JudikaturVwGH

Ra 2024/06/0132 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
Baurecht
26. August 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Novak sowie die Hofrätinnen Mag. a Merl, Mag. Rehak, Mag. Liebhart Mutzl und Mag. Bayer als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der E GmbH, vertreten durch Dr. Leonhard Ogris, Rechtsanwalt in Deutschlandsberg, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 31. Mai 2024, LVwG 50.25 3977/2023 56, betreffend Versagung einer Baubewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Marktgemeinde Stainz, weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang, also insoweit, als mit dessen Spruchpunkt II. der Beschwerde der Revisionswerberin keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid der belangten Behörde vom 10. Oktober 2023 mit Maßgaben bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Marktgemeinde Stainz hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Mit dem in Revision gezogenen Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichts Steiermark (Verwaltungsgericht) wurde der Beschwerde der Revisionswerberin gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 10. Oktober 2023, soweit damit das Ansuchen der Revisionswerberin um Erteilung einer Baubewilligung für „den Umund Zubau eines bestehenden Wohnhauses, den Umbau des bestehenden Geschäftsgebäudes, die Errichtung einer Überdachung und die Errichtung einer Steinschlichtung“ auf einem näher bezeichneten Grundstück gemäß §§ 19 und 29 Abs. 1 Steiermärkisches Baugesetz 1995 (Stmk. BauG) abgewiesen worden war, gemäß § 28 Abs. 1 iVm § 17 VwGVG keine Folge gegeben, dieser mit der Maßgabe bestätigt, dass es anstatt: „... den Umbau des bestehenden Geschäftsgebäudes;“ „... den Umbau des bestehenden Wirtschafts /Stallgebäudes;“ zu lauten habe und sich die Abweisung des Bauansuchens auf näher bezeichnete Projektunterlagen sowie die ergänzte bzw. abgeänderte Baubeschreibung beziehe. Gleichzeitig sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG unzulässig sei (Spruchpunkt IV.).

2 Begründend führte das Verwaltungsgericht dazu soweit im Revisionsverfahren relevant zusammengefasst aus, der vorliegende Bauplatz sei im maßgebenden „1.0 Flächenwidmungsplan“ der Marktgemeinde S. als im „Freiland“ gelegen ausgewiesen. Der „erste Flächenwidmungsplan“ sei 1983 in Kraft getreten.

3 Das bestehende Wohnhaus sei einschließlich des Dachgeschossausbaus mit Gaupen vor dem Jahr 1969 errichtet und sowohl im Erdgeschoss als auch im Dachgeschoss vor diesem Zeitpunkt zu Wohnzwecken genutzt worden. Projektgemäß solle das Wohngebäude im Kellergeschoss im Wesentlichen unverändert bleiben, westseitig werde ein unterkellerter Teil abgebrochen. Unter Berücksichtigung dieses Abbruchs verbleibe im Keller eine Bruttogeschossfläche von 42,65 m 2 , welche nicht der Wohnnutzung diene. Im Erdgeschoss betrage die Bruttogeschoßfläche des Bestandes 105,37 m 2 . Dort werde eine Fläche von 21,39 m 2 zugebaut. Das Dachgeschoss mit einer Bruttogeschossfläche von 82,51 m 2 im Bestand werde jedoch laut Projekt mitsamt der Decke über dem Erdgeschoß abgebrochen und zur Gänze mit 105,37 m 2 neu errichtet, wobei lediglich die Giebelwände des Bestandes nord und südseitig erhalten blieben (ca. 10 % der Wände) und sich die Firsthöhe des Gebäudes durch den Zubau um 0,55 m erhöhe. Zugebaut würden im Dachgeschoss „17,91 m 2 “.Projektgemäß bleibe „durch das zwischenzeitige Wegfallen der Decke demnach“ im Bereich des Erdgeschosses die Bausubstanz überwiegend erhalten.

4 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, das Wohnhaus stelle einen rechtmäßigen Bestand im Sinne des § 40 Abs. 1 Stmk. BauG dar. Beim Aufbau des Dachgeschosses in der geplanten Form handle es sich um keinen Umbau im Sinne des § 4 Z 58 Stmk. BauG, zumal auch der First des Gebäudes um 0,55 m erhöht werde. Ein Zubau nach § 4 Z 64 Stmk. BauG liege vor, wenn die Vergrößerung der baulichen Anlage bis zur Verdoppelung der bisherigen Geschossflächen erfolge. Die „Bestandsbasis“ im Obergeschoss werde jedoch abgebrochen und sei für die Berechnung daher nicht relevant. Der verbleibenden „Bestandsbasis“ im Erdgeschoss (105,37 m 2 ) stünden Erweiterungen der Bruttogeschoßflächen von 144,67 m 2 „(21,39 m 2 im EG, 17,91 m 2 und 105,37 m 2 im Bereich des DG)“ gegenüber. Somit könne nicht mehr von einem Zubau im Sinne des § 4 Z 64 Stmk. BauG ausgegangen werden, sondern es sei von einem Neubau (vgl. § 4 Z 48 Stmk. BauG) auszugehen, der nach § 33 Abs. 5 Steiermärkisches Raumordnungsgesetz 2010 (StROG) im Freiland nicht errichtet werden dürfe. Es liege daher eine mangelnde Bauplatzeignung nach § 5 Abs. 1 Z 1 Stmk. BauG vor.

5 Gegen Spruchpunkt II. dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende Revision mit dem Antrag, diesen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben und dem Bauansuchen der Revisionswerberin stattzugeben.

6 Die Revision macht in ihrer Zulässigkeitsbegründung geltend, das Verwaltungsgericht habe die Beurteilung, ob gegenständlich von einem Neu oder Zubau auszugehen sei, in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen, indem es nicht die Fläche des Wohngebäudes vor Beginn der Bautätigkeit festgestellt und herangezogen habe, um die Frage der zulässigen Verdoppelung der Bruttogeschoßfläche zu klären.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Revision erweist sich angesichts des oben dargestellten Zulässigkeitsvorbringens als zulässig.

8 Die maßgeblichen Bestimmungen des § 4 Z 48 und Z 64 Stmk. BauG, LGBl. Nr. 59/1995, in der Fassung LGBl. Nr. 45/2022 lauten auszugsweise:

§ 4

Begriffsbestimmungen

...

48. Neubau : Herstellung einer baulichen Anlage, die keinen Zu oder Umbau darstellt....

...

58. Umbau : die Umgestaltung des Inneren oder Äußeren einer bestehenden baulichen Anlage, die die äußeren Abmessungen nicht vergrößert oder nur unwesentlich verkleinert, jedoch geeignet ist, die öffentlichen Interessen zu berühren (z. B. Brandschutz, Standsicherheit, äußeres Erscheinungsbild), bei überwiegender Erhaltung der Bausubstanz;

....

64. Zubau : die Vergrößerung einer bestehenden baulichen Anlage der Höhe, Länge oder Breite nach bis zur Verdoppelung der bisherigen Geschoßflächen;

...“

9 § 33 Abs. 5 Z 2 StROG, LGBl. 49/2010, in der Fassung LGBl. Nr. 73/2023, lautet auszugsweise:

§ 33

Freiland

...

(5) Außerhalb der land und/oder forstwirtschaftlichen Nutzung dürfen im Freiland

...

2. Zubauten bei im Freiland befindlichen rechtmäßig bestehenden baulichen Anlagen ausgenommen bei solchen baulichen Anlagen, die ehemals im Rahmen der land und/oder forstwirtschaftlichen Nutzung oder ehemals einer Sondernutzung im Sinn des Abs. 3 Z 1 unter Anwendung von raumordnungsrechtlichen Freilandbestimmungen bewilligt wurden bewilligt werden. Durch Zubauten darf die neu gewonnene Bruttogeschoßfläche insgesamt nicht mehr als die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des ersten Flächenwidmungsplanes bestehende oder erstmals genehmigte betragen, wobei der Zubau den gleichen Verwendungszweck aufzuweisen hat wie der bauliche Bestand. ...“

10 Die Revision bringt zusammengefasst vor, tatsächlich seien vor Beginn der Bautätigkeiten 200,12 m 2 der Wohnnutzung zugänglich gewesen und nach deren Abschluss 295,29 m 2 . Die Bruttogeschoßfläche sei somit durch das vorliegende Bauvorhaben nicht verdoppelt worden. Die Baumaßnahme stelle daher keinen Neubau dar.

11 Strittig ist im vorliegenden Fall die Berechnung der „Verdoppelung der bisherigen Geschoßflächen“ gemäß § 4 Z 64 Stmk. BauG betreffend das Wohnhaus. Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass die (vor Durchführung des gegenständlichen Bauvorhabens) im Dachgeschoß bestandene Geschossfläche von 82,51 m 2 nicht als Bestandsfläche zu berücksichtigen sei, weil das Dachgeschoß einschließlich des Fußbodens (der Erdgeschoßdecke) und nur mit Ausnahme der Giebelwände abgetragen und neu errichtet werde, somit im Dachgeschoss die Bausubstanz nicht überwiegend erhalten bleibe.

12 Mit dieser Auslegung entfernt sich das Verwaltungsgericht jedoch vom Wortlaut des § 4 Z 64 Stmk. BauG, der eindeutig von den „bisherigen Geschoßflächen“ ausgeht. Der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge setzt ein Zubau im Sinn dieser Bestimmung Vergrößerungen ausgehend vom ursprünglich bewilligten Bauvorhaben voraus (vgl. VwGH 25.9.2007, 2006/06/0001, mwN).

13 Da § 4 Z 64 Stmk. BauG im Gegensatz zu § 33 Abs. 5 Z 2 StROG (siehe dazu Rn. 15) den Zeitpunkt für die Feststellung der Bestandsflächen nicht ausdrücklich regelt, ist vom rechtmäßigen Bestand im Zeitpunkt der Entscheidung über das Bauansuchen auszugehen. Das bedeutet, dass die vom konkreten Bauvorhaben umfassten baulichen Maßnahmen (somit auch die gegenständlich geplanten Abbruchmaßnahmen) bei der Ermittlung der bisherigen Geschoßflächen im Sinne des § 4 Z 64 Stmk. BauG nicht zu berücksichtigen sind.

14 Indem das Verwaltungsgericht ausgehend von seiner unzutreffenden Rechtsansicht betreffend den für die Ermittlung der Bestandsflächen im Sinn des § 4 Z 64 Stmk. BauG maßgeblichen Zeitpunkt auch die gegenständlich geplanten Abbruchmaßnahmen in seine Berechnung einbezogen hat, belastete es das angefochtene Erkenntnis insoweit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

15 Kommt das Verwaltungsgericht auf Grundlage des Gesagten im fortzusetzenden Verfahren zu dem Ergebnis, dass fallbezogen ein Zubau zum Wohnhaus vorliegt, wäre in weiterer Folge zu berücksichtigen, dass sich das Bauvorhaben den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zufolge im „Freiland“ befindet und nicht (mehr) land und/oder forstwirtschaftlich genutzt wird. Vor diesem Hintergrund wäre § 33 Abs. 5 Z 2 StROG zu prüfen. Nach dieser Bestimmung dürfen Zubauten außerhalb der land und/oder forstwirtschaftlichen Nutzung im Freiland nur bewilligt werden, wenn durch die Zubauten die neu gewonnene Bruttogeschoßfläche insgesamt nicht mehr als die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des ersten Flächenwidmungsplanes bestehende oder erstmals genehmigte beträgt, wobei der Zubau den gleichen Verwendungszweck aufzuweisen hat wie der bauliche Bestand. In § 33 Abs. 5 Z 2 StROG ist somit der Zeitpunkt für die Feststellung der Bestandsfläche ausdrücklich mit dem Inkrafttreten des ersten Flächenwidmungsplanes festgelegt.

16 Laut den Feststellungen des Verwaltungsgerichts wurde das Bestandsgebäude vor dem Jahr 1969 errichtet und zu Wohnzwecken genutzt. Es gilt gemäß § 40 Abs. 1 Stmk. BauG als rechtmäßiger Bestand; der erste Flächenwidmungsplan trat 1983 in Kraft. Es fehlen jedoch Feststellungen zur Frage, welche Bruttogeschoßfläche das Wohnhaus insgesamt im Zeitpunkt des Inkrafttretens des ersten Flächenwidmungsplanes 1983 hatte. Diese Feststellungen sind aber erforderlich, um beurteilen zu können, ob die durch das verfahrensgegenständliche Bauvorhaben neu gewonnene Bruttogeschoßfläche des Wohnhauses die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des ersten Flächenwidmungsplanes bestehende übersteigt.

17Das angefochtene Erkenntnis war daher im angefochtenen Umfang, also insoweit, als mit dessen Spruchpunkt II. der Beschwerde der Revisionswerberin keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid der belangten Behörde vom 10. Oktober 2023 mit Maßgaben bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

18Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.

19Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 26. August 2025