JudikaturBvwgW193 2158763-2

W193 2158763-2 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
22. April 2024

Spruch

W193 2158763-2/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Michaela RUSSEGGER über die Beschwerde des XXXX , geb XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch BBU - Bundesargentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird stattgegeben. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.

IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. bis VIII. des angefochtenen Bescheids ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG erlassen, die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG für zulässig erklärt und dem Beschwerdeführer gemäß § 55 FPG eine zweiwöchige Frist zur freiwilligen Ausreise gesetzt. Am XXXX erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

I.3. Am XXXX langte bei der zuständigen Behörde die Verständigung über die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers durch das XXXX , GZ: XXXX , wegen § 28a (1) 5. Fall SMG, §§ 27 (1) Z 1 1. Fall, 27 (1) Z 1 2. Fall SMG und §§ 27 (1) Z 1 1. Fall, 27 (1) Z 1 2. Fall, 27 (2) SMG, ein.

I.4. Nach durchgeführtem Konsultationsverfahren wurde der Beschwerdeführer am XXXX im Rahmen eines Dublin-Verfahrens in das Bundesgebiet rücküberstellt.

I.5. Am XXXX langte bei der zuständigen Behörde die Verständigung über die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers durch das XXXX , GZ: XXXX , wegen § 12 3. Fall StGB, §§ 223 (1), 224 StGB, §§ 223 (2), 224 StGB, ein.

I.6. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , wurde die Beschwerde des Beschwerdeführers abgewiesen.

I.7. Am XXXX stellte der Beschwerdeführer einen Folgeantrag auf internationalen Schutz.

I.8. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX gab der Beschwerdeführer an, am XXXX geboren worden zu sein. Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, dass Afghanistan unsicher sei, er dort Feinde habe und die momentane Situation ihn daran hindere, dorthin zurückzukehren.

I.9. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer in Anwesenheit eines Dolmetschers von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen befragt verwies der Beschwerdeführer auf seine Angaben im Erstverfahren: Dem Beschwerdeführer unbekannte Männer hätten in Afghanistan den Vater des Beschwerdeführers geschlagen und verletzt. Diese, so der Beschwerdeführer, seien gemäß den Angaben seines Vaters, Schwager der sich nunmehr in Österreich befindlichen Tante des Beschwerdeführers gewesen. Der Vater des Beschwerdeführers habe der Tante des Beschwerdeführers geholfen, sich von ihrem Ehemann zu lösen. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan habe der Beschwerdeführer Angst, von den Schwagern seiner Tante aufgesucht und verletzt zu werden.

I.10. Mit Bescheid vom XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG erlassen, die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG für zulässig erklärt und dem Beschwerdeführer gemäß § 55 FPG eine zweiwöchige Frist zur freiwilligen Ausreise gesetzt. Darüber hinaus wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

I.11. Mit Schreiben vom XXXX erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht die eingebrachten Beschwerden samt dazugehörigen Verwaltungsakten.

I.12. Am XXXX übermittelte der Beschwerdeführer eine schriftliche Stellungnahme.

I.13. An der am XXXX durch das Bundesverwaltungsgericht durchgeführten öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung nahm der Beschwerdeführer teil. Auch der im Spruch genannte bevollmächtigte Vertreter nahm an der Verhandlung teil. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verzichtete bereits mit Schreiben zur Beschwerdevorlage auf die Teilnahme an der Verhandlung.

Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der Beschwerdeführer im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari u.a. zu seinem gesundheitlichen Befinden, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinen persönlichen Verhältnissen und seinem Leben in Österreich und Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Fluchtgründen ausführlich befragt.

Als Beilagen zum Protokoll der mündlichen Verhandlung wurde ein Konvolut an Unterlagen des Beschwerdeführers genommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Sachverhaltsfeststellungen:

II.1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinem Familienleben:

Der Beschwerdeführer führt die im Spruch genannte Identität. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Seine Muttersprache ist Dari.

Der Beschwerdeführer hat afghanische und österreichische Freunde im österreichischen Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer befindet sich in einer Beziehung mit einer in Österreich wohnhaften Frau.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitswillig.

Der Beschwerdeführer stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Der Antrag vom XXXX wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG erlassen, die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG für zulässig erklärt und dem Beschwerdeführer gemäß § 55 FPG eine zweiwöchige Frist zur freiwilligen Ausreise gesetzt. Am XXXX erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , wurde die Beschwerde des Beschwerdeführers abgewiesen.

Der Beschwerdeführer stellte am XXXX einen Folgeantrag auf internationalen Schutz.

Dem Beschwerdeführer ist vorbestraft. Ihm liegen im Bundesgebiet folgende Verurteilungen zur Last:

Mit Urteil des XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a (1) 5. Fall SMG, wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 1. Und 2. Fall SMG und wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 1. Und 2 Fall, Abs. 2 SMG zu einer Freiheitstrafe von 15 Monaten verurteilt. Ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von zehn Monaten wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Als mildernd wurden die Unbescholtenheit, das ursprüngliche Geständnis und dadurch der Beitrag zur Wahrheitsfindung gewertet. Als erschwerend wurde das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen gewertet.

Mit Urteil des XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 12 dritter Fall, 223 Abs. 1, 224 StGB und wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs. 2, 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu EUR 4,00, gesamt EUR 480,00, im Fall der Uneinbringlichkeit 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Als mildernd wurde das Geständnis des Beschwerdeführers gewertet, als erschwerend hingegen das Zusammentreffen von mehreren Vergehen.

Der Beschwerdeführer ist einsichtig und bereut sein das der Verurteilung vom XXXX zugrundeliegende strafgerichtlich relevante Verhalten.

Der Beschwerdeführer hat sich seit seiner letzten strafgerichtlichen Verurteilung vom XXXX , wohlverhalten.

II.1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan keine Verfolgung bzw. Bedrohung durch die Taliban.

Auch drohen ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit konkrete und individuelle physische und/oder psychische Eingriffe erheblicher Intensität in seine persönliche Sphäre aufgrund von Religion, Nationalität, politischer Einstellung, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder ethnischer Zugehörigkeitund wurde eine solche Gefährdung von ihm auch nicht glaubhaft gemacht.

II.1.3. Zu einer möglichen Neuansiedlung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat

Aufgrund der mit der Machtübernahme der Taliban verbundenen, volatilen allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan und der aktuell schlechten, ungewissen weiteren Versorgungslage würde dem Beschwerdeführer derzeit bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr drohen, durch Übergriffe von Taliban-Kämpfern auf die Zivilbevölkerung zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden oder in eine ausweglose oder existenzbedrohende Notlage zu geraten.

II.1.4. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, September 2023

- Afghanistan – Country Focus, Dezember 2023

- Country Guidance: Afghanistan, Januar 2023

Auszug dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Version 10, vom 28.09.2023, wiedergegeben:

„[…]

Politische Lage

Letzte Änderung: 21.09.2023

Die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan haben sich mit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 grundlegend verändert (AA 26.6.2023). Die Taliban sind zu der ausgrenzenden, auf die Paschtunen ausgerichteten, autokratischen Politik der Taliban-Regierung der späten 1990er-Jahre zurückgekehrt (UNSC 1.6.2023). Sie bezeichnen ihre Regierung als das „Islamische Emirat Afghanistan“ (USIP 17.8.2022; vgl. VOA 1.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen. Seit ihrer Machtübernahme hat die Gruppe jedoch nur vage erklärt, dass sie im Einklang mit dem „islamischen Recht und den afghanischen Werten“ regieren wird, und hat nur selten die rechtlichen oder politischen Grundsätze dargelegt, die ihre Regeln und Verhaltensweisen bestimmen (USIP 17.8.2022). Die Verfassung von 2004 ist de facto ausgehebelt. Ankündigungen über die Erarbeitung einer neuen Verfassung sind bislang ohne sichtbare Folgen geblieben. Die Taliban haben begonnen, staatliche und institutionelle Strukturen an ihre religiösen und politischen Vorstellungen anzupassen. Im September 2022 betonte der Justizminister der Taliban, dass eineVerfassung für Afghanistan nicht notwendig sei (AA 26.6.2023).

Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan übernahmen die Taliban auch schnell staatliche Institutionen (USIP 17.8.2022) und erklärten Haibatullah Akhundzada zu ihrem obersten Führer (Afghan Bios 7.7.2022a; vgl. REU 7.9.2021a; VOA 19.8.2021). Er kündigte an, dass alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden (ORF 8.9.2021; vgl. DIP 4.1.2023). Haibatullah hat sich dem Druck von außen, seine Politik zu mäßigen, widersetzt (UNSC 1.6.2023) und baut seinen Einfluss auf Regierungsentscheidungen auf nationaler und subnationaler Ebene auch im Jahr 2023 weiter aus (UNGA 20.6.2023). Es gibt keine Anzeichen dafür, dass andere in Kabul ansässige Taliban-Führer die Politik wesentlich beeinflussen können. Kurz- bis mittelfristig bestehen kaum Aussichten auf eine Änderung (UNSC 1.6.2023). Innerhalb weniger Wochen kündigten die Taliban „Interims“-Besetzungen für alle Ministerien bis auf ein einziges an, wobei die Organisationsstruktur der vorherigen Regierung beibehalten wurde (USIP 17.8.2022) - das Ministerium für Frauenangelegenheiten blieb unbesetzt und wurde später aufgelöst (USIP 17.8.2022; vgl. HRW 4.10.2021). Alle amtierenden Minister waren hochrangige Taliban-Führer; es wurden keine externen politischen Persönlichkeiten ernannt, die überwältigende Mehrheit war paschtunisch, und alle waren Männer. Seitdem haben die Taliban die interne Struktur verschiedener Ministerien mehrfach geändert und das Ministerium für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung des Lasters wiederbelebt, das in den 1990er-Jahren als strenge „Sittenpolizei“ berüchtigt war, die strenge Vorschriften für das soziale Verhalten durchsetzte (USIP 17.8.2022). Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten (ICG 24.8.2021; vgl. USDOS 12.4.2022a), wobei weibliche Angestellte aufgefordert wurden, zu Hause zu bleiben (BBC 19.9.2021; vgl. GD 20.9.2021). Die für die Wahlen zuständigen Institutionen, sowie die Unabhängige Menschenrechtskommission, der Nationale Sicherheitsrat und die Sekretariate der Parlamentskammern wurden abgeschafft (AA 26.6.2023).

Der Ernennung einer aus 33 Mitgliedern bestehenden geschäftsführenden Übergangsregierung im September 2021 folgten zahlreiche Neuernennungen und Umbesetzungen auf nationaler, Provinz- und Distriktebene in den folgenden Monaten, wobei Frauen weiterhin gar nicht und nicht-paschtunische Bevölkerungsgruppen nur in geringem Umfang berücksichtigt wurden (AA 26.6.2023).

[...]

Die neue Regierung wird von Mohammad Hassan Akhund geführt. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied des höchsten Führungszirkels der Taliban, der sogenannten Rahbari-Schura, besser bekannt als Quetta-Schura (NZZ 8.9.2021; vgl. REU 7.9.2021b, Afghan Bios 18.7.2023a).

Stellvertretende vorläufige Premierminister sind Abdul Ghani Baradar (AJ 7.9.2021; vgl. REU 7.9.2021b, Afghan Bios 16.2.2022) der die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten in Doha vertrat und das Abkommen mit ihnen am 29.2.2021 unterzeichnete (AJ 7.9.2021; vgl. VOA 29.2.2020) und Abdul Salam Hanafi (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 7.7.2022b) der unter dem ersten Taliban-Regime Bildungsminister war (Afghan Bios 7.7.2022b; vgl. UNSC o.D.a). Im Oktober 2021 wurde Maulvi Abdul Kabir zum dritten stellvertretenden Premierminister ernannt (Afghan Bios 18.7.2023b; vgl. 8am 5.10.2021, UNGA 28.1.2022).

Weitere Mitglieder der vorläufigen Taliban-Regierung sind unter anderem Sirajuddin Haqqani, der Leiter des Haqqani-Netzwerkes (Afghan Bios 4.3.2023; vgl. JF 5.11.2021) als Innenminister (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 4.3.2023) und Amir Khan Mattaqi als Außenminister (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 1.3.2023) welcher die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinten Nationen vertrat und im ersten Taliban-Regime unter anderem den Posten des Kulturministers innehatte (Afghan Bios 1.3.2023; vgl. UNSC o.D.b). Der Verteidigungsminister der vorläufigen Taliban-Regierung ist Mohammed Yaqoob (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 4.5.2023) dem 2020 der Posten des militärischen Leiters der Taliban verliehen wurde (Afghan Bios 4.5.2023; vgl. RFE/RL 29.8.2020). Auch hohe Beamte auf subnationaler Ebene, darunter Provinzgouverneure, Polizeichefs, Abteilungsleiter, Bürgermeister und Distriktgouverneure, wurden in weiterer Folge ernannt (UNGA 28.1.2022; vgl. 8am 5.10.2021).

Nach ihrer Machtübernahme kündigten hochrangige Taliban-Führer eine weitreichende Generalamnestie an, die Repressalien für Handlungen vor der Machtübernahme durch die Taliban untersagte, auch gegen Beamte und andere Personen, die mit der Regierung vor dem 15.8.2021 in Verbindung standen (USDOS 12.4.2022a; vgl. UNGA 28.1.2022). Es wird jedoch berichtet, dass diese Amnestie nicht konsequent eingehalten wurde, und es kam zu willkürlichen Verhaftungen, gezielten Tötungen und Angriffen auf ehemalige afghanische Regierungsmitarbeiter (ANI 20.7.2022; vgl. USDOS 20.3.2023, UNGA 28.1.2022).

Sah es in den ersten sechs Monaten ihrer Herrschaft so aus, als ob das Kabinett unter dem Vorsitz des Premierministers die Regierungspolitik bestimmen würde, wurden die Minister in großen und kleinen Fragen zunehmend vom Emir, Haibatullah Akhundzada, überstimmt (USIP 17.8.2022). Diese Dynamik wurde am 23.3.2022 öffentlich sichtbar, als der Emir in letzter Minute die lange versprochene Rückkehr der Mädchen in die Oberschule kippte (USIP 17.8.2022; vgl. RFE/RL 24.3.2022, UNGA 15.6.2022), was Experten als ein Zeichen für eine Spaltung der Gruppe in Bezug auf die künftige Ausrichtung der Herrschaft in Afghanistan bezeichnen (GD 6.7.2022). Seitdem sind die Mädchenbildung und andere umstrittene Themen ins Stocken geraten, da pragmatische Taliban-Führer dem Emir nachgeben, der sich von ultrakonservativen Taliban-Klerikern beraten lässt. Ausländische Diplomaten haben begonnen, von „duellierenden Machtzentren“ zwischen den in Kabul und Kandahar ansässigen Taliban zu sprechen (USIP 17.8.2022) und es gibt auch Kritik innerhalb der Taliban, beispielsweise als im Mai 2022 ein hochrangiger Taliban-Beamter als erster die Taliban-Führung offen für ihre repressive Politik in Afghanistan kritisierte (RFE/RL 3.6.2022a). Doch der Emir und sein Kreis von Beratern und Vertrauten in Kandahar kontrollieren nicht jeden Aspekt der Regierungsführung. Mehrere Adhoc-Ausschüsse wurden ernannt, um die Politik zu untersuchen und einen Konsens zu finden, während andere Ausschüsse Prozesse wie die Versöhnung und die Rückkehr politischer Persönlichkeiten nach Afghanistan umsetzen. Viele politische Maßnahmen unterscheiden sich immer noch stark von einer Provinz zur anderen des Landes. Die Taliban-Beamten haben sich, wie schon während ihres Aufstands, als flexibel erwiesen, je nach den Erwartungen der lokalen Gemeinschaften. Darüber hinaus werden viele Probleme nach wie vor über persönliche Beziehungen zu einflussreichen Taliban-Figuren gelöst, unabhängig davon, ob deren offizielle Position in der Regierung für das Problem verantwortlich ist (USIP 17.8.2022).

In seiner traditionellen jährlichen Botschaft zum muslimischen Feiertag Eid al-Fitr sagte Haibatullah Akhundzada, sein Land wünsche sich positive Beziehungen zu seinen Nachbarn, den islamischen Ländern und der Welt, doch dürfe sich kein Land in deren innere Angelegenheiten einmischen. Er vermied es, direkt auf das Bildungsverbot von Mädchen und die Beschäftigungseinschränkungen von Frauen einzugehen, sagte jedoch, dass die Taliban-Regierung bedeutende Reformen in den Bereichen Kultur, Bildung, Wirtschaft, Medien und anderen Bereichen eingeleitet habe, und „die schlechten intellektuellen und moralischen Auswirkungen der 20-jährigen Besatzung“ seien dabei, zu Ende zu gehen (AnA 18.4.2023; vgl. BAMF 30.6.2023).

Anfang Juni 2023 wurde berichtet, dass es Anzeichen dafür gibt, dass die Taliban die Stadt Kandahar zu ihrem Stützpunkt machen würden. Dies wir als ein Zeichen für den schwindenden Einfluss der gemäßigteren Taliban-Mitglieder in der Hauptstadt Kabul gesehen, während das Regime seine repressive Politik weiter verschärft. In den letzten Monaten haben Vertreter des Regimes Delegationen aus Japan und Katar nach Kandahar eingeladen, anstatt sich mit anderen Beamten in Kabul zu treffen. Der oberste Sprecher der Taliban, Zabihullah Mudschahid, und ein zweiter Informationsbeauftragter aus Nordafghanistan, Inamullah Samangani, wurden von ihren Büros in Kabul nach Kandahar verlegt (WP 5.6.2023; vgl. BAMF 30.6.2023).

Bisher hat noch kein Land die Regierung der Taliban anerkannt (TN 30.10.2022; vgl. REU 15.6.2023) dennoch sind Vertreter aus Indien, China, Usbekistan, der Europäischen Union, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Kabul präsent (TN 30.10.2022). Im März 2023 gab der Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid bekannt, dass Diplomaten in mehr als 14 Länder, unter anderem Iran, Türkei, Pakistan, Russland, China und Kazakhstan, entsandt wurden, um die diplomatischen Vertretungen im Ausland zu übernehmen (PBS 25.3.2023; vgl. OI 25.3.2023).

Im Mai 2023 traf sich der Außenminister der Taliban, Khan Muttaqi mit seinen Amtskollegen aus Pakistan und China in Islamabad. Im Mittelpunkt des Treffens stand die Einbeziehung Afghanistans in den chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor (OPEC) sowie die Situation von Frauen in Afghanistan (AnA 5.5.2023; vgl. VOA 6.5.2023).

[...]

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 15.09.2023

Seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul am 15.8.2021 ist das allgemeine Ausmaß des Konfliktes zurückgegangen (UNGA 28.1.2022, vgl. UNAMA 27.6.2023). Nach Angaben der Vereinten Nationen gab es beispielsweise weniger konfliktbedingte Sicherheitsvorfälle wie bewaffnete Zusammenstöße, Luftangriffe und improvisierte Sprengsätze (IEDs) (UNGA 28.1.2022) sowie eine geringere Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung (UNAMA 27.6.2023; vgl. UNAMA 7.2022). Die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) hat jedoch weiterhin ein erhebliches Ausmaß an zivilen Opfern durch vorsätzliche Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen (IEDs) dokumentiert (UNAMA 27.6.2023).

UNAMA registrierte zwischen dem 15.08.2021 und dem 30.05.2023 mindestens 3.774 zivile Opfer, davon 1.095 Tote (UNAMA 27.6.2023; vgl. AA 26.6.2023). Im Vergleich waren es in den ersten sechs Monaten nach der Machtübernahme der Taliban 1.153 zivile Opfer, davon 397 Tote, während es in der ersten Jahreshälfte 2021 (also vor der Machtübernahme der Taliban) 5.183 zivile Opfer, davon 1.659 Tote gab. In der Mehrzahl handelte es sich um Anschläge durch Selbstmordattentäter und IEDs. Bei Anschlägen auf religiöse Stätten wurden 1.218 Opfer, inkl. Frauen und Kinder, verletzt oder getötet. 345 Opfer wurden unter den mehrheitlich schiitischen Hazara gefordert. Bei Angriffen auf die Taliban wurden 426 zivile Opfer registriert (AA 26.6.2023).

Nach Angaben der Vereinten Nationen entwickelten sich die sicherheitsrelevanten Vorfälle seit der Machtübernahme der Taliban folgend:

• 19.8.2021 - 31.12.2021: 985 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 91 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 28.1.2022)

• 1.1.2022 - 21.5.2022: 2.105 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 467% gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 15.6.2022)

• 22.5.2022 - 16.8.2022: 1.642 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 77,5% gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 14.9.2022)

• 17.8.2022 - 13.11.2022: 1,587 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 23% gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 7.12.2022)

• 14.11.2022 - 31.1.2023: 1,088 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 10 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 27.2.2023)

• 1.2.2023 - 20.5.2023: 1.650 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 1 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 20.6.2023)

Ende 2022 und in der ersten Hälfte des Jahres 2023 nehmen die Zusammenstöße zwischen bewaffneten Gruppierungen und den Taliban weiter ab (UNGA 27.2.2023; vgl. UNGA 20.6.2023). Die Nationale Widerstandsfront, die Afghanische Freiheitsfront und die Bewegung zur Befreiung Afghanistans (ehemals Afghanische Befreiungsfront) bekannten sich zu Anschlägen in den Provinzen Helmand, Kabul, Kandahar, Kapisa, Nangarhar, Nuristan und Panjsher (UNGA 27.2.2023). Die dem Taliban-Verteidigungsministerium unterstehenden Sicherheitskräfte führten weiterhin Operationen gegen Oppositionskämpfer durch, darunter am 11.4.2023 eine Operation gegen die Afghanische Freiheitsfront im Bezirk Salang in der Provinz Parwan, bei der Berichten zufolge acht Oppositionskämpfer getötet wurden (UNGA 20.6.2023).

Die Vereinten Nationen berichten, dass Afghanistan nach wie vor ein Ort von globaler Bedeutung für den Terrorismus ist, da etwa 20 terroristische Gruppen in dem Land operieren. Es wird vermutet, dass das Ziel dieser Terrorgruppen darin besteht, ihren jeweiligen Einfluss in der Region zu verbreiten und theokratische Quasi-Staatsgebilde zu errichten (UNSC 25.7.2023). Die Grenzen zwischen Mitgliedern von Al-Qaida und mit ihr verbundenen Gruppen, einschließlich TTP (Tehreek-e Taliban Pakistan), und ISKP (Islamic State Khorasan Province) sind zuweilen fließend, wobei sich Einzelpersonen manchmal mit mehr als einer Gruppe identifizieren und die Tendenz besteht, sich der dominierenden oder aufsteigenden Macht zuzuwenden (UNSC 25.7.2023).

Hatten sich die Aktivitäten des ISKP nach der Machtübernahme der Taliban zunächst verstärkt (UNGA 28.1.2022; vgl. UNGA 15.6.2022, UNGA 14.9.2022, UNGA 7.12.2022) so nahmen die im Lauf des Jahres 2022 (UNGA 7.12.2022; vgl. UNGA 27.2.2023) und in der ersten Hälfte des Jahres 2023 wieder ab (UNGA 20.6.2023). Die Gruppe verübte weiterhin Anschläge auf die Zivilbevölkerung, insbesondere auf die schiitischen Hazara (HRW 12.1.2023). Die Taliban-Sicherheitskräfte führten weiterhin Operationen zur Bekämpfung des ISKP durch, unter anderem in den Provinzen Kabul, Herat, Balkh, Faryab, Jawzjan, Nimroz, Parwan, Kunduz und Takhar (UNGA 20.6.2023).

Im Zuge einer im Auftrag der Staatendokumentation von ATR Consulting im November 2021 in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif durchgeführten Studie gaben 68,3 % der Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass diese Ergebnisse nicht auf die gesamte Region oder das ganze Land hochgerechnet werden können. Die Befragten wurden gefragt, wie sicher sie sich in ihrer Nachbarschaft fühlen, was sich davon unterscheidet, ob sie sich unter dem Taliban-Regime sicher fühlen oder ob sie die Taliban als Sicherheitsgaranten betrachten, oder ob sie sich in anderen Teilen ihrer Stadt oder anderswo im Land sicher fühlen würden. Das Sicherheitsgefühl ist auch davon abhängig, in welchem Ausmaß die Befragten ihre Nachbarn kennen und wie vertraut sie mit ihrer Nachbarschaft sind und nicht darauf, wie sehr sie sich in Sachen Sicherheit auf externe Akteure verlassen. Nicht erfasst wurde in der Studie, inwieweit bei den Befragten Sicherheitsängste oder Bedenken in Hinblick auf die Taliban oder Gruppen wie den ISKP vorliegen. In Bezug auf Straßenkriminalität und Gewalt gaben 79,7 % bzw. 70,7 % der Befragen an, zwischen September und Oktober 2021 keiner Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein. An dieser Stelle ist zu beachten, dass die Ergebnisse nicht erfassen, welche Maßnahmen der Risikominderung von den Befragten durchgeführt werden, wie z. B.: die Verringerung der Zeit, die sie außerhalb ihres Hauses verbringen, die Änderung ihres Verhaltens, einschließlich ihres Kaufverhaltens, um weniger Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, sowie die Einschränkung der Bewegung von Frauen und Mädchen im Freien (ATR/STDOK 18.1.2022).

Im Dezember 2022 wurde von ATR Consulting erneut eine Studie im Auftrag der Staatendokumentation durchgeführt. Diesmal ausschließlich in Kabul. Hier variiert das Sicherheitsempfinden der Befragten, was laut den Autoren der Studie daran liegt, dass sich Ansichten der weiblichen und männlichen Befragten deutlich unterscheiden. Insgesamt gaben die meisten Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen, wobei die relativ positive Wahrnehmung der Sicherheit und die Antworten der Befragten, nach Meinung der Autoren, daran liegt, dass es vielen Befragten aus Angst vor den Taliban unangenehm war, über Sicherheitsfragen zu sprechen. Sie weisen auch darauf hin, dass die Sicherheit in der Nachbarschaft ein schlechtes Maß für das Sicherheitsempfinden der Menschen und ihre Gedanken über das Leben unter dem Taliban-Regime ist (ATR/STDOK 3.2.2023).

[…]

Verfolgungspraxis der Taliban, neue technische Möglichkeiten

Letzte Änderung: 21.03.2023

Trotz mehrfacher Versicherungen der Taliban, von Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen der ehemaligen Regierung und Sicherheitskräften abzusehen (AA 20.7.2022; vgl. USDOS 12.4.2022a), wurde nach der Machtübernahme der Taliban berichtet, dass diese auf der Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung von Tür zu Tür gingen und deren Angehörige bedrohten. Ein Mitglied einer Rechercheorganisation, welche einen (nicht öffentlich zugänglichen) Bericht zu diesem Thema für die Vereinten Nationen verfasste, sprach von einer "schwarzen Liste" der Taliban und großer Gefahr für jeden, der sich auf dieser Liste befände (BBC 20.8.2021a; vgl. DW 20.8.2021). Im Zuge der Machtübernahme im August 2021 hatten die Taliban Zugriff auf Mitarbeiterlisten der Behörden (HRW 1.11.2021; vgl. NYT 29.8.2021) unter anderem auf eine biometrische Datenbank mit Angaben zu aktuellen und ehemaligen Angehörigen der Armee und Polizei bzw. zu Afghanen, die den internationalen Truppen geholfen haben (Intercept 17.8.2021). Auch Human Rights Watch (HRW) zufolge kontrollieren die Taliban Systeme mit sensiblen biometrischen Daten, die westliche Geberregierungen im August 2021 in Afghanistan zurückgelassen haben. Diese digitalen Identitäts- und Gehaltsabrechnungssysteme enthalten persönliche und biometrische Daten von Afghanen, darunter Iris-Scans, Fingerabdrücke, Fotos, Beruf, Wohnadressen und Namen von Verwandten. Die Taliban könnten diese Daten nutzen, um vermeintliche Gegner ins Visier zu nehmen, und Untersuchungen von Human Rights Watch deuten darauf hin, dass sie die Daten in einigen Fällen bereits genutzt haben könnten (HRW 30.3.2022).

Die Taliban sind in den sozialen Medien aktiv, unter anderem zu Propagandazwecken. Die Gruppierung soziale Medien und Internettechnik jedoch nicht nur für Propagandazwecke und ihre eigene Kommunikation, sondern auch, um Gegner des Taliban-Regimes aufzuspüren (Golem 20.8.2021; vgl. BBC 20.8.2021a, 8am 14.11.2022). So wurde beispielsweise ein afghanischer Professor verhaftet, nachdem er die Taliban via Social Media kritisierte (FR24 9.1.2022), während ein junger Mann in der Provinz Ghor Berichten zufolge nach einer Onlinekritik an den Taliban verhaftet wurde (8am 14.11.2022). Einem afghanischen Journalisten zufolge verwenden die Taliban soziale Netzwerke wie Facebook und LinkedIn, um jene Afghanen zu identifizieren, die mit westlichen Gruppen und der US-amerikanischen Hilfsagentur USAID zusammengearbeitet haben (ROW 20.8.2021).

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Regionen Afghanistans

Letzte Änderung: 21.09.2023

Afghanistan verfügt über 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.230 Quadratkilometern (CIA 23.8.2023) leben ca. 34,3 (NSIA 4.2022) bis 39,2 Millionen Menschen (CIA 23.8.2023). Afghanistan befindet sich aktuell weitgehend unter der Kontrolle der Taliban (ICG 12.8.2022; vgl. AA 26.6.2023) und grenzt an sechs Länder: China (91 km), Iran (921 km) Pakistan (2.670 km), Tadschikistan (1.357 km), Turkmenistan (804 km), Usbekistan (144 km) (CIA 23.8.2023).

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Ost-Afghanistan

Letzte Änderung: 28.09.2023

Der Osten Afghanistans grenzt an Pakistan und ist ein wichtiger Teil des paschtunischen Heimatlandes, dessen Stammeseinfluss sich bis nach Westpakistan erstreckt. Jalalabad, die Hauptstadt der Provinz Nangarhar, liegt auf halbem Weg zwischen Torkham (Ende des Khyber-Passes und Kabul/Grenze zu Pakistan) und ist die wichtigste afghanische Stadt im Osten und gilt als das Tor nach Afghanistan vom Khyber-Pass aus. Berge und Täler (oft sehr abgelegen) dominieren die Region (NPS o.D.d).

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Distrikte nach Provinz (NSIA 4.2022)

Der Osten Afghanistans grenzt an Pakistan und ist ein wichtiger Teil des paschtunischen Heimatlandes, dessen Stammeseinfluss sich bis nach Westpakistan erstreckt. Jalalabad, die Hauptstadt der Provinz Nangarhar, liegt auf halbem Weg zwischen Torkham (Ende des Khyber-Passes und Kabul/Grenze zu Pakistan) und ist die wichtigste afghanische Stadt im Osten und gilt als das Tor nach Afghanistan vom Khyber-Pass aus. Berge und Täler (oft sehr abgelegen) dominieren die Region (NPS o.D.d).

Kabul: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e- Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara, Surubi/Surobi/Sarobi

Kapisa: Alasay, Hesa Awal Kohistan, Hesa Duwum Kohistan, Koh Band, Mahmud Raqi, Nijrab, Tagab

Khost: Ali Sher (Tirzayee), Baak, Gurbuz, Jaji Maidan, Khost (Matun), Manduzay (Esmayel Khil), Muza Khel, Nadir Shah Kot, Qalandar, Sabari (Yaqubi), Shamul, Spera, Tanay.

Kunar: Bar Kunar (auch Asmar), Chapa Dara, Sawkay (auch Chawkay), Dangam, Dara-e-Pech (auch Manogi), Ghazi Abad, Khas Kunar, Marawara, Narang wa Badil, Nari, Noorgal, Sar Kani, Shigal, Watapoor sowie der temporäre Distrikt Sheltan

Laghman: Alingar, Alishing, Dawlat Shah, Mehtarlam, Qarghayi, Bad Pash (also Bad Pakh)

Logar: Azra, Baraki Barak, Charkh, Khar War, Khushi, Mohammad Agha, Pul-e-Alam

Nangarhar: Achin, Bati Kot, Behsud, Chaparhar, Dara-e-Nur, Deh Bala (auch Haska Mena), Dur Baba, Goshta, Hesarak, Jalalabad, Kama, Khugyani, Kot, Kuzkunar, Lalpoor, Muhmand Dara, Nazyan, Pachiragam, Rodat, Sher Zad, Shinwar, Surkh Rud

Paktia: Ahmadaba, Jaji, Dand Patan, Gardez, Jani Khel, Laja Ahmad Khel (auch Laja Mangel), Samkani (auch Chamkani, Tsamkani), Sayyid Karam (auch Mirzaka), Shwak, Wuza Zadran, Zurmat sowie die vier temporären Distrikte Laja Mangel, Mirzaka, Garda Siray, Rohany Baba

Paktika: Barmal, Dila Wa Khushamand, Gomal, Giyan, Jani Khel, Mata Khan, Nika (Naka), Omna, Surobi, Sar Rawzah, Sharan, Turwo, Urgoon, Wazakhwah, Wormamay, Yahya Khel, Yosuf Khel, Zarghun Shahr (auch Khairkot), Ziruk sowie die vier temporären Distrikte Shakeen, Bak Khil, Charbaran, Shakhil Abad

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Aktuelle Lage und jüngste Entwicklungen

Letzte Änderung: 18.09.2023

2022

Am 19.1.2022 wurden ein Kommandeur der Taliban, sein Sohn und drei Zivilisten im Osten der Provinz Kunar erschossen (KP 19.1.2022; vgl. RW 20.1.2022).

Bei zwei Luftangriffen der pakistanischen Streitkräfte entlang der Grenze zu Afghanistan wurden am 16.4.2022 in den Provinzen Kunar und Khost mindestens 47 Menschen getötet und 22 verletzt, hauptsächlich Frauen und Kinder (AOAV 26.4.2022; vgl.AJ 17.4.2022).

Am 20.6.2022 wurden in Nangarhar zwei Zivilisten getötet und 23 verletzt, als ein Fahrzeug, das einen Taliban-Distriktvertreter transportierte, auf einem belebten Markt explodierte. Fünf Taliban-Mitglieder wurden ebenfalls verletzt (AOAV 22.6.2022; vgl. RFE/RL 20.6.2022).

Am 22.6.2022 ereignete sich in den Provinzen Paktika und Khost ein Erdbeben der Stärke 5,9, das schätzungsweise 770 Todesopfer und etwa 1.500 Verletzte forderte (USAID 28.6.2022; vgl. WHO 3.7.2022a).

Am 2.7.2022 explodierte in Nangarhar eine Granate in einem islamischen Seminar, es wurden mindestens acht Personen verletzt (ANI 4.7.2022).

Im August wurde von Zusammenstößen zwischen den Taliban und der National Resistance Front (NRF) in Khost (8am 13.8.2022) und Kapisa (AaNe 24.8.2022) berichtet.

Am 10.10.2022 kam es in der Hauptstadt von Laghman zu einem Angriff auf Sicherheitskräfte der Taliban, bei denen auch Zivilisten verletzt wurden (UNGA 7.12.2022; vgl. Afintl 11.10.2022b).

Am 6.12.2022 ereignete sich in der Stadt Jalalabad in Nangarhar eine Explosion, bei der bis zu zehn Zivilisten verletzt wurden (Afintl 6.12.2022; vgl. Bakhtar 6.12.2022).

2023

Die NRF behauptete, am 24.1.2023 in der Provinz Kapisa drei Taliban-Kämpfer getötet und zwei weitere verletzt zu haben (BAMF 30.6.2023; vgl. 8am 25.1.2023).

Die AFF gab bekannt, dass drei Taliban-Mitglieder getötet und vier weitere verwundet wurden, nachdem sie am 8.5.2023 einen Raketenangriff auf das Gouverneursbüro der Taliban in Mahmud-i-Raqi, der Hauptstadt der Provinz Kapisa, verübt hatten (Afintl 10.5.2023; vgl. 8am 9.5.2023). Ein Sprecher der Taliban in Kapisa wies jedoch die Behauptungen der AFF zurück (Afintl 10.5.2023).

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Zentrale Akteure

Taliban

Letzte Änderung: 21.03.2023

Die Taliban sind eine überwiegend paschtunische, islamisch-fundamentalistische Gruppe, die 2021 nach einem zwanzigjährigen Aufstand wieder an die Macht in Afghanistan kam (CFR 17.8.2022; vgl. USDOS 12.4.2022a). Die Taliban bezeichnen ihre Regierung als das "Islamische Emirat Afghanistan" (USIP 17.8.2022; vgl. VOA 1.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen (USIP 17.8.2022).

Nach der US-geführten Invasion, mit der das ursprüngliche Regime 2001 gestürzt wurde, gruppierten sich die Taliban jenseits der Grenze in Pakistan neu und begannen weniger als zehn Jahre nach ihrem Sturz mit der Rückeroberung von Gebieten (CFR 17.8.2022). Nachdem die Vereinigten Staaten ihre verbleibenden Truppen im August 2021 aus Afghanistan abzogen, eroberten die Taliban mit einer raschen Offensive die Macht in Afghanistan (CFR 17.8.2022; vgl. USDOS 12.4.2022a). Am 15.8.2021 floh der bisherige afghanische Präsident Ashraf Ghani aus Afghanistan und die Taliban nahmen Kabul als die letzte aller großen afghanischen Städte ein (BBC 15.8.2022; vgl. AI 29.3.2022).

Die Taliban-Regierung weist eine starre hierarchische Struktur auf, deren oberstes Gremium die Quetta-Shura ist (EER 10.2022), benannt nach der Stadt in Pakistan, in der Mullah Mohammed Omar, der erste Anführer der Taliban, und seine wichtigsten Helfer nach der US-Invasion Zuflucht gesucht haben sollen. Sie wird von Mawlawi Hibatullah Akhundzada geleitet (CFR 17.8.2022; vgl. Rehman A./PJIA 6.2022), dem obersten Führer der Taliban (Afghan Bios 7.7.2022a; vgl. CFR 17.8.2022, Rehman A./PJIA 6.2022). Er gilt als die ultimative Autorität' in allen religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten (EUAA 8.2022a; vgl. Afghan Bios 7.7.2022a, REU 7.9.2021a).

Vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021 unterstand die militärische Befehlskette der Kommission für militärische Angelegenheiten der Taliban. Diese Einrichtung wurde von Mullah Yaqoob, der 2020 zum Leiter der militärischen Operationen der Taliban ernannt wurde, sowie Sirajuddin Haqqani, dem Anführer des Haqqani-Netzwerks, dominiert (EUAA 8.2022a, RFE/RL 6.8.2021). Die Kommission für militärische Angelegenheiten funktionierte ähnlich wie ein Ministerium, mit "Vertretern auf Zonen-, Provinz- und Distriktebene" (VOA 5.9.2021; vgl. EUAA 8.2022a).

In der Befehlskette von der untersten Ebene aufwärts untersteht jeder Taliban-Befehlshaber auf Distriktebene einem Provinzkommando. Drei oder mehr Provinzkommandos bilden Berichten zufolge einen von sieben regionalen "Kreisen". Diese "Kreise" werden von zwei stellvertretenden Leitern der Kommission für militärische Angelegenheiten beaufsichtigt, von denen einer für die "westliche Zone" der militärischen Führung der Taliban (die 21 Provinzen umfasst) und der andere für die "östliche Zone" (13 Provinzen) zuständig war (RFE/RL 6.8.2021; vgl. EUAA 8.2022a). Nach Einschätzung des United States Institute of Peace (USIP) wurde diese Aufteilung der Zuständigkeiten für militärische Angelegenheiten zwischen Yaqoob und Haqqani offenbar durch ihre jeweilige Ernennung zum Innen- und Verteidigungsminister der Taliban im September 2021 gefestigt (USIP 9.9.2021; vgl. EUAA 8.2022a).

Nach der Machtübernahme versuchten die Taliban sich von "einem dezentralisierten, flexiblen Aufstand zu einer staatlichen Autorität" zu entwickeln (EUAA 8.2022a; vgl. NI 24.11.2021). Im Zuge dessen herrschten Berichten zufolge zunächst Unklarheiten unter den Taliban über die militärischen Strukturen der Bewegung (EUAA 8.2022a; vgl. DW 11.10.2021) und es gab in vielen Fällen keine erkennbare Befehlskette (EUAA 8.2022a; vgl. REU 10.9.2021). Dies zeigte sich beispielsweise in Kabul, wo mehrere Taliban-Kommandeure behaupteten, für dasselbe Gebiet oder dieselbe Angelegenheit zuständig zu sein. Während die frühere Taliban-Kommission für militärische Angelegenheiten das Kommando über alle Taliban-Kämpfer hatte, herrschte Berichten zufolge nach der Übernahme der Kontrolle über das Land unter den Kämpfern vor Ort Unsicherheit darüber, ob sie dem Verteidigungsministerium oder dem Innenministerium unterstellt sind (EUAA 8.2022a; vgl. DW 11.10.2021).

Haqqani-Netzwerk

Das Haqqani-Netzwerk hat seine Wurzeln im Afghanistan-Konflikt der späten 1970er-Jahre. Mitte der 1980er-Jahre knüpfte Jalaluddin Haqqani, der Gründer des Haqqani-Netzwerks, eine Beziehung zum Führer von Al-Qaida, Usama bin Laden (UNSC o.D.c; vgl. FR24 21.8.2021). Jalaluddin schloss sich 1995 der Taliban-Bewegung an (UNSC o.D.c; vgl. ASP 1.9.2020), behielt aber seine eigene Machtbasis an der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan (UNSC o.D.c). Nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 übernahm Jalaluddins Sohn, Sirajuddin Haqqani, die Kontrolle über das Netzwerk (UNSC o.D.c, vgl. VOA 4.8.2022). Er ist seit 2015 auch einer der Stellvertreter des Taliban-Anführers Haibatullah Akhundzada (FR24 21.8.2021; vgl. UNSC o.D.c). Das Haqqani-Netzwerk gilt dank seiner finanziellen und militärischen Stärke - und seines Rufs als skrupelloses Netzwerk - als halbautonom, auch wenn es den Taliban angehört (FR24 21.8.2021).

Es befehligt eine Truppe von 3.000 bis 10.000 traditionellen bewaffneten Kämpfern in den Provinzen Khost, Paktika und Paktia (VOA 30.8.2022). Berichten zufolge kontrolliert die Gruppe inzwischen auch mindestens eine Eliteeinheit und überwacht die Sicherheit in Kabul und in weiten Teilen Afghanistans (VOA 30.8.2022; vgl. UNSC 26.5.2022).

Das Netzwerk unterhält Verbindungen zu Al-Qaida und, zumindest zeitweise bis zur Machtübernahme der Taliban, dem Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP) (VOA 30.8.2022; vgl. UNSC 26.5.2022). Es wird angemerkt, dass nach der Machtübernahme und der Eskalation der ISKP-Angriffe kein Raum mehr für Unklarheiten in der strategischen Konfrontation der Taliban mit ISKP bestand und es daher nicht im Interesse der Haqqanis lag, solche Verbindungen zu pflegen (UNSC 26.5.2022). Zudem wird vermutet, dass auch enge Verbindungen zum pakistanischen Geheimdienst (VOA 30.8.2022; vgl. DT 7.5.2022) und den Tehreek-e Taliban (TTP), den pakistanischen Taliban, bestehen (UNSC 26.5.2022).

[…]

Ethnische Gruppen

Letzte Änderung: 21.03.2023

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 34,3 (NSIA 4.2022) und 38,3 Millionen Menschen (8am 30.3.2022; vgl. CIA 29.12.2022). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (STDOK 7.2016; vgl. CIA 29.12.2022), da die Behörden des Landes nie eine nationale Volkszählung durchgeführt haben. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass keine der ethnischen Gruppen des Landes eine Mehrheit bildet, und die genauen prozentualen Anteile der einzelnen Gruppen an der Gesamtbevölkerung Schätzungen sind und oft stark politisiert werden (MRG 5.1.2022).

Die größten Bevölkerungsgruppen sind Paschtunen (32-42 %), Tadschiken (ca. 27 %), Hazara (ca. 9-20 %) und Usbeken (ca. 9 %), gefolgt von Turkmenen und Belutschen (jeweils ca. 2 %) (AA 20.7.2022).

Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 12.4.2022a).

Die Taliban gehören mehrheitlich der Gruppe der Paschtunen an. Seit der Machtübernahme der Taliban werden nicht-paschtunische Ethnien in staatlichen Stellen zunehmend marginalisiert. So gibt es in der Taliban-Regierung z. B. nur wenige Vertreter der usbekischen und tadschikischen Minderheit sowie lediglich einen Vertreter der Hazara (AA 20.7.2022).

Die Taliban haben wiederholt erklärt, alle Teile der afghanischen Gesellschaft zu akzeptieren und ihre Interessen berücksichtigen zu wollen. Aber selbst auf lokaler Ebene werden Minderheiten, mit Ausnahmen in ethnisch von Nicht-Paschtunen dominierten Gebieten vor allem im Norden, kaum für Positionen im Regierungsapparat berücksichtigt, da diese v. a. paschtunischen Taliban-Mitgliedern vorbehalten sind (AA 20.7.2022). So waren zum Beispiel am 20.12.2021 alle 34 Provinzgouverneure überwiegend Paschtunen, während andere ethnische Gruppen kaum vertreten waren (UNGA 28.1.2022). Darüber hinaus lässt sich keine klare, systematische Diskriminierung von Minderheiten durch die Taliban-Regierung feststellen, solange diese den Machtanspruch der Taliban akzeptieren (AA 20.7.2022).

[…]

Paschtunen

Letzte Änderung: 09.03.2023

Ethnische Paschtunen sind mit ca. 42% der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans (MRG 5.2.2021a; vgl. AA 20.7.2022). Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sie sind sunnitische Muslime und leben hauptsächlich im Süden und Osten des Landes (MRG 5.2.2021a; vgl. Print 21.9.2021). Traditionell waren die Paschtunen nomadisierende oder halbnomadische Viehzüchter, Ackerbauern und Händler. Seit langer Zeit sind sie in Städten ansässig geworden, wo sie verschiedensten Tätigkeiten nachgehen. Paschtunische Stämme waren stets die militärische Stütze des afghanischen Königshauses und wurden dafür mit einigen Privilegien (Steuervergünstigungen, weitgehende Autonomie in inneren Angelegenheiten u.a.) versehen (STDOK 1.7.2016).

Die Sozialstruktur der Paschtunen basiert auf dem Paschtunwali-Kodex (oder Pukhtunwali- Kodex), der eine Mischung aus einem Stammes-Ehrenkodex und lokalen Auslegungen der Scharia ist. Dies erfordert die Beherrschung der paschtunischen Sprache und die Einhaltung der bestehenden Bräuche. Gastfreundschaft, Schutz der Gäste, Verteidigung des Eigentums, Familienehre und Schutz der weiblichen Verwandten sind einige der wichtigsten Grundsätze für Paschtunen. Sie stützen sich auf die Jirga des Stammesrates zur Beilegung von Streitigkeiten und zur lokalen Entscheidungsfindung sowie auf die Abschirmung der Frauen von allen Angelegenheiten außerhalb des Hauses (MRG 5.2.2021a; vgl. BBC 12.8.2022, STDOK 7.2016).

[…]

Rückkehr

Letzte Änderung: 19.09.2023

[Anmerkung: Zur Situation rückkehrender Geflüchteter aus Österreich liegen nur vereinzelt Erkenntnisse vor, da Rückführungen aus Österreich und anderen EU-Mitgliedstaaten gegenwärtig ausgesetzt sind.]

Nach Angaben von UNHCR sind zwischen Jänner und August 2023 8.029 afghanische Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt (95% aus Pakistan, 4% aus Iran und 1% aus anderen Ländern). Die Zahl der Rückkehrer in den ersten sieben Monaten des Jahres 2023 ist fünfmal so hoch wie die Zahl der Rückkehrer im gleichen Zeitraum des Jahres 2022 und die Gesamtzahl der Rückkehrer im Jahr 2022 (6.424) (UNHCR 1.8.2023). Als Hauptgründe für die Rückkehr aus Iran und Pakistan nannten die Rückkehrer die Lebenshaltungskosten und den Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten in den Aufnahmeländern, die verbesserte Sicherheitslage in Afghanistan und die Wiedervereinigung mit der Familie. Im Jahr 2023 kehrten 57 % der Flüchtlinge in fünf Provinzen zurück: Kabul (21 %), Kunduz (13 %), Kandahar (10 %), Nangarhar (7 %) und Jawzjan (6 %). Außerdem hielten sich 72 % der Rückkehrer seit mehr als zehn Jahren im Asylland auf und 25 % wurden im Asylland geboren (UNHCR 24.7.2023).

Eine Studie von IOM, bei der Afghanen interviewt wurden, die zwischen Jänner 2018 und Juli 2021 aus der Türkei oder der EU nach Afghanistan zurückkehrten, berichtet, dass die Rückkehrer weiterhin mit erheblichen wirtschaftlichen und ernährungsbedingten Herausforderungen konfrontiert sind. Der größte Anteil der Befragten (45 %) gab an, arbeitslos zu sein, während 40 % sagten, sie arbeiteten für einen Tageslohn und fast 90% der Befragten gaben an, dass sich ihre wirtschaftliche Situation im ersten Halbjahr 2022 verschlechtert habe (IOM 5.9.2022).

Afghanistan war bereits vor der Machtübernahme der Taliban eines der ärmsten Länder der Welt. Die durch die Folgen der COVID-19-Pandemie und anhaltende Dürreperioden bereits angespannte Wirtschaft ist in Folge der Machtübernahme der Taliban kollabiert. Rückkehrende dürften nur in Einzelfällen über die notwendigen sozialen und familiären Netzwerke verfügen, um die desolaten wirtschaftlichen Umstände abzufedern (AA 26.6.2023).

IOM hat aufgrund der aktuellen Lage vor Ort die Option der Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration seit 16.8.2021 für Afghanistan bis auf Weiteres weltweit ausgesetzt. Es können somit derzeit keine freiwilligen Rückkehrer aus Österreich nach Afghanistan im Rahmen des Projektes RESTART III unterstützt werden (IOM 12.1.2023). Das Reintegrations- und Entwicklungshilfeprojekt (RADA), welches 2017 ins Leben gerufen wurde, hat das Ziel, „eine geordnete, sichere, regelmäßige und verantwortungsvolle Migration und Mobilität von Menschen zu erleichtern, unter anderem durch die Umsetzung geplanter und gut verwalteter Maßnahmen“. Es unterstützt Gemeinden mit einer hohen Anzahl an Rückkehrern durch Projekte wie den Bau von Bewässerungskanälen. Die Beratungstätigkeit des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) durch IOM wurde mit der Machtübernahme der Taliban eingestellt. Auch ist die Bereitstellung von sofortiger Aufnahmeunterstützung am Flughafen Kabul derzeit ausgesetzt (IOM 12.1.2023).

Am 30.8.2021 gab Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid in einem Interview an, dass viele aus Angst aufgrund von Propaganda aus Afghanistan ausgereist wären und die Taliban nicht glücklich darüber seien, dass Menschen Afghanistan verlassen, obwohl jeder, der über Dokumente verfüge, zur Ausreise berechtigt sein sollte. Auf die Frage, ob afghanische Asylwerber in Deutschland oder Österreich mit abgelehnten Asylanträgen, die möglicherweise auch Straftaten begangen haben, wieder aufgenommen würden, antwortete Mujahid, dass sie aufgenommen würden, wenn sie abgeschoben und einem Gericht zur Entscheidung über das weitere Vorgehen vorgeführt würden (KrZ 30.8.2021). Es war nicht klar, ob sich Mujahid mit dieser Aussage auf Rückkehrer im Allgemeinen oder nur auf Rückkehrer bezog, die Straftaten begangen haben (EASO 1.1.2022). Nach Einschätzung von UNAMA besteht die Möglichkeit, dass im Ausland straffällig gewordene Rückkehrende, wenn die Tat einen Bezug zu Afghanistan aufweist, in Afghanistan zum Opfer von Racheakten z. B. von Familienmitgliedern der Betroffenen werden können; auch eine erneute Verurteilung durch das von den Taliban kontrollierte Justizsystem ist nicht ausgeschlossen, wenn der Fall den Behörden bekannt würde (AA 26.6.2023).

Die Taliban haben am 16.3.2022 eine Kommission unter Leitung des Taliban-Ministers für Bergbau und Petroleum ins Leben gerufen, die Mitglieder der ehemaligen wirtschaftlichen und politischen Elite überzeugen soll, nach Afghanistan zurückzukehren. Im Rahmen dieser Bemühungen sollen inzwischen 200 mehr oder weniger prominente Persönlichkeiten nach Afghanistan zurückgekehrt sein, darunter auch ehemalige Minister und Parlamentarier. Die Taliban-Regierung trifft widersprüchliche Aussagen darüber, ob es den Rückkehrern gestattet sein wird, sich politisch zu engagieren (AA 26.6.2023).

Einem afghanischen Menschenrechtsexperten zufolge gab es unter Taliban-Sympathisanten und einigen Taliban-Segmenten ein negatives Bild von Afghanen, die Afghanistan verlassen hatten. Menschen, die Afghanistan verlassen hatten, würden als Personen angesehen, die keine islamischen Werte vertraten oder auf der Flucht vor Dingen seien, die sie getan haben. Auf der anderen Seite haben die Taliban den Pässen für afghanische Arbeiter, die im Ausland arbeiten, Vorrang eingeräumt, da dies ein Einkommen für das Land bedeuten würde. Auf einer Ebene mögen die Taliban also den wirtschaftlichen Aspekt verstehen, aber sie wissen auch, dass viele derjenigen Afghanen, die ins Ausland gehen, nicht mit ihnen einverstanden sind. Ein afghanischer Rechtsprofessor beschrieb zwei Darstellungen der Taliban über Personen, die Afghanistan verlassen, um in westlichen Ländern zu leben. Einerseits jene, die Afghanistan aufgrund von Armut, nicht aus Angst vor den Taliban, verlassen und auf eine bessere wirtschaftliche Lage in westlichen Ländern hoffen. Die andere Darstellung bezog sich auf die „Eliten“ die das Land verließen. Sie würden nicht als „Afghanen“, sondern als korrupte „Marionetten“ der „Besatzung“ angesehen, die sich gegen die Bevölkerung stellten. Dieses Narrativ könnte beispielsweise auch Aktivisten, Medienschaffende und Intellektuelle einschließen und nicht nur ehemalige Regierungsbeamte. Der Quelle zufolge sagten die Taliban oft, dass ein „guter Muslim“ nicht gehen würde und dass viele, die in den Westen gingen, nicht „gut genug als Muslime“ seien. Zwei Anthropologen an der Zayed-Universität [Anm.: öffentliche Universität mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten], beschrieben ein ähnliches Narrativ, nämlich, dass Menschen, die das Land verlassen wollen, nicht als „die richtige Art von Mensch“ bzw. nicht als „gute Muslime“ wahrgenommen werden. Sie unterschieden jedoch die seit Langem bestehende Tradition der paschtunischen Männer, ins Ausland zu gehen, um dort zu arbeiten, von anderen Afghanen, die weggehen und sich in nicht-muslimischen Ländern aufhalten - was nicht „der richtige Weg“ sei. Sie erklärten ferner, dass in ländlichen paschtunischen Gebieten eine Person, die nach Europa oder in die USA gehen will, im Allgemeinen mit Misstrauen betrachtet wird, ebenso wie Personen mit westlichen Kontakten (EASO 1.1.2022).

[…]“

II.2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

- Einsicht in die den Beschwerdeführer betreffenden und dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakten des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, insbesondere in die Befragungsprotokolle und die im Administrativverfahren vorgelegten Unterlagen;

- Befragung des Beschwerdeführers im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX ;

- Einsicht in die dem Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat;

- Einsicht in die im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgelegten Unterlagen;

- Einvernahme der Zeugin, XXXX , im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung am XXXX ;

- Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

II.2.1. Zu den Feststellungen hinsichtlich der Person des Beschwerdeführers:

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und aus den Verfahrensakten des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Feststellungen betreffend die Identität und Nationalität, sowie der Volksgruppen-, und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers beruhen auf den im Laufe des Verfahrens gleichgebliebenen und glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer ledig und kinderlos ist, beruht auf dessen glaubhaften Angaben im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom XXXX .

Die Feststellung betreffend die Muttersprache des Beschwerdeführers beruht auf dessen glaubhaften Angaben im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom XXXX .

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer afghanische und österreichische Freunde im österreichischen Bundesgebiet hat, beruht auf dessen glaubhaften Angaben im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom XXXX .

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer sich in einer Beziehung mit einer in Österreich wohnhaften Frau befindet, beruht auf dessen glaubhaften Angaben im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom XXXX . Die im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung einvernommene Zeugin und Freundin des Beschwerdeführers, XXXX , bestätigte die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer gesund und arbeitswillig ist, beruht auf dessen glaubhaften Angaben im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom XXXX .

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellte, ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und aus den Verfahrensakten des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Feststellungen, dass der Antrag vom XXXX mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX abgewiesen, dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG erlassen, die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG für zulässig erklärt und ihm gemäß § 55 FPG eine zweiwöchige Frist zur freiwilligen Ausreise gesetzt wurde, sowie dass der Beschwerdeführer gegen den Bescheid vom XXXX fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhob, welche mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , abgewiesen wurde, ergeben sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und aus den Verfahrensakten des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer am XXXX einen Folgeantrag auf internationalen Schutz stellte, ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und aus den Verfahrensakten des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Feststellungen betreffend die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus den Verfahrensakten, sowie aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer einsichtig ist und sein das der Verurteilung vom XXXX , zugrundeliegende strafgerichtlich relevante Verhalten, bereut, beruht auf dessen glaubhaften Aussagen im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem erkennenden Gericht. Der Beschwerdeführer gab an zu wissen, dass er Fehler gemacht habe und er sich dafür entschuldige. Zwar stritt er ab, die der strafgerichtlichen Verurteilung vom XXXX zugrundeliegende und mehrfach die Grenzmenge übersteigende Menge an Cannabis jemals bessessen zu haben. Jedoch räumte er ein, 120g Cannabis besessen zu haben und deshalb die Konsequenz für sein Fehlverhalten gleichermaßen akzeptiert zu haben.

Die Feststellung, dass sich der Beschwerdeführer seit seiner letzten strafgerichtlichen Verurteilung vom XXXX , wohlverhalten hat, beruht auf den glaubhaften Schilderungen des Beschwerdeführers im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom XXXX . in Zusammenhalt mit den der Strafregisterauskunft entnommenen Informationen. Die Strafregisterauskunft des Beschwerdeführers weißt keine nach dem XXXX begangenen Straftaten auf. Darüber hinaus sind im Rahmen des Verfahrens keinerlei Umstände hervorgekommen, die berechtigte Zweifel an den Angaben des Beschwerdeführers aufkommen lassen würden.

II.2.2. Zu den Feststellungen hinsichtlich des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers

Das Bundesverwaltungsgericht geht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und aufgrund des dabei gewonnenen persönlichen Eindrucks der erkennenden Richterin davon aus, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan nicht individuell und konkret bedroht oder verfolgt worden ist oder wird.

Der Beschwerdeführer hielt sein im Vorverfahren zu XXXX erstattetes Vorbringen aufrecht und brachte nunmehr zusätzlich vor, dass die momentane Sicherheitslage in Afghanistan schlecht sei, die Taliban seit 2021 regieren würden, er jahrelange in Österreich gelebt habe und nicht mehr nach Afghanistan zurückkehren könne.

Betreffend das ursprüngliche Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ist festzuhalten, dass die Tante des Beschwerdeführers, XXXX , in Österreich den Status der Asylberechtigten hat. Dieser wurde mit Bescheid vom XXXX zuerkannt, nachdem sie am XXXX , am selben Tag, gemeinsam mit dem damals minderjährigen Beschwerdeführer einreiste und einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Im Rahmen des ersten Antrags brachte der Beschwerdeführer vor, dass sein Vater in Afghanistan der Tante des Beschwerdeführers geholfen habe, von ihrem Ehemann loszukommen. Deshalb hätten unbekannte Männer, bei denen es sich um die Schwager der Tante gehandelt haben soll, den Vater des Beschwerdeführers geschlagen und verletzt. Schon damals gelang es dem Beschwerdeführer nicht, detaillierte Angaben zum Überfall auf seinen Vater zu machen. Er blieb stets vage und vermied detaillierte Angaben zum Geschehen weshalb er das Gefühl erweckte, eine Fluchtgeschichte konstrieren zu wollen. Auch machte der Beschwerdeführer dem Vorbringen seiner Tante widersprechende Angaben. So gab er an, dass der Überfall auf seinen Vater etwa einen Monat nachdem die Tante bei ihnen einzog stattgefunden habe, wogegen die Tante des Beschwerdeführers angab, dass dieser drei bis vier Tage nach ihrem Einzug stattgefunden habe. Konkrete Ereignisse aus dem eigenen Erfahrungshorizont, aufgrund derer man auf die individuelle Bedrohung der Person des Beschwerdeführers zu schließen vermöge, schilderte der Beschwerdeführer nicht; eine solche vermutete er bestensfalls.

Da der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren diesen Themenkomplex betreffend keine substantiell über das im ersten Verfahren herausgehende Angaben machte, erweist sich das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nach wie vor als unglaubwürdig.

Der Beschwerdeführer brachte darüber hinaus vor, dass seine Feinde im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan versuchen würden, ihn bei den Taliban schlecht zu machen. Sie würden ihnen fälschlicherweise sagen, dass er Christ geworden sei. Auch habe er bei Instagram oder Facebook manchmal Fotos gepostet, die ihn auf einer Party mit Freunden oder beim Alkohol trinken zeigen würden. Darüber hinaus wäre es möglich, dass die Taliban bei einer Überprüfung des Mobiltelefons hinausfinden würden, dass er außerehelichen Kontakt zu einer Frau gehabt habe.

Dass der Beschwerdeführer in Afghanistan Feinde hat, ist nicht glaubhaft. Zunächst ist erneut festzuhalten, dass der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt konkrete Ereignisse aus dem eigenen Erlebnishorizont schilderte, aufgrund derer man auf die individuelle Bedrohung der Person des Beschwerdeführers zu schließen vermöge. Darüber hinaus, lässt das durch den Beschwerdeführer geschilderte fluchtauslösende Ereignis nicht erkennen, warum er eine Anfeindung durch die Familie seiner Tante zu befürchten hätte. Selbst wenn der Beschwerdeführer in Afghanistan Feinde hätte, wäre es in Abetracht der Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer bereits mehr als zehn Jahre nicht mehr in Afghanistan aufgehalten hat äußerst unwahrscheinlich, dass er im Falle einer Rückkehr überhaupt erkannt werden würde. Im Verfahren haben sich darüber hinaus auch keine Anhaltspunkte ergeben, woraus sich die gerechtfertigte Annahme ergeben würde, dass die Taliban den Instagram- oder Facebook-Account des Beschwerdeführers nach dessen Fotos ausforschen würden. Darüber hinaus besteht für den Beschwerdeführer auch die Möglichkeit seinen Instagram-, oder Facebook-Account zu löschen und sein Mobiltelefon zu wechseln.

Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Rückkehrern in Afghanistan haben sich weiters derzeit keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle Rückkehrer aus Europa gleichermaßen, bloß auf Grund ihrer Eigenschaft als Rückkehrer und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, konkreter und individueller physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein. Dass es aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer als Rückkehrer aus Europa erkennbar ist, zu Ungleichbehandlungen kommen kann, ist auf Basis der Länderberichte, wonach Rückkehrer aus Europa häufig misstrauisch wahrgenommen werden, nicht auszuschließen, es ist derzeit daraus jedoch nicht das Bestehen einer im gegenständlichen Fall konkret drohenden asylrelevanten Verfolgungsgefahr von entsprechender Intensität ersichtlich. Dass der Beschwerdeführer eine Wertehaltung, in der etwa eine politische oder religiöse Überzeugung erkannt werden könnte, angenommen und verinnerlicht hätte, bzw. eine Lebensweise angenommen hätte, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen und ihn im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan der konkreten und individuellen Gefahr aussetzen würde, mit der Anwendung von physischer oder psychischer Gewalt bedroht zu werden, ist nicht hervorgekommen.

Dem Beschwerdeführer ist es somit nicht gelungen, in Bezug auf seine Person eine asylrelevante Verfolgungsgefahr in seiner Heimat Afghanistan glaubhaft aufzuzeigen und haben sich auch aus den vorliegenden, herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen keine Hinweise ergeben, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr nach Afghanistan einer wie immer gearteten Verfolgung ausgesetzt wäre.

II.2.3. Zu den Feststellungen hinsichtlich einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt, hat sich die Sicherheitslage in Afghanistan seit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen drastisch verschlechtert. Es kam zu verstärkten Kampfhandlungen zwischen den Taliban und den ehemaligen Regierungstruppen in ganz Afghanistan, die zur vollständigen Machtübernahme der Taliban führten, sodass diese aktuell das gesamte Land kontrollieren. Seit Beendigung der Kämpfe zwischen den Taliban und den ehemaligen afghanischen Streitkräften ist die Zahl der zivilen Opfer zwar deutlich zurückgegangen. Es kommt aber zu schwerwiegenden Übergriffen von Taliban-Kämpfern gegenüber der Zivilbevölkerung, von der Durchsetzung strenger sozialer Einschränkungen bis hin zu Verhaftungen und Hinrichtungen im Schnellverfahren. Seit der Machtübernahme gibt es zudem einen Anstieg bei Anschlägen, Straßenkriminalität und Entführungen.

Die afghanische Wirtschaft war bereits vor der Machübernahme durch die Taliban schwach. Nach der Machtübernahme der Taliban haben die Vereinigten Staaten der Taliban-Regierung den Zugang zu praktisch allen Reserven der afghanischen Zentralbank in Höhe von 9 Mrd. Dollar verwehrt, die größtenteils in den USA gehalten werden. Auch der Internationale Währungsfonds hat Afghanistan nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban den Zugang zu seinen Mitteln verwehrt. Im November 2021 sagte der Präsident der Weltbank, dass es unwahrscheinlich sei, dass sie die direkte Hilfe für Afghanistan wiederaufnehmen würden, da das Zahlungssystem des Landes Probleme aufweise. Die Regierung der Taliban hat mittlerweile einige Schritte zur Bewältigung der Krise unternommen und teilweise die Arbeit mit NGOs und UN-Organisationen aufgenommen. Die Haushalte in Afghanistan haben jedoch Einkommensverluste erlitten und kämpfen ums Überleben. Zwar sind die Mieten seit der Machtübernahme der Taliban um 20-40 % gesunken, die Preise für Lebensmittel haben sich jedoch im Gegenzug erhöht und steigen immer noch an. Den Länderfeststellungen zufolge hat sich somit die ohnehin prekäre wirtschaftliche Lage in Afghanistan, wo die Grundversorgung für große Teile der Bevölkerung und insbesondere für Rückkehrer eine tägliche Herausforderung ist, stetig weiter verschlechtert. Die Auswirkungen einer schweren Dürre, einer einbrechenden Wirtschaft, der COVID-19-Pandemie und die Machtübernahme der Taliban haben die Menschen bereits dazu veranlasst, ihre Heimat zu verlassen, und es wird erwartet, dass die Situation wahrscheinlich noch verschärft werden wird.

Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass für den Beschwerdeführer aktuell eine reale Gefahr besteht, im Falle der Rückkehr nach Afghanistan im Zuge von Übergriffen von Taliban-Kämpfern gegenüber der Zivilbevölkerung getötet, verletzt oder misshandelt zu werden oder in eine ausweglose oder existenzbedrohende Notlage zu geraten.

II.2.4. Zu den Feststellungen hinsichtlich der Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht (wesentlich) geändert haben.

Den dem gegenständlichen Erkenntnis zugrundeliegenden Länderfeststellungen wurde zudem nicht substantiiert entgegengetreten.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, (VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBL I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gemäß § 3 BFA-G, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I 70/2015, obliegt dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100 (Z 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100 (Z 3) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes – Bund 2005, BGBl. I Nr. 100 (Z 4).

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

II.3.1. Zu Spruchpunkt A) I.:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist,sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommtnicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 mwN.). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Herkunftsstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 06.09.2018, Ra 2017/18/0055; vgl. auch VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100, mwN).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Herkunftsstaates bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Herkunftsstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (vgl. etwa VwGH 25.09.2018, Ra 2017/01/0203; 26.06.2018, Ra 2018/20/0307, mwN).

Eine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention kann gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigtenzuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Herkunftsstaat des Betroffenen aus den in Art.1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. etwa VwGH 12.06.2018, Ra 2018/20/0177; 19.10.2017, Ra 2017/20/0069). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines –asylrelevante Intensität erreichenden –Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinne der ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, das heißt er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen von Seiten des erkennenden Verwaltungsgerichtes vorzunehmen, aber im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom Verwaltungsgericht nicht getroffen werden (VwGH 28.06.2016, Ra 2018/19/0262; vgl. auch VwGH 18.11.2015, Ra 2015/18/0237-0240, mwN). Die Frage, ob eineTatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkrieges hinausgehende „Gruppenverfolgung“, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfallsgenügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH 31.07.2018, Ra 2018/20/0182, mwN).

Wie im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, vermochte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft zu machen, dass er in Afghanistan der Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt ist. Der Schluss auf die mangelnde Glaubhaftigkeit des Beschwerdeführers in Bezug auf die vorgebrachten Fluchtgründe ergibt sich aus einer Gesamtschau seiner Angaben.

Vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Afghanistan und der individuellen Situation des Beschwerdeführers ist insgesamt nicht zu erkennen, dass dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat aktuell eine asylrelevante Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention droht.

II.3.2. Zu Spruchpunkt A) II.:

II.3.2.1. Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung:

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht.

Nach § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz von Asylwerbern, denen in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann und denen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann, abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

Zur innerstaatlichen Fluchtalternative betonte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, dass das Kriterium der „Zumutbarkeit“ nach § 11 Abs. 1 AsylG 2005 im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung gleichbedeutend mit dem Erfordernis nach Art. 8 Abs. 1 der Statusrichtlinie ist, dass vom Asylwerber vernünftigerweise erwartet werden kann, sich im betreffenden Gebiet seines Herkunftslandes niederzulassen. Dafür reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat; es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härte zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001). Dabei handelt es sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118, mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 06.11.2018, Ra 2018/01/0106, mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union zu den Voraussetzungen der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach der Statusrichtlinie auseinandergesetzt und festgehalten, dass Gerichtshof der Europäischen Union in seiner Judikatur beginnend mit seinem Urteil vom 18.12.2014, C-542/13, M'Bodj, klargestellt habe, dass die Statusrichtlinie die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nur in Fällen realer Gefahr, einen auf ein Verhalten eines Akteurs im Sinn des Art. 6 Statusrichtlinie zurückzuführenden ernsthaften Schaden nach Art. 15 Statusrichtlinie zu erleiden (Art. 15 lit. a und b), sowie bei Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt (Art. 15 lit. c) vorsehe. Nicht umfasst seien dagegen insbesondere Fälle, in denen eine Rückkehr aufgrund allgemeiner Unzulänglichkeiten im Herkunftsland –etwa im Gesundheitssystem –, die nicht von Dritten (Akteuren) verursacht würden, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten würde. Dem nationalen Gesetzgeber sei es –nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union –auch unter Mitbeachtung des Art. 3 der Statusrichtlinie verboten, Bestimmungen zuerlassen oder beizubehalten, die einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuerkennen würden (vgl. allerdings zur Zulässigkeit der Erstreckung des Schutzes auf Angehörige eines Schutzberechtigten VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0040, unter Hinweis auf EuGH 4.10.2018, C-652/16, Ahmedbekova).

Im Erkenntnis vom 21.05.2019, Ro 2019/19/0006, erkannte der Verwaltungsgerichtshof jedoch, dass eine Interpretation, mit der die Voraussetzungen der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 mit dem in der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union dargelegten Verständnis des subsidiären Schutzes nach der Statusrichtlinie in Übereinstimmung gebracht würde, die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer –unionsrechtlich nicht geforderten –Auslegung contra legem führen würde. Damit würde der Statusrichtlinie zu Unrecht eine ihr im gegebenen Zusammenhang nicht zukommende unmittelbare Wirkung zugeschrieben. Der Verwaltungsgerichtshof halte daher an seiner Rechtsprechung fest, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat –auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht werde –die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 begründen könne.

Ausgehend davon ist demnach zu prüfen, ob im Falle der Rückführung eines Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffungder Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde und somit zu einer Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 führte.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 20.11.2018, Ra 2018/20/0528; vgl. auch VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0053, mwN).

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein –im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen –höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. etwa VwGH 01.03.2018, Ra 2017/19/0425; 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, mwN insbesondere zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofes).

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. etwa VwGH 20.11.2018, Ra 2018/20/0528; 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, mwN).

Mit dem Aufzeigen der bloßen Möglichkeit einer schwierigen Lebenssituation bei der Arbeitsplatz-und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht im Fall einer Rückführung in den Herkunftsstaat wird die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit einer Verletzung des Art. 3 EMRK im Sinne der obigen Rechtsgrundsätze damit (in Bezug auf Kabul) nicht dargetan (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

UNHCR fordert in der „UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan“ aus August 2021 dazu auf, aufgrund der volatilen Situation in Afghanistan, die noch für einige Zeit unsicher bleiben kann, sowie der sich abzeichnenden humanitären Notlage zwangsweise Rückführungen von afghanischen Staatsangehörigen in Afghanistan auszusetzen, bis sich die Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtslage in Afghanistan signifikant verbessert hätten. Den Richtlinien des UNHCR ist besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung“) (vgl. etwa VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114, Rn. 9, mwN). Die Verpflichtung zur Beachtung der sowohl vom UNHCR als auch von der EASO herausgegebenen Richtlinien ergibt sich aus dem einschlägigen Unionsrecht (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, Rn. 21ff).

In den aktuellen EASO Country Guidance zu Afghanistan von November 2021 wird festgehalten, dass die Taliban, die aktuell das gesamte Staatsgebiet Afghanistans kontrollieren, angesichts der von ihnen begangenen Menschenrechtsverletzungen und der Ungewissheit über den Status der von ihnen ausgerufenen Regierung nicht als Akteur in Frage kommen, der wirksamen, nicht nurvorübergehenden und zugänglichen Schutz bieten kann. Zudem ist laut EASO insbesondere zu beachten, dass es keine Informationen darüber gibt, wie die Taliban Personen, die Afghanistan verlassen und internationalen Schutz beantragt haben, möglicherweise wahrnehmen und behandeln. Darüber hinaus kann das Risiko willkürlicher Gewalt nicht zuverlässig eingeschätzt werden und ist das Kriterium der Sicherheit in Afghanistan derzeit im Allgemeinen nicht erfüllt. Eine interne Schutzalternative kommt derzeit auch nach der Einschätzung von EASO im gesamten Staatsgebiet nicht in Betracht (vgl. insbesondere Punkt 4. und 5. der Country Guidance).

Vor diesem Hintergrund ist für den vorliegenden Fall Folgendes festzuhalten:

Wie beweiswürdigend ausgeführt, ist dem Beschwerdeführer aufgrund der sich aktuell rasch ändernden Sicherheitslage in ganz Afghanistan, der derzeit schlechten und ungewissen weiteren Versorgungslage, bezüglich derer sich eine Verschärfung abzeichnet, und der unvorhersehbaren weiteren Entwicklungen die Rückkehr dorthin nicht möglich, weder nach Kabul noch in andere Landesteile. Unter Berücksichtigung der aktuellen UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan von August 2021 und der EASO Country Guidance zu Afghanistan von November 2021 führt aufgrunddes festgestellten Sachverhalts die Prüfung der maßgeblichen Kriterien zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan aktuell eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte droht oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

II.3.2.2. Ausschlussgründe

Nach § 8 Abs. 3a AsylG 2005 hat eine Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt.

Gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt (Z 1), der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt (Z 2) oder der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist (Z 3).

Gemäß § 17 Abs. 1 StGB sind Verbrechen vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kann die Aberkennung des subsidiären Schutzes nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 nicht allein darauf gestützt werden, dass der Fremde wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist. Es ist bei der Anwendung des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 jedenfalls auch eine Einzelfallprüfung durchzuführen, ob eine „schwere Straftat“ im Sinne des Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie vorliegt. Dabei ist die Schwere der fraglichen Straftat zu würdigen und eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen. Bei dieser einzelfallbezogenen Würdigung sind auch die konkret verhängte Strafe und die Gründe für die Strafzumessung zu berücksichtigen (jüngst etwa VwGH 14.12.2021, Ra 2020/19/0067). Es ist jedoch nicht unbeachtet zu lassen, dass auch der EuGH dem in einer strafrechtlichen Bestimmung vorgesehenen Strafmaß eine besondere Bedeutung zugemessen hat (vgl. EuGH 13.9.2018, Ahmed, C-369/17, Rn. 55) und somit die Verurteilung des Fremden wegen eines Verbrechens zweifelsfrei ein gewichtiges Indiz für die Aberkennung darstellt, dieses Kriterium allein jedoch nach den unionsrechtlichen Vorgaben für eine Aberkennung nicht ausreicht.

Fallbezogen wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a (1) 5. Fall SMG, wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 1. Und 2. Fall SMG und wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 1. Und 2 Fall, Abs. 2 SMG zu einer Freiheitstrafe von 15 Monaten verurteilt. Ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von zehn Monaten wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Hinsichtlich des Verbrechens des Suchtgifthandels hat der Beschwerdeführer im Zeitraum von XXXX bis zu seiner Festnahme am XXXX in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) mehrfach übersteigende Menge an einen unbekannten Abnehmer überlassen, und zwar ingesamt ca 1250 Gramm Cannabiskraut (mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 10,2 % THCA und 0,78 % Delta-9-THC in Teilmengen zu 25, 50 und 75 Gramm etwa 2 mal pro Woche) sowie am XXXX weitere 75 Gramm Cannabiskraut, das er vom zu XXXX abgesondert verfolgten XXXX erwarb, wobei er beim letzten Verkauf von 75 Gramm Cannabiskraut einen Suchtgifterlös von zumindest € 450,-- dem XXXX brachte und er pro Lieferung mit jeweils € 100,-- bis € 120,-- von XXXX entlohnt wurde.

§ 28a Abs. 1 SMG sieht eine Strafdrohung von bis zu fünf Jahren vor. Damit handelt es sich beim vom Beschwerdeführer begangenen Delikt im Hinblick auf die Strafdrohung bereits abstrakt um ein schweres Verbrechen.

Darüber hinaus ist anzumerken, dass das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 SMG ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich vom Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 umfasst (VwGH 04.11.2021, Ra 2021/14/0330). Durch Hinzutreten der Umstände des Einzelfalls ist die durch den Beschwerdeführer begangene Tat jedenfalls als „besonders schweres Verbrechen“ im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 einzustufen, die darüber hinaus auch im Hinblick auf ihre Schwere die Schwelle des Art. 17 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie erreicht und den Tatbestand des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 erfüllt.

Fallgegenständlich, wird diese Schwelle jedoch nicht erreicht:

Der Beschwerdeführer wurde bei einer Strafdrohung von fünf Jahren Freiheitsstrafe für das begangene Verbrechen - zu einer fünfzehnmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Gemäß § 43 Abs. 1 StGB wurde ein Teil der Freiheitsstrafe im Ausmaß von zehn Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Bei der Strafbemessung wurde das Geständnis und die Unbescholtenheit als mildernd gewertet. Als erschwerend wurde lediglich das Zusammentreffen von Vergehen und einem Verbrechen gewertet. Besondere Umstände, aus denen sich ergäbe, dass sich das begangene Delikt im Hinblick auf Unrechts- und Schuldgehalt als besonders schwerwiegend erwiesen hätte, treten nicht hinzu, wobei dies bereits durch die Höhe der verhängten Strafe in Relation zur Strafdrohung zum Ausdruck kommt. Auch aus den im Strafurteil genannten Erschwernisgründen kann eine besondere Schwere des Verbrechens nicht abgeleitet werden, dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Zusammentreffen mit einem Vergehen, oder die Begehung während offener Probezeit die Schwere der konkreten Tat an sich nicht zu beeinflussen vermag. Darüber hinaus wurden auch im angefochtenen Bescheid keinerlei Gründe dargelegt, aufgrund derer sich die begangene Tat als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erwiesen hätte.

Darüber hinaus wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des XXXX wegen der Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 12 dritter Fall, 223 Abs. 1, 224 StGB und wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs. 2, 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu EUR 4,00, gesamt EUR 480,00, im Fall der Uneinbringlichkeit 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Als mildernd wurde das Geständnis des Beschwerdeführers gewertet, als erschwerend hingegen das Zusammentreffen von mehreren Vergehen.

Bei den dem Urteil vom XXXX zugrundeliegenden Straftaten handelt es sich nicht um Verbrechen iSd § 17 Abs. 1 StGB. Die verhängte Strafe ist auch ein eindeutiges Indiz dafür, dass den Verurteilungen ein äußerst niedriger Unrechtsgehalt zugrunde liegt. Darüber hinaus wurden auch im angefochtenen Bescheid keinerlei Gründe dargelegt, aufgrund derer sich die begangene Tat als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erwiesen hätte.

Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, (VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005) hat das Bundesverwaltungsgericht eine umfassende Prüfung des § 9 AsylG, die sämtliche Prüfschritte und Aussprüche umfasst, vorzunehmen, wenn entsprechende Anhaltspunkte vorliegen. So ist, auch wenn eine entsprechende Prüfung durch die belangte Behörde unterlassen wurde, zu überprüfen, ob im vorliegenden Fall § 9 Abs. 2 Z 2 erfüllt ist, der Fremde also eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt.

Insoweit ist es der Behörde bzw. dem Verwaltungsgericht aber nicht verwehrt, auch vor der Zuerkennung des Schutzstatus oder der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung begangene Straftaten in die Gesamtbeurteilung einfließen zu lassen, wenn danach neue Sachverhaltselemente hinzugetreten sind (VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005, mwN).

Der Verfassungsgerichtshof sprach in seinem Erkenntnis vom 13. Dezember 2011, U 1907/19 (VfSlg. 19591), aus, dass eine Gefahr für die Sicherheit und Allgemeinheit eines Landes nur dann gegeben sei, wenn die Existenz oder territoriale Integrität eines Staates gefährdet sei oder, wenn besonders qualifizierte strafrechtliche Verstöße (z.B. Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Drogenhandel, bewaffneter Raub) vorlägen. Zur Begründung verwies er darauf, dass § 9 Abs. 2 (Z 2) AsylG 2005 in Umsetzung der Statusrichtlinie ergangen sei und daher richtlinienkonform interpretiert werden müsse […]. Auch der EuGH hat in seiner Rechtsprechung erkannt, dass nur ein Flüchtling, der wegen einer „besonders schweren Straftat" rechtskräftig verurteilt wurde, als eine „Gefahr für die Allgemeinheit eines Mitgliedstaats" angesehen werden könne (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155, mit Hinweis auf EuGH 24.06.2015, C-373/13, H.T. gegen Land Baden-Württemberg, ECLI:EU:C:2015:413).

Ein Fremder stellt jedenfalls dann eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 dar, wenn sich diese Gefahr aufgrund besonders qualifizierter strafrechtlicher Verstöße prognostizieren lässt. Als derartige Verstöße kommen insbesondere qualifizierte Formen der Suchtgiftdelinquenz (wie sie beispielsweise in § 28a SMG unter Strafe gestellt werden) in Betracht, zumal an der Verhinderung des Suchtgifthandels ein besonderes öffentliches Interesse besteht (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155, mwN).

Nach der Rechtsprechung des VwGH erfordert die Beurteilung, ob der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, eine Gefährdungsprognose, wie sie in ähnlicher Weise auch in anderen asyl- und fremdenrechtlichen Vorschriften zugrunde gelegt ist (vgl. etwa § 6 Abs. 1 Z 3 und § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005; §§ 53 und 66 Abs. 1 FrPolG 2005). Dabei ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grundlage konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die Annahme gerechtfertigt ist, der Fremde stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Strafgerichtliche Verurteilungen des Fremden sind daraufhin zu überprüfen, inwieweit sich daraus nach der Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und der Tatumstände der Schluss auf die Gefährlichkeit des Fremden für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Republik Österreich ziehen lässt (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155). Ein etwaiger Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich – nach dem Vollzug einer Haftstrafe – in Freiheit wohlverhalten hat. Das gilt auch im Fall einer (erfolgreich) absolvierten Therapie (VwGH 05.12.2017, Ra 2016/01/0166).

Angesichts der Verurteilungen des Beschwerdeführers ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des XXXX zu einer teilbedingten Haftstrafe verurteilt und am XXXX aus der Haft entlassen. Der Beschwerdeführer bereut seine Tat und zeigt sich einsichtig. Zuletzt wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des XXXX zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Beschwerdeführer hat sich nunmehr über einen Zeitraum von bereits fast vier Jahren wohlverhalten, hat afghanische und österreichische Freunde im österreichischen Bundesgebiet und führt eine Beziehung mit einer in österreich wohnhaften Frau. Er ist darüber hinaus arbeitswillig und konnte eine Einstellungszusage vorlegen. Der Beschwerdeführer zeigt ernsthafte Bestrebungen, einen ordentlichen Lebenswandel zu vollziehen.

Insgesamt kann daher von einer positiven Zukunfts- und somit negativen Gefährdungsprognose ausgegangen werden. Der Beschwerdeführer stellt aktuell prognostisch keine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich dar.

Die Voraussetzungen für die amtswegige Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 sind nicht erfüllt.

II.3.3. Zu Spruchpunkt A) III.:

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

Im gegenständlichen Fall war dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen. Gleichzeitig ist dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer eines Jahres zu erteilen (zur Festlegung der Gültigkeitsdauer siehe VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281, Rn 41).

II.3.4. Zu Spruchpunkt A) IV.:

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass es sich bei den Aussprüchen, mit denen etwa der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 nicht zuerkannt wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht zuerkannt wird, sowie eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wird, um voneinander rechtlich trennbare Aussprüche handelt. Demgemäß sind diese Aussprüche separat anfechtbar; sie können auch unterschiedlichen rechtlichen Schicksalen unterliegen. Es besteht zwischen diesen gemäß den maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 2005 und des Fremdenpolizeigesetzes lediglich insofern ein rechtlicher Zusammenhang, als es für manche Aussprüche Tatbestandsvoraussetzung ist, dass bereits andere Aussprüche getätigt wurden und zudem manche Aussprüche miteinander zu verbinden sind, sodass im Fall der Aufhebung eines Spruches ein darauf rechtlich aufbauender Ausspruch seine Grundlage verlieren kann (vgl. zB VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047; 28.01.2015, Ra 2014/20/0121; 08.09.2015 Ra 2015/18/0134).

Da mit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten die rechtliche Voraussetzung für die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides wegfällt, sind die Spruchpunkte III. bis VIII. ersatzlos zu beheben.

II.3.5. Zu Spruchpunkt B).:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

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