gas werden subventioniert (AA 22.11.2022). Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, Wasser, Strom und Abwasserentsorgung verbessert sich allmählich, aber es bestehen nach wie vor große infrastrukturelle Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Gebieten sowie innerhalb marginalisierter städtischer Viertel, in denen es immer noch an grundlegenden Dienstleistungen mangelt. Insgesamt sind 77 % der Haushalte an Abwassersysteme und 85 % an verbesserte Wasserquellen angeschlossen. Einigen Gemeinden fehlen noch immer die technischen und finanziellen Mittel für die Bereitstellung grundlegender Dienstleistungen, einschließlich öffentlicher Verkehrsmittel (BS 23.2.2022). Staatliche soziale Unterstützung ist begrenzt (vor allem private Organisationen oder die Fondation Mohammed VI), vielfach sind religiös-karitative Organisationen tätig. Die entscheidende Rolle bei der Betreuung Bedürftiger spielt nach wie vor die Familie (AA 22.11.2022).

Marokko hatte die Ausnahmesituationen, hervorgerufen durch die Pandemie und die Ukraine-Krise der vergangenen Jahre, bislang gut überstanden und hat sich dynamisch an die Herausforderungen angepasst. Die weltweit gestiegenen Energiepreise (Öl, Gas und Kohle), die Unterbrechung der Gaspipeline aus Algerien und anhaltender Wassermangel und damit einhergehender Probleme für die Landwirtschaft, haben die Preise für Getreide und Gemüse angeheizt und die Inflation 2022 auf 6,7 % steigen lassen. All dies gab dem aufkeimenden wirtschaftlichen Optimismus im Land zumindest 2022 einen ordentlichen Dämpfer (WKO 4.2023a). Ihren Höchststand erreichte die marokkanische Jahresinflaation gegen Ende 2022 mit 8,3 % (WB 14.2.2023).

Allerdings konnte Marokko durch das international hohe Preisniveau von Phosphat im Export einiges auffangen. So konnte für 2022, trotz massiven Einbruch im Agrarbereich, ein Wirtschaftswachstum von 1 % erreicht werden. Für 2023 und die Periode bis ca. 2027 gehen Analysten von durchschnittlich 3 % jährlichem Wachstum aus. Aufgrund der starken Preiserhöhungen haben soziale Spannungen im Land zugenommen. Diese werden zwar anhalten, die generelle Stabilität des Landes wird aber dadurch nicht weiter beeinflusst (WKO 4.2023a).

Die trotz Regierungswechsel stabilen, politischen Verhältnisse und die zahlreichen Investitionspläne mit dem Ziel der Diversifizierung und Stärkung der marokkanischen Wirtschaft und einer Umstellung auf erneuerbare Energie, ziehen mittelfristig gute Geschäftschancen in den unterschiedlichsten Bereichen nach sich: Prozessoptimierung und Modernisierung der Industrie steht ganz oben auf der Agenda der marokkanischen Industrie. Hier ergeben sich für Automobilzulieferer, Industrieausstatter, Anlagenlieferanten und Dienstleister gute Marktchancen. Die Casablanca Finance City, wurde kürzlich wieder zum wichtigsten und besten Finanzzentrum auf dem Kontinent gekürt, bietet über Marokkos Grenzen hinaus Chancen im Bereich Dienstleistungen, Informationstechnologie, FinTec und Urban Development. Interessant sind auch die Bereiche erneuerbare Energie und Energieeffizienz, Wasserwirtschaft, Tourismus, Infrastrukturausbau, Chemie, maritime Wirtschaft, Umwelttechnologie sowie Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft. Auch im Agrarbereich (landwirtschaftliche Maschinen) oder im Bereich Papier und Holz (Schnittholz) und nicht zuletzt in der Pharmabranche gibt es gute Absatzchancen (WKO 4.2023a).

Marokko ist ein agrarisch geprägtes Land: Die Landwirtschaft erwirtschaftet in Marokko ca. 20 % des BIP und ist damit der bedeutendste Wirtschaftszweig des Landes. Ca. zwei Drittel der Landesfläche wird landwirtschaftlich genutzt, davon 18 % als Ackerland. Da davon nur rund 15 % systematisch bewässert werden, ist die Wetterabhängigkeit sehr hoch. Der Sektor schafft 40 % der Arbeitsplätze und ist Einkommensquelle für drei Viertel der Landbevölkerung. Von den 1,5 Mio. landwirtschaftlichen Betrieben sind mehr als zwei Drittel Kleinstbetriebe, die über weniger als 3 Hektar Land verfügen, mit geringer Mechanisierung arbeiten und nur zu 4 % am Export beteiligt sind. Die modernen Landwirtschaftsbetriebe decken erst rund ein Achtel der kultivierbaren Gesamtfläche ab (WKO 12.5.2023).

Die Arbeitslosenquote liegt für 2023 bei 11 % [Prognose]. Die Arbeitslosenquote der Erwerbstätigen zwischen 15-64 lag 2022 bei 12,9 %, die Jugendarbeitslosenquote (15-24 Jahre) lag bei 24,9 % (WKO 4.2023b). Die Dunkelziffer liegt wesentlich höher - vor allem unter der Jugend. Der informelle Bereich der Wirtschaft wird statistisch nicht erfasst, entfaltet aber erhebliche Absorptionskraft für den Arbeitsmarkt. Fremdsprachenkenntnisse - wie sie z. B. Heimkehrer aufweisen - sind insbesondere in der Tourismusbranche und deren Umfeld nützlich. Arbeitssuchenden steht die Internet-Plattform des nationalen Arbeitsmarktservices ANAPEC zur Verfügung (www.anapec.org), die neben aktueller Beschäftigungssuche auch Zugang zu Fortbildungsmöglichkeiten vermittelt. Unter 30-Jährige, die bestimmte Bildungsebenen erreicht haben, können mithilfe des OFPPT (www.ofppt.ma/) eine weiterführende Berufsausbildung einschlagen (ÖB 8.2021).

Die wirtschaftliche Erholung des Tourismus in Marokko nach COVID erhält nach der Fußball Weltmeisterschaft einen großen Schub. Marokkos Auftritt bei der Weltmeisterschaft war wie eine massive Marketingkampagne für das Land und somit für den Tourismus. Der Sektor ist die wichtigste Devisenquelle des Landes. Ende Oktober 2022 beliefen sich die Einnahmen aus dem Tourismus auf 6,1 Mrd. Euro, was einem deutlichen Anstieg von 148,9 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. Das Land verzeichnete in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 7,7 Mio. Touristenankünfte. Dieser massive Zustrom von Touristen ermöglichte es dem Sektor, sich nach mehr als zwei Jahren Stagnation und Einnahmenausfällen zu erholen (WKO 1.2023).

Armut ist weit verbreitet und wirtschaftliche Möglichkeiten sind für einen großen Teil der Bevölkerung knapp (FH 2023).

Umfragen deuten darauf hin, dass das subjektive Wohlbefinden der marokkanischen Haushalte in den letzten Monaten gesunken ist. Der umfragebasierte Haushalts-Vertrauensindex der Haushalte, der von HCP erstellt wurde, begann gegen Ende 2021 zu sinken und erreichte im dritten Quartal 2022 einen 14-Jahres-Tiefstand. Besorgniserregend ist, dass mehr als die Hälfte der befragten Haushalte der Ansicht ist, dass sich ihre finanzielle Situation im vergangenen Jahr verschlechtert hat, während 81 % der Ansicht sind, dass sich ihr Lebensstandard verschlechtert hat, und 87 % erwarten einen Anstieg der der Arbeitslosigkeit in der Zukunft (WB 2022/23).

Es kam zu mehreren Demonstrationen gegen die steigenden Preise im Land. Am 4.12.2022 versammelten sich zwischen 1.200 und 3.000 Menschen in Rabat, um gegen die hohen Lebensmittelpreise, Korruption und staatliche Repressionen zu demonstrieren. Als Reaktion darauf hat die Regierung Maßnahmen ergriffen. Im Oktober hat die Regierung einen Fond mit 4,1 Mrd. EUR gestartet, um private Investitionen und die Wirtschaft des Landes zu unterstützen (BAMF 12.12.2022).

Um die Auswirkungen der Lebensmittel- und Energiepreise auf die Haushalte abzumildern, verabschiedete Marokko ein politisches Paket, das allgemeine Subventionen für Grundnahrungsmittel umfasste und die bereits bestehenden regulierten Preise beibehielt. Dieser Ansatz stabilisierte die Preise für Waren und Dienstleistungen, die fast ein Viertel der Ausgaben eines Durchschnittshaushalts ausmachen, und verhinderte so einen möglicherweise stärkeren Anstieg der Armut. Es erforderte die Mobilisierung zusätzlicher öffentlicher Ausgaben in Höhe von fast 2 % des BIP (WB 14.2.2023).

Ungeachtet dieser Maßnahmen litten bescheidene und gefährdete Haushalte immer noch am meisten unter den Auswirkungen der steigenden Lebensmittel- und sonstigen Preise aufgrund der Inflation. Dem Bericht zufolge war die jährliche Inflation für die ärmsten 10 % der Bevölkerung um fast ein Drittel höher als für die reichsten 10 % der Bevölkerung, was in erster Linie auf die Auswirkungen der Preissteigerungen bei Lebensmitteln zurückzuführen ist, die einen höheren Anteil an den Ausgaben der ärmeren Haushalte ausmachen. In dem Bericht heißt es ferner, dass die geplante umfassende Reform des sozialen Sicherheitsnetzes des Königreichs eine wirksame Ausrichtung der Subventionen auf die Unterstützung der Armen und Schwachen ermöglichen wird (WB 14.2.2023).

Die marokkanische Regierung führt Programme der Armutsbekämpfung (INDH) und des sozialen Wohnbaus. Eine staatlich garantierte Grundversorgung/arbeitsloses Basiseinkommen existiert allerdings nicht. Der Mindestlohn (SMIG) liegt bei 2.828 Dirham (ca. EUR 270). Ein Monatslohn von etwa dem Doppelten dieses Betrags gilt als bürgerliches Einkommen. Statistisch beträgt der durchschnittliche Monatslohn eines Gehaltsempfängers 4.060 Dirham, wobei allerdings die Hälfte der - zur Sozialversicherung angemeldeten - Lohnempfänger nur den Mindestlohn empfängt. Ein ungelernter Hilfsarbeiter erhält für einen Arbeitstag (10 Std.) ca. 100 Dirham, Illegale aus der Subsahara erhalten weniger (ÖB 8.2021).

Dennoch wird erwartet, dass sich das Wirtschaftswachstum Marokkos dank einer Erholung des Primärsektors im Jahr 2023 auf 3,1 % beschleunigen wird (WB 14.2.2023).

Ein Erdbeben der Stärke 7 mit Epizentrum in der Gemeinde Ighil in der Provinz Al Haouz, hat Marokko in der Nacht von Freitag, 8.9.2023, auf Samstag, 9.9.2023, erschüttert (Le matin.ma 8.9.2023; vgl. Le matin.ma 10.9.2023a). Das Erdbeben war gegen 23:11 Uhr in mehreren Städten Marokkos zu spüren. Das Beben trieb viele Menschen in Casablanca, Rabat, Marrakesch und Agadir auf die Straßen (Le matin.ma 8.9.2023). Laut Reuters-Zeugen flohen Menschen in Rabat, etwa 350 km nördlich von Ighil, dem Epizentrum des Bebens, und in der Küstenstadt Imsouane, etwa 180 km westlich, aus Angst vor einem stärkeren Beben aus ihren Häusern (ORF 9.9.2023). Die Telefonleitungen waren gestört. Nach Angaben des US-amerikanischen Instituts für Geologische Überwachung (USGS) wurde gegen 23:30 Uhr nordöstlich von Taroudant ein zweites Beben der Stärke 4,9 registriert (Le matin.ma 8.9.2023).

Nach Angaben des örtlichen Beamten seien in der schwer zugänglichen Bergregion auch die meisten Opfer zu beklagen. Einwohner der Stadt Marrakesch berichten von eingestürzten Gebäuden in der historischen Altstadt, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört (tagesschau 9.9.2023).

Berichten zufolge leben 1,8 Millionen Menschen in den fünf betroffenen Provinzen, ein Drittel der marokkanischen Bevölkerung sind Kinder. Daher ist zu befürchten, dass unter den Opfern und Betroffenen auch sehr viele Kinder sind (Unicef.de 12.9.2023). Die meisten Opfer unter den Kindern gab es in den Provinzen Al Haouz, gefolgt von Chichaoua und Taroudant, berichtet die Tageszeitung Al Ahdath Al Maghribia. Seismologen sagen für die kommenden Tage und Wochen Nachbeben voraus (Magrhreb-Post.de 15.9.2023).

Die Schäden betreffen vor allem die Provinzen Chichaoua und Taroudant (Le matin 10.9.2023b).

Es war das stärkste Erdbeben, das jemals in der Geschichte Marokkos gemessen wurde und war so stark, dass es fast alle Bewohner des Königreichs spürten. Die Provinzen und Gemeinden Al Haouz, Marrakesch, Ouarzazate, Azilal, Chichaoua und Taroudant waren von dem starken Erdbeben besonders betroffen und verzeichneten fast alle Opfer und eingestürzten Gebäude. Auch in der Provinz Al Haouz wurden Nachbeben geringerer Intensität registriert (Le matin.ma 10.9.2023a). In Ausführung der Hohen Königlichen Weisungen wurde eine dreitägige Staatstrauer beschlossen (Le matin.ma 10.9.2023a; vgl. tagesschau 12.9.2023). Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO sind mehr als 300.000 Menschen in Marrakesch und umliegenden Gebieten von dem Unglück betroffen (tagesschau 12.9.2023; vgl. Unicef.de 12.9.2023).

Die humanitäre Situation verschlechtert sich zunehmend. Die Familien benötigen nun am dringendsten Wasser, Nahrung, Hygieneartikel, Gesundheitsversorgung und eine sichere Unterkunft (Care.at 11.9.2023; vgl. tagesschau 12.9.2023). Der Präsident des Repräsentantenhauses geht davon aus, dass der Wiederaufbau mehrere Jahre benötigen kann (Magrhreb-Post.de 18.9.2023a). Auch Präsident Biden drückte seine Unterstützung in einem Telefonat mit König Mohammed VI. zum Ausdruck (Magrhreb-Post.de 18.9.2023b).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.12.2022): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw50-2022.pdf?__blob=publicationFile v=6, Zugriff 12.4.2023

- BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 - Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf, Zugriff 8.8.2023

- Care.at (11.9.2023): Erdbeben in Marokko: CARE leistet Nothilfe, https://care.at/erdbeben-in-marokko-care-bereitet-soforthilfemassnahmen-vor/, Zugriff 18.9.2023

- FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023

- Le matin.ma (18.9.2023): Séisme d'Al Haouz: reprise des études dans la commune d’Amizmiz, https://lematin.ma/express/2023/seisme-al-haouz-reprise-etudes-commune-damizmiz/394323.html, Zugriff 19.9.2023

- Le matin.ma (17.9.2023): Séisme: environ 6.000 collégiens et lycéens des zones sinistrées transférés vers d'autres établissements, https://lematin.ma/express/2023/seisme-6000-collegiens-lyceens-zones-sinistrees-transferes/394279.html, Zugriff 19.9.2023

- Le matin.ma (10.9.2023a): Séisme au Maroc: retour sur une catastrophe naturelle sans précédent, https://lematin.ma/express/2023/seisme-maroc-retour-catastrophe-naturelle-precedent/394000.html?, Zugriff 19.9.2023

- Le matin.ma (10.9.2023b): Séisme au Maroc: le ministère de l’éducation suspend les cours dans 42 communes et douars, https://lematin.ma/express/2023/seisme-maroc-cours-suspendus-42-communes-douars/394008.html, Zugriff 19.9.2023

- Le matin.ma (8.9.2023): Un séisme de magnitude 7 ressenti dans plusieurs villes du Maroc, https://lematin.ma/express/2023/seisme-magnitude-7-ressenti-plusieurs-villes-maroc/393919.html, Zugriff 18.9.2023

- Magrhreb-Post.de (18.9.2023a): Marokko – König bedankt sich bei ausländischen Rettungskräften, https://www.maghreb-post.de/marokko-koenig-bedankt-sich-bei-auslaendischen-rettungskraeften/, Zugriff 19.9.2023

- Magrhreb-Post.de (18.9.2023b): Marokko – USA bekräftigen Unterstützung nach dem schweren Erdbeben in Al Haouz, https://www.maghreb-post.de/marokko-usa-bekraeftigen-unterstuetzung-nach-dem-schweren-erdbeben-in-al-haouz/, Zugriff 19.9.2023

- Magrhreb-Post.de (15.9.2023): Marokko – Erdbeben könnte bis zu 100.000 Kinder betroffen haben, https://www.maghreb-post.de/marokko-erdbeben-koennte-bis-zu-100-000-kinder-betroffen-haben/, Zugriff 18.9.2023

- ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 30.9.2022

- ORF - Österreichischer Rundfunk (9.9.2023): Verheerendes Erdbeben in Marokko: 296 Tote, https://orf.at/stories/3330521/, Zugriff 18.9.2023

- tagesschau (12.9.2023): Der Überlebenskampf geht weiter, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/marokko-erdbeben-ausnahmezustand-104.html, Zugriff 18.9.2023

- tagesschau (9.9.2023): Hunderte Tote bei schwerem Erdbeben in Marokko, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/erdbeben-marokko-100.html, Zugriff 18.9.2023

- Unicef.de (12.9.2023): Erdbeben in Marokko: Mindestens 100.000 Kinder betroffen, https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/-/erdbeben-in-marokko-helfen/338922, Zugriff 18.9.2023

- WB - The World Bank (14.2.2023): Morocco’s Economy Has Come Under Pressure from Supply Shocks, https://www.worldbank.org/en/news/press-release/2023/02/14/morocco-s-economy-has-come-under-pressure-from-supply-shocks, Zugriff 20.4.2023

- WB - The World Bank (2022/23): Middle East - North Africa: Economic Monitor – Morocco Economic Update, Responding to Supply Shocks, https://documents1.worldbank.org/curated/en/099332002132325417/pdf/IDU0e3742c55010a3044730a80a0ad6062acd9db.pdf, Zugriff 20.4.2023

- WKO - Wirtschaftskammer Österreich (1.2023): Aussenwirtschaft Nordafrika Newsletter, Ägypten, Algerien Marokko, Libyen, Tunesien, Sudan, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/nordafrika-newsletter-2023-1.pdf, 20.4.2023

- WKO - Wirtschaftskammer Österreich (4.2023a) : Aussenwirtschaft, Wirtschaftsbericht Marokko, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/marokko-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 19.5.2023

- WKO - Wirtschaftskammer Österreich (4.2023b): Länderprofil Marokko, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-marokko.pdf, Zugriff 19.5.2023

Rückkehr:

Das Stellen eines Asylantrags im Ausland ist nicht strafbar und wird nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts von den Behörden nicht als Ausdruck oppositioneller Gesinnung gewertet (AA 22.11.2022).

Migrantinnen und Migranten können bei der freiwilligen Rückkehr aus Österreich nach Marokko durch die BBU (Rückkehrberatung und Organisation der Reise), bzw. IOM (Organisation der Reise im Falle von vulnerablen Personen oder Personen mit legalem Aufenthaltstitel in Österreich), nach Bestätigung der Kostenübernahme durch das BFA, unterstützt werden. Freiwillige Rückkehrer/innen aus Österreich nach Marokko haben zudem die Möglichkeit, nach Bestätigung der Projektaufnahme durch das BFA und Erfüllung der Teilnahmekriterien, am Reintegrationsprojekt Frontex JRS teilzunehmen (IOM 27.7.2023).

Das Reintegrationsprogramm „Frontex − Joint Reintegration Services“ (FX JRS) bietet Rückkehren, in Kooperation mit einer lokalen Partnerorganisation Unterstützung bei Ihrer Reintegration in Ihr Heimatland an. Das Post-arrival Paket im Wert von € 615 dient der unmittelbaren Unterstützung nach der Ankunft in Marokko. Es beinhaltet folgende Sofortleistungen: Nach der Begrüßung am Flughafen durch einen Reintegrationspartner und des Airports Pick-up, wie auch Unterstützung bei der Weiterreise (Organisation und Kostenübernahme), erhalten Rückkehrer u.a. eine Pre-Paid SIM-Karte, Hygieneartikel (Zahnbürste, Zahnpasta, Seife, Shampoo, etc.), eine Flasche Wasser, ein warmes Essen (auch als Gutschein möglich), altersgerechtes Spielzeug für Kinder. Zudem wird eine temporäre Unterkunft für bis zu drei Tage nach der Ankunft bereitgestellt und nach Bedarf auch unmittelbare medizinische Unterstützung (BMI 2023).

Des Weiteren sollte die rückkehrende Person keine oder weniger Sofortleistungen benötigen, erhält sie den anteiligen Betrag der € 615 vom lokalen Partner in bar ausbezahlt (BMI 2023).

Zur längerfristige Reintegrationsunterstützung, erhalten Rückkehrer ein Post-return Paket in der Höhe von Euro 2.000. Davon Euro 200 als Bargeld und Euro 1.800 in Form von Sachleistungen auf Grundlage eines Reintegrationsplans, der mit Hilfe der lokalen Partnerorganisation in den ersten sechs Monaten nach der Rückkehr erstellt wird. Zu den angebotenen Sachleistungen des Post-return Pakets gehören unter anderem: Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens, Bildungsmaßnahmen, Trainings, Unterstützung beim Eintritt in den Arbeitsmarkt, bei der Einschulung von Kindern, wie auch rechtliche und administrative Beratungsleistungen, Familienzusammenführung, Unterstützung im Zusammenhang mit Wohnen und Haushalt (Einrichtung) und medizinische und psychosoziale Unterstützung (BMI 2023).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

- BMI - Bundesministerium für Inneres [Österreich] (2023): Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) - Marokko - So funktioniert die Rückreise in Ihre Heimat, https://www.returnfromaustria.at/morocco/morocco_deutsch.html, Zugriff 31.7.2023.

- IOM - International Organization for Migration (27.7.2023): Informationen zur freiwilligen Rückkehr nach Marokko, Auskunft von IOM via E-Mail, Quelle liegt in der Staatendokumentation auf

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz. Zudem wurde Einsicht genommen in den das Vorverfahren betreffenden Verwaltungsakt, welcher ebenso im Behördenakt einliegt. Auskünfte aus dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Strafregister der Republik Österreich, dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) und dem AJ-WEB wurden ergänzend eingeholt.

Die belangte Behörde hat ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Das Bundesverwaltungsgericht verweist daher zunächst auf diese schlüssigen und nachvollziehbaren beweiswürdigenden Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid.

Auch der Beschwerde vermag das Bundesverwaltungsgericht keine neuen Sachverhaltselemente zu entnehmen, die geeignet wären, die von der belangten Behörde getroffene Entscheidung in Frage zu stellen, sodass das Bundesverwaltungsgericht den maßgeblichen Sachverhalt als ausreichend ermittelt und somit entscheidungsreif ansieht.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers und zu den Anträgen auf internationalen Schutz:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seinem Gesundheitszustand und seiner Arbeitsfähigkeit beruhen auf seinen dahingehend gleichbleibenden Äußerungen gegenüber Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie der belangten Behörde, wobei der Beschwerdeführer auch im gegenständlichen Beschwerdeverfahren nichts Entgegenstehendes vorgebracht hat.

Die Identität des Beschwerdeführers steht in Ermangelung der Vorlage von geeigneten identitätsbezeugenden Originaldokumenten nicht zweifelsfrei fest. Beim angenommenen Namen samt Geburtsdatum des Beschwerdeführers handelt es sich um seine Verfahrensidentität.

Die Feststellungen zur Einreise und zu den Asylantragstellungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet leiten sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt der belangten Behörde ab und stützen sich die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer seit Rechtskraft der Entscheidung über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz kein neues entscheidungsrelevantes individuelles Fluchtvorbringen sowie keine Sachverhaltsänderungen in Bezug auf den subsidiären Schutzstatus darzutun vermochte, auf folgende Erwägungen:

Das Bundesverwaltungsgericht kam im Verfahren betreffend den ersten Asylantrag des Beschwerdeführers vom 21.11.2022 zu dem Schluss, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, mit seinem Vorbringen zu wirtschaftlichen Fluchtmotiven eine konkrete, gegen seine Person gerichtete Verfolgung glaubhaft zu machen, der Asylrelevanz zukommt. Außerdem wurde im verfahrensabschließenden Bescheid festgestellt, dass keine existenzbedrohende Notlage des Beschwerdeführers für den Fall seiner Rückkehr nach Marokko gegeben ist.

Vom Bundesverwaltungsgericht ist im gegenständlichen Verfahren zu prüfen, ob zwischen der Rechtskraft des vorangegangenen Bescheides der belangten Behörde vom 16.12.2022 und der Zurückweisung des gegenständlichen Asylantrages wegen entschiedener Sache mit Bescheid vom 27.03.2024 eine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist.

Zunächst ist festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer in Hinblick auf seine wiederholten Angaben im gegenständlichen Verfahren, er befürchte im Falle seiner Rückkehr nach Marokko Armut und Arbeitslosigkeit, im Wesentlichen auf die gleichen Fluchtgründe wie im Erstverfahren bezog, wodurch per se keine Sachverhaltsänderung zu erkennen ist. Ein ergänzendes Fluchtvorbringen wurde darüber hinaus nicht zu Protokoll gegeben, wodurch seinem Vorbringen nach wie vor jegliche Asylrelevanz fehlt.

Eine behauptete Sachverhaltsänderung müsste in Bezug auf wiederholte Asylanträge zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen. Diesem glaubhaften Kern muss Asylrelevanz zukommen, an den die positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (diese Judikaturlinie des Verwaltungsgerichtshofes wurde auch nach der Entscheidung des EuGH vom 09.09.2021, Zl. Rs C-18/20 in Bezug auf ein Vorabentscheidungsersuchen zu Ro 2019/14/006 bezüglich der Auslegung des Art. 40 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung) im Hinblick auf die dort verwendeten Wortfolgen „neue Elemente oder Erkenntnisse“, die „zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind“, aufrecht erhalten; siehe VwGH 17.02.2022, Ra 2020/18/0127).

Eine solche wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage ist in Bezug auf eine etwaige asylrelevante Bedrohungslage in Marokko nicht erkennbar. Vielmehr handelt es sich bei den nunmehr behaupteten Gründen der Asylantragstellung letztlich um wirtschaftliche Motive, wobei derartige Sachverhaltsänderungen nicht ausreichen, um von einer Sachverhaltsänderung gemäß der zuvor zitierten Rechtsprechung auszugehen. Insbesondere hat er sich abermals auf keine Verfolgung oder Bedrohung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung bezogen und gab er in einer Gesamtschau somit keine asylrelevanten Verfolgungsgründe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention an.

Das Bundesverwaltungsgericht kommt in einer Gesamtanschauung daher zum Schluss, dass das nunmehrige Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geeignet ist, einen neuen entscheidungsrelevanten Sachverhalt zu begründen, an den eine positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Im vorliegenden Fall ist der belangten Behörde nicht entgegenzutreten, wenn sie zur Auffassung gelangt ist, dass keine entscheidungsrelevante Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes vorliegt und daher von einer entschiedenen Sache auszugehen ist. Da keine neuen Fluchtgründe festgestellt werden konnten, liegt nahe, dass der Beschwerdeführer mit dem Folgeantrag den Versuch unternommen hat, seinen Aufenthalt im Bundesgebiet zu verlängern.

Bei Folgeanträgen sind die Asylbehörden auch dafür zuständig, mögliche Sachverhaltsänderungen in Bezug auf den subsidiären Schutzstatus des Antragstellers einer Prüfung zu unterziehen (vgl. VwGH 12.03.2021, Ra 2020/19/0315).

Auch in Bezug auf eine etwaige Rückkehrgefährdung im Sinne einer realen Gefahr einer Verletzung der in Art. 2 und 3 EMRK verankerten Rechte des Beschwerdeführers ist keine Änderung des Sachverhaltes erkenntlich. Eine wesentliche Änderung der Situation in Marokko wurde zwar im Beschwerdeschriftsatz unsubstantiiert behauptet, jedoch ergeben sich dafür keine fundierten Anhaltspunkte in den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten. Es sind keine Umstände bekannt, dass in Marokko gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefahr im Sinn des Art. 2 oder 3 EMRK ausgesetzt wäre und besteht auch nicht auf dem gesamten Staatsgebiet ein innerstaatlicher oder internationaler Konflikt, welcher für eine dort aufhältige Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt bedeuten würde.

Im gegenständlich angefochtenen Bescheid wurde das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Marokko zitiert. Ein Abgleich zwischen den Länderfeststellungen im Erstverfahren und dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Marokko im gegenständlichen Verfahren ergibt keine Verschlechterung der allgemeinen Situation in Marokko. Eine solche würde unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich bei Marokko um einen sicheren Herkunftsstaat handelt, auch nicht dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes entsprechen und wurde vom Beschwerdeführer auch nicht substantiiert behauptet. Die Lage im Herkunftsstaat stellt sich unverändert dar.

Es sind auch keine wesentlichen, in der Person des Beschwerdeführers liegenden neuen Sachverhaltselemente bekannt geworden, etwa eine schwere Erkrankung oder ein sonstiger auf seine Person bezogener außergewöhnlicher Umstand, welcher eine neuerliche umfassende Refoulementprüfung notwendig erscheinen ließe. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers wurde weder vorgebracht, noch ist eine solche ersichtlich.

Eine neue umfassende inhaltliche Prüfung wird vom Bundesverwaltungsgericht aus diesen Gründen nicht für notwendig erachtet.

2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Marokko gilt gemäß § 19 Abs. 5 BFA-VG iVm § 1 Z 9 Herkunftsstaaten-Verordnung (HStV) im Hinblick auf das Bestehen oder Fehlen von staatlicher Verfolgung, Schutz vor privater Verfolgung und Rechtsschutz gegen erlittene Verletzungen von Menschenrechten als sicherer Herkunftsstaat.

Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen im angefochtenen Bescheid wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen.

Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht der erkennenden Richterin bei den Feststellungen im angefochtenen Bescheid um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0210).

Aufgrund der Kürze der verstrichenen Zeit zwischen der Erlassung des bekämpften Bescheides und der vorliegenden Entscheidung ergeben sich keine Änderungen zu den im bekämpften Bescheid getroffenen Länderfeststellungen. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich daher diesen Feststellungen vollinhaltlich an.

Hinsichtlich der länderkundlichen Feststellungen älteren Datums ist anzumerken, dass sich in Bezug auf das gegenständliche Beschwerdevorbringen keine entscheidungswesentlichen Änderungen ergeben haben und sich die Lage in Marokko - die einer ständigen Beobachtung des Bundesverwaltungsgerichts unterliegt - in den gegenständlichen Zusammenhängen im Wesentlichen unverändert darstellt. Es wurden somit im gesamten Verfahren keinerlei Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Zweifel aufkommen ließen, sodass an der Richtigkeit und am Zutreffen der Länderfeststellungen keine Zweifel bestehen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1. Zur Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache (Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides):

3.1.1. Rechtslage:

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Letzteres betrifft die amtswegige oder aufsichtsbehördliche Bescheidänderung oder -aufhebung.

Da die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen hat, ist Prozessgegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung dieses Antrages, nicht aber der Antrag selbst (vgl. VwGH 05.08.2020, Ra 2020/20/0192).

Das Bundesverwaltungsgericht hat diesfalls zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen früheren Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen – im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen (vgl. dazu ausführlich VwGH 23.09.2020, Ra 2020/14/0175).

Der tragende Grundsatz der Beachtung rechtskräftiger Entscheidungen soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern (vgl. VwGH 17.11.2020, Ra 2018/07/0487). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit derselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (vgl. VwGH 19.01.2022, Ra 2020/20/0100 mit Verweis auf VwGH 20.10.2021, Ra 2021/20/0239, mwN).

Es ist Sache der Partei, die in einer rechtskräftig entschiedenen Angelegenheit eine neuerliche Sachentscheidung begehrt, dieses Begehren zu begründen (vgl. VwGH 08.09.1977, 2609/76).

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich - nach Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (vgl. EuGH 09.09.2021, C-18/20) - mittlerweile in seinem Erkenntnis vom 19. Oktober 2021, Ro 2019/14/0006, des Näheren mit der Vereinbarkeit der asylrechtliche Folgeanträge betreffenden Rechtslage mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) befasst. In diesem Erkenntnis wurde dargelegt, dass es aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben nicht zulässig sei, einen Fremden, der die Gewährung von internationalem Schutz anstrebt und dafür in einem Folgeantrag im Sinn des Art. 40 Verfahrensrichtlinie „neue Elemente oder Erkenntnisse“, die „erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen“, dass er „nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist“, vorbringt oder wenn solche zutage treten, allein deshalb, weil er Gründe, die bereits vor Abschluss des ersten Verfahrens existent waren, erst im Folgeantrag geltend macht, auf die Wiederaufnahme eines früheren Asylverfahrens nach § 69 AVG oder § 32 VwGVG zu verweisen.

Der Verwaltungsgerichthof hat in seiner, in der Folge des zuvor dargestellten Vorabentscheidungsverfahrens ergangenen Rechtsprechung ausgesprochen, dass ein Folgeantrag auf internationalen Schutz nicht allein deswegen wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden darf, weil der nunmehr vorgebrachte Sachverhalt von der Rechtskraft einer früheren Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz erfasst sei, ohne dass die Prüfung im Sinn des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie vorgenommen worden wäre, ob „neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist“ (vgl. VwGH 19.10.2021, Ro 2019/14/0006, mwN).

Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des VwGH, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0252 mit Verweis auf VwGH 23.09.2020, Ra 2020/14/0175). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Asylwerbers und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden auseinander zu setzen, um eine Entscheidungsprognose treffen zu können (vgl. VwGH 17.02.2022, Ra 2020/18/0127).

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Die Anwendbarkeit des § 68 AVG setzt gemäß Abs. 1 das Vorliegen eines der „Berufung“ nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides, dh eines Bescheides, der mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht (mehr) bekämpft werden kann, voraus. Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. in Bezug auf mehrere Folgeanträge VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN).

Diese Voraussetzung ist hier gegeben, da der Bescheid der belangten Behörde vom 16.12.2022 zum inhaltlich entschiedenen Asylverfahren unangefochten in Rechtskraft erwachsen ist. Vergleichsmaßstab in Hinblick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers anlässlich seines verfahrensgegenständlichen Folgeantrages auf internationalen Schutz vom 15.02.2024 ist sohin der rechtskräftige Bescheid der belangten Behörde vom 16.12.2022.

Wie beweiswürdigend ausgeführt, hat der Beschwerdeführer kein neues – im Sinne von § 68 Abs. 1 AVG relevantes – Vorbringen erstattet. Das Vorbringen zum Fluchtgrund stimmt mit dem des vorangegangenen Verfahrens überein. Es beinhaltet keinen neuen Fluchtgrund und weder einen neuen, noch einen neu hervorgekommenen Sachverhalt, dem ein glaubhafter Kern innewohnt. Für die belangte Behörde lag somit kein Anlass für eine inhaltliche Überprüfung der seinerzeitigen Erledigung vor.

Von einer relevanten, wesentlichen Änderung des Sachverhalts seit der rechtskräftigen Entscheidung über den vorangegangenen Asylantrag kann daher diesbezüglich nicht gesprochen werden. Wesentliche Änderungen in der Person des Beschwerdeführers in Bezug auf die Lage in Marokko kamen überdies nicht hervor, so dass auch unter dem Blickwinkel des subsidiären Schutzes keine neue inhaltliche Prüfung notwendig war.

Die belangte Behörde hat daher völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass entschiedene Sache vorliegt. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich der Auffassung der belangten Behörde an, dass die Angaben des Beschwerdeführers im gegenständlichen Verfahren nicht geeignet sind, eine neue inhaltliche Entscheidung zu bewirken und dass darin kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden kann.

Da weder in der maßgeblichen Sachlage, und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des Beschwerdeführers gelegen ist, noch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen ist, noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens nicht von vornherein als ausgeschlossen scheinen ließe, liegt entschiedene Sache vor, über welche nicht neuerlich meritorisch entschieden werden kann.

Da die belangte Behörde demnach den Folgeantrag des Beschwerdeführers zutreffend gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen hat, war die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Die formellen Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 sind allerdings nicht gegeben und wird auch nichts Entgegenstehendes im Beschwerdeschriftsatz behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

4. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen sieht § 21 Abs. 6a BFA-VG vor, dass das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren – eine solche liegt gegenständlich vor – ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüberhinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (VwGH 28.05.2014, 2014/20/0017). Eine mündliche Verhandlung ist bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Revisionswerbers vor dem VwG durchzuführen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/06/0050, mwN). Eine mündliche Verhandlung ist ebenfalls durchzuführen zur mündlichen Erörterung von nach der Aktenlage strittigen Rechtsfragen zwischen den Parteien und dem Gericht (VwGH 30.09.2015, Ra 2015/06/0007, mwN) sowie auch vor einer ergänzenden Beweiswürdigung durch das VwG (VwGH 16.02.2017, Ra 2016/05/0038). § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014 erlaubt andererseits das Unterbleiben einer Verhandlung, wenn – wie im vorliegenden Fall – deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/04/0085; 22.01.2015, Ra 2014/21/0052 ua). Diese Regelung steht im Einklang mit Art 47 Abs. 2 GRC (VwGH 25.02.2016, Ra 2016/21/0022).

Gegenständlich ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren vorausgegangen. Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben und weist die gebotene Aktualität auf. Das Gericht musste sich auch keinen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen, da es sich um einen eindeutigen Fall in dem Sinne handelt, dass auch bei Berücksichtigung aller zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Fakten kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, auch wenn der persönliche Eindruck ein positiver ist. Das vom Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift erstattete Vorbringen war unsubstantiiert und somit nicht geeignet, erheblich erscheinende neue Tatsachen oder Beweise darzustellen und eine Verhandlungspflicht auszulösen, weshalb aufgrund der Aktenlage entschieden werden konnte.

Der Sachverhalt ist im gegenständlichen Beschwerdefall aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt, weshalb gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte.

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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