JudikaturVwGH

Ra 2021/22/0008 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
23. Mai 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie den Hofrat Dr. Schwarz und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Thaler, über die Revision des B A, vertreten durch Mag. Stefan Errath, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. November 2020, W123 2216664 1/12E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang, soweit damit die Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie eines Einreiseverbotes, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Serbien, die Nichtfestsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise und die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen wurde, wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 21. Februar 2019 wurde (neben der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005) gegen den Revisionswerber, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen. Zudem stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Serbien zulässig sei. Gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA VG erkannte das BFA einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung ab und gewährte gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise. Überdies erließ das BFA gemäß § 53 Abs. 1 iVm 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 26. November 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen gerichtete Beschwerde der Revisionswerberin ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Weiters sprach es aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

3 Zusammengefasst stellte das BVwG fest, der im Jahr 1975 geborene Revisionswerber sei seit 2002 mit einer etwa zweijährigen Unterbrechung zwischen 2014 und 2016 im Bundesgebiet gemeldet. Seit 2004 seien ihm verschiedene Aufenthaltstitel, zuletzt mit dem Zweck „Familienangehöriger“ gültig von 21. Februar 2013 bis 21. Februar 2016 erteilt worden. Der als Erstantrag gewertete Antrag des Revisionswerbers vom 23. August 2016 auf neuerliche Erteilung dieses Aufenthaltstitels sei rechtskräftig abgewiesen worden. Der Revisionswerber verfüge über sehr gute Deutschkenntnisse und habe in Österreich als Reinigungskraft bzw. „in der Schneeräumung“ gearbeitet, wobei er zuletzt von 17. November 2014 bis 31. März 2015 als „geringfügig beschäftigter Arbeiter“ gemeldet gewesen sei. Der Revisionswerber sei verheiratet und habe drei Kinder im Alter von vierzehn, zwanzig und vierundzwanzig Jahren. Seine Mutter, Ehefrau, Kinder und Enkelkinder lebten in Österreich.

4 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22. Juli 2016 sei der Revisionswerber wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs. 1 und 3 Z 1 und 2, Abs. 4 erster Fall FPG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Gemäß dem Schuldspruch habe der Revisionswerber im Zeitraum Juli bis Ende August 2015 die rechtswidrige Einreise von insgesamt 120 Fremden von Ungarn nach Österreich im Rahmen einer kriminellen Vereinigung gewerbsmäßig gefördert. Am 22. April 2018 sei der Revisionswerber bedingt aus der Strafhaft entlassen worden. Der Revisionswerber sei „aufgrund der von ihm begangenen Straftaten und seines Persönlichkeitsbildes als schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit anzusehen“.

5 In seiner rechtlichen Beurteilung ging das BVwG davon aus, dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und damit auch an der Bekämpfung der Schlepperei komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zu. Das Fehlverhalten des Revisionswerbers stelle schon allein durch die (große) Anzahl der geschleppten Personen „zweifelsfrei eine erhebliche und tatsächliche Gefahr“ dar. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf „die erst relativ kurz zurückliegende Tatbegehung (Juli bis Ende August 2015 )“ könne auch eine Zukunftsprognose nicht zugunsten des Revisionswerbers ausfallen, seien doch seit Begehung der Tathandlungen erst etwas mehr als fünf Jahre vergangen; zudem sei der Revisionswerber erst am 22. April 2018 aus der Haft entlassen worden. Mit näherer Begründung kam das BVwG dann noch im Rahmen der Interessenabwägung zum Ergebnis, dass der Revisionswerber die Trennung von seinen Familienangehörigen im dargestellten „gewichtigen“ öffentlichen Interesse hinzunehmen habe.

6 Die Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG unterbleiben können, weil der Sachverhalt von der Behörde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung festgestellt und in der Beschwerde auch kein entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet worden sei.

7 Die vorliegende außerordentliche Revision richtet sich gegen dieses Erkenntnis, allerdings erkennbar nicht gegen die Bestätigung der (amtswegigen) Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005, daher nur soweit damit die Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen sowie eines Einreiseverbotes abgewiesen wurde.

8 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird im Wesentlichen eine Verletzung der Verhandlungspflicht geltend gemacht.

9 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11 Im Hinblick auf das Zulässigkeitsvorbringen erweist sich die Revision unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig und berechtigt.

12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Zwar kann worauf sich das BVwG gestützt hat nach § 21 Abs. 7 BFA VG trotz Vorliegens eines darauf gerichteten Antrages von der Durchführung einer Beschwerdeverhandlung abgesehen werden, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Von einem geklärten Sachverhalt im Sinne der genannten Bestimmung kann allerdings bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann kein günstigeres Ergebnis für ihn zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht einen (positiven) persönlichen Eindruck von ihm verschafft (vgl. dazu etwa VwGH 7.10.2021, Ra 2020/21/0198, Rn. 9, mwN).

13 Von einem solchen eindeutigen Fall durfte vorliegend schon im Hinblick auf die auch vom BVwG festgestellte lange Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers in Österreich und seine familiären Bindungen sowie der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses bereits mehr als fünf Jahre zurückliegenden strafbaren Handlungen, die nur zu einer einzigen Verurteilung geführt hatten, nicht ausgegangen werden; selbst seit dem Ende der Strafhaft waren bereits etwa zweieinhalb Jahre verstrichen.

14 Zudem ist dem BVwG zwar darin zuzustimmen, dass der Bekämpfung der Schlepperei hinsichtlich des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa VwGH 3.10.2022, Ra 2022/19/0221, Rn. 13), allerdings hat es sich worauf die Revision zutreffend hinweist mit dem Vorbringen in der Beschwerde, wonach sich der Revisionswerber bereits während und auch nach seiner Haft erfolgreich einer Therapie zur Bekämpfung seiner Spielsucht unterzogen habe, nicht auseinandergesetzt. Diesem Beschwerdevorbringen kam aber vor dem Hintergrund der Aussage des Revisionswerbers im behördlichen Verfahren, wonach er die Straftaten begangen habe, um seine Spielschulden zu begleichen, maßgebliche Bedeutung zu. Das Verwaltungsgericht hätte daher nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA VG bzw. von einem eindeutigen Fall im Sinn der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausgehen dürfen, der es dem Verwaltungsgericht ausnahmsweise erlaubt hätte, ohne Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von der Durchführung der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten mündlichen Verhandlung abzusehen.

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

16 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 23. Mai 2023

Rückverweise