L525 2275788-1/19E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Johannes ZÖCHLING als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA: Syrien, vertreten durch den Migrantinnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.06.2023, Zl. XXXX , nach Durchführung öffentlicher mündlicher Verhandlungen am 11.10.2024 und 02.05.2025, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger und stellte nach seiner schlepperunterstützten Einreise in das Bundesgebiet am 24.10.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes führte am gleichen Tag eine Erstbefragung durch. Der Beschwerdeführer machte dabei als Fluchtgrund geltend, dass im Herkunftsstaat von Alawiten erwartet werde, das syrische Regime zu verteidigen. Man müsse entweder zum Militär oder zu den nationalen Verteidigungskräften und gerate dadurch zwangsläufig zwischen den Fronten. Außerdem gebe es in Syrien keine Meinungsfreiheit und man werde für das Gesagte inhaftiert. Ansonsten seien keine Fluchtgründe verwirklicht. Im Fall der Rückkehr befürchte er eine Einschränkung in seiner Meinungsäußerung und eine Zwangsrekrutierung durch das syrische Regime.
Am 24.05.2024 wurde der Beschwerdeführer durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (kurz: BFA) niederschriftlich einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er im Wesentlichen an, von der regierungsfreundlichen paramilitärischen Einheit "Nationale Verteidigungskräfte" bedroht worden zu sein, weil er sich einer versuchten Zwangsrekrutierung widersetzt habe. Außerdem sei er auch von den Sunniten mit dem Tod bedroht worden, weil er Alawite sei. In den Augen der Alawiten gelte er als Verräter, weshalb er im Rückkehrfall den Tod befürchte.
Mit – im Spruch näher bezeichnetem – Bescheid vom 20.06.2023 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm jedoch gem. § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gleichzeitig gem. § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.). Das BFA gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Weder die Zugehörigkeit zum Alawitentum noch eine daraus resultierende Verfolgung bzw. Bedrohung durch Sunniten noch die vorgebrachte Zwangsrekrutierung durch die Nationalen Verteidigungskräfte sei glaubhaft, was das BFA zusammengefasst mit gravierenden Wissenslücken des Beschwerdeführers zu zentralen Glaubensinhalten der Alawiten sowie diversen Ungereimtheiten im Parteivorbringen begründete.
Gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 17.07.2023 fristgerecht Beschwerde an das erkennende Gericht. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Spruchpunkt I. des Bescheides wäre infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, mangelhafter Beweiswürdigung sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung inhaltlich rechtswidrig. Über das bisherige Parteivorbringen hinaus stützte der Beschwerdeführer seine Rückkehrbefürchtungen auf seine vormalige Beschäftigung als Tontechniker für einen staatlichen Nachrichtensender, insbesondere seine – politisch motivierte – Ablehnung, sich an Produktionen propagandistischer Sendeinhalte zu beteiligen. Dadurch sei er nachhaltig in den negativen Fokus des syrischen Regimes geraten. Abweichend von seiner bisherigen Darstellung gehe die Verfolgungsgefahr von der regimenahen Miliz "Quwat al-Ridha" aus. In der Gesamtschau hätte die belangte Behörde zur gegenläufigen Asylentscheidung gelangen müssen.
Mit 27.07.2023 wurde die vorliegende Rechtssache der Gerichtsabteilung L525 zur Verfahrensführung zugewiesen.
Mit 25.04.2024 langte beim erkennenden Gericht die Vollmachtsbekanntgabe der im Spruch ausgewiesenen Rechtsvertretung ein.
Am 27.09.2024 gab die BBU GmbH die Vollmachtsauflösung bekannt.
Das erkennende Gericht führte am 11.10.2024 und 02.05.2025, jeweils im Beisein des Beschwerdeführers und eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch, öffentliche mündliche Verhandlungen durch. Ein rechtsfreundlicher Vertreter erschien zur letzten Verhandlung unentschuldigt nicht, dennoch stimmte der Beschwerdeführer ausdrücklich der weiteren Einvernahme zu. Ein Vertreter der belangten Behörde blieb jeweils fern.
Mit hg. Parteiengehör vom 13.10.2025 wurden dem Beschwerdeführer das aktuelle Länderinformationsblatt zu Syrien vom 08.05.2025 (Version 12) sowie die Berichte "EUAA: Country Focus: Syria" (Stand Juli 2025) und "EUAA: Interim Country Guidance: Syria" (Stand Juni 2025) zur Stellungnahme binnen zwei Wochen übermittelt.
Mit Eingaben seiner rechtlichen Vertretung vom 29. und 30.10.2025 übermittelte der Beschwerdeführer dem erkennenden Gericht eine schriftliche Stellungnahme zu den angeführten Länderberichten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde am dort angeführten Datum geboren. Seine Identität steht fest. Er ist syrischer Staatsbürger, gehört der arabischen Volksgruppe und (nominell) der alawitschen Glaubensgemeinschaft in seinem Herkunftsstaat an, ohne aber ein erkennbares religiöses Bewusstsein aufzuweisen. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er beherrscht die arabische Sprache.
Der Beschwerdeführer wurde in Homs geboren, wobei in seinem Personalausweis als Eintragungsort XXXX unter dem Erkennungscode der Ziffer "22" vermerkt ist. In seiner Geburtsstadt verbrachte er seine Kindheit und Jugend und absolvierte dort die Matura. Anschließend zog er nach Damaskus, um ein Studium aufzunehmen. Nach dem Abbruch dieses Studiums nach einem Jahr setzte er seine Ausbildung in einem Fachhochschul-Bachelorstudiengang von 1999 bis 2004 in Ägypten im Schwerpunkt "Tontechnik" fort. Nach Abschluss seines Studiums kehrte er für etwa ein halbes Jahr nach Homs zurück und übersiedelte anschließend nach Katar, wo er in einem seiner Ausbildung entsprechenden Beruf tätig war. Dort lebte er bis 2011, als er zu Urlaubszwecken in sein Herkunftsland reiste. Aufgrund des ausgebrochenen Bürgerkriegs konnte er jedoch nicht mehr nach Katar zurückkehren und blieb in der Folge in Damaskus, wo er bis 2017 als Toningenieur beim staatlichen Sender "Syrian News Channel" (oder "Alikhbaria Syria") Beschäftigung fand. In Damaskus lernte er seine Ehefrau kennen, die er am 25.11.2014 heiratete. Am 16.02.2016 wurde das erste gemeinsame Kind des Ehepaares in Damaskus geboren. Der Beschwerdeführer beendete seine Tätigkeit beim angeführten Nachrichtensender, um sich an der Verbreitung staatlicher Propaganda nicht zu beteiligen. Aufgrund seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Assad-Regime lehnte er Entsprechendes ab und kündigte. Danach kehrte er nach Homs zurück und ließ sich mit seiner Familie für drei Monate im Stadtteil XXXX nieder, konnte dort jedoch beruflich nicht Fuß fassen. In weiterer Folge lebte die Familie bis Ende 2017 oder Anfang 2018 in XXXX , wo sich die berufliche Situation abermals nicht stabilisierte. Schließlich übersiedelte der Beschwerdeführer mit seiner Familie erneut nach Damaskus, wo er fortan bis zur Ausreise am 17.10.2022 lebte und als Taxifahrer tätig war. Am 15.10.2022 kam das zweite Kind des Beschwerdeführers in Damaskus auf die Welt.
Die Ehegattin und die gemeinsamen Kinder sowie vier Brüder und zwei Schwestern leben nach wie vor in Syrien, wobei sich die Kernfamilienangehörigen aktuell in XXXX im Kreise des mütterlichen familiären Umfelds sowie ein Bruder in Damaskus aufhalten, während der Rest in der Umgebung von Homs verortet ist.
Der Beschwerdeführer verließ seinen Herkunftsstaat legal auf dem Landweg in Richtung Libanon und gelangte anschließend – ebenso rechtmäßig – auf dem Luftweg von Beirut nach Serbien. In der Folge reiste er schlepperunterstützt über mehrere europäische Länder in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er sich (spätestens) seit 24.10.2022 aufhält.
Die Stadt Damaskus (samt Umland) steht unter der Kontrolle der (neuen) syrischen Übergangsregierung.
Der Beschwerdeführer kaufte sich am 16.12.2011 um USD 6.500,00 von der staatlichen Wehrdienstverpflichtung frei und hat auch in weiterer Folge während des syrischen Bürgerkriegs keinen Militärdienst geleistet.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Im österreichischen Bundesgebiet hat der Beschwerdeführer keine familiären Anknüpfungspunkte.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Syrien einer aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder er im Falle seiner Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wäre.
1.3. Länderfeststellungen:
Zur aktuellen Lage in Syrien wird anhand der Länderinformationsblätter der BFA-Staatendokumentation folgendes festgestellt:
Auszug aus dem Länderinformationsblatt Version 11 zur bisherigen Rekrutierungspraxis im Herkunftsstaat:
"[…]
Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und regierungsfeindlich)
Manche Quellen berichten, dass die Rekrutierung durch regierungsfreundliche Milizen im Allgemeinen auf freiwilliger Basis geschieht. Personen schließen sich häufig auch aus finanziellen Gründen den National Defense Forces (NDF) oder anderen regierungstreuen Gruppierungen an (FIS 14.12.2018). Andere Quellen berichten von der Zwangsrekrutierung von Kindern im Alter von sechs Jahren durch Milizen, die für die Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF (auch als "shabiha" bekannt) (USDOS 29.7.2022). In vielen Fällen sind bewaffnete regierungstreue Gruppen lokal organisiert, wobei Werte der Gemeinschaft wie Ehre und Verteidigung der Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben. Dieser soziale Druck basiert häufig auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft (FIS 14.12.2018). Oft werden die Kämpfer mit dem Versprechen, dass sie in der Nähe ihrer lokalen Gemeinde ihren Einsatz verrichten können und nicht in Gebieten mit direkten Kampfhandlungen und damit die Wehrpflicht umgehen könnten, angeworben. In der Realität werden diese Milizen aber trotzdem an die Front geschickt, wenn die SAA Verstärkung braucht bzw. müssen die Männer oft nach erfolgtem Einsatz in einer Miliz trotzdem noch ihrer offiziellen Wehrpflicht nachkommen (EUAA 10.2023). In manchen Fällen aber führte der Einsatz bei einer Miliz tatsächlich dazu, der offiziellen Wehrpflicht zu entgehen, bzw. profitierten einige Kämpfer in regierungsnahen Milizen von den letzten Amnestien, sodass sie nach ihrem Einsatz in der Miliz nur mehr die sechsmonatige Grundausbildung absolvieren mussten um ihrer offiziellen Wehrpflicht nachzugehen, berichtet eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums (NMFA 8.2023).
Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf (NMFA 5.2022; vgl. DIS 12.2022). Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch die SNA und die HTS gibt (NMFA 8.2023). In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder HTS beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der Danish Immigration Service (DIS) Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes. Während weder die SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die Rekrutierungspraxis der HTS einen höheren Organisationsgrad auf als die SNA (DIS 12.2022). Im Mai 2021 kündigte HTS an, künftig in ldlib Freiwilligenmeldungen anzuerkennen, um scheinbar Vorarbeit für den Aufbau einer "regulären Armee" zu leisten. Der Grund dieses Schrittes dürfte aber eher darin gelegen sein, dass man in weiterer Zukunft mit einer regelrechten "HTS-Wehrpflicht" in ldlib liebäugelte, damit dem "Staatsvolk" von ldlib eine "staatliche" Legitimation der Gruppierung präsentiert werden könnte (BMLV 12.10.2022). Die HTS rekrutiert auch gezielt Kinder, bildet sie religiös und militärisch aus und sendet sie an die Front (SNHR 20.11.2023).
Auszug aus dem Länderinformationsblatt Version 12 zu den maßgeblichen Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 08.12.2024):
"[…]
3. Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
[Die Transformation der syrischen Politik ist noch nicht abgeschlossen und es wurden bereits Änderungen für März 2025 angekündigt. Im Folgenden wird der aktuelle Stand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformation entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Am 8.12.2024 erklärten die Oppositionskräfte in Syrien die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet. Zuvor waren Kämpfer in die Hauptstadt eingedrungen, nachdem Oppositionsgruppierungen am 27.11.2024 eine Offensive gegen das Regime gestartet und innerhalb weniger Tage die Städte Aleppo, Hama und große Teile des Südens eingenommen hatten. Al-Assad war aus Damaskus geflohen (AJ 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl in Russland gewährt (VB Moskau 10.12.2024). Er hatte das Land seit 2000 regiert, nachdem er die Macht von seinem Vater Hafez al-Assad übernommen hatte, der zuvor 29 Jahre regiert hatte (BBC 8.12.2024a). Er kam mit der Baath-Partei an die Macht, die in Syrien seit den 1960er-Jahren Regierungspartei war (NTV 9.12.2024). Bashar al-Assad hatte friedliche Proteste gegen sein Regime im Jahr 2011 gewaltsam unterdrückt, was zu einem Bürgerkrieg führte. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden getötet, sechs Millionen weitere wurden zu Flüchtlingen (BBC 8.12.2024a). Die Offensive gegen al-Assad wurde von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeführt (BBC 9.12.2024). [Details zur Offensive bzw. zur Hay'at Tahrir ash-Sham finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (8.12.2024) Anm.] Die HTS wurde ursprünglich 2012 unter dem Namen Jabhat an-Nusra (an-Nusra Front) gegründet, änderte ihren Namen aber 2016 nach dem Abbruch der Verbindungen zur al-Qaida in Hay'at Tahrir ash-Sham. Sie festigte ihre Macht in den Provinzen Idlib und Aleppo, wo sie ihre Rivalen, darunter Zellen von al-Qaida und des Islamischen Staates (IS), zerschlug. Sie setzte die sogenannte Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) ein, um das Gebiet nach islamischem Recht zu verwalten (BBC 9.12.2024). Die HTS wurde durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA), lokale Kämpfer im Süden und andere Gruppierungen unterstützt (Al-Monitor 8.12.2024). Auch andere Rebellengruppierungen erhoben sich (BBC 8.12.2024b), etwa solche im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten, sowie Zellen der Terrormiliz IS (Tagesschau 8.12.2024). Im Süden trugen verschiedene bewaffnete Gruppierungen dazu bei, die Regierungstruppen aus dem Gebiet zu vertreiben. Lokale Milizen nahmen den größten Teil der Provinz Dara'a sowie die überwiegend drusische Provinz Suweida ein (Al-Monitor 8.12.2024). Die Abteilung für Militärische Operationen (Department for Military Operations - DMO) dem auch die HTS angehört, kontrollierte mit Stand 11.12.2024 70 % des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024).
In der ersten Woche nach der Flucht al-Assads aus dem Land gelang es Syrien, ein vollständiges Chaos, zivile Gewalt und den Zusammenbruch des Staates abzuwenden (MEI 19.12.2024). Ehemalige Regimeoffiziere sollen viele Regierungsgebäude niedergebrannt haben, um Beweise für ihre Verbrechen zu verstecken, nachdem sie nach dem Sturz des Regimes von Präsident Bashar al-Assad aus dem Innenministerium geflohen waren (Araby 16.12.2024). Die neuen de-facto-Führer Syriens bemühten sich um Sicherheit, Stabilität und Kontinuität. Obwohl es Berichte über Plünderungen in der Zentralbank und über Menschen gab, die den persönlichen Wohnsitz al-Assads und die Botschaft des Iran, seines Hauptunterstützers, durchwühlten, standen am 9.12.2024 Rebellenkämpfer vor Regierungsgebäuden in der gesamten Hauptstadt Wache. Die neuen Behörden verbreiteten auch Bilder von Sicherheitspersonal, das durch die Straßen von Damaskus patrouillierte, in den sozialen Medien (NYT 12.12.2024).
Der HTS-Anführer Mohammed al-Joulani, der mittlerweile anstelle seines Kampfnamens seinen bürgerlichen Namen Ahmad ash-Shara' verwendet (Nashra 8.12.2024), traf sich am 9.12.2024 mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Vizepräsidenten von al-Assad, um die Modalitäten für eine Machtübergabe zu besprechen (DW 10.12.2024). Bis zu ihrer Übergabe blieben die staatlichen Einrichtungen Syriens unter seiner Aufsicht (REU 8.12.2024). Die Macht des Assad-Regimes wurde auf ein Übergangsgremium übertragen, das vom Premierminister der SSG, Mohammed al-Bashir, geleitet wurde (MEI 9.12.2024). Al-Bashir kündigte am ersten Tag seiner Ernennung an, dass die Prioritäten seiner Regierung folgende seien: Gewährleistung von Sicherheit, Bereitstellung von Dienstleistungen und Aufrechterhaltung der staatlichen Institutionen. (AJ 27.1.2025a). Am 29.1.2025 wurde de-facto-Herrscher Ahmed ash-Shara' zum Übergangspräsidenten ernannt (Standard 29.1.2025).
Die Übergangsregierung ließ laut Medienberichten die Verwaltungsbeamten auf ihren Posten (LTO 9.12.2024). Eine diplomatische Quelle eines europäischen Staates wiederum berichtet von einer Beurlaubung aller Staatsbeamten: Durch die Beurlaubung aller Staatsbeamter gibt es in Syrien zwar nun (interimistische) Minister, aber kaum Beamte, soll heißen, keine funktionierende Verwaltung. Mit ganz wenigen Ausnahmen stehen die Ministerien leer. Die einzigen Ordnungskräfte sind diejenigen Gruppen, die aus Idlib mitgekommen sind und die sich – personell überlastet – um ein Minimum an Ordnung in den Städten bemühen. Die kommunale Versorgung ist nicht vorhanden bzw. derzeit auf Privatinitiativen reduziert (SYRDiplQ1 5.2.2025). In Damaskus und anderen Orten kam es häufig zu Gewaltausbrüchen, weil Polizei und Armee nicht über genügend Personal verfügen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Straßen sind oft mit Müll übersät, und anstelle der Polizei leiten Teenager den Verkehr (FT 25.3.2025). Syrienexperte Daniel Gerlach sagte, dass die leitende Beamtenebene im Land fehlt, die zwischen politischen Entscheidungsträgern und der Verwaltung – die ihre Arbeit wieder aufgenommen hat – steht. Es fehlen diejenigen, die mit den Verwaltungsträgern in Kontakt sind und die Politik umsetzen. Diejenigen, die in Syrien politische Entscheidungen träfen, seien ungefähr 15 bis 16 Personen, schätzt Gerlach (AC 23.1.2025). Alle Minister der Übergangsregierung waren aus dem 7. Kabinett der SSG, das im Februar 2024 ernannt worden war (AlMon 11.12.2024). Ash-Shara' und der Interims-Premierminister haben Loyalisten zu Gouverneuren in mehreren Provinzen und zu Ministern in der Übergangsregierung ernannt (ISW 19.12.2024). Al-Bashir hat gegenüber Al Jazeera erklärt, dass die Minister der SSG vorerst die nationalen Ministerämter übernehmen werden (AJ 15.12.2024a). Ash-Shara', sagte, dass in den ersten 100 Tagen keine internen und externen Parteien berücksichtigt werden. Er hat allen seinen Kameraden, die der HTS oder anderen Gruppierungen angehören, sehr deutlich gemacht, dass er diese Phase nur Leuten anvertraut, die sein persönliches Vertrauen haben. Er hat seine Partner und Freunde gebeten, ihm in dieser Phase beizustehen und sich darauf vorzubereiten, die Form einer neuen Regierung zu diskutieren (Akhbar 31.12.2024). Die HTS, die in der neuen Regierung erheblichen Einfluss hat, verfügt einem Bericht des Atlantic Council zufolge nicht über ausreichende technokratische Fachkenntnisse, um eine so komplexe Nation wie Syrien zu verwalten (AC 23.1.2025).
Die Regierung hat keinen Zeitplan für die Durchführung von Wahlen festgelegt. Ash-Shara' stellte am 16.12.2024 fest, dass Syrien nicht bereit für Wahlen sei. Die Amtszeit der Übergangsregierung wurde bis März 2025 festgesetzt (ISW 16.12.2024). Am 29.3.2025 ernannte der Präsident die neue syrische Regierung. Diese besteht aus Technokraten, ethnischen Minderheiten und mehreren engen Vertrauten ash-Shara's. Fast die Hälfte der Ernannten steht in keiner Verbindung zur HTS. Unter den Ernannten ist eine Frau, ein Angehöriger der drusischen Minderheit, ein Kurde und ein Alawit (FT 30.3.2025). Das einzige weibliche Kabinettsmitglied ist katholische Christin (VN 1.4.2025). Keiner davon erhielt ein wichtiges Ressort. Syrien-Experte Fabrice Balanche erklärte, dass wichtige Ressorts an „ehemalige Mitstreiter vergeben wurden, die bereits Teil der Syrischen Heilsregierung in der Provinz Idlib“ im Nordwesten Syriens waren (AlMon 30.3.2025). Der Verteidigungsminister und der Außenminister der Übergangsregierung behielten ihre Ämter. Innenminister Khattab war zuvor Leiter des Geheimdienstes (Independent 29.3.2025). Auch Außenminister ash-Shaibani behielt sein Amt (AlMon 30.3.2025). Mehrere der neuen Minister waren unter dem Assad-Regime tätig. Zu den ehemaligen Assad-Beamten gehören Yarab Badr, der neue Verkehrsminister, und Nidal ash-Sha'r, der zum Wirtschaftsminister ernannt wurde (NYT 30.3.2025). Die Mitglieder sind für fünf Jahre bestellt (FT 30.3.2025). Das Kabinett hat keinen Premierminister, da gemäß der vorläufigen Verfassung die Regierung einen Generalsekretär haben wird (Independent 29.3.2025). Ein neues Gremium, das Ende März per Dekret bekannt gegeben wurde, das Generalsekretariat für politische Angelegenheiten, gewährte ash-Shara's Stellvertreter, Außenminister ash-Shaibani, weitreichende Befugnisse über die Führung von Ministerien und Regierungsbehörden – ähnlich der Rolle eines Premierministers (FT 30.3.2025).
Die Kurden im Nordosten Syriens stellen sich gegen die neu vorgestellte syrische Regierung. Das Kabinett spiegele nicht die Vielfalt des Landes wider, teilte die Demokratische Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) mit. Man sehe sich daher nicht an die Entscheidungen der neuen Regierung gebunden (Zeit Online 30.3.2025; vgl. Standard 30.3.2025; K24 30.3.2025). Obwohl der neuen Regierung mit Bildungsminister Mohammad Turko ein Kurde angehört, sind keine Vertreter der DAANES ins neue Kabinett berufen worden (MEE 30.3.2025). Einige Kritiker weisen auf die Diskrepanz zwischen ash-Shara's Rhetorik bei Treffen mit internationalen Vertretern und dem vermeintlichen Fehlen eines integrativen Diskurses mit einheimischen Akteuren hin (Etana 10.1.2025). In den ersten fünfzig Tagen der neuen Regierung wurden in den Regierungsinstitutionen eine Reihe von Ernennungen vorgenommen, darunter neben den Ministern auch die meisten Gouverneure und Direktoren der wichtigsten Regierungsbehörden und Abteilungen, die eine hoheitliche Dimension haben, wie der Geheimdienst, die Zentralbank und der Kassationshof (AJ 27.1.2025a). Die Problematik besteht darin, dass der Kreis der Entscheidungsträger – zumindest derzeit - ein besonders kleiner, ausschließlich aus engsten Vertrauten aus Idlib bestehender ist, d. h. ein in sich geschlossener Kreis. Hinzu kommen bereits interne Unstimmigkeiten: So mancher militärischen Gruppierung und manchem Weggefährten aus Idlib geht der moderate Zugang der Übergangsbehörden bereits zu weit. War man in den ersten euphorischen Wochen nach der Machtübernahme noch zuversichtlich-optimistisch bzw. vielmehr überzeugt, die Erfahrungen aus dem Modell Idlib auf das ganze Land übertragen zu können (die Argumentation dabei: Idlib als erfolgreicher Mikrokosmos Gesamtsyriens, da ja bewaffnete Gruppen aus dem ganzen Land nach Idlib transferiert worden waren), so hat 50 Tage nach dem Fall des Regimes Assad die Realität die neuen Machthaber eingeholt. Das katastrophale administrative Erbe, die schlechte Wirtschaftslage, die schiere Größe und Vielfalt des Landes, sowie der Mangel an allem, auch an eigenem Fachwissen und Erfahrung. Die Verwaltung eines Stadtstaates (Idlib) hat eine ganz andere Dimension als die eines komlpexen, zerstörten Landes (SYRDiplQ1 5.2.2025).
Die Übergangsregierung kündigte an, dass eine umfassende nationale Dialogkonferenz, eine vorläufige Verfassungserklärung abgeben, einen Ausschuss zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung bilden und eine Übergangsregierung bestätigen wird, die die Macht von al-Bashirs Regierung übernehmen wird (AJ 27.1.2025a). Am 12.2.2025 bestätigten Quellen gegenüber Al Jazeera, dass die syrische Präsidentschaft das Vorbereitungskomitee für die Nationale Konferenz gebildet hat bestehend aus fünf Männern und zwei Frauen (AJ 12.2.2025; vgl. Sky News 12.2.2025). Zur Vorbereitung der Konferenz hat das siebenköpfige Vorbereitungskomitee Anhörungen in den Gouvernements organisiert und manchmal mehrere zweistündige Sitzungen pro Tag abgehalten, um die 14 Provinzen Syriens in einer Woche abzudecken. Fünf Mitglieder des Komitees gehörten der HTS an oder stehen ihr nahe. Vertreter der Drusen oder Alawiten, zwei der großen Minderheiten in Syrien, waren nicht dabei (BBC 25.2.2025). Mit 12.2.2025 nahm dieses Komitee seine Arbeit auf, um die nationale Konferenz vorzubereiten und die Einladungen an die Teilnehmer zu verschicken (AJ 12.2.2025). Die sieben Mitglieder des Vorbereitungskomitees haben etwa 4.000 Menschen in ganz Syrien konsultiert, um Meinungen einzuholen, die bei der Ausarbeitung einer Verfassungserklärung, eines neuen Wirtschaftsrahmens und eines Plans für institutionelle Reformen helfen sollen, teilte das Komitee am 23.2.2025 Reportern mit (REU 23.2.2025; vgl. AlHurra 23.2.2025). Am 25.2.2025 fand die Konferenz zum Nationalen Dialog in Damaskus statt. Hunderte von Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Gruppen waren anwesend, aber viele andere Persönlichkeiten und Gruppierungen waren nicht anwesend (AlHurra 25.2.2025). Ca. 400 Vertreter der Zivilgesellschaft, der Glaubensgemeinschaften, der Opposition und der Künstler nahmen teil (AlHurra 25.2.2025). Laut BBC waren es sogar 600 Teilnehmer (BBC 25.2.2025). Die Kurdische Autonomieverwaltung (Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien - DAANES) und ihr militärischer Arm, die SDF, haben keine Einladung zur Teilnahme an der Konferenz erhalten. Die Organisatoren hatten zuvor mitgeteilt, dass keine militärischen Einheiten oder Formationen, die noch ihre Waffen behalten, eingeladen wurden (AlHurra 25.2.2025). Nach der Eröffnung der Konferenz wurden die Teilnehmer in sechs Workshops eingeteilt, die sich mit zentralen Themen befassten, darunter „persönliche Freiheiten“, „Verfassungsaufbau“ und „Übergangsjustiz“. In der Abschlusserklärung der Konferenz wurde die rasche Bildung des provisorischen Legislativrats gefordert, der die Aufgaben der Legislative nach „Kriterien der Kompetenz und der gerechten Vertretung“ übernehmen soll (BBC 25.2.2025). Das Komitee der Dialogkonferenz gibt Empfehlungen heraus und erlässt keine Entscheidungen (AJ 21.2.2025). Diese Empfehlungen sollen in die Verfassungserklärung und den Plan für institutionelle Reformen einfließen, versichert der Sprecher des Komitees (AlHurra 23.2.2025; vgl. BBC 23.2.2025). Auf der Konferenz wurden mehrere Erklärungen abgegeben, darunter die Bildung eines Legislativrats, ein Bekenntnis zur Übergangsjustiz, zu den Menschenrechten und zur Gewährleistung der Meinungsfreiheit. Eine am Ende der eintägigen Konferenz veröffentlichte Erklärung – die nur wenige Tage zuvor angekündigt wurde und vielen potenziellen Teilnehmern nur wenig Vorbereitungszeit ließ – ebnete den Weg für die Bildung eines siebenköpfigen Ausschusses, der mit der Ausarbeitung einer Übergangserklärung zur Verfassung beauftragt wurde (TNA 3.3.2025). Am 2.3.2025 gab die neue Regierung die Bildung dieses siebenköpfigen Ausschusses bekannt. Der Ausschuss besteht aus einem Expertenkomitee, dem auch zwei Frauen angehören und dessen Aufgabe es ist, die Verfassungserklärung, die die Übergangsphase regelt, in Syrien zu entwerfen. Das Komitee werde „seine Vorschläge dem Präsidenten vorlegen“, hieß es in einer Erklärung, ohne einen Zeitrahmen anzugeben (FR24 2.3.2025; vgl. BBC 3.3.2025). Weniger als zwei Stunden nach dieser Entscheidung wurden die Texte der Artikel, die in diese Erklärung aufgenommen werden sollen, bekannt, was bei den Syrern sowohl Bestürzung als auch Spott hervorrief, zumal die Informationen von arabischen Satellitenkanälen und nicht von lokalen Sendern stammten (Nahar 4.3.2025). Der Ausschuss stellte fest, dass die Verfassungserklärung die allgemeinen Grundlagen des Regierungssystems festlegen wird, um Flexibilität und Effizienz bei der Verwaltung des Staates in dieser sensiblen Zeit zu gewährleisten, um die politische und soziale Einheit und die territoriale Integrität des Landes zu bewahren. Die Ideen aus den nationalen Dialogen und Diskussionen, die in den Workshops zur Verfassungsgebung während der Nationalen Dialogkonferenz stattgefunden haben, sollen vom Ausschuss berücksichtigt werden (SANA 3.3.2025).
Am 13.3.2025 unterzeichnete ash-Shara' die angekündigte Verfassungserklärung (NYT 14.3.2025). Das vorläufige Dokument besteht aus vier Kapiteln und 53 Artikeln (AlHurra 14.3.2025). Es sieht eine fünfjährige Übergangsphase vor (BBC 14.3.2025). Nach dieser Übergangsphase soll eine dauerhafte Verfassung verabschiedet und Wahlen für den Präsidenten abgehalten werden (NYT 14.3.2025). Die Erklärung legt fest, dass der syrische Präsident Muslim sein muss, wie es schon in der vorherigen Verfassung geschrieben stand. Anders als in der Verfassung von 2012, schreibt diese Verfassungserklärung die islamische Rechtslegung als wichtigste Quelle der Gesetzgebung fest. Daneben werden die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz verankert sowie die Rechte der Frauen garantiert (BBC 14.3.2025). Der Präsident ist jedoch allein für die Ernennung der Richter des neuen Verfassungsgerichts Syriens verantwortlich. Die Richter müssen unparteiisch sein (NYT 14.3.2025). Für die Rechenschaftspflicht des Präsidenten wird in der Verfassung keine Möglichkeit eingeräumt. Der Erklärung zufolge wird ash-Shara' neben dem Präsidenten der Republik die folgenden Ämter bekleiden: Premierminister, Oberbefehlshaber der Armee und der Streitkräfte und Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates. In Artikel 41 räumt die Verfassungserklärung dem Präsidenten die Möglichkeit ein, mit Zustimmung des Nationalen Sicherheitsrates, dessen Mitglieder er selbst auswählt, den Ausnahmezustand auszurufen (AlHurra 14.3.2025). Der neu gebildete Nationale Sicherheitsrat setzt sich aus Shara'-Getreuen zusammen, darunter Verteidigungsminister Murhaf Abu Qasra, Innenminister Ali Keddah, Außenminister As'ad ash-Shaibani und Geheimdienstchef Anas Khattab (ISW 13.3.2025). Der Meinung des Syrienexperten Fabrice Balanche nach ist der Nationale Sicherheitsrat „die eigentliche Regierung“ (AlMon 30.3.2025). Die Erklärung garantiert Meinungs-, Ausdrucks-, Informations-, Veröffentlichungs- und Pressefreiheit. Allerdings können alle Rechte, einschließlich der Religionsfreiheit, eingeschränkt werden, wenn sie unter anderem als Verstoß gegen die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung angesehen werden. Die Verpflichtung zur Gewährleistung der Meinungs-, Ausdrucks-, Informations-, Veröffentlichungs- und Pressefreiheit ist mit einigen Ausnahmen verbunden, darunter die Verherrlichung des Assad-Regimes (NYT 14.3.2025). Auch die Symbole des Assad-Regimes sind unter Strafe gestellt sowie seine Verbrechen zu leugnen, zu loben, zu rechtfertigen oder zu verharmlosen (AlHurra 14.3.2025). Die Verfassungserklärung garantiert Frauen das Recht auf Bildung und Arbeit und fügt hinzu, dass sie volle soziale, wirtschaftliche und politische Rechte haben werden (NYT 14.3.2025). Aussagen eines Mitglieds des Ausschusses für die Verfassungserklärung zufolge werde eine neue Volksversammlung die volle Verantwortung für die Gesetzgebung tragen. Zwei Drittel ihrer Mitglieder würden von einem vom Präsidenten ausgewählten Ausschuss ernannt, ein Drittel vom Präsidenten selbst. Außerdem werde ein Ausschuss gebildet, der eine neue dauerhafte Verfassung ausarbeiten solle (BBC 14.3.2025). Diese temporäre Verfassung konzentriert viel Macht in den Händen des Präsidenten. So werden dem Präsidenten die Exekutivgewalt und die Befugnis, den Ausnahmezustand zu erklären, gewährt (NYT 14.3.2025). Das Parlament ist nicht befugt, den Präsidenten anzuklagen, Minister zu ernennen oder zu entlassen oder die Exekutive zu kontrollieren (HRW 25.3.2025). Immerhin spricht die Verfassungserklärung dem Präsidenten die Befugnis ab, allgemeine Amnestiegesetze zu erlassen, die al-Assad zuvor für sich monopolisiert hatte (AlHurra 14.3.2025). In der Verfassung ist Syrien als „arabische“ Republik definiert mit Arabisch als einziger Amtssprache (LSE 28.3.2025). Sie löste innerhalb Syriens viele Diskussionen aus. Umstritten sind insbesondere jene Passagen, die dem Präsidenten ein Machtmonopol einräumen (AlHurra 14.3.2025). Der Syrische Demokratische Rat, der politische Arm der kurdisch geführten Kräfte, die den Nordosten Syriens kontrollieren, erklärte, das neue Dokument sei „eine neue Form des Autoritarismus“ und kritisierte die seiner Meinung nach unkontrollierten Exekutivbefugnisse (NYT 14.3.2025). Das International Centre for Dialogue Initiatives schreibt, dass diese Reformen einseitig von einem ebenfalls vom Präsidenten ernannten Verfassungsausschuss ausgearbeitet wurden, der dann behauptete, ihre Legitimität stamme aus einem Dialogprozess. Die sogenannte Nationale Dialogkonferenz wurde so zu einem politischen Deckmantel für vorab festgelegte Verfassungsänderungen, die unter dem Deckmantel der Reform die autoritäre Herrschaft festigten (ICDI 4.4.2025). Trotz der weitverbreiteten Kritik an der aktuellen Verfassung ist keine kurzfristige Überarbeitung vorgesehen. Die vorliegende Fassung ist das Ergebnis eines beschleunigten Verfahrens, das unmittelbar nach der Nationalen Dialogkonferenz im Februar 2025 in Gang gesetzt wurde. Ein siebenköpfiges Gremium erarbeitete die Verfassung in kürzester Zeit und wird in ihrer aktuellen Form noch nicht ihren Ansprüchen für einen pluralistischen, freien und gerechten Staat gerecht (AdRev 3.4.2025).
Als Reaktion auf die neue Verfassung gründeten 34 verschiedene syrische Parteien und Organisationen am 22.3.2025 eine Allianz, die Allianz für gleiche Staatsbürgerschaft in Syrien (Syrian Equal Citizenship Alliance bzw. Tamasuk). Zu den Organisationen der Allianz gehört der Syrische Demokratische Rat (ISW 24.3.2025), die Partei des Volkswillens, die Demokratische Ba'ath-Partei und die Kommunistische Arbeiterpartei (TNA 23.3.2025) sowie andere kurdische, christliche und drusische Gruppierungen (ISW 24.3.2025). Das Bündnis bezeichnet sich selbst nicht als Opposition und verlangt eine dezentrale Machtverteilung (TNA 23.3.2025).
Die Verfassung und das Parlament wurden während der dreimonatigen Übergangszeit ausgesetzt, so die interimistischen Behörden (Almodon 8.1.2025). Laut Leaks wird der Übergangspräsident die Volksversammlung innerhalb von 60 Tagen nach der Veröffentlichung der Verfassungserklärung ernennen. Die Volksversammlung wird 100 Mitglieder umfassen, wobei eine gerechte Vertretung der Komponenten und Kompetenzen berücksichtigt wird, und wird vom Präsidenten der Republik durch ein republikanisches Dekret für eine Amtszeit von zwei Jahren ernannt (AlHurra 3.3.2025). Am 29.12.2024 sagte ash-Shara' in einem Interview, dass die Durchführung legitimer Wahlen eine umfassende Volkszählung benötige (Arabiya 29.12.2024). In einem Interview gab er an, dass es damit in Syrien freie, faire und integre Wahlen abgehalten werden können, einer Volkszählung, der Rückkehr der im Ausland lebenden Menschen, der Öffnung der Botschaften und der Wiederherstellung des legalen Kontakts mit der Bevölkerung bedarf. Darüber hinaus sind viele der Menschen, die innerhalb des Landes vertrieben wurden oder in Lagern in den Nachbarländern leben, nicht bei den Flüchtlingskommissionen registriert usw. (Economist 3.2.2025). Abgesehen von der wiederholten Aussage, dass Ausschüsse gebildet und Fachleute hinzugezogen würden, gab al-Shara nicht viel Aufschluss darüber, wie der Wahlprozess aussehen würde (NYT 30.12.2024). Ash-Shara' hatte angemerkt, dass die Einrichtung dieser Ausschüsse in naher Zukunft unwahrscheinlich sei. Er teilte der BBC am 18.12.2024 mit, dass ein syrisches Komitee von Rechtsexperten zusammentreten werde, um eine Verfassung zu verfassen und über eine Reihe nicht näher bezeichneter rechtlicher Fragen, darunter den Alkoholkonsum, zu entscheiden. Es ist unklar, auf welche Rechtsexperten sich ash-Shara' bezieht und ob diese Experten repräsentativ für die multiethnische, sektiererische und religiöse Bevölkerung Syriens sind oder ob es sich um HTS-nahe sunnitische Gelehrte handelt (ISW 19.12.2024).
Am 29.1.2025 versammelten sich die Führer der militärischen Gruppierungen, die an der militärischen Kampagne zum Sturz Assads beteiligt waren, zu einer Zeremonie im Präsidentenpalast, um den Sieg zu erklären. In der Siegeserklärung kündigten sie neun Schritte an, die in drei Hauptthemen unterteilt sind, wie beispielsweise: 1. Füllen des Machtvakuums durch die Annullierung der Verfassung von 2012, die Aussetzung aller Ausnahmegesetze, die Auflösung der während der Zeit des vorherigen Regimes gebildeten Volksversammlung und aller aus ihr hervorgegangenen Komitees und die Ernennung des Befehlshabers des militärischen Operationskommandos, Ahmed ash-Shara', zum Präsidenten des Landes während der Übergangszeit. Bei der Zeremonie wurde die Auflösung von vier Institutionen, welche die Säulen der Herrschaft und Kontrolle des früheren Regimes darstellten und die Schaffung eines neuen Regimes behindern, angekündigt, nämlich: die Armee, die Sicherheitsdienste mit ihren verschiedenen Zweigen und alle damit verbundenen Milizen, die Arabische Sozialistische Ba'ath-Partei, die Parteien der Nationalen Progressiven Front und die ihnen angeschlossenen Organisationen, Institutionen und Komitees und das Verbot ihrer Wiedererrichtung auch unter einem anderen Namen und Rückgabe ihrer Vermögenswerte an den syrischen Staat (AJ 31.1.2025a). Die Ba'ath-Partei des gestürzten syrischen Machthabers Bashar al-Assad stellte nach eigenen Angaben mit 12.12.2024 sämtliche Aktivitäten ein. Dies gelte bis auf Weiteres, hieß es in einer auf der Website der Parteizeitung veröffentlichten Erklärung. Die Vermögenswerte und die Gelder der Partei würden unter die Aufsicht des Finanzministeriums gestellt, Fahrzeuge und Waffen sollen nach Parteiangaben an das Innenministerium übergeben werden. Die Ba'ath-Partei war seit 1963 in Syrien an der Macht (Tagesschau 12.12.2024). Viele Mitglieder der Parteiführung sind untergetaucht und einige aus dem Land geflohen. In einem symbolischen Akt haben die neuen Machthaber Syriens das ehemalige Hauptquartier der Partei in Damaskus in ein Zentrum umgewandelt, in dem ehemalige Mitglieder der Armee und der Sicherheitskräfte Schlange stehen, um sich registrieren zu lassen und ihre Waffen abzugeben (AP 30.12.2024). Am 11.2.2025 gab das Präsidialamt bekannt, dass die wichtigsten Oppositionsgremien Syriens, die im Exil tätig waren, Damaskus die von ihnen bearbeiteten Akten übergeben haben, als Teil der Bemühungen, die während des Konflikts gebildeten Institutionen „aufzulösen“. Dieser Schritt kommt der Abschaffung der wichtigsten unbewaffneten Oppositionsgruppen Syriens gleich und erinnert an ash-Shara's Versuch, alle bewaffneten Gruppen aufzulösen und in die Armee zu integrieren (FR24 12.2.2025). Für die in den Kriegsjahren im und aus dem Ausland tätige Opposition hat man nur Geringschätzung (SYRDiplQ1 5.2.2025).
Während ash-Shara' ein gewisses Maß an Pragmatismus gezeigt hat, insbesondere im Umgang mit lokalen Gemeinschaften, sind die Strukturen der Übergangsregierung nach wie vor zentralisiert und hierarchisch, wobei die Macht in einem kleinen Führungskreis konzentriert ist. Dies schränkt die Möglichkeiten für eine integrative Entscheidungsfindung ein und verstärkt die Wahrnehmung der Ausgrenzung von Minderheiten und Frauen (AC 20.12.2024). HTS hat in Idlib einerseits bemerkenswerte Zugeständnisse an die lokale Bevölkerung gemacht. So erlaubte sie beispielsweise Christen, Gottesdienste abzuhalten und Frauen, Universitäten zu besuchen und Autos zu fahren – Maßnahmen, die angesichts der radikalen dschihadistischen Vergangenheit der Gruppe bemerkenswert sind. Darüber hinaus hat HTS Zivilisten in seine Regierungsverwaltung integriert und einen technokratischen Regierungsstil eingeführt, selbst in sensiblen ideologischen Bereichen wie Bildung und Religion, in denen die Gruppe ursprünglich ausschließlich eigenes Personal ernennen wollte. Andererseits ist die mangelnde Bereitschaft, politische Opposition zuzulassen, nach wie vor besorgniserregend. In Idlib hat HTS nach und nach die Macht monopolisiert und agierte praktisch als Einparteienstaat. Politische Opposition und zivilgesellschaftlicher Aktivismus wurden unterdrückt (DIIS 16.12.2024). Zu den ersten Entscheidungen der Übergangsregierung unter al-Bashir gehörten die Entsendung von Polizeikräften in Großstädte und das Verbot von Rauchen und Alkoholkonsum (MAITIC 17.12.2024). Der HTS wurden unter anderem von Human Rights Watch, immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Oppositionelle, Frauen und religiöse Minderheiten vorgeworfen. Es kam auch zu groß angelegten Protesten gegen die HTS und ihren Anführer, ash-Shara' (Rosa Lux 17.12.2024). Laut Terrorismusexperte Peter Neumann haben die Kämpfer der HTS für ein islamistisches Regime gekämpft. Er hält es für möglich, dass es zu einer Opposition in der eigenen Bewegung kommen könnte (Spiegel 11.12.2024). Auch Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler spricht von Videos von Personen aus dem Umfeld der HTS, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024). Alberto M. Fernandez, Vizepräsident des Middle East Media Research Institutes, wiederum sieht nicht so sehr die Gefahr, dass Syrien nun ein islamischer Staat sein wird, sondern dass es ein gescheiterter Staat sein wird. Die Gefahr besteht eher darin, dass die Anarchie die Oberhand gewinnt und nicht das Scharia-Recht. Dennoch sehen auch sie, al-Shara', seine Organisation die HTS und viele ihrer Verbündeten als Hardcore-Islamisten. Der beste Vergleich sind nicht der Islamische Staat (IS) und al-Qaida, sondern die Taliban und die Hamas, politische Projekte, die sowohl islamistisch als auch nationalistisch sind (MEMRI 9.12.2024). Etwa 70 % der syrischen Bevölkerung sind sunnitische Muslime, darunter auch Kurden, die etwa 10 % der Bevölkerung ausmachen. Die arabischen Sunniten sind sich jedoch in ihren Zielen nicht einig, und viele wünschen sich für die Zukunft Syriens keinen islamischen Staat (SWI 13.2.2025). [Informationen zu ethnischen und religiösen Minderheiten finden sich im Kapitel Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
Trotz der Kritik ergab eine im März 2025 im Auftrag von „The Economist“ durchgeführte Umfrage, an der 1.500 Syrer aus allen Provinzen und konfessionellen Gruppen des Landes teilnahmen, dass 81 % die Herrschaft von ash-Shara' befürworten. Nur 22 % sind der Meinung, dass seine Vergangenheit als al-Qaida-Führer ihn für eine Führungsrolle disqualifiziert. Eine große Zahl der Befragten gibt an, dass sie seine neue Ordnung als sicherer, freier und weniger konfessionell geprägt empfinden als das Regime von al-Assad. Etwa 70 % sind optimistisch, was die allgemeine Richtung des Landes angeht. Die zufriedenste Provinz ist Idlib, ash-Shara's ehemaliges Machtgebiet, wo 99 der 100 Befragten sich optimistisch äußern. Tartus, wo Anfang März 2025 mehrere Massaker an der alawitschen Minderheit stattgefunden haben, ist die pessimistischste Provinz. Selbst dort gaben 49 % an, optimistisch zu sein, während 23 % sich pessimistisch äußerten. (Economist 2.4.2025).
Anfänglich drängten die Vereinten Nationen (VN) auf eine Rückkehr zum lange stagnierenden politischen Übergang auf der Grundlage der Resolution 2254 (National 9.12.2024). Die 2015 verabschiedete Resolution 2254 des Sicherheitsrates, die einen politischen Übergang in Syrien durch Verhandlungen zwischen der Regierung des gestürzten Regimes und der Opposition forderte, ist inzwischen gegenstandslos geworden, da das Regime, mit dem verhandelt werden sollte, gestürzt ist (AJ 28.12.2024a). Ash-Shara' sieht keine Notwendigkeit mehr für den Arbeitsmechanismus der Vereinten Nationen in Syrien und macht keinen Hehl aus seiner mangelnden Bewunderung für den UN-Gesandten Geir Pedersen. Die neue Regierung hat kein Interesse mehr an der Resolution 2254 und ihren Bestimmungen. Ash-Shara' sagte, dass die vergangenen Jahre die Ineffektivität der VN gezeigt hätten, weshalb er die Resolution mit dem Sturz des Regimes als hinfällig betrachte (Akhbar 31.12.2024).
Syrien steht auf der US-amerikanischen Liste der Länder, die den Terrorismus unterstützen und HTS wird von der Europäischen Union, der Türkei und den USA als ausländische terroristische Organisation eingestuft (AJ 15.12.2024a). HTS wurde im Mai 2014 auf die Terrorliste der UN gesetzt, als der Sicherheitsausschuss zu dem Schluss kam, dass es sich um eine terroristische Organisation mit Verbindungen zur al-Qaida handelt. Sie unterliegen drei Sanktionsmaßnahmen: Einfrieren von Vermögenswerten, Reiseverbot und Waffenembargo. Das bedeutet, dass international von allen Mitgliedstaaten erwartet wird, dass sie diese Maßnahmen einhalten. Um HTS nicht mehr als Terrororganisation zu listen, müsste ein Mitgliedstaat die Streichung von der Liste vorschlagen, und dieser Vorschlag würde dann an den zuständigen Ausschuss des Sicherheitsrats weitergeleitet. Der Ausschuss, der sich aus Vertretern aller 15 Länder zusammensetzt, die den Sicherheitsrat bilden, müsste dann einstimmig beschließen, den Vorschlag zu genehmigen (UN News 12.12.2024). Die internationale Gemeinschaft akzeptierte in bilateralen und multilateralen Formaten, dass HTS, trotz ihrer Einstufung als terroristische Vereinigung, einen Platz am Verhandlungstisch benötigt (MEI 9.12.2024).
Das Präsidium der syrischen Übergangsregierung hat einen Beschluss zur Einrichtung einer Allgemeinen Behörde für Land- und Seehäfen gefasst, die verwaltungstechnisch und finanziell unabhängig und direkt mit dem Premierminister verbunden ist. Die Behörde für Land- und Seehäfen wird die Generalgesellschaft des Hafens von Tartus, die Generalgesellschaft des Hafens von Latakia, die Generaldirektion der Häfen und andere umfassen, erklärte das Präsidium in einer separaten Entscheidung und ernannte Qutaiba Ahmad Badawi zum Leiter der Behörde. Die neue Behörde wird die Ein- und Ausfahrt von Passagieren und Fracht und alles, was diese Aufgabe erleichtert, überwachen und organisieren, sagte sie. Die Behörde wird auch die Seeschifffahrt, die kommerziellen maritimen Angelegenheiten, die Häfen und den Seeverkehr beaufsichtigen und die für ihre Arbeit notwendigen kommerziellen Schiffe und Immobilien besitzen und leasen (LBCI 1.1.2025).
Ash-Shara's Regierung kontrolliert begrenzte Teile Syriens, darunter die meisten westlichen Städte und Teile des ländlichen Raums (TWI 28.2.2025). Nordostsyrien wird von einer Kombination aus den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Focres - SDF) und arabischen Stammeskräften regiert (MEI 19.12.2024). Die SDF führen Gespräche mit ash-Shara', bleiben aber vorsichtig, was seine Absichten angeht (TWI 28.2.2025). Nord-Aleppo wird von der von der Türkei unterstützten Syrischen Übergangsregierung kontrolliert (MEI 19.12.2024). Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen innerhalb der SNA kontrollieren Teile Nordsyriens nahe der türkischen Grenze, darunter 'Afrin, Suluk und Ra's al-'Ain. Diese Gebiete hat die SNA 2018 und 2019 von den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces - SDF) erobert (Al-Monitor 8.12.2024). Am 29.1.2025 zwang die Türkei den Anführer dieser Gruppe, Sayf Abu Bakr, nach Damaskus zu reisen und dem neuen Präsidenten persönlich zu gratulieren, aber dies ist das einzige Zugeständnis, das er ash-Shara' bisher gemacht hat. Die beiden Anführer haben eine lange Geschichte gegenseitiger Feindseligkeit, insbesondere da viele Kämpfer der Syrischen Nationalarmee Veteranen des blutigen Krieges sind, den HTS 2017–2020 um die Kontrolle über die Provinz Idlib führte (TWI 28.2.2025). Südsyrien wird von einer halbunabhängigen Struktur in Suweida zusammen mit ehemaligen Oppositionsgruppen in Dara'a kontrolliert (MEI 19.12.2024). Im Euphrat-Tal ist die Loyalität der sunnitischen Stämme gegenüber HTS weniger sicher, während in Dara'a die vom ehemaligen Rebellen Ahmad al-'Awda und anderen südlichen Fraktionen kontrollierten Truppen sich der Integration in die neue syrische Armee widersetzen (TWI 28.2.2025). Anfang Jänner 2025 hinderten lokale Gruppierungen, die in der Provinz Suweida operieren, einen Militärkonvoi der DMO an der Einfahrt in die südsyrische Provinz. Quellen erklärten gegenüber Al Jazeera, dass die Entscheidung auf Anweisung des geistlichen Oberhaupts der monotheistischen Gemeinschaft der Drusen, Hikmat al-Hijri, getroffen wurde, der betonte, dass keine militärische Präsenz von außerhalb der Provinz erlaubt sei. Die Quellen erklärten, dass der Militärkonvoi in die mehrheitlich drusische Provinz Suweida kam, ohne sich vorher mit den lokalen Gruppierungen in der Provinz abzustimmen (AJ 1.1.2025a). Etana zufolge soll die HTS zunehmend versucht haben, ihre Macht und militärische Reichweite in der gesamten Provinz Dara'a und im weiteren Süden Syriens auszunutzen, was zu Spannungen mit Ahmad al-'Awda führte. In intensiven Verhandlungen im Gebäude des Gouvernements Dara'a wurde die Auflösung sowohl des 5. Korps als auch der Gruppen von Ahmad al-'Awda (die einst die 8. Brigade des 5. Korps bildeten) sowie anderer ehemaliger Oppositionsgruppen aus der Stadt Dara'a und at-Tafas angestrebt. Während HTS die Integration aller ehemaligen Oppositionsgruppen unter einem neuen Verteidigungsministerium nach al-Assad anstrebt, wuchs der Druck auf al-'Awda, der sich unter den bisherigen Bedingungen gegen die Auflösung gewehrt hatte (Etana 17.1.2025). Am 13.4.2025 gab die Gruppierung dem politischen und militärischen Druck schließlich nach und ihre Auflösung bekannt. Die Waffen werden an die Regierung übergeben (National 14.4.2025), schwere Waffen wurden von den Sicherheitskräften der Regierung beschlagnahmt (Etana 16.4.2025). [Weitere Informationen zu den Gruppierungen in Südsyrien sowie zu ihrer Entwaffnung finden sich in den Kapiteln Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Ash-Shara's politisches Projekt eines zentralisierten Syriens steht im Widerspruch zur aktuellen Realität vor Ort. Er glaubt, dass der Föderalismus die „Nation“ spalten könnte – eine Auffassung, die zum Teil auf der antiisraelischen Stimmung in der syrischen Bevölkerung beruht (TWI 28.2.2025).
Ahmed ash-Shara' wurde 1982 (Rosa Lux 17.12.2024) als Ahmed Hussein ash-Shara' in Saudi-Arabien als Kind syrischer Expatriates geboren. Ende der 1980er-Jahre zog seine Familie zurück nach Syrien (NYT 12.12.2024). Als junger Mann radikalisierte er sich während der blutigen zweiten Intifada, als die israelische Regierung auf palästinensische Selbstmordattentate mit brutaler Gewalt antwortete. Auch der 11.9.2001 prägte ihn (Rosa Lux 17.12.2024). Er ging 2003 in den Irak, um sich al-Qaida anzuschließen und gegen die US-Besatzung zu kämpfen. Arabischen Medienberichten und US-Beamten zufolge verbrachte er mehrere Jahre in einem amerikanischen Gefängnis im Irak. Zu Beginn des Bürgerkriegs tauchte er in Syrien auf und gründete die Jabhat an-Nusra, aus der sich schließlich Hay'at Tahrir ash-Sham entstand (NYT 12.12.2024). 2003 nahm er den Kriegsnamen Abu Mohammad al-Jolani an (Rosa Lux 17.12.2024). In einem vor einigen Jahren mit dem US-amerikanischen Sender PBS geführten Interview gab ash-Shara' zu, dass er bei seiner Rückkehr nach Syrien finanzielle Unterstützung durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) erhielt, der zu diesem Zeitpunkt weite Teile des Iraks und Syriens besetzt hielt (DW 18.12.2024). Im Januar 2017 gründete er mit der HTS ein neues Bündnis verschiedener islamistischer Milizen, das sich dezidiert von der dschihadistischen al-Qaida und ihrem Ziel eines globalen Dschihads gegen den Westen lossagte (Rosa Lux 17.12.2024). Seit dem Bruch mit al-Qaida haben er und seine Gruppierung versucht, internationale Legitimität zu erlangen, indem sie globale dschihadistische Ambitionen ablehnten und sich auf eine organisierte Regierungsführung in Syrien konzentrierten (NYT 12.12.2024). 2013 setzten die USA ihn auf ihre Terrorliste und lobten später sogar ein Kopfgeld in Höhe von zehn Millionen für Hinweise zu seiner Ergreifung aus. 2018 wurde dann auch die HTS von den Vereinigten Staaten als terroristische Vereinigung eingestuft, die Vereinten Nationen folgten (Rosa Lux 17.12.2024).
Als Teil des Übergangs von der Revolution zum Staatsaufbau arbeitet die neue syrische Regierung daran, diesen Aufbau zu stärken und zu konsolidieren, indem sie eine nationale Armee aufbaut, die alle militärischen Formationen und Gruppierungen umfasst, die sich aufgrund bestimmter Umstände und Fakten während der syrischen Revolution gebildet haben (AJ 29.1.2025). [Details zum Aufbau dieser Armee finden sich in den Kapiteln Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
4. Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
[Im Folgenden wird der aktuelle Stand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social-Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformation entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Trotz des Sturzes der 54-jährigen Diktatur der Familie al-Assad ist der Bürgerkrieg noch lange nicht vorbei (Leb24 13.2.2025). Trotz der Bemühungen der neuen syrischen Regierung bleibt die Sicherheitslage fragil, und die Zukunft Syriens ist von zahlreichen Unsicherheiten geprägt (VB Amman 9.2.2025). Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Grandi, beschreibt die Lage vor Ort als "fluid". Sie könne sich nach derzeitigem Stand in alle Richtungen entwickeln (ÖB Amman 6.2.2025). Die neue syrische Übergangsregierung ist nicht in der Lage, das gesamte syrische Staatsgebiet zu kontrollieren (AlHurra 6.2.2025a). Seit Jahresbeginn 2025 hat sich die Sicherheitslage in Syrien nach dem Sturz von Bashar al-Assad weiterhin als instabil erwiesen. Die neuen Machthaber, dominiert von islamistischen Gruppierungen, bemühen sich um die Etablierung von Ordnung und Sicherheit, stoßen jedoch auf erhebliche Herausforderungen (VB Amman 9.2.2025). Außenminister ash-Shaybani gibt Sicherheitsprobleme in Teilen Syriens zu, bezeichnete sie aber als Einzelvorfälle: Offenbar hat die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), die offiziell aufgelöst wurde, Schwierigkeiten, ihre teils sehr radikalen islamistischen Untergruppen in den Griff zu bekommen. Zwischen Verfolgung von Regimestraftätern und Racheakten vor allem gegen die Volksgruppe der Alawiten, aus der die al-Assads stammen, ist nicht immer leicht zu unterscheiden (Standard 23.1.2025). Die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung sind bei ihrem Versuch, das Land zu stabilisieren, mit zunehmenden Bedrohungen konfrontiert, darunter gewalttätige Überreste des Regimes, sektiererische Gewalt und Entführungen. Im Nordosten sind die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) gezielten Angriffen von Zellen des Islamischen Staates (IS) und anhaltenden Feindseligkeiten mit der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) ausgesetzt (Etana 22.2.2025). Die fragile Sicherheitslage bedroht weiterhin den politischen Fortschritt, warnte der Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Syrien, Geir Pedersen, und verwies auf die anhaltenden Feindseligkeiten im Nordosten, einschließlich täglicher Zusammenstöße, Artilleriebeschuss und Luftangriffe, die Zivilisten und die Infrastruktur treffen (UN News 12.2.2025).
In den Gouvernements Syriens kam es weiterhin zu einer Zunahme von Entführungen. Die Civil Peace Group dokumentierte seit dem Sturz des Regimes 64 Entführungsfälle – 19 Opfer wurden später hingerichtet aufgefunden, nur drei führten zu Lösegeldforderungen. Auch Vorfälle sektiererischer Gewalt, die sich hauptsächlich gegen schiitische und alawitische Gemeinschaften richten, sind weit verbreitet (Etana 22.2.2025). Das Middle East Institute berichtet auch von eindeutig sektiererischen Verstößen, wie die Zerstörung eines Schreins im ländlichen Hama durch zwei sunnitische Zivilisten und Fälle von Schikanen an Kontrollpunkten, konstatiert aber, dass die meisten Verstöße, die von Sicherheitskräften in ganz Syrien begangen wurden, sich gegen bestimmte Anhänger des ehemaligen Regimes zu richten scheinen. Eines der drängendsten Probleme sind nicht sektiererisch motivierte Angriffe, sondern vielmehr der undurchsichtige Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben (von denen die meisten aufgrund der Natur des Regimes Alawiten sind) (MEI 21.1.2025). [Weiterführende Informationen zu Gewalt gegen religiöse Minderheiten finden sich in den Kapiteln Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024) und Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Die Kriminalität ist dramatisch gestiegen, nicht zuletzt auch aufgrund der Freilassung nicht nur politischer Gefangener aus den Gefängnissen (SYRDiplQ1 5.2.2025). Kriminelle Banden und Einzelpersonen suchen weiterhin nach Sicherheits- und Autoritätslücken, die sie in dieser neuen Ära ausnutzen können. Die schwereren Verbrechen ereignen sich in der Regel auf dem Land, wo die Sicherheitspräsenz geringer ist und sich eine höhere Konzentration von Ex-Shabiha [Shabiha sind die irregulären, bewaffneten pro-Assad-Gruppierungen Anm.] befindet (MEI 21.1.2025).
Seit islamistische Rebellen im Dezember den langjährigen repressiven Machthaber Bashar al-Assad stürzten, kam es in mehreren Gebieten zu Zusammenstößen und Schießereien, wobei Sicherheitsbeamte bewaffnete Anhänger der vorherigen Regierung beschuldigten (FR24 1.3.2025). In mehreren Gebieten in Syrien kommt es weiterhin zu Zwischenfällen mit verirrten Kugeln. Im Februar sind bei solchen Vorfällen 18 Menschen, darunter drei Frauen und vier Kinder, getötet und vier weitere, darunter zwei Kinder, verwundet worden. Die Opfer verteilen sich auf die von der Regierung in Damaskus, der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) und der Syrischen Nationalen Armee (SNA) kontrollierten Gebiete. Diese Zwischenfälle werden durch die Verbreitung von Waffen unter der Zivilbevölkerung verschärft (SOHR 24.2.2025b). Sicherheitskräfte sind immer noch dabei, Überbleibsel des Regimes im ganzen Land auszuheben, die häufig Mitglieder der Allgemeinen Sicherheit und Checkpoints ins Visier genommen haben. ETANA verzeichnete Angriffe von Pro-Regime-Gruppen auf Mitglieder der Allgemeinen Sicherheit in Rif Dimashq, Ost-Dara'a und West-Homs. Auch in Hama und Jableh, in der Nähe der Hmeimim-Basis, kam es zu Zusammenstößen. Sicherheitskräfte haben in ehemaligen Regimegebieten von Deir ez-Zour mehrere Operationen durchgeführt (Etana 22.2.2025). Während Zehntausende auf die Initiative der Versöhnungsprozesse eingingen, lehnten bewaffnete Gruppierungen von Regimeüberbleibseln sie ab, vor allem an der syrischen Küste, wo hohe Offiziere des Assad-Regimes stationiert waren. Im Laufe der Zeit flohen diese Gruppierungen in die Bergregionen und begannen, Spannungen zu schüren, die Lage zu destabilisieren und sporadische Angriffe auf die Regierungstruppen zu verüben (AJ 10.3.2025c). Bis Anfang März 2025 beschränkten sich solche Übergriffe auf kleine Ausbrüche von willkürlicher Selbstjustiz und waren nicht Teil von groß angelegter, organisierter Gewalt. Am 6.3.2025 jedoch überfielen Aufständische des Assad-Regimes die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung in der westlichen Küstenstadt Jableh im Gouvernement Latakia und töteten 30 von ihnen (viele wurden später verbrannt oder in flachen Massengräbern aufgefunden) (TWI 10.3.2025). Die Anhänger des gestürzten Assad-Regimes riefen zu einem Aufstand auf. Ungefähr zur Zeit der ersten Angriffe gab eine Gruppierung, die sich selbst als "Militärrat für die Befreiung Syriens" bezeichnet, eine Erklärung ab, in der sie schwor, die Regierung zu stürzen (FT 10.3.2025). Unmittelbar nach dem Hinterhalt riefen die syrischen Sicherheitskräfte zu einer allgemeinen Mobilisierung über die bereits in der Küstenregion stationierten Einheiten hinaus auf und zur Ausrottung ehemaliger Regimegegner (TWI 10.3.2025). Sicherheitskräfte, die durch Verstärkung unterstützt wurden, begannen, gegen die Loyalisten des Assad-Regimes zu kämpfen und sie aus den Dörfern an der Küste Syriens zurückzudrängen. Die Loyalisten zogen sich aufs Land zurück, wobei sie Staatseigentum niederbrannten und mordeten. Als syrische Regierungstruppen und bewaffnete Zivilisten begannen, in alawitische Dörfer im Nordwesten Syriens einzudringen, tauchten Videos von Misshandlungen auf. Zivilisten berichteten von Massenmorden durch Sicherheitskräfte, was von Menschenrechtsgruppen bestätigt wurde (Guardian 10.3.2025). Laut dem Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights - SOHR) war es ein Fehler, dass die Regierung in Damaskus in den Moschen zur Mobilisierung aufgerufen hatte. Dies habe zu einem Zustrom von Kämpfern von außerhalb der Region geführt, um Alawiten zu massakrieren (Sky News 9.3.2025a). Laut einem Freiwilligen der Nichtregierungsorganisation Weißhelme kamen Menschen aus allen Städten Syriens, um Rache zu üben (C4 9.3.2025). Die überwiegende Mehrheit der rechtswidrigen Tötungen von Zivilisten und Gefangenen durch syrische Sicherheitskräfte wurde laut dem Syrian Network for Human Rights (SNHR) von zwei bestimmten Fraktionen sowie von Personen begangen, die sich Militärkonvois angeschlossen hatten. Konkret waren die beiden Fraktionen, die für die meisten Tötungen von Zivilisten verantwortlich sind, die Suleiman Shah Division [auch: Abu Amsha-Division oder Amsha-Division] und die Hamza-Division. Beide Fraktionen und ihre Anführer stehen wegen mutmaßlicher schwerer Menschenrechtsverletzungen, darunter Vergewaltigung und Folter, unter US-Sanktionen (Guardian 10.3.2025). Laut Washington Institute for Near Eeast Policiy umfasste die Mobilisierung drei von den USA sanktionierte Milizen der von der Türkei unterstützten SNA: Jaysh ash-Sharqiya, Sultan Suleiman Shah Division und die Hamza-Division. Sie wurden zuvor wegen Menschenrechtsverletzungen an Kurden im Nordwesten Syriens angeklagt. An den Kämpfen waren auch ausländische Dschihad-Kämpfer der von den USA gelisteten Gruppierung Ansar at-Tawhid und lokale syrische Zivilisten beteiligt, die die Kriegsverbrechen des Regimes rächen wollten (TWI 10.3.2025). Die Gruppierungen stehen nominell unter der Schirmherrschaft des neuen Staates, wobei Abu Amsha zum Leiter der Militärbrigade der Provinz Hama ernannt wurde. In Wirklichkeit übt der Staat jedoch nur begrenzte Kontrolle über sie aus. [Weitere Informationen über Rebellengruppierungen finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) Anm.] Die Bewaffneten, die die Massaker verübten, seien keine Bewohner der syrischen Küste, sondern stammten aus anderen Gouvernements und seien teilweise ausländischer Herkunft wie Usbeken, Tschetschenen und zentralasiatische Kämpfer (Sky News 9.3.2025a). Am 9.3.2025 gab eine syrische Sicherheitsquelle an, dass sich die Kämpfe in der Umgebung der Städte Latakia, Jabla und Baniyas etwas beruhigt hätten, während die Streitkräfte die umliegenden Berggebiete durchsuchten, in denen sich schätzungsweise 5.000 pro-Assad-Aufständische versteckt hielten (Sky News 9.3.2025b). Der Sprecher des Verteidigungsministeriums gab am 10.3.2025 das Ende der Militäroperation gegen die Überreste des Regimes in den Küstengebieten bekannt. Er betonte, dass die öffentlichen Einrichtungen ihre Arbeit wieder aufnehmen können, um die Rückkehr zum normalen Leben vorzubereiten, und dass die Sicherheitskräfte weiter daran arbeiten werden, die Stabilität und die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten (SANA 10.3.2025a). Der Gouverneur von Tartus betonte am 9.3.2025, dass die Provinz nach dem Sieg über die Überreste des untergegangenen Regimes eine allmähliche Rückkehr ins öffentliche Leben erlebt (SANA 9.3.2025a). In den meisten Vierteln der Stadt Latakia hat am 10.3.2025 das normale Leben wieder begonnen, nachdem die Angriffe der Überreste des ehemaligen Regimes vereitelt und die Sicherheit in der Stadt wiederhergestellt wurde (SANA 10.3.2025b). Nach der Ankündigung der Regierung in Damaskus über den Abschluss der Sicherheitskampagne an der syrischen Küste stürmten Gruppen von bewaffneten Männern, die dem Verteidigungsministerium angehören, die Stadt Harison in der Umgebung von Baniyas, wo sie Häuser und Eigentum von Zivilisten plünderten und in Brand setzten (SOHR 10.3.2025c). Die Lage in den Städten mag stabiler sein, aber in ländlicheren Gegenden finden abseits der Medien eklatante Rechtsverletzungen statt. Die Zwangsumsiedlungen gehen weiter (Sky News 9.3.2025a).
Die Zahl der Todesopfer der Kämpfe variierte stark (Guardian 9.3.2025). Laut dem Syrian Network for Human Rights (SNHR), das umfassende Dokumentationsstandards anwendet und als unabhängig gilt, haben Anhänger des Assad-Regimes 383 Menschen getötet, darunter 211 Zivilisten und 172 syrische Sicherheitskräfte, während syrische Sicherheitskräfte 396 Menschen getötet haben, darunter Zivilisten und entwaffnete Kämpfer (Guardian 10.3.2025). Syrische Sicherheitsquellen gaben an, dass mehr als 300 ihrer Mitglieder bei Zusammenstößen mit Angehörigen der ehemaligen Syrischen Arabischen Armee, bei koordinierten Angriffen und Hinterhalten auf ihre Streitkräfte getötet wurden (Sky News 9.3.2025b). Es wurden Massengräber mit Dutzenden von toten Mitgliedern gefunden (AJ 9.3.2025). Die syrischen Sicherheitskräfte töteten 700 ehemalige Soldaten und bewaffnete Männer, die dem ehemaligen Präsidenten Bashar al-Assad treu ergeben waren, oder sogenannte Regimeüberreste (Arabiya 9.3.2025). Dem Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge wurden 745 alawitische Zivilisten aus konfessionellen Gründen getötet, wobei er betonte, dass sie nicht an den Kämpfen beteiligt waren oder mit dem Regime in Verbindung standen (Sky News 9.3.2025a). Darüber hinaus wurden 125 Mitglieder der Sicherheitskräfte und 150 alawitische Kämpfer getötet (Sky News 9.3.2025a). Die meisten der von Regierungstruppen getöteten Zivilisten waren Alawiten, aber auch einige Christen wurden als tot bestätigt. Unter den getöteten Aufständischen des ehemaligen Regimes befanden sich Sunniten, Alawiten und Christen (TWI 10.3.2025). Laut der Vereinten Nationen kam es zu Tötungen ganzer Familien (UN News 9.3.2025). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) zog am 11.3.2025 Bilanz und verzeichnete eine Gesamtzahl von 1.093 Todesopfern vom Eintreffen bewaffneter Männer zur Unterstützung der Sicherheitskräfte bis zum 11.3.2025. Insgesamt wurden 44 Massaker verübt (SOHR 11.3.2025). Eine nicht näher genannte Beobachtungsgruppe verzeichnete der BBC zufolge mehr als 1.500 Todesopfer, darunter 1.068 Zivilisten (BBC 10.3.2025). Laut Aussage des Leiters von SOHR wurden Zehntausende Häuser geplündert und niedergebrannt (Sky News 9.3.2025a). Ein Freiwilliger der syrischen NGO Weißhelme (White Helmets) berichtete, dass seine Organisation am 5.3.2025 auf mehr als 40 Brände im Küstengebiet reagieren musste, bevor in der darauffolgenden Nacht die Schießerei begonnen hatte. Es wurde auch einer der Krankenwagen der Weißhelme angegriffen, ebenso das Krankenhaus und Kontrollpunkte (C4 9.3.2025). [Weitere Informationen zu den Vorfällen finden sich im Kapitel Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024). Informationen zu den Tätergruppierungen finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
Diese Eskalation war nicht auf Latakia im Westen Syriens beschränkt, denn auch in anderen Gebieten am Rande der Hauptstadt Damaskus und in Dara'a kam es zu bewaffneten Zusammenstößen (AlHurra 8.3.2025). Unbekannte bewaffnete Männer in einem Auto warfen am 10.3.2025 Granaten und eröffneten das Feuer mit Maschinengewehren auf das Hauptquartier der allgemeinen Sicherheitskräfte im Stadtteil al-Mezzeh in Damaskus. Es kam zu Zusammenstößen zwischen den Angreifern und den Sicherheitskräften (SOHR 10.3.2025d).
Übergangspräsident ash-Shara' richtete einen dreißigtägigen Untersuchungsausschuss, der die tatsächlichen Geschehnisse untersuchen soll, ein. Im Gegensatz zu den früheren Ernennungen der Übergangsregierung für Ausschüsse, Ministerien und Provinzämter sind die sieben Mitglieder dieses neuen Ausschusses nicht mit HTS oder ihrer Verbündeten in Verbindung gebracht worden (TWI 10.3.2025). Der Ausschuss soll seinen Bericht dem Chef der syrischen Übergangsregierung, Ahmad ash-Shara', spätestens 30 Tage nach der Entscheidung zur Bildung des Ausschusses vorlegen (BBC 9.3.2025a). Er hat zur Aufgabe, die Ursachen, Umstände und Bedingungen aufzudecken, die zu diesen Ereignissen geführt haben, die Verletzungen zu untersuchen, denen die Zivilbevölkerung ausgesetzt war, die Verantwortlichen zu identifizieren, die Angriffe auf öffentliche Einrichtungen und Mitarbeiter der Sicherheitskräfte und der Armee zu untersuchen, die Verantwortlichen zu identifizieren und diejenigen, die nachweislich an den Verbrechen und Verletzungen beteiligt waren, an die Justiz zu verweisen (SANA 9.3.2025b). Am 9.3.2025 begannen die Behörden, gegen diejenigen vorzugehen, die Gewalttaten gegen Zivilisten begangen hatten. Die syrische Übergangsregierung verhaftete sogenannte undisziplinierte Gruppen, die in den letzten Tagen während der Säuberungsaktionen Sabotageakte begangen hatten. Sie sollen strafrechtlich verfolgt werden, weil sie die Anweisungen des Kommandos missachteten (Arabiya 9.3.2025).
Viele Beobachter sind sich einig, dass trotz der starken Präsenz interner Faktoren auch der externe regionale Faktor bei den Unruhen in der syrischen Küstenregion eine wichtige Rolle spielte. Syrische Sicherheitsquellen weisen darauf hin, dass Iran in die Ereignisse in der Region verwickelt war und dass er die Überreste des Regimes von Bashar al-Assad finanzierte und bewaffnete, die zwischen der Küste und der Provinz Homs unterwegs waren und aufgrund der instabilen Sicherheitslage in den Osten Syriens vordringen konnten (BBC 9.3.2025b). Israel drang nach dem Sturz des Assad-Regimes in Grenzdörfer in Syrien ein und bezeichnete dies als vorübergehende Maßnahme zum Schutz seiner eigenen Sicherheit. Während israelische Politiker seit Monaten deutlich machen, dass sie beabsichtigen, ihre Truppen in den Grenzregionen zu belassen, die eigentlich eine von internationalen Friedenstruppen überwachte Pufferzone sein sollte, stellen ihre Erklärungen über ein entmilitarisiertes Südsyrien eine Eskalation dar, die die Spannungen innerhalb Syriens verschärft hat (NYT 25.2.2025). Israel hatte die Pufferzone auf dem syrischen Golan umgangen und das Rückzugsabkommen von 1974 verletzt, indem es in Quneitra und Dara'a eindrang und weiteres syrisches Gebiet besetzte, bis es den Berg Hermon erreichte (BBC 9.3.2025b). Israelische Streitkräfte führen weiterhin Angriffe in und jenseits des entmilitarisierten Grenzstreifens von 1974 zwischen den von Israel besetzten Golanhöhen und Quneitra durch. Versuche Israels, die Herzen und Köpfe der Menschen in Quneitra zu gewinnen, wurden wiederholt abgewiesen und fanden gleichzeitig mit Razzien, Schießereien und anderen Verstößen statt (Etana 22.2.2025). Israel führte seit dem Sturz von al-Assad Hunderte von Luftangriffen in ganz Syrien durch, bei denen Luftwaffenstützpunkte, Munitionsdepots, militärische Ausrüstung und Stellungen von Kräften, die der neuen Regierung treu ergeben sind, angegriffen wurden (SCR 30.1.2025). Am 1.3.2025 drohte der israelische Ministerpräsident Netanyahu und der Verteidigungsminister Katz der syrischen Übergangsregierung, in Syrien einzugreifen, um die Drusen zu beschützen (Enab 1.3.2025; vgl. TIS 1.3.2025). Berichten aus Syrien zufolge kam es zuvor im Rahmen einer Sicherheitskampagne in Jaramana, einem Vorort von Damaskus, zu Zusammenstößen zwischen den Behörden der neuen syrischen Regierung und örtlichen drusischen Kämpfern (TIS 1.3.2025). [Weitere Informationen zur politischen Intervention Israels finden sich im Kapitel Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Außenpolitische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und zur militärischen Intervention im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Ausländische Unterstützung bzw. Einmischung - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Kräfte von außen, die gemeinsam mit Assad die Macht verloren haben – Iran und seine Vasallen wie die libanesische Hisbollah –, haben Interesse daran, dass das neue Syrien scheitert (Standard 9.3.2025).
Nach dem Sturz des Assad-Regimes hat Russland begonnen, seine Streitkräfte aus der strategisch wichtigen Marinebasis Tartus abzuziehen. Dieser Rückzug könnte das Machtgleichgewicht in der Region beeinflussen und Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Syrien haben (VB Amman 9.2.2025). [Weitere Informationen zu den politischen Beziehungen zwischen Syrien und Russland finden sich im Kapitel Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Außenpolitische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024). Informationen zur militärischen Präsenz Russlands sind dem Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Ausländische Unterstützung bzw. Einmischung - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen.]
Ende Dezember wurde, einer syrischen Sicherheitsquelle von Al Jazeera zufolge, durch die Abteilung für militärische Operationen eine landesweite Sicherheitsoperation gestartet, um Überreste des untergegangenen Regimes zu jagen und militärische Kontrollpunkte an der Straße zum russischen Militärstützpunkt Hmeimim in Tartus einzurichten (AJ 28.12.2024b).[Weitere Informationen zu Sicherheitsoperationen finden sich in den Kapiteln Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024), Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024).]
Die Internationale Koalition hat zwölf Sicherheitsoperationen gegen Zellen des Islamischen Staates (IS) durchgeführt, einige mit Beteiligung der SDF in verschiedenen Gebieten Syriens, wo diese Operationen zur Tötung von 14 Mitgliedern des IS führten, darunter zwei Anführer, sowie die Verhaftung von neun Personen, die beschuldigt werden, dem IS anzugehören und mit ihm zu kooperieren, darunter ein Ölinvestor (SOHR 23.2.2025). Die von den USA geführten internationalen Koalitionstruppen haben in Zusammenarbeit mit den SDF ein intensives militärisches Training mit schweren Waffen auf der Basis des Ölfeldes al-'Omar im Osten der Provinz Deir ez-Zour im Osten Syriens durchgeführt. Die Übungen sind Teil einer Reihe von Militärmanövern, die die Koalitionstruppen auf ihren Militärstützpunkten in den Provinzen Deir ez-Zour und al-Hasaka im Nordosten des Landes durchführen, um die Kampfbereitschaft und die operative Koordination mit den lokalen Partnern zu verbessern (TNA 27.2.2025). [Weitere Informationen zur Intervention der Internationalen Koalition bzw. der USA sind den Kapiteln Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Außenpolitische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Ausländische Unterstützung bzw. Einmischung - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen.]
Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Grandi, sieht den Schlüssel, um die Voraussetzungen für ausreichende Lebensbedingungen und eine stabile Sicherheitslage zu schaffen, in der Elektrizität. Ohne diese gäbe es nicht nur extreme Unsicherheit. Die Lebensbedingungen, wie Kochen, Heizen, Transport usw. sind an Strom gekoppelt. Auch der Betrieb von Krankenhäusern und Schulen bedingt eine funktionierende Energieversorgung. Dauere der Zustand an, in dem nachts ganze Gegenden in völliger Dunkelheit lägen, sei ein "collapse of law and order" praktisch unvermeidlich. Die radikalen militanten Gruppierungen würden nur darauf warten, das Vakuum zu füllen (ÖB Amman 6.2.2025). [Weitere Informationen zur humanitären Lage, Stromversorgung etc. finde sich im Kapitel Grundversorgung und Wirtschaft.]
Kampfmittelreste und Blindgänger
In mehr als 13 Jahren Krieg wurden im ganzen Land schätzungsweise mehr als zehn Millionen Sprengkörper eingesetzt. In der Regel explodieren bis zu 30 % der eingesetzten Munition nicht, was zu einer hohen Kontaminierung mit Blindgängern führt (FR 20.1.2025b). Nicht explodierte Kampfmittelrückstände stellen eine große Gefahr für das Leben in Syrien dar. Sie werden hauptsächlich in zwei Kategorien unterteilt. Die Erste sind Blindgänger wie Streubomben, Mörsergranaten und Granaten. Diese sind in der Regel über der Erde und daher sichtbar. Die größere Herausforderung liegt in der zweiten Kategorie von Munition: Landminen. Ehemalige Regierungstruppen haben Hunderttausende davon in verschiedenen Gebieten in Syrien vergraben – hauptsächlich auf Ackerland (BBC 23.1.2025). Die Bedrohung durch Blindgänger hat sich seit dem Sturz des Assad-Regimes am 8.12.2024 noch verschärft, weil in Homs, aber auch in Damaskus, viele Waffen, darunter auch Sprengwaffen, zurückgelassen wurden (UN News 14.1.2025). Es ist ein starker Anstieg von Vorfällen mit Blindgängern und explosiven Kampfmittelrückständen zu verzeichnen, wobei fast täglich über zivile Opfer berichtet wird (UNOCHA 12.2.2025). Die Beseitigung von Landminen und anderen militärischen Trümmern ist dringender denn je. Während sich Millionen von Flüchtlingen auf ihre Rückkehr vorbereiten, sind viele ihrer Häuser oder das, was von ihnen übrig ist, mit nicht explodierten Mörser- und Artilleriegranaten, Raketen, Minen und Sprengfallen übersät (Leb24 13.2.2025). Für die Vertriebenen und diejenigen, die versuchen, nach Hause zurückzukehren, ist die Gefahr durch Blindgänger ständig und unvermeidlich (UN News 14.1.2025). Syrien ist seit Jahren unter den drei Ländern mit der höchsten Blindgänger-Dichte (FR 20.1.2025b). In allen Gebieten, in denen in den letzten Jahren Militäroperationen stattgefunden haben, sind nicht explodierte Kampfmittel weit verbreitet, sodass es riskant ist, nach Hause zurückzukehren und ein normales Leben wieder aufzunehmen. Trotz der dringenden Notwendigkeit, sie zu beseitigen, sind die Bemühungen nach wie vor unzureichend, weil die lokalen Behörden und humanitären Organisationen es verabsäumen, ernsthafte Schritte zum Schutz der Zivilbevölkerung zu unternehmen. Am stärksten betroffen sind die Gebiete unter der Kontrolle der neuen syrischen Regierung, gefolgt von der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (Democratic Autonomous Administration of North and East Syria - DAANES) und den Gebieten der durch die Türkei unterstützten SNA (SOHR 13.2.2025). Die Vorfälle ereignen sich in verschiedenen Gebieten des Landes. Dabei kommt es zu Explosionen auf landwirtschaftlichen Flächen, wo Zivilisten arbeiten, um Ernten zu sammeln oder nach Trüffeln zu suchen, zu Explosionen in Häusern oder während der Fahrt auf den Straßen (SOHR 21.2.2025). Nach Angaben des Halo Trust, einer internationalen Organisation, die auf die Räumung von Landminen und anderen Sprengkörpern spezialisiert ist, wurden allein seit dem Sturz al-Assads durch Landminen und andere explosive Hinterlassenschaften mindestens 400 Zivilisten getötet und verletzt, wobei die tatsächliche Zahl vermutlich viel höher liegt (Halo 3.2.2025). In den letzten neun Jahren wurden mindestens 422.000 Vorfälle mit Blindgängern in 14 Gouvernements in ganz Syrien gemeldet, wobei schätzungsweise die Hälfte davon tragische Opfer unter Kindern forderte. Die Gefahr betrifft etwa fünf Millionen Kinder, die in Gebieten leben, die mit den tödlichen Sprengkörpern verseucht sind. Für Kinder sind die Auswirkungen solcher Vorfälle verheerend. Wenn sie die Explosion überleben, sind lebensverändernde Verletzungen und Behinderungen die Folge, welche oft bedeuten, dass sie nicht mehr zur Schule gehen können oder dass es für sie schwieriger ist, Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung zu erhalten (UN News 14.1.2025). [Weiterführende Informationen zu den Auswirkungen von Blindgängern auf Kinder finden sich im Kapitel Relevante Bevölkerungsgruppen / Kinder - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Laut Syrischer Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind von Anfang 2025 bis 13.2.2025 169 Menschen durch Kampfmittelüberreste getötet worden, darunter 31 Kinder und sechs Frauen. 205 Personen wurden verletzt. Darunter 88 Kinder und Frauen (SOHR 13.2.2025). UNOCHA zählte bei 198 Vorfällen von Dezember 2024 bis 12.2.2025 141 Getötete, darunter 24 Kinder und eine Frau, sowie 265 Verletzte, darunter 114 Kinder und 16 Frauen. Von den 136 Vorfällen im Jänner und Februar ereigneten sich 90 während Bauern ihr Land bestellten oder Tiere weideten, was zum Tod von 61 Bauern und Hirten und 93 weiteren Verletzten führte. Seit Dezember wurden in Idlib, Aleppo, Hama, Deir ez-Zour und Lattakia insgesamt 138 Minenfelder und Minenpräsenzpunkte identifiziert (UNOCHA 12.2.2025). Viele der Getöteten sind den syrischen "Weißhelmen" zufolge Bauern und Landbesitzer, die versuchten auf ihr Land zurückzukehren (BBC 23.1.2025). Großstädte wie Idlib, ar-Raqqa, Aleppo, Hama, Homs und Ost-Ghouta, ein Vorort von Damaskus, wurden durch Bombardierungen verwüstet und sind deswegen mit Blindgängern übersät. Genau das sind die am meisten bewohnten Gegenden. Dort lebten teils Hunderttausende. Die Minenfelder und nicht explodierte Sprengkörper wie Bombenreste sind übers ganze Land verteilt (FR 20.1.2025b). Al Jazeera zufolge sind Provinzen wie Aleppo, Idlib, Hama, Homs, ar-Raqqa, Deir ez-Zour und al-Hasaka und in geringerem Maße Damaskus, Dara'a und Suweida mit Streumunition und Minen verseucht (AJ 1.1.2025c).
Der Islamische Staat (IS)
Die Instabilität wirkt sich auf Lager, Haftanstalten und andere Einrichtungen im Nordosten des Landes aus. 42.500 Personen, von denen einige mutmaßliche Verbindungen zu IS haben, sind weiterhin in Haft. Darunter sind 17.700 irakische Staatsangehörige und 16.200 syrische Staatsangehörige sowie 8.600 Staatsangehörige aus anderen Ländern (UN News 10.2.2025). [Weitere Informationen zu Flüchtlingslager in Nord- und Ostsyrien finden sich im Kapitel Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024) / Allgemeine Menschenrechtslage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Region Nord- und Ostsyrien (DAANES) / IDP's und Flüchtlinge.] Der IS ist in Syrien in zwei getrennten Gebieten verbreitet. Zum Ersten in der syrischen Jazira (Nordostsyrien), die von den von der Internationalen Koalition unterstützten SDF kontrolliert wird. Dort bewegt sich der IS in der südlichen Wüste der Provinz al-Hasaka, die auch mit der nordöstlichen Seite der Grenzstadt al-Bu Kamal verbunden ist, genauer gesagt mit der Stadt al-Baghouz, der letzten städtischen Hochburg des IS. Dieses Gebiet ist geografisch mit der Hatra-Wüste in der irakischen Provinz Ninive verbunden, trotz der Betonblöcke, die die beiden Länder trennen, bewegt sich der IS immer noch über die Grenze, wie ein Bewohner der ländlichen Provinz al-Hasaka gegenüber Al Jazeera bestätigt. Das zweite Gebiet, bekannt als al-Badiya ash-Shamiya (zu Deutsch: Syrische Wüste), befindet sich in der Nähe der Stadt Palmyra, östlich der Provinz Homs. Es zeichnet sich durch seine Weite aus und endet am Rande der meisten syrischen Provinzen und ist auch mit der irakischen Wüste al-Anbar verbunden, die eine wichtige Hochburg für den IS ist. Der IS profitierte früher von der Aufteilung des Einflusses entlang des Grenzstreifens zwischen den US-amerikanischen Streitkräften, die in der Militärbasis at-Tanf stationiert waren, und den iranischen Milizen, die al-Bu Kamal kontrollierten. Zusätzlich zu seiner relativ langen Erfahrung im Kampf und in der Anpassung an die Wüste konnte der IS seine Bewegung in diesem Gebiet zwischen den beiden Ländern aufrechterhalten (AJ 2.3.2025). Eine Reportage des Spiegels, bei der ein Journalist in die al-Badiya reiste und mit verschiedenen Personen vor Ort sprach, deutet an, dass der IS dort nicht mehr so stark präsent ist, sondern viele Überfälle und Angriffe von der gestürzten syrischen Regierung dem Islamischen Staat zugeschoben wurden (Spiegel 9.2.2025). Die Vielzahl der gegen den IS kämpfenden Parteien und der Zustand der Feindseligkeit oder Rivalität zwischen ihnen schuf einen Zustand der Verwirrung, der in der jüngsten Zeit (zwischen 2024 und 2023) offensichtlich wurde. Dies trug dazu bei, dass die Informationen über die Zahlen und Bewegungen der Organisation ungenau und sehr variabel sind, da es bis heute keine genaue Zahl für die Anzahl der IS-Kämpfer in Syrien gibt. Einige Quellen vor Ort deuten darauf hin, dass die Zahl der aktiven IS-Kämpfer in Syrien zwischen 900 und 1100 liegt, wobei sich der größte Teil von ihnen in der levantinischen al-Badiya befindet, während der kleinere Teil auf der syrischen Jazira (Nordostsyrien) verteilt ist (AJ 2.3.2025). Der IS hat die Sicherheitslücke ausgenutzt, die durch den Zusammenbruch des Regimes des ehemaligen syrischen Präsidenten Bashar al-Assad im vergangenen Dezember entstanden ist, so der SDF-Anführer 'Abdi. Seither wurde der IS sichtbarer und aktiver. Die Terrorgruppe nutzt Waffenlager, die sie beschlagnahmt hat, nachdem sie von Assad-treuen Kräften aufgegeben wurden. Der IS werde auch immer mutiger und schicke Terroristen aus ihren Verstecken in der Badiya in die umliegenden Städte (VOA 27.2.2025). Am 10.2.2025 stellte ein UN-Beamter fest, dass die unbeständige Lage in Syrien sehr besorgniserregend ist. Es besteht die Gefahr, dass Bestände moderner Waffen in die Hände von Terroristen fallen. Die syrische Badiya-Region wird weiterhin als Zentrum für die externe Operationsplanung des IS genutzt und ist ein wichtiges Gebiet für dessen Aktivitäten (UN News 10.2.2025). Der Abzug der USA würde eine Stärkung des IS bewirken, weil die Gruppierung die Schwäche der neuen syrischen Übergangsregierung ausnutzen wird, die nicht in der Lage ist, das gesamte syrische Staatsgebiet zu kontrollieren. Beamte warnen, dass der Abzug der US-Streitkräfte die SDF alleine lassen und die Sicherheit von mehr als 20 Gefängnissen und Flüchtlingslagern bedrohen wird, in denen mehr als 50.000 Menschen, darunter etwa 9.000 IS-Kämpfer, untergebracht sind. Ohne die US-amerikanischen Streitkräfte könnten die SDF die Gefängnisse und Lager aufgeben und Tausenden von IS-Kämpfern die Flucht ermöglichen. Der türkische Außenminister Fidan sagte Anfang Januar, dass die Türkei bereit sei, die Kontrolle über die Gefängnisse zu übernehmen, in denen IS-Gefangene untergebracht sind (AlHurra 6.2.2025a). In den letzten Jahren, nachdem der IS seine letzten städtischen Hochburgen verloren hatte, führten IS-Gruppierungen Hunderte von militärischen und sicherheitspolitischen Operationen in Syrien durch, meist in Form von Schnellangriffen auf Stellungen iranischer Milizen und Angehörige der ehemaligen syrischen Regime-Armee, zusätzlich zu aufeinanderfolgenden Angriffen auf Öltankwagen, die Öllieferungen von den syrischen Jazira-Feldern zu den Raffinerien in Homs und Baniyas transportierten. Seit der Ankündigung des Sturzes des Assad-Regimes sind die Angriffe des IS zurückgegangen, abgesehen von den üblichen Angriffen in der syrischen Region Jazira und zwei Angriffen in der levantinischen Badiya, von denen einer auf das Gasfeld von Sha'er abzielte und ein Todesopfer forderte. Dieses relative Verschwinden ist nicht unbedingt von Dauer, sondern wahrscheinlich eher vorübergehend und auf mehrere Gründe zurückzuführen, von denen die wichtigsten sind: 1. fehlende militärische Ziele durch den Abzug der Iranischen Milizen und das Auflösen der Syrischen Arabischen Armee (SAA), 2. der Einsatz militärischer Gruppierungen, die der Syrischen Freien Armee (SFA) angehörten und mittlerweile dem syrischen Verteidigungsministerium unterstellt sind, um das Machtvakuum in der Region zu schließen und wichtige strategische Positionen insbesondere an der einzigen Verbindungsstraße zwischen Deir ez-Zour und Damaskus zu übernehmen (AJ 2.3.2025).
Die Sicherheitslage in den verschiedenen Regionen Syriens variiert (VB Amman 9.2.2025). Im Folgenden wir die Sicherheitslage je nach Region dargestellt:
Zentralsyrien
Nach dem Sturz des Assad-Regimes und der Machtübernahme islamistischer Gruppen bleibt die Sicherheitslage auch in den Küsten- und Zentralregionen Syriens fragil und stark fragmentiert. Während einige Gebiete weitgehend unter der Kontrolle der neuen islamistischen Machthaber stehen, gibt es weiterhin Widerstand durch lokale Milizen, ehemalige Assad-treue Gruppen und ausländische Akteure (VB Amman 9.2.2025). Das syrische Innenministerium hat seine Sicherheitsoperationen in verschiedenen Provinzen intensiviert und dabei Elemente des gestürzten Assad-Regimes ins Visier genommen, die ihre Bewegungen in einigen Gebieten verstärkt haben. In mehreren Gebieten, insbesondere in den ländlichen Gebieten von Damaskus, Homs und Tartus, fanden groß angelegte Sicherheitsoperationen statt, bei denen eine Reihe von bewaffneten Kämpfern festgenommen und andere bei direkten Zusammenstößen neutralisiert wurden. Sicherheitsberichte bestätigen, dass diese Gruppierungen die syrische Armee und die Sicherheitskräfte ins Visier genommen hatten, um die Sicherheit zu schwächen und Chaos zu stiften. Dabei nutzen sie die schwierige geografische Lage einiger Gebiete, um sich zu verstecken und ihre Reihen neu zu formieren (AAA 1.3.2025). Damaskus ist unter der Kontrolle islamistischer Gruppierungen. Während in einigen Vierteln eine gewisse Stabilität herrscht, sind Anschläge, Attentate und gezielte Angriffe rivalisierender Gruppen weiterhin an der Tagesordnung. Israelische Luftangriffe auf mutmaßliche Waffenlager oder Stellungen von pro-iranischen Milizen haben zugenommen, während in den Außenbezirken einzelne Widerstandszellen gegen die neuen Machthaber operieren. IS-Zellen und lokale Widerstandsgruppen greifen regelmäßig Kontrollpunkte an, was zu einer angespannten Lage führt (VB Amman 9.2.2025). Bei Zusammenstößen zwischen den Streitkräften der neuen Machthaber Syriens und bewaffneten Männern der Minderheit der Drusen in der Nähe von Damaskus am 1.3.2025 wurde eine Person getötet und neun weitere verletzt, wie ein syrischer Menschenrechtsbeobachter berichtet (FR24 1.3.2025). Interne Sicherheitskräfte haben in Begleitung lokaler bewaffneter Gruppen eine Sicherheitskampagne gegen die Wohnhäuser von Offizieren in der Stadt Qatana im Hinterland von Damaskus durchgeführt, bei der Dutzende von Bewohnern der Gegend verhaftet und eine Ausgangssperre verhängt wurden. Es kam wiederholt zu Hausdurchsuchungen, begleitet von Vandalismus, Plünderungen und Verhaftungen einer Reihe von Bewohnern, darunter Männer und Frauen (SOHR 28.2.2025a). Im Umland von Damaskus kam es am 27.2.2025 zu Zusammenstößen zwischen syrischen Sicherheitskräften und bewaffneten Männern, bei denen es Verletzte gab (Shafaq 27.2.2025). Die Zunahme von Gewalt und Kriminalität in den Minderheitengebieten Syriens bleibt die größte Herausforderung für die neuen Behörden seit dem Sturz des alten Regimes im Dezember 2024. Das Land hat einen Anstieg der Angriffe erlebt, sowohl von Überbleibseln des Regimes, deren Interessen nach dem Sturz al-Assads leiden und die versuchen, das Land zu destabilisieren, als auch von allgemeinen Straftätern (AAA 1.3.2025). Die ehemals von der Assad-Regierung gehaltenen Küstenregionen Latakia und Tartus, die als Hochburgen der alawitischen Gemeinschaft galten, sind mittlerweile unter der Kontrolle islamistischer Gruppen gefallen. Der Übergang verlief jedoch nicht ohne Widerstand, da lokale alawitische Milizen, Überreste regierungstreuer Einheiten und vereinzelt russische Kräfte um ihre Einflusszonen kämpften. Während die Küste früher als sicher galt, könnten neue Konflikte zwischen islamistischen Gruppen, Assad-treuen Einheiten und möglicherweise verbleibenden russischen Kräften in den kommenden Monaten entstehen (VB Amman 9.2.2025). In der Küstenregion ist die Sicherheitslage instabil und durch wiederholte Angriffe an Kontrollpunkten und kriminelle Aktivitäten wie Plünderungen, Raubüberfälle und Entführungen, insbesondere in ländlichen Gebieten, gekennzeichnet (UNOCHA 12.2.2025). Die Region Latakia ist strategisch wichtig und beherbergt wichtige militärische Einrichtungen, die von der Assad-Regierung genutzt wurden. Russland hat hier noch Interessen, insbesondere im Hinblick auf den ehemaligen Militärflughafen Hmeimim. Vereinzelt wurden Kämpfe zwischen islamistischen Gruppen und zurückgebliebenen pro-Assad-Milizen gemeldet (VB Amman 9.2.2025). In den vergangenen zwei Monaten haben ehemalige Regimegruppierungen vier Operationen im Nordwesten des Landes durchgeführt, bei denen Angehörige der Abteilung für Militäreinsätze getötet und verletzt wurden (AAA 1.3.2025). In Tartus wurde die frühere russische Marinebasis Berichten zufolge von russischen Truppen teilweise geräumt, wobei unklar ist, ob sie vollständig aufgegeben wurde. Islamistische Gruppen haben die Kontrolle über die Stadt übernommen, aber die Präsenz von Untergrundzellen ehemaliger Assad-Anhänger könnte zu weiteren Spannungen führen (VB Amman 9.2.2025). Aufrufe zur Gewalt unter ehemaligen Assad-Anhängern haben viele Alawiten dazu veranlasst, in den syrischen Küstengouvernements Tartus und Latakia sowie in Homs zu den Waffen gegen die von HTS geführten Truppen zu greifen (LWJ 29.1.2025). Bewaffnete Männer auf zwei Motorrädern haben eine Polizeistation in der Stadt Savita in der Provinz Tartus angegriffen und Handgranaten geworfen, was zu einem bewaffneten Zusammenstoß zwischen den Angreifern und dem Personal der Station führte, bei dem einer der Mitarbeiter der Station verletzt wurde. Unterdessen wurde ein junger Zivilist aus dem Hinterland von Tartus durch verirrte Kugeln getötet, als er in einem Auto unterwegs war, berichtet die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR 28.2.2025b). In Homs, Hama und Nordwestsyrien herrscht unterdessen relative Stabilität, abgesehen von einigen Unruhen im ländlichen Homs (UNOCHA 12.2.2025). Die zentrale Region Syriens, bestehend aus Homs und Hama, bleibt nach dem Sturz des Regimes eine Zone mit unklaren Machtverhältnissen. Die Stadt Homs, die einst ein zentrales Schlachtfeld im syrischen Bürgerkrieg war, ist nun ein Gebiet mit sporadischen Kämpfen zwischen islamistischen Gruppen und Widerstandsbewegungen, darunter ehemalige regierungstreue Milizen und lokale Stämme. Während die islamistischen Machthaber Kontrolle über die Stadt beanspruchen, gibt es Berichte über vereinzelte Scharmützel und Anschläge (VB Amman 9.2.2025). Kämpfer der Gruppierung Islamischer Staat (IS) haben am 10.12.2024 in der syrischen Region Homs mindestens 54 Menschen getötet, die alle ehemalige Mitglieder der Regierung von Bashar al-Assad gewesen sein sollen und nach deren Zusammenbruch versucht haben sollen zu fliehen (MEE 10.12.2024). Ähnlich wie Homs ist auch Hama von sozialen Spannungen und wirtschaftlicher Unsicherheit geprägt. Einige ländliche Gebiete außerhalb der Stadt stehen noch unter Einfluss lokaler Gruppierungen oder einzelner Widerstandszellen, die sich der neuen Ordnung widersetzen. Die humanitäre Lage in beiden Städten bleibt kritisch, da die Infrastruktur stark beschädigt ist und viele der ehemaligen staatlichen Versorgungsstrukturen nicht mehr funktionieren. Ar-Raqqa, die ehemalige Hauptstadt des IS, bleibt ein Brennpunkt der Unsicherheit. Teile der Region sind nach wie vor von lokalen kurdischen Einheiten der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) kontrolliert, was die Spannungen zusätzlich erhöht. Nach der Übernahme islamistischer Gruppierungen in anderen Teilen des Landes ist die Lage in ar-Raqqa weiterhin angespannt, da sich verschiedene Gruppen um die Kontrolle streiten. IS-Schläferzellen sind weiterhin aktiv und haben in den letzten Monaten gezielte Anschläge auf islamistische Sicherheitskräfte und Verwaltungsstrukturen verübt. Letztlich bleibt auch die Sicherheitslage in Deir ez-Zour hochgradig instabil. Die Region war bereits zuvor ein zentrales Schlachtfeld gegen den IS, und obwohl sich die Machtdynamik geändert hat, sind Guerilla-Taktiken, Anschläge und bewaffnete Konflikte weiterhin an der Tagesordnung. Die Kontrolle über Deir ez-Zour ist stark fragmentiert, da verschiedene islamistische Gruppierungen, die SDF sowie lokale Stammesmilizen um Einfluss kämpfen. Die neuen islamistischen Machthaber Syriens haben keine einheitliche Kontrolle über die Region, da verschiedene Gruppen um Territorium ringen. HTS und andere Fraktionen versuchen, ihre Positionen zu stärken, was zu Zusammenstößen mit lokalen Stämmen und ehemaligen regierungstreuen Milizen führt. Die SDF hält weiterhin einige Gebiete, insbesondere im nördlichen und östlichen Teil der Provinz, was die Spannungen mit islamistischen Gruppen und türkisch unterstützten Milizen weiter verschärft. Der IS ist weiterhin aktiv und nutzt das Machtvakuum, um Schläferzellen zu reaktivieren. In ländlichen Gebieten verübt der IS regelmäßig Anschläge auf Sicherheitskräfte, Checkpoints und lokale Stammesführer, die mit den neuen Machthabern kooperieren. Die sich verschlechternde Sicherheitslage ermöglicht es dem IS, erneut Rekruten anzuwerben, insbesondere unter den wirtschaftlich benachteiligten Stämmen. Deir ez-Zour war schon vor dem Sturz al-Assads ein Zentrum für Schmuggel und illegalen Ölhandel, eine Situation, die sich nun weiter verschärft hat. Kriminelle Netzwerke, bewaffnete Stämme und ehemalige regierungstreue Gruppen kontrollieren Teile der Ölfelder und Routen für Schmuggelware, was zu bewaffneten Auseinandersetzungen um wirtschaftliche Ressourcen führt. Die wirtschaftliche Lage ist katastrophal, da Versorgungslinien unterbrochen wurden und viele Menschen ohne Einkommen oder humanitäre Hilfe auskommen müssen (VB Amman 9.2.2025).
Südsyrien
Nach dem Sturz der Assad-Regierung und der Machtübernahme islamistischer Gruppierungen bleibt die Sicherheitslage im Süden Syriens fragil und unvorhersehbar. Die neuen Machthaber versuchen, die Kontrolle über das Land zu festigen, stehen aber vor internen Machtkämpfen, Widerstand lokaler Milizen und anhaltenden ausländischen Interventionen (VB Amman 9.2.2025). Israel griff Syrien bereits vor dem Sturz al-Assads an und gibt an, damit den Zustrom von Waffen und Geld aus Iran an die militante Hizbollah-Gruppe im Libanon eindämmen zu wollen. Seit 8.12.2024 hat Israel Gebiete nahe der gemeinsamen Grenze besetzt und militärische Einrichtungen angegriffen (NYT 25.2.2025). Seit dem 8.12.2024 hat Israel seine Militäroperationen in Syrien intensiviert, die Pufferzone besetzt und die Kontrolle über den Berg Hermon vervollständigt sowie seine Operationen in Quneitra und Rif Dimashq ausgeweitet (AJ 8.2.2025). Die israelische Armee gab bekannt, dass Bewaffnete am 31.1.2025 das Feuer auf ihre Streitkräfte in der Gegend von Quneitra auf der syrischen Seite des besetzten Golan eröffnet haben, zum ersten Mal seit ihrem Einmarsch in Syrien und ihrer Besetzung der Pufferzone nach dem Sturz des Regimes von Bashar al-Assad (AJ 1.2.2025). Seit 25.2.2025 fliegt Israel Luftangriffe im Süden Syriens, die Aussagen des israelischen Verteidigungsministers Katz zufolge Teil einer „neuen Politik“ seien, die darauf abziele, einen „entmilitarisierten Süden Syriens“ zu gewährleisten. Er fügte hinzu, dass jeder Versuch syrischer Streitkräfte oder militanter Gruppierungen, in dem von Israel als „Sicherheitszone“ bezeichneten Gebiet in der Region Fuß zu fassen, „mit Feuer beantwortet“ werde. Diese Politik wurde am 23.2.2025 vom israelischen Premierminister Netanjahu in einer Rede angekündigt, in der er die „vollständige Entmilitarisierung“ des südlichen Syrien forderte. Israel werde keine syrischen Streitkräfte in Quneitra, Dara'a und Suweida dulden (NYT 25.2.2025). [Weitere Informationen zum israelischen Vorgehen in Syrien finden sich in den Kapiteln Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Außenpolitische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Ausländische Unterstützung bzw. Einmischung - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Quneitra, das an den von Israel besetzten Golanhöhen grenzt, hat sich zu einem besonders sensiblen Sicherheitsgebiet entwickelt. Die islamistischen Machthaber versuchen, ihre Position entlang der Grenze zu Israel zu festigen, was wiederholt zu israelischen Luft- und Raketenangriffen auf ihre Stellungen geführt hat. Gleichzeitig sind pro-iranische Gruppen und schiitische Milizen aktiv, die gegen den neuen islamistischen Machtblock kämpfen. Die Präsenz internationaler Akteure macht Quneitra zu einem Brennpunkt mit anhaltenden Scharmützeln zwischen verschiedenen Fraktionen (VB Amman 9.2.2025). Am 2.2.2025 bestätigten die Behörden, dass sich die israelischen Verteidigungskräfte (Israel Defense Forces - IDF) aus den Gebäuden der Provinzverwaltung und des Gerichts in der Friedensstadt, Provinz Quneitra, zurückgezogen hatten und dabei massive Zerstörungen an der Infrastruktur und an zivilen Dokumenten hinterlassen hatten (UNOCHA 12.2.2025). Dara'a, die einstige Wiege des syrischen Aufstands, bleibt eine der instabilsten Regionen im Süden. Trotz der Machtübernahme islamistischer Gruppen gibt es anhaltenden Widerstand durch lokale Milizen und ehemalige regierungsnahe Kräfte, die mit der neuen Führung nicht kooperieren. Attentate, Entführungen und gezielte Angriffe auf Funktionäre der neuen Machthaber sind häufig. Zudem kommt es regelmäßig zu israelischen Luftangriffen auf mutmaßliche pro-iranische Milizen, die sich aus früheren Assad-treuen Gruppen rekrutieren (VB Amman 9.2.2025). Am 5.1.2025 kam es in der Stadt as-Sanamayn im ländlichen Dara'a zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen mehreren Parteien, die zu einem Ausnahmezustand führten. Es wurden die Streitkräfte der Übergangsregierung mobilisiert. Nach dem Eingreifen der Streitkräfte wurde vereinbart, die Zusammenstöße zwischen allen Parteien sofort zu beenden, alle Regierungsgebäude zu übernehmen und öffentliche Einrichtungen zu schützen sowie die schweren und mittleren Waffen der lokalen Gruppen abzuziehen (Sky News 5.1.2025). Die mehrheitlich von Drusen bewohnte Provinz Suweida nimmt weiterhin eine Sonderrolle ein. Während des Bürgerkriegs hatte die Region eine gewisse Autonomie bewahrt und sich weitgehend aus den Kämpfen herausgehalten. Nach der Machtübernahme islamistischer Gruppen bleibt die Region misstrauisch gegenüber der neuen Herrschaft und ist nur lose in die neue Ordnung integriert. In den letzten Monaten gab es Zusammenstöße zwischen drusischen Milizen und islamistischen Einheiten, die ihre Autorität durchsetzen wollen. Auch in Suweida sind Entführungen und lokale Machtkämpfe weiterhin ein Problem (VB Amman 9.2.2025). In den südsyrischen Provinzen Dara'a und Quneitra kam es am Anfang Februar zu israelischen Luftangriffen. Der israelische Armeesprecher gab bekannt, dass Kampfflugzeuge einen Angriff auf ein Waffendepot in der Gegend von Deir 'Ali im Süden Syriens durchgeführt haben und behauptete, das Depot gehöre der Islamischen Widerstandsbewegung (Hamas). Der Angriff erfolgt inmitten der eskalierenden Spannungen an der Grenze zwischen Syrien und Israel, da die israelischen Streitkräfte ihren Einmarsch in die Provinz Quneitra weiter ausweiten (AJ 8.2.2025).
Die Waffenruhe zwischen Israel und der libanesischen Hizbollah-Miliz wurde bis zum 18.2.2025 verlängert. Diese Entwicklung beeinflusst besonders die Sicherheitslage im Süden Syriens, insbesondere in Grenzgebieten zum Libanon (VB Amman 9.2.2025). Die Lage an der libanesisch-syrischen Grenze ist seit dem Sturz des ehemaligen syrischen Präsidenten Bashar al-Assad am 8.12.2024 von sporadischen Zusammenstößen und bürokratischen Hürden geprägt. In den ersten Wochen nach al-Assads Sturz kämpften bewaffnete syrische Kämpfer an mehreren Stellen der durchlässigen Grenze zwischen den beiden Ländern mit der libanesischen Armee (MEE 10.2.2025). Am 21.2.2025 gab das israelische Militär bekannt, dass es Grenzübergänge zwischen Syrien und dem Libanon bombardiert hat, die angeblich von der Hizbollah genutzt werden. Der israelische Beschuss richtete sich gegen die illegalen Grenzübergänge zwischen Syrien und dem Libanon in Wadi Khaled und im westlichen Umland von Homs und führte zu einer Reihe von Verletzten. Zehn Tage zuvor hatte das israelische Militär nach eigenen Angaben einen Luftangriff auf einen Tunnel an der syrisch-libanesischen Grenze geflogen, der angeblich von der von Iran unterstützten Hizbollah für den Waffenschmuggel genutzt wurde (Sky News 21.2.2025). Ein libanesischer Militärexperte sagt, dass die Grenzgebiete praktisch in den Händen der Hizbollah sind. In der Vergangenheit gab es eine Art Synergie zwischen der Hizbollah und den Stämmen beim Aufbau einer Parallelwirtschaft, die auf dem Schmuggel von Captagon basierte. Diese Synergie besteht auch heute noch (AlHurra 7.2.2025). Die syrische Übergangsregierung startete Anfang Februar 2025 eine umfangreiche Kampagne an der syrisch-libanesischen Grenze, bei der sie nach eigenen Angaben gegen Waffen- und Drogenschmuggel vorgehen. Schiitische Clans lieferten sich dabei schwere Gefechte mit den syrischen Streitkräften und kündigten schließlich ihren Rückzug aus Syrien in den Libanon an (MEE 10.2.2025). Die libanesische Armee gab bekannt, dass der Einsatz von Militäreinheiten an der nördlichen und östlichen Grenze angeordnet wurde, um auf die von syrischem Gebiet ausgehenden Feuerquellen zu reagieren (MEE 10.2.2025). Erklärungen der neuen Regierung in Damaskus deuten darauf hin, dass sie die Sicherheitskampagnen entlang der Grenze fortsetzen wird, um gegen Schmugglerbanden vorzugehen (AlHurra 7.2.2025). [Weiterführende Informationen zum Grenzgebiet Libanon-Syrien sind dem Kapitel Bewegungsfreiheit - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen.]
Nordsyrien
Die Sicherheitslage in Nordsyrien ist nach wie vor instabil, da verschiedene Fraktionen um Kontrolle und Einfluss konkurrieren (SCR 30.1.2025). Nach al-Assads Sturz und der Machtübernahme islamistischer Gruppierungen bleibt der Nordwesten Syriens eine der unruhigsten und komplexesten Regionen des Landes. Die neuen Machthaber bestehen aus einem Bündnis verschiedener islamistischer Fraktionen, wobei insbesondere Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) in Idlib und Teilen Aleppos eine führende Rolle einnehmen. Trotz der formellen Übernahme der Macht kommt es in der Region weiterhin zu Machtkämpfen zwischen rivalisierenden islamistischen Gruppen, Widerstandszellen Assad-treuer Kräfte und externen Bedrohungen durch Luftangriffe und Grenzkonflikte (VB Amman 9.2.2025). Teile des Nordostens Syriens, insbesondere Ost-Aleppo, ar-Raqqa und al-Hasaka, sind von Feindseligkeiten, Zusammenstößen und Angriffen mit improvisierten Sprengkörpern (Improvised Explosive Devices - IED) betroffen (UNOCHA 12.2.2025). Idlib ist nun das Zentrum der islamistischen Verwaltung in Syrien, bleibt aber eine hochgradig instabile Region. Während HTS als dominierende Kraft die Kontrolle beansprucht, gibt es weiterhin Konflikte mit anderen Fraktionen sowie Widerstand durch kleinere Gruppierungen, die nicht vollständig in die neue Ordnung integriert wurden. Trotz des Sturzes al-Assads bleiben die syrischen Lufträume gefährdet durch israelische Angriffe auf iranische oder mit Iran verbundene Gruppierungen, während Russland gelegentlich gezielte Angriffe auf dschihadistische Gruppierungen in der Region durchführt. Spannungen zwischen HTS, anderen islamistischen Gruppierungen und lokalen Milizen sorgen für eine fragile Sicherheitslage mit regelmäßigen Attentaten und bewaffneten Auseinandersetzungen. Die anhaltende Instabilität, fehlende Grundversorgung und wirtschaftliche Notlage haben die humanitäre Situation in Idlib weiter verschärft. Aleppo bleibt eine der strategisch wichtigsten Städte Syriens, ist jedoch weiterhin zwischen verschiedenen Akteuren umkämpft. Während islamistische Gruppierungen Teile der Stadt kontrollieren, gibt es in anderen Bezirken noch Präsenz ehemaliger regierungstreuer Milizen oder autonomer kurdischer Einheiten. In nördlichen Teilen Aleppos gibt es weiterhin Spannungen zwischen türkisch unterstützten Milizen und kurdischen Einheiten der SDF. In Teilen Aleppos kommt es weiterhin zu gezielten Attentaten, Entführungen und Sprengstoffanschlägen gegen islamistische Führungspersonen, was auf eine aktive Widerstandsbewegung hindeutet. Die Stadt bleibt schwer beschädigt, und der Wiederaufbau schreitet nur schleppend voran, da sich die neuen islamistischen Machthaber auf militärische Kontrolle und weniger auf infrastrukturelle Erholung konzentrieren (VB Amman 9.2.2025). Das syrische Verteidigungsministerium gab bekannt, dass es einen Angriff der SDF an der Ashrafiya-Front Anfang März 2025 in Aleppo-Stadt zurückgeschlagen hat. Das syrische Verteidigungsministerium hat aus mehreren Gebieten militärische Verstärkung an die Kampffronten gegen die SDF in Aleppo geschickt (AJ 10.3.2025c). Die syrische Armee hat nach eigenen Angaben Mitglieder der kurdisch geführten SDF festgenommen, als diese aus dem Viertel al-Ashrafiya nach Aleppo eindrangen (BBC 9.3.2025a).
6. Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
[Die Lage bezüglich Sicherheitsbehörden befindet sich derzeit im Umbruch. Teilweise liegen nicht ausreichend Informationen zu bestimmten Aspekten vor (wie z. B. Struktur, Aufbau, Ausrüstung etc.). Im Folgenden wird der aktuelle Stand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformationen entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Seitdem der friedliche Aufstand gegen das Assad-Regime Ende 2011 in den bewaffneten Konflikt überging, bildeten sich bewaffnete Gruppierungen auf fast der gesamten syrischen Landkarte, angefangen bei Offizieren und Soldaten, die vom Regime übergelaufen waren, bis hin zu Gruppierungen, die sich aus lokalen und religiösen Gruppierungen zusammensetzten. Sie standen im Konkurrenzkampf einerseits untereinander und andererseits kämpften sie gegen die Regimekräfte, die ihnen bis 2018 schwere Verluste zufügten. Danach wurden viele Gruppierungen aufgelöst. Andere übersiedelten unter russischer Schirmherrschaft im Rahmen von Abkommen nach Nordsyrien oder blieben auf der Basis von "Versöhnungsabkommen" unter russischer Schirmherrschaft und Garantien bzw. direkten Abmachungen mit dem Assad-Regime weiter bestehen. Im Zuge der Kampfhandlungen im Spätherbst 2024 schienen die Oppositionskämpfer gut organisiert zu sein und arbeiteten in einem Bündnis unter dem Namen Abteilung für militärische Operationen (Department of Military Operations - DMO) zusammen (Asharq 9.12.2024). Für die Großoffensive "Abschreckung der Aggression", die am 17.11.2024 startete und zum Sturz des Präsidenten al-Assad führte, hatten sich die Rebellen monatelang vorbereitet (NYT 1.12.2024). Im Laufe des vergangenen Jahres entwickelten die Kämpfer eine neue Methode, die sich auf die Verwendung von Drohnen stützte (Guardian 8.12.2024). Von den ersten Tagen der Offensive an veröffentlichte die von den Rebellen geführte DMO mehrere Videos von Angriffen auf Militärfahrzeuge und Versammlungen von Soldaten des syrischen Regimes mit sogenannten Shaheen-Drohnen, die eine große Effektivität und Genauigkeit beim Treffen der Ziele zeigten. Für diese Drohnen wurden eigens die Shaheen-Bataillone geschaffen (AJ 10.12.2024). Diese Bataillone sind für ihr hohes Maß an Fachwissen und ihre Präzision bekannt. Sie sollen von Offizieren aus Osteuropa ausgebildet worden sein (IndepAr 5.12.2024). Für die Ausbildung soll die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) sogar eine eigene Drohnenakademie betrieben haben (LF 13.12.2024). Zum ersten Mal in der Geschichte des Syrienkonflikts war die bewaffnete Opposition nun in der Lage, den Luftraum zu kontrollieren (IndepAr 5.12.2024). Die verschiedenen Drohnentypen trugen dazu bei, eine Art Gleichgewicht im Luftraum zu erreichen, gemeinsam mit der Tatsache, dass die Russen den Großteil ihres Luftarsenals aus Syrien abgezogen hatten, weil sie mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt waren (AJ 10.12.2024). Die Drohnen, die in niedriger Höhe fliegen, greifen Fahrzeuge und gepanzerte Fahrzeuge an, feuern Raketen auf Soldaten ab, oder es sind Selbstmorddrohnen, die sich schnell auf Fahrzeuge und Panzer stürzen und sich sofort mit jedem Objekt, das mit ihnen kollidiert, in die Luft sprengen. Einer Warnung Russlands zufolge soll die HTS über mehr als 250 fortschrittlicher Drohnen verfügt haben. Gerüchten zufolge unterhielt die HTS im Nordwesten Syriens eine Fabrik zur Herstellung von Drohnen mit Düsentriebwerken und Sprengbomben gemeinsam mit ausländischer Unterstützung (IndepAr 5.12.2024), wie beispielsweise durch uigurische Ingenieure der Turkistan Islamic Party (TIP, die aus Dschihadisten besteht, die aus China stammen und sich im ländlichen Latakia und Idlib niedergelassen haben). Sie beaufsichtigen die Herstellung der Drohnen für ein monatliches Gehalt von bis zu 4.000 Dollar (Nahar 29.11.2024). Die Entwicklung dieser Waffen soll in kleinen Werkstätten, untergebracht in Garagen, Häusern, ehemaligen Schulgebäuden, Lagerhäusern und anderen Orten, die schwer zu entdecken sind, passiert sein (LF 13.12.2024). HTS hat eine komplexe Infrastruktur aufgebaut, um den Einsatz von Drohnen zu ermöglichen. Dazu gehört auch der Einsatz von 3-D-Drucktechnologie zur Herstellung von Teilen, die nicht ohne Weiteres aus kommerziellen Quellen bezogen werden können (LF 13.12.2024).
Der Interimsregierung unter der Führung der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) fehlt es an ausreichendem Personal, um das ganze Land zu verwalten und die Posten zu bemannen. Es werden entweder andere Gruppierungen mit an Bord geholt werden müssen, oder möglicherweise auch ehemalige Soldaten (PBS 16.12.2024). Die einzigen Ordnungskräfte sind diejenigen Gruppierungen, die aus Idlib mitgekommen sind und die sich – personell überlastet – um ein Minimum an Ordnung in den Städten bemühen (SYRDiplQ1 5.2.2025). Associated Press berichtete am 16.12.2024, dass Polizeikräfte des Assad-Regimes verschwunden sind und an ihre Stelle Polizeikräfte der Syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Gouvernements - SSG) - der von der HTS geführten Regierung, die bis zum Sturz al-Assads in Idlib regierte - getreten waren. Sie bearbeiten Fälle von kleineren Diebstählen und Straßenkrawalle (AP 15.12.2024b). Die Polizisten der SSG sollen 4.000 Mann stark sein, wobei die Hälfte davon weiterhin in Idlib operiere, während die andere Hälfte in Damaskus und anderen Teilen Syriens für Ordnung sorgen. Obwohl manche von ihnen religiöse Symbole tragen, ließen sie andersgläubige Minderheiten weitgehend in Ruhe (AP 15.12.2024b).[Weiterführende Informationen zur Behandlung von Minderheiten finden sich im Kapitel Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024) sowie Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad Regimes (seit 8.12.2024).] Die Kräfte, die Syriens neuem Machthaber zur Verfügung stehen, sind unzureichend. Die 30.000 Mann starke HTS ist nun über das ganze Land verteilt (Economist 5.3.2025). In Damaskus ist in den wichtigsten Bereichen nur Militärpersonal der HTS zu sehen, das ein Gefühl der Sicherheit vermittelt und versucht, den Verkehr zu regeln – allerdings mit begrenztem Erfolg. Dies ist nicht nur eine Folge der begrenzten Kapazitäten der HTS, die nun an ihre Grenzen stoßen, da sie ein ganzes Land und nicht nur einen Teil einer Provinz verwalten müssen. Es ist auch ein Symptom für den abrupten Zusammenbruch der traditionellen Sicherheitsstrukturen. In den meisten Städten wurden in den ersten Tagen nach dem Zusammenbruch des Assad-Regimes Polizeistationen und Gerichte geschlossen, und Diebstähle – sowohl von Autos als auch von Häusern – nahmen aufgrund des Mangels an neu ausgebildeten Polizisten zu (AGSIW 4.3.2025). Während des Umsturzes am 8.12.2024 wurden die meisten Polizeistationen in Damaskus von Plünderern verwüstet, wobei Ausrüstung und Unterlagen geplündert oder zerstört wurden. Die Polizei gab an, dass die Hälfte der etwa 20 Polizeistationen inzwischen wiedereröffnet wurde, aber sie jeweils nur mit zehn Beamten besetzt sind, die größtenteils aus Idlib kommen. Zuvor waren es 100 bis 150 Mann (REU 23.1.2025). In Damaskus und anderen Orten kam es häufig zu Gewaltausbrüchen, weil Polizei und Armee nicht über genügend Personal verfügen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Straßen sind oft mit Müll übersät, und anstelle der Polizei regeln Teenager den Verkehr (FT 25.3.2025). HTS hat sich auf ihre eigenen Einheiten und die ihrer engen Verbündeten verlassen, um die vier von Minderheiten dominierten Gouvernements zu sichern. Zu diesen gehören vor allem die Einheiten der Allgemeinen Sicherheit (auch: General Security) des Innenministeriums der ehemaligen syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG). Diese Kräfte sind im Wesentlichen schwer bewaffnete Polizisten, die eingesprungen sind, um Unterstützung zu leisten, während neue lokale Polizeikräfte noch aufgebaut werden. Die Abteilung für militärische Operationen hat auch Einheiten im ganzen Land eingesetzt, um die überlastete Allgemeine Sicherheit zu unterstützen und weitere Sicherheitslücken zu schließen. DMO-Einheiten führen gezielte Razzien gegen bewaffnete Zellen durch, halfen anfangs bei der Überwachung von Städten und besetzten zeitweise Kontrollpunkte. Ende Dezember 2024 wurden viele Einheiten aus den Küstenstädten abgezogen und auf Kontrollpunkte und Stützpunkte beschränkt, wo sie durch wachsende lokale Polizeikräfte ersetzt wurden. Am problematischsten waren die ausländischen Kämpfergruppen innerhalb der Eliteeinheit Rote Brigaden [mehr dazu s. unten Anm.] von DMO und HTS, die viele der Razzien der neuen Regierung anführt (MEI 21.1.2025). Die Sicherheitskräfte des alten Regimes wurden aufgelöst. Frühere Versprechen, die Polizei auf ihre Posten zurückzurufen, wurden nicht eingehalten. Die Menschen wurden aufgefordert, sich erneut auf ihre Stellen zu bewerben, aber das Verfahren ist undurchsichtig und soll Alawiten abschrecken. Ash-Shara' hat sich größtenteils an die Sicherheitskräfte seiner Verwaltung in Idlib gewandt, um den Personalmangel auszugleichen. Erfahrene Offiziere des alten Regimes sind jetzt Taxifahrer. In diesem Vakuum stellen die örtlichen Gemeinden ihre eigenen Bürgerwehren zusammen (Economist 5.3.2025).
Ash-Shara' versprach, dass die bewaffneten Gruppierungen und Milizen entwaffnet würden (HB 16.12.2024), und kündigte an, dass die bewaffneten Gruppierungen aufgelöst und die Kämpfer ausgebildet werden, um in die Reihen des Verteidigungsministeriums einzutreten. Sie werden dem Gesetz unterworfen sein (DW 17.12.2024). Seit Jänner 2025 haben die Interimsministerien für Verteidigung und Inneres zügig daran gearbeitet, alle bewaffneten Gruppen unter einer einzigen, mit dem Staat verbundenen Armee und Polizei zu vereinen. Für diesen Prozess wurde der Oberste Ausschuss für die Regulierung der Streitkräfte eingerichtet, der Waffen, Technologie, Militärstützpunkte und Personal überwachen soll. Ein Ausschuss von Offizieren entwirft derzeit die Struktur der neuen syrischen Armee. Die Regierung hat klargestellt, dass alle militärischen Fraktionen aufgelöst und in staatliche Institutionen integriert werden (TNA 3.2.2025). Der Prozess der Bildung einer neuen Armee für Syrien wird auf der Vereinigung mehrerer bewaffneter Gruppierungen beruhen, die über das ganze Land verteilt sind. Einige dieser Gruppierungen waren in Nord- und Westsyrien aktiv, während andere ihren Einfluss auf Südsyrien konzentriert haben, wie die Achte Brigade unter der Führung des ehemaligen Oppositionskommandeurs Ahmad al-'Awda oder andere Formationen, die in der drusischen Mehrheitsprovinz Suweida eingesetzt werden. Diese Formationen, die sich in der nächsten Phase zu einer einzigen Armee vereinigen sollen, sind jedoch über ihre Visionen und Ziele sowie darüber, woher sie Unterstützung erhalten, zerstritten (AlHurra 12.2.2025). Die HTS verhandelte mit Einheiten der aufgelösten Syrischen Arabischen Armee (SAA) über die Zusammenlegung und Integration in eine neue syrische Armee (ISW 16.12.2024). Der neue syrische Verteidigungsminister Murhaf Abu Qasra kündigte am 6.1.2025 den Beginn von Sitzungen mit militärischen Gruppierungen an, um Schritte für deren Integration in das Verteidigungsministerium zu entwickeln. Die zwei größten drusischen Fraktionen aus der südlichen syrischen Provinz Suweida haben daraufhin ihre Bereitschaft erklärt, sich der neuen syrischen Armee anzuschließen (AlHadath 7.1.2025). Die richtungsweisende Entscheidung, die bewaffneten Gruppierungen unter einer einzigen nationalen Armee zusammenzufassen, wurde während eines hochrangigen Treffens in Damaskus formalisiert. Die neu vereinte Truppe wird dem Verteidigungsministerium unterstellt sein und darauf abzielen, die militärische Führung zu zentralisieren und die Ordnung wiederherzustellen. Das Abkommen umfasst nicht alle Fraktionen. Gruppierungen, die in südlichen Regionen wie Dar'aa, Quneitra und Suweida operieren, sowie in at-Tanf stationierte, von den USA ausgebildete Truppen bleiben außerhalb des Geltungsbereichs. Auch die kurdisch dominierten SDF fallen nicht unter das Abkommen. Pläne für eine umfassendere Integration sollen nach dem Ende der Amtszeit der Übergangsregierung im März umgesetzt werden (TR-Today 8.1.2025). Dem syrischen Verteidigungsminister zufolge waren die bewaffneten Gruppen bereit, sich der neuen Militärstruktur anzuschließen. Das syrische Verteidigungsministerium berichtete, dass die neue syrische Regierung mit Vertretern von mehr als 60 bewaffneten Gruppierungen zusammengetroffen sei, die sich bereit erklärt hätten, sich in das neue Verteidigungsministerium zu integrieren. Es wurde ein Ausschuss eingerichtet, um eine einheitliche Datenbank der Streitkräfte zu erstellen, die Informationen über die Humanressourcen (Offiziere, Unteroffiziere, Soldaten und akademisches Personal) und über militärische Vermögenswerte (Hauptquartiere, Technologie und Waffen) enthalten soll. Die Informationen würden der Führung des Verteidigungsministeriums vorgelegt, gefolgt von Treffen mit den bewaffneten Organisationen, um die Struktur der Sicherheitskräfte festzulegen und Kommandeure zu ernennen (MAITIC 23.1.2025). Die Bewegung der syrischen Oppositionsfraktionen gegen Assad war schon immer zersplittert, und es gibt eine lange Geschichte von gescheiterten Vereinigungsprojekten, sowohl im Norden als auch im Süden des Landes. Nach dem Sturz von al-Assad hat sich die Lage geändert, aber die Probleme sind nicht völlig verschwunden (AlHurra 12.2.2025). Der Übergangsregierung ist es gelungen, von bewaffneten Gruppen im ganzen Land (mit Ausnahme von Suweida) vorsichtige Zugeständnisse zu erwirken. Die Bildung einer Süddivision deutet darauf hin, dass sie an einer vorübergehenden Lösung gegenüber dem geschäftsführenden Verteidigungsministerium interessiert ist: Bisher scheinen nicht zu HTS gehörende bewaffnete Gruppen bereit zu sein, mit dem Ministerium zusammenzuarbeiten, ohne jedoch ihre Organisationsstrukturen und geografischen Einflusszonen aufzugeben oder sich entwaffnen zu lassen. Tatsächlich werden die Brigaden der Süddivision die Spaltungen, die den Süden seit Jahren prägen – zwischen dem östlichen und westlichen Dara'a, zwischen Dara'a und Suweida und zwischen konkurrierenden Gruppierungen untereinander – aufrechterhalten (Etana 22.2.2025). Obwohl ash-Shara' Fortschritte bei der Bildung eines Verteidigungsministeriums nach al-Assad unter der Kontrolle der von HTS geführten Behörden in Damaskus signalisiert hat, gibt es über Erklärungen gegenüber den Medien und Diplomatenbesuchen hinaus kaum Anzeichen für praktische Fortschritte. Da es keinen transparenten Plan für die Bildung eines neuen Verteidigungsministeriums gibt, haben ehemalige Oppositionsfraktionen ihre Waffen nicht abgegeben (Etana 10.1.2025). Übergangspräsident ash-Shara' und Verteidigungsminister Abu Qasra haben sich noch nicht mit den Einzelheiten befasst, wie diese Armee von innen aussehen wird und ob das neue syrische Verteidigungsministerium in der Lage ist, eine vollständige Harmonie zwischen den Fraktionen und Kämpfern zu erreichen (AlHurra 12.2.2025). [Informationen zur neuen syrischen Armee finden sich auch im Kapitel Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024). Informationen zur Eingliederung der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) finden sich im Unterkapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Sicherheitsbehörden in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) Anm.]
Am 29.1.2025 wurde die Auflösung bewaffneter Gruppierungen in Syrien bekannt gegeben, darunter auch die HTS (Sky News 31.1.2025). Einem Journalisten von Sky News zufolge sind viele Gruppierungen, die HTS unterstützten, bereits Teil der Allgemeinen Sicherheit (General Security Force) geworden und tragen alle einheitliche schwarze Uniformen und Kampfanzüge (Sky News 13.2.2025). Die General Security war die wichtigste Polizeitruppe der HTS im Nordwesten Syriens und ist nun zur Gendarmerie der Übergangsregierung in ganz Syrien geworden, um das Sicherheitsvakuum nach dem Sturz des Regimes zu füllen (ISW 16.4.2025). Bereits am 28.1.2025 wurde berichtet, dass sich die der al-Qaida nahestehende Gruppierung Hurras ad-Din aufgelöst hatte. 2018 geriet die Gruppierung mit der HTS in Konflikt, nachdem sich Letztere von der al-Qaida losgesagt und ihren Namen geändert hatte (Araby 28.1.2025). Die verschiedenen Gruppierungen in Südsyrien, darunter die von Russland unterstützte 8. Brigade in Dara'a und drusische Milizen in Suweida, haben bestimmte Bedingungen für den Beitritt zu einer nationalen Armee festgelegt. Dazu gehören die Einrichtung einer wirklich repräsentativen Regierung, eine neue Verfassung und ein nicht konfessionsgebundenes Militär. Diese Forderungen unterstreichen das tief sitzende Misstrauen gegenüber einer zentralisierten Autorität und den Wunsch nach lokaler Autonomie, was die Aufgabe der Armeevereinigung weiter erschwert (DNewsEgy 3.2.2025). Bisher ist es gelungen, die von der Türkei unterstützten Gruppierungen in den nördlichen Teilen Syriens aufzulösen (NLM 25.2.2025). Militärangehörige, darunter hochrangige Offiziere, sagten, dass einige Oppositionsfraktionen weiterhin in den Formationen operieren, die sie vor dem Sturz des ehemaligen Präsidenten Bashar al-Assad im Dezember genutzt haben, während gleichzeitig eine schrittweise Übergabe an Brigaden unter der Führung von Damaskus stattfindet, um eine neue Armee aufzubauen (National 21.2.2025).
Für das Innenministerium wird ein Kader vorbereitet, der eine spezielle Ausbildung erhalten soll, um seine Aufgaben im Rahmen eines Plans zur Gewährleistung einer sicheren Gesellschaft zu übernehmen (Araby 16.12.2024). Am 10.1.2025 gab das Innenministerium bekannt, dass der Eintritt in die Polizei und die Allgemeine Sicherheit durch die Einschreibung in die Polizeihochschule möglich sei. Die Kurse erstreckten sich auf fast alle syrischen Gouvernements, angeführt von Damaskus und seinem Umland, Homs, Tartus, Idlib, Suweida und Deir ez-Zour. In der Meldung hieß es, dass die Bewerber mindestens 20 sein müssen und höchstens 30 Jahre alt sein dürfen, mindestens einen Highschool-Abschluss oder einen gleichwertigen Abschluss haben müssen. Sie müssen die vorgeschriebenen Kurse bestehen, nicht wegen eines Verbrechens oder einer Straftat verurteilt worden sein, bei guter Gesundheit und körperlicher Fitness und mindestens 168 cm groß sein (Syria TV 21.2.2025). Mehr als 200.000 Menschen haben sich für einen neuen Polizeidienst angemeldet, der derzeit aufgebaut wird, sagte der Kursleiter an der Polizeiakademie in Damaskus. Polizisten, die vor Assads Sturz zu den Rebellen übergelaufen sind, können sich für die neue Truppe bewerben. Diejenigen, die dies nicht getan haben, wurden aufgefordert, einen "Versöhnungsprozess" zu durchlaufen, einschließlich der Unterzeichnung eines Dokuments, in dem sie den Regimewechsel akzeptieren, und der Abgabe ihrer Waffe. Es ist noch nicht klar, ob sie sich der neuen Truppe anschließen dürfen (REU 23.1.2025). [Weitere Informationen zum Versöhnungsprozess finden sich in den Kapitel Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Das Innenministerium änderte die Bedingungen für die Aufnahme von Mitgliedern des Sicherheits- und Polizeidienstes. Darunter sind eine Altersgrenze von 30 Jahren anstelle von zuvor 26 Jahren und Lockerungen bei den Anforderungen an die körperliche Gesundheit und Fitness. Die Ausbildung dauert 21 Tage. Unter dem Assad-Regime betrug die Ausbildungszeit neun Monate (Tayyar 31.1.2025). Reuters hingegen berichtet von zehn Tagen Unterricht in Waffenhandhabung und islamischen Recht. Wenn sich die Sicherheitslage verbessert, soll die Ausbildung auf neun Monate verlängert werden, wobei ein von den Rebellen in Idlib eingeführtes System verwendet wird (REU 23.1.2025). Die allgemeine Landschaft des neuen Sicherheitsapparats weist deutliche Veränderungen auf, vor allem in Bezug auf die islamistische Färbung, die mit einigen Details einhergeht, wie die lauten Takbir-Rufe ["Allahu Akbar"-Rufe Anm.] bei den Abschlussfeiern, nachdem die Freiwilligen die Scharia- und Militärtrainingskurse absolviert haben, und die Abschlussreden der Veranstaltung, die sich auf die islamischen Lehren und die Notwendigkeit konzentrieren, „im Einklang mit Gottes Gesetz“ zu handeln (Tayyar 31.1.2025). Reuters zitiert Quellen, wonach die islamische Lehre dazu dienen soll, der neuen syrischen Polizei Moral zu vermitteln. Mitglieder der HTS-Polizeieinheit in Idlib sind nach Damaskus gereist, um Polizeibeamte zu rekrutieren. Die HTS-Polizei hat den Bewerbern eine Reihe von Fragen zu ihrem Glauben gestellt und die Ausbildung der neuen Rekruten konzentriert sich auf das Scharia-Recht (REU 23.1.2025).
Am 16.4.2025 kündigte das Innenministerium an, dass es einen Beamten ernennen werde, der sowohl die Kräfte der Allgemeinen Sicherheit als auch die Polizeikommandos in jeder Provinz beaufsichtigen solle, um so die Kontrolle über beide Kräfte zu zentralisieren (ISW 16.4.2025).
Langfristig werden Syriens Bemühungen zur Reform seines Militärs mit enormen Herausforderungen beim Wiederaufbau seines Waffenarsenals und seiner Infrastruktur konfrontiert sein, insbesondere nach der weitreichenden Zerstörung durch israelische Luftangriffe im Dezember 2024. Diese Angriffe galten über 100 Luftverteidigungsbatterien, Radarsystemen und Geheimdienstbasen, wodurch ein Großteil des syrischen Arsenals unbrauchbar wurde. Berichten zufolge führte Israel in acht Tagen über 600 Angriffe durch und zerstörte dabei etwa 80 % der strategischen Waffen Syriens. Die syrische Luftwaffe, die Berichten zufolge Anfang 2024 über 184 einsatzfähige Flugzeuge verfügte, verfügt nun nur noch über eine Handvoll übergebliebener – wenn auch einsatzfähiger – Flugzeuge. Dasselbe gilt für die Hunderte von Fahrzeugen und Ausrüstungsgegenständen – darunter Kampfpanzer, Schützenpanzer, Langstrecken-Mehrfachraketenwerfer und SAM-Systeme – welche die Rebellen von der sich zurückziehenden Syrischen Arabischen Armee (Syrian Arab Army - SAA) erbeutet haben, deren Schicksal unbekannt ist. Schätzungsweise 15 Marineschiffe wurden bei Angriffen auf Minaa el-Beida und Latakia zerstört, Tartus wurde jedoch verschont, um russische Streitkräfte nicht zu treffen. Der Wiederaufbau des syrischen Militärs – insbesondere der Luftwaffe und der Luftverteidigungsnetze, einschließlich Abfangjäger-Vorräte, Ersatzteile und Ausbildung der Besatzungen – wird Jahre dauern und Milliarden Dollar kosten, und das zu einer Zeit, in der die staatlichen Kassen fast leer sind (TNA 3.2.2025). Ash-Shara' kündigte einen Plan an, für den Import moderner militärischer Fahrzeuge, die für die Sicherheitsdienste in allen Provinzen geeignet sein sollen (Araby 16.12.2024).
Die ehemaligen militärischen Geheimdienste Syriens waren für ihre Unterdrückung berüchtigt. In der neuen Struktur werden Anstrengungen unternommen, um ein Nachrichtensystem von Grund auf neu aufzubauen, das frei von den Altlasten des vorherigen Regimes ist (TR-Today 8.1.2025). Das syrische Generalkommando hat die Ernennung von Anas Hassan Khattab zum Leiter des allgemeinen Nachrichtendienstes bekannt gegeben. Khattab übernahm Anfang 2014 die Position des administrativen Emirs der Jabhat an-Nusra, nachdem er Ende 2013 einer der Anführer der Gruppe und allgemeiner administrativer Emir gewesen war. Nach Angaben des Sicherheitsrats wurde Khattab am 23.9.2014 gemäß den Ziffern 2 und 4 der Resolution 2161 (2014) auf die Sanktionsliste gesetzt, weil er mit al-Qa'ida in Verbindung stand, weil er „an der Finanzierung, Planung, Erleichterung, Vorbereitung, Begehung, Beteiligung oder Unterstützung der Handlungen und Aktivitäten der Jabhat an-Nusra beteiligt war“ und weil er „die Handlungen und Aktivitäten der Jabhat an-Nusra in irgendeiner anderen Form unterstützt hat“ (BBC 26.12.2024). Quellen bestätigten gegenüber Al Jazeera die Ernennung von Generalmajor 'Ali Nour ad-Din an-Na'san zum neuen syrischen Generalstabschef. Lokalen syrischen Plattformen zufolge war an-Na'san ein militärischer Befehlshaber von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) (AJ 9.1.2025b). Ende Dezember 2024 wurden von der neuen Regierung Kämpfer in Führungspositionen ernannt. Unter den 50 neuen militärischen Ernennungen waren sechs ausländische Kämpfer im Rang eines Brigadegenerals und eines Obersts, darunter zwei Araber. Die Ernennungen sind Teil einer umfassenderen Kampagne von ash-Shara' zur Umstrukturierung der Neuen Syrischen Armee, die Persönlichkeiten mit unterschiedlichem Hintergrund und unterschiedlicher Nationalität umfasst (Sky News 30.12.2024).
Der Kreml teilte Mitte des Monats Dezember 2024 mit, dass das Schicksal der russischen Militärbasen in Syrien noch immer diskutiert werde und dass die Kontakte mit syrischen Beamten fortgesetzt würden (AJ 28.12.2024b). [Weitere Informationen zum russischen Engagement finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Ausländische Unterstützung bzw. Einmischung (Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024)).]
Die bewaffnete Landschaft Syriens besteht aus einem komplexen Geflecht von über 60 Fraktionen, von denen jede ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Loyalitäten und ihre eigene Agenda hat. Mehr als die Hälfte sind der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) angeschlossen. Andere Fraktionen agieren unabhängig oder innerhalb kleinerer Allianzen, mit Ideologien, die von säkular bis islamistisch reichen, und Finanzierungsquellen, die verschiedene regionale und internationale Akteure umfassen. Dieses Flickwerk an Macht stellt ein erhebliches Hindernis für die Schaffung einer einheitlichen nationalen Armee dar (DNewsEgy 3.2.2025). Obwohl die Kämpfer nominell unter der Schirmherrschaft der neuen syrischen Regierung stehen, gibt es nach wie vor Milizen, von denen einige in Menschenrechtsverletzungen verwickelt waren und relativ undiszipliniert sind (Guardian 9.3.2025). Die Kernkräfte der Gruppierung, die die neue Regierung anführt, HTS, sind bekanntermaßen weitaus disziplinierter als andere Akteure, was auf jahrelanger Beobachtung ihrer Aktivitäten in der Provinz Idlib und während des Sturzes von al-Assad beruht. Dennoch waren auch einige HTS-Kräfte an den Massakern im März 2025 in der syrischen Küstenregion beteiligt. Darüber hinaus trägt die neue Regierung weiterhin die Verantwortung für alle Tötungen, die von Gruppen unter ihrem formellen Kommando, einschließlich der SNA, begangen wurden. Ihre Unfähigkeit, diese Verbrechen zu verhindern, verdeutlicht, dass sie über Gebiete und Fraktionen außerhalb ihrer traditionellen Basis nach wie vor nur begrenzt befehligen und kontrollieren kann. Nachdem Berichte über Massaker aufgetaucht waren, gab das Innenministerium eine doppelte Erklärung ab, in der es die Zivilbevölkerung aufforderte, sich nicht einzumischen und die Reaktion der Regierung zu überlassen, und allen regierungsfreundlichen Kräften befahl, sich an die Verfahren zu halten, die während der Offensive zum Sturz des Assad-Regimes angewendet wurden, nämlich keine Zivilisten ins Visier zu nehmen. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch bereits zahlreiche Morde verübt worden, und die Erklärung enthielt keinen Hinweis auf den notwendigen Prozess der Rechenschaftspflicht, der auf solche Vorfälle folgen muss, um weitere Vergeltungsmaßnahmen und Gräueltaten zu verhindern (TWI 10.3.2025). [Details zu den Vorfällen im März 2025 finden sich im Kapitel Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] In den Reihen der neuen syrischen Armee finden sich auch islamistische Kämpfer aus anderen arabischen Staaten, Zentralasien und dem Kaukasus (Standard 9.3.2025). Es gibt große Probleme bei der Integration der Gruppierungen, die bereits unter dem Verteidigungsministerium zusammengelegt wurden. Zu nennen ist hier der Top-Down-Ansatz, bei dem die Priorität auf Loyalität statt auf Leistung gelegt wird. Es gelingt nicht die ideologischen und klassenbasierten Unterschiede zwischen – und innerhalb – der Gruppierungen, die jetzt unter dem Kommando ash-Shara's stehen, abzumildern (NLM 25.2.2025).
Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS)
Die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) [zu Deutsch: Komitee zur Befreiung der Levante Anm.] ist die stärkste Gruppierung in Syrien (Asharq 9.12.2024). Ihre Mannstärke wird auf 43.000 geschätzt. Die Hälfte dieser Gruppierungen ist nach der Rückeroberung in ihren ursprünglichen Gebieten geblieben, insbesondere in den Gebieten im Norden von Hama, im Süden von Idlib und im Westen und Süden von Aleppo (Quds 11.1.2025). Sie entstand aus dem Zusammenschluss von fünf Gruppierungen, u. a. der Jabhat Fatah ash-Sham, Liwa' al-Haqq, Jabhat Ansar ad-Din und Jaysh as-Sunna und wurde später von mehreren Bataillonen, Brigaden und Einzelpersonen unterstützt (AJ 3.12.2024). Die HTS versuchte ihren militärischen Flügel durch die Einrichtung eines gemeinsamen Einsatzraums namens „Shahba Community“ in Zusammenarbeit mit bewaffneten Gruppierungen, darunter Ahrar ash-Sham, die Nour ad-Din-Zenki-Bewegung und die „50. Division“ zu stärken (UNSC 22.7.2024). 2019 wurde der Operationsraum Fatah al-Mubin gegründet. Dieser war für die Koordinierung und Abteilung für militärische Operationen in Nordsyrien in Idlib und den ländlichen Gebieten von Aleppo, Latakia und Hama verantwortlich. Mitte 2020 schränkte die Hay'at Tahrir ash-Sham alle militärischen Operationen auf den Operationsraum Fatah al-Mubin ein und untersagte die Bildung jeglicher sonstiger militärischer Gruppierungen oder Operationsräume in den von ihr kontrollierten Gebieten. 2023 verkündete die HTS eine neue Struktur für die militärischen Kräfte in ihren Gebieten an (AJ 3.12.2024). Mitglieder der HTS sind nicht nur Syrer, sondern sie umfasst mehrere Nationen (Asharq 8.12.2024). Sie ist in sechs Brigaden, Spezialeinheiten und Elitetruppen unterteilt, die als Rote Brigaden bekannt sind (Quds 11.1.2025) bzw. als Rote Bänder, und welche Berichten zufolge dank ihrer Fähigkeiten in Bezug auf Ausbildung, Bewaffnung und die Fähigkeit, die Frontlinien zu durchdringen, in der Lage waren, mehrere Kampfhandlungen gegen Assads Streitkräfte zu gewinnen (Asharq 9.12.2024). Die Anzahl der Mitglieder dieser Eliteeinheit ist nicht bekannt, sie soll Berichten zufolge aber aus Hunderten von HTS-Mitgliedern bestehen (Asharq 8.12.2024), die Inghamasiyin genannt werden (AJ 5.12.2024) und von denen einige zu den ideologisch extremsten und kampferfahrendsten Elementen der Rebellenkoalition gehören (Guardian 8.12.2024). Auf ihren Köpfen tragen sie rote Bänder. Die Einheit, die 2018 gegründet wurde, hat einen hohen Ausbildungsstand (AJ 5.12.2024) und verfügt über Spezialwaffen (AlMayadeen 5.12.2024). Daneben gehören auch Gruppen von Scharfschützen zu dieser Eliteeinheit (Asharq 8.12.2024). Auch HTS-Anführer Ahmed ash-Shara' tauchte in einem Video 2020 mit rotem Band am Kopf auf (AlMayadeen 5.12.2024). Die HTS war es, die die Operation "Abschreckung der Aggression" im November und Dezember 2024 anführte (Asharq 9.12.2024).
Ash-Shara' kündigte gegenüber al-'Arabiya und al-Hadath an, dass sich seine Gruppierung bald auflösen wird (Arabiya 6.1.2025b). Am 29.1.2025 wurde die Auflösung der HTS bekannt gegeben (Sky News 31.1.2025).
Andere Gruppierungen
An der Operation "Abschreckung der Aggression" nahmen noch weitere Gruppierungen teil, die teilweise mit der ehemaligen Freien Syrischen Armee (Free Syrian Army - FSA) verbunden sind. Manche dieser Gruppierungen gehörten zur Nationalen Befreiungsfront (National Liberation Front - NLF), wie die Jabhat Tahrir as-Souriya und Jaysh Idlib al-Hurr (AJ 3.12.2024). Einige Gruppierungen werden von der Türkei ausgebildet und unterstützt. Darunter sind die Sultan Murad Division, die Sultan Suleiman Shah Division, die Hamza Division, Jaysh al-Islam und die Jabhat ash-Shamiya (Asharq 9.12.2024). Die NLF ist weitgehend für die Kontrolle in Idlib zuständig, während ein Großteil der militärischen Präsenz in die Schlüsselgebiete Aleppo, Homs, Damaskus, Latakia und Tartus abgezogen wurde. Die NLF koordiniert sich mit den örtlichen Sicherheitskräften. Aufgrund ihrer Mannstärke ist sie stark von verbündeten Gruppierungen abhängig (Etana 17.1.2025). Auch in Dara'a, im Süden Syriens, gibt es viele bewaffnete Gruppierungen, insbesondere Gruppierungen unter dem Banner der ehemaligen FSA (Asharq 9.12.2024).
Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA)
Mehr als die Hälfte der über 60 in Syrien bestehenden bewaffneten Gruppierungen gehört zur von der Türkei unterstützten Syrian National Army. Ihre Stärke beträgt mindestens 80.000 Mann und ihre Hauptaufgabe ist die Bekämpfung der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) (DNewsEgy 3.2.2025). Die Jabhat ash-Shamiya, die Bewegung Nour ad-Din-Zenki, die islamische Bewegung Ahrar ash-Sham im nördlichen Umland von Aleppo und die Gruppe ash-Shahba beteiligten sich an den Vorbereitungen für die Operation "Abschreckung der Aggression" im Sommer 2024, während die übrigen Fraktionen auf direkte Anweisungen aus Ankara warteten, wie die Nationale Befreiungsfront in Idlib, die Tausende von Kämpfern aus allen Untergruppierungen der Abteilung für militärische Operationen zur Verfügung stellte (Quds 11.1.2025). Sie könnte ca. 50.000 Kämpfer umfassen. Die SNA steht grundsätzlich in Konkurrenz mit der HTS. Ihre Anführer haben erklärt, dass sie schwere Waffen abgeben würde im Gegenzug für hohe Funktionen in der neuen syrischen Armee. Ihre Kleinfeuerwaffen werden sie behalten. Manche Anführer möchten ihr Einkommen, das sie durch Schmuggel über die türkisch-syrische Grenze erhalten, nicht aufgeben (Economist 14.1.2025). Im Widerspruch dazu wird die HTS von der von Ankara unterstützten Nationalen Befreiungsfront (National Liberation Front - NLF) unterstützt, die von Oberst Fadlallah al-Hajji angeführt wird, dem militärischen Befehlshaber der Faylaq ash-Sham und gleichzeitig stellvertretenden Verteidigungsminister in der Übergangsregierung (Quds 11.1.2025). Die NLF schloss sich im Oktober 2019 der SNA an ( MEE 7.12.2024).
Die Suleiman Shah Division (auch: al-Amshat) wird von Mohammad Hussein al-Jassim, bekannt als Abu Amsha, angeführt, einer umstrittenen Figur, die sich schweren Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sieht. Seine Truppen haben ihren Sitz in Sheikh al-Hadid in 'Afrin und erstrecken sich auf Teile des nördlichen Landesteils von Aleppo. Die Hamza-Division (auch: Hamzat) kontrolliert al-Bab, Jarablus und 'Afrin und steht unter dem Kommando von Saif Bolad (Abu Bakr), einem prominenten Führer der von der Türkei unterstützten SNA. Im Jahr 2023 verhängte das US-Finanzministerium direkte Sanktionen gegen die beiden Fraktionen und beschuldigte sie, in den von ihnen kontrollierten Gebieten „Kriegsverbrechen und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen“ zu begehen. Menschenrechtsberichten zufolge waren diese von der Türkei unterstützten Gruppierungen an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Banias, Tartus und Latakia beteiligt, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025).
Die syrischen Sicherheitskräfte forderten Anfang März 2025 nach Zusammenstößen mit Anhängern des Assad-Regimes eine allgemeine Mobilisierung über die bereits in der Küstenregion stationierten Einheiten hinaus an. Drei von den USA sanktionierte Milizen der von der Türkei unterstützten SNA folgten diesem Aufruf: Jaish ash-Sharqiya, Sultan Suleiman Shah und die Hamza-Division. Sie wurden zuvor wegen Menschenrechtsverletzungen an Kurden im Nordwesten Syriens angeklagt. An den Kämpfen waren auch ausländische Dschihad-Kämpfer der von den USA benannten Gruppe Ansar al-Tawhid und lokale syrische Zivilisten beteiligt, die die Kriegsverbrechen des Regimes rächen wollten. Die meisten lokalen Berichte deuten darauf hin, dass die überwiegende Zahl der von Regierungstruppen verursachten zivilen Todesfälle Anfang März 2025 in der Küstenregion von einer Mischung aus SNA-Fraktionen, ausländischen Kämpfern und zufälligen Zivilisten begangen wurde (TWI 10.3.2025). [Details zu den Vorfällen Anfang März 2025 in der Küstenregion sind dem Kapitel Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen.]
Alle Gruppierungen der Syrischen Nationalen Armee sind an der Operation "Morgenröte der Freiheit" gegen die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) beteiligt (Quds 11.1.2025).
Fahim 'Issa, einer der prominentesten Militärkommandeure in Nordsyrien, sagte, dass die Fraktionen der SNA derzeit nicht bereit sind, sich zusammenzuschließen, weil sie sich in den Kämpfen gegen die SDF mit türkischer Unterstützung engagieren, was im Gegensatz zu ash-Shara's Ansatz steht, die Angelegenheit mit den kurdischen Kämpfern zu regeln (Quds 11.1.2025).
Die Motivationen der Kämpfer in der SNA sind alles andere als einheitlich. In Interviews wurden drei Hauptmotive im gesamten Korps der SNA hervorgehoben: Erstens sind die Kämpfer von Loyalität und Stammesverbundenheit angetrieben und verlassen sich auf verwandtschaftliche Bindungen und das Vertrauen in die lokale Führung. Zweitens werden sie eher durch wirtschaftliche Faktoren motiviert, wobei viele von ihnen im Schmuggel und in der Kontrolle des lokalen Marktes tätig sind. Drittens sind einige Kämpfer, insbesondere an der Levante-Front, ideologisch motiviert und vertreten revolutionäre Ideale und umfassendere Visionen des gesellschaftlichen Wandels (NLM 25.2.2025).
Syrische Freie Arme (Syrian Free Army - SFA)
Die Syrische Freie Armee (Syrian Free Army - SFA) [nicht zu verwechseln mit der mittlerweile aufgelösten Freien Syrischen Armee (Free Syrian Army - FSA) Anm.] ist eine von den USA unterstützte und ausgebildete Einheit von mehreren Hundert Mann, die in Südsyrien an einem Ort namens at-Tanf aktiv ist. Viele Jahre lang war die Einheit vom Großteil Syriens abgeschnitten, da sie nur in einem kleinen Gebiet um die Garnison patrouillieren konnte, in dem sich US-Soldaten aufhielten. Ihr Anführer ist Oberst Salem Turki al-'Antri. Die Syrische Freie Armee entstand aus der erstarkenden Rolle der USA in Syrien, deren Präsenz bis ins Jahr 2015 zurückreicht. Die USA unterstützten die hauptsächlich kurdischen Demokratischen Kräfte Syriens (Syrian Democratic Forces - SDF) im Osten Syriens erheblich. In at-Tanf jedoch, wo die USA einen Stützpunkt in der Nähe einer alten Landwirtschaftsschule errichteten, schlossen sich die USA mit den Maghawir ath-Thawra (MAT) zusammen, die sich aus syrischen Arabern zusammensetzten, die gegen das Assad-Regime waren. Die MAT, aus der später die Syrische Freie Armee hervorging, hatte im Jahr 2018 etwa 300 Mann. Die Rolle der Gruppe sollte darin bestehen, den Islamischen Staat im Rahmen der umfassenderen Anti-IS-Mission der USA in Syrien zu bekämpfen. Im Laufe der Zeit bildeten die USA die Syrische Freie Armee in Schießkunst, Taktik für kleine Einheiten und dem Einsatz leichter Fahrzeuge für Patrouillen aus. Die Truppen der SFA konzentrieren sich weiterhin auf lokale Aufgaben, wie die mobile medizinische Klinik und die Unterstützung der verbliebenen Vertriebenen in Rukban. Sie haben auch Minenräumaktionen durchgeführt. Einige Mitglieder der Syrischen Freien Armee stammen aus Gebieten in der Nähe von Palmyra, etwa 120 Kilometer nördlich von at-Tanf. Nach dem Sturz des Assad-Regimes reisten einige Mitglieder der Einheit, darunter auch al-'Antri, nach Palmyra, um sich mit Einheimischen zu treffen und in dem Sicherheitsvakuum zu agieren, das durch al-Assads rasch verschwindende Armee entstanden war (LWJ 10.2.2025). Die SFA besteht aus syrischen Rebellen, die sich dem syrischen Regime widersetzten. Es handelt sich um arabische Oppositionskräfte, und die Männer stammen hauptsächlich aus der syrischen Provinz Homs und anderen Gebieten in der Nähe von Damaskus und Palmyra (JPOST 2.1.2025). Mitte April 2025 wurde das Training der SFA durch die USA fortgesetzt (LWJ 16.4.2025).
Die Syrische Freie Armee hat sich dem neuen Verteidigungsministerium angeschlossen (TWI 12.2.2025).
Ausländische Kämpfer
Ash-Shara' hat sich an eine Gruppe ausländischer Kämpfer gewandt, die aus dem Norden gekommen sind. Ihre Zahl könnte zwischen 400 und 2.500 liegen (Economist 14.1.2025).
Dschihadistische Gruppierungen
Von den salafistischen Dschihadistengruppierungen, eine nicht unbedeutende Kraft, sind einige in die HTS integriert oder arbeiten unter ihrem Kommando. Darunter fallen Ansar at-Tawhid, Kämpfer der Turkistan Islamic Party (TIP), Jaysh al-Muhajireen wal-Ansar, Sham al-Islam, Ansar al-Islam und die Reste von Hurras ad-Din (Quds 11.1.2025).
Ahrar ash-Sham
Ahrar ash-Sham [zu Deutsch: Freie Männer der Levante Anm.] ist eine religiös ausgerichtete Gruppierung, die sich als eine der ersten bewaffneten Gruppierungen nach Ausbruch des Kriegs in Syrien gebildet hatte (Asharq 9.12.2024). Sie bezeichnet sich selbst als "eine umfassende islamische Reform- und Erneuerungsbewegung und eine der Fraktionen innerhalb der Islamischen Front", sieht ihre Aktivitäten als "militärisch, politisch, sozial und umfassend islamisch" und definiert "den Aufbau eines islamischen Staates" als ihr Ziel (AJ 3.12.2024). 2013 hatten sie die Kontrolle über die Stadt ar-Raqqa übernommen, die sie aber später an den Islamischen Staat (IS) verlor. 2014 wurde eines ihrer unterirdischen Hauptquartiere bei einem Luftangriff getroffen und 40 ihrer Anführer getötet (Asharq 9.12.2024).
Jaysh al-'Izza
Jaysh al-’Izza [zu Deutsch: Armee der Ehre Anm.] ist eine Gruppierung, die insbesondere im Raum Hama aktiv war. Sie wird von Major Jamil as-Salah angeführt (Asharq 9.12.2024). Sie gehört zur Freien Syrischen Armee (Free Syrian Army - FSA) (Arabiya 30.1.2025).
Jaysh al-Islam
Jaysh al-Islam [zu Deutsch: Armee des Islam Anm.]war früher eine der mächtigsten Gruppierungen in Syrien und operierte von Ost-Ghouta, Damaskus, aus. Sie wurden nach Nordsyrien verdrängt. Ihr Anführer war Zahran 'Aloush, der 2015 durch einen Luftangriff getötet wurde. Sein Nachfolger ist 'Isam al-Buwaydani. Diese Gruppierung wird von der Türkei unterstützt (Asharq 9.12.2024).
Jabhat Tahrir as-Souriya
Jabhat Tahrir as-Souriya (JTS) [zu Deutsch: Syrische Befreiungsfront Anm.] wurde Anfang 2018 gegründet und umfasst mehrere Bewegungen, darunter Jaysh al-Ahrar, die in der Region Idlib aktiv waren, Suqour ash-Sham Brigaden, Damaskus Gruppe und die Nour ad-Din-Zenki Brigaden (AJ 3.12.2024).
Nour ad-Din-Zenki Brigaden
Dabei handelt es sich um eine bewaffnete islamistische Gruppierung, die kurz nach dem Ausbruch der syrischen Revolution im Jahr 2011 gegründet wurde. Ihr Hauptgebiet war Aleppo, wo sie bis 2019 militärische und zivile Aktivitäten verband (AJ 3.12.2024).
Ansar at-Tawhid (Unterstützer des Monotheismus)
Das ist eine dschihadistische Gruppierung, die im syrischen Konflikt aktiv war. Sie ist ein Ableger von Jund al-Aqsa (Soldaten der Aqsa-Moschee), die von der bewaffneten Opposition und Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) zerschlagen wurde. Ansar at-Tawhid wurde 2017 von den verbliebenen Mitgliedern der aufgelösten Gruppe Jund al-Aqsa gegründet. Ihre Mitglieder vertreten eine salafistisch-dschihadistische Ideologie unter der Führung von Khaled Khattab. Diese Gruppierung soll seit dem Sturz von al-Assad für Menschenrechtsverletzungen, wie außergerichtlichen Tötungen, Zerstörung von Häusern, Angriffe auf privates und öffentliches Eigentum verantwortlich sein (SNHR 19.12.2024).
Turkistan Islamic Party (TIP) bzw. Eastern Turkistan Islamic Movement (ETIM)
Diese Gruppierung ist hauptsächlich in den Provinzen Idlib, im Nordosten von Latakia, im Norden von Hama und im Westen von Aleppo aktiv. Sie wird von dem regionalen Kommandeur Kaiwusair angeführt, der von Zahid Qari und Scheich Touba unterstützt wird, die beide im März vom in Afghanistan ansässigen Oberbefehlshaber Abdul Haq ernannt wurden. ETIM/TIP arbeitet mit HTS zusammen und griff im März gemeinsam mit dieser Gruppe syrische Militärstellungen in Idlib und Aleppo an. Die Gruppe erhält finanzielle Unterstützung von HTS, betreibt Unternehmen in Ländern der Region, darunter in der Türkei, um Gelder zu generieren, und bildet ausländische Terroristen mit immer ausgefeilteren Methoden aus (UNSC 22.7.2024).
Hurras ad-Din (HAD)
Die Hurras ad-Din (HAD) [zu Deutsch: Wächter der Religion Anm.] operierte hauptsächlich im Südosten von Idlib und im Norden von Latakia und verfügt über eine Stärke von einigen Tausend Kämpfern. Sie reaktiviert sich still und heimlich, wobei die Führung die Kämpfer anweist, außergewöhnliche Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, um nicht entdeckt zu werden. Die Gruppe konzentriert sich weiterhin auf eine lokale Agenda, da sie zu Beginn des Konflikts zwischen dem Gazastreifen und Israel, aufgrund operativer und logistischer Herausforderungen, ihr Ziel, Angriffe von außen durchzuführen, nicht erreichen konnte. Ungeachtet ihrer Differenzen wurde 2024 eine opportunistische Ad-hoc-Zusammenarbeit zwischen der HAD und der HTS beobachtet, wobei die HAD logistische Unterstützung von der HTS erhielt, um gegen die syrischen Regierungstruppen zu kämpfen (UNSC 22.7.2024).
Operationen der südlichen Regionen
Die Gruppierung "Operationen der südlichen Regionen" stand bis 2013 unter der Führung von Oberstleutnant Yasser al-'Aboud (Asharq 9.12.2024) und wird mittlerweile von Ahmad al-'Awda angeführt. Sie kontrolliert die Provinz Dara'a. Diese Gruppierung war es, die am 8.12.2024 als Erstes in Damaskus einmarschiert ist (AAA 7.1.2025). Sie umfasst ca. 15.000 Kämpfer, die ihre Gehälter von ihrem Anführer al-'Awda offenbar mithilfe der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) erhalten (Economist 14.1.2025).
Sie wollte als bewaffnete Gruppierung weiter bestehen und ihre Waffen nicht abgeben, auch wenn sie bereit war, sich dem neuen Verteidigungsministerium zu unterstellen. Eigenen Angaben zufolge verfügte die Gruppierung über Waffen, schweres Gerät und eine vollständige militärische Ausrüstung (AAA 7.1.2025). Nach intensiven Treffen und Beratungen haben die südlichen Fraktionen unter dem Namen Südlicher Operationsraum angekündigt, dass sie an ihren Waffen festhalten werden, aber bereit sind, sich dem Verteidigungsministerium anzuschließen (Quds 11.1.2025). HTS hat zunehmend versucht, ihre Macht und militärische Reichweite in der gesamten Provinz Dara'a und im weiteren Süden Syriens auszunutzen, was zu Spannungen mit Ahmad al-'Awda führte (Etana 17.1.2025). Mitte Februar einigten sich die Anführer der südlichen Fraktionen und das Verteidigungsministerium auf die Bildung einer sogenannten Süddivision innerhalb der neuen syrischen Armee. Um sich in das neue Verteidigungsministerium „integrieren“ zu können, baten die Vertreter der Übergangsregierung die Gruppierungen, Informationen über die Anzahl ihrer Kämpfer, die in ihrem Besitz befindlichen Waffen und die Militärstützpunkte zu übermitteln. Seit dem Treffen deuten mehrere Entwicklungen darauf hin, dass die Bildung der Division im Gange ist, und das Hauptquartier der 5. Division in Izra'a im Osten von Dara'a wurde als Kommandozentrale für die neue Division ausgewählt (Etana 22.2.2025). Nach monatelangen Spannungen zwischen dem Milizkommandanten Ahmad al-'Awda aus Dara'a und dem neuen syrischen Präsidenten Ahmad ash-Shara' – angeheizt durch Frustration über die mangelnde Machtteilung und Inklusivität im laufenden Übergangsprozess und in den Regierungsstrukturen des Landes – war al-'Awda gezwungen, zurückzutreten und die von ihm seit 2014 geführte bewaffnete Gruppe aufzulösen. Ihr Zusammenbruch folgte auf intensiven militärischen Druck der Allgemeinen Sicherheit nach den Gewalttaten der vergangenen Woche mit rivalisierenden, von Damaskus unterstützten Fraktionen (Etana 16.4.2025).
Die verschiedenen Gruppierungen in Südsyrien, darunter die von Russland unterstützte 8. Brigade in Dara'a und die drusischen Milizen in Suweida, haben spezifische Bedingungen für den Beitritt zu einer nationalen Armee festgelegt. Dazu gehören die Einrichtung einer wirklich repräsentativen Regierung, eine neue Verfassung und ein nicht konfessionsgebundenes Militär (DNewsEgy 3.2.2025).
In der Provinz Suweida wurde die Bildung eines Militärrats angekündigt, zu dessen Treffen am 24.2.2025 alle Waffenbesitzer eingeladen waren. Die wichtigsten Gruppierungen in der Provinz haben jedoch noch keine Verbindung zu dem Rat bekannt gegeben, und die Gruppierungen, die dahinter stehen, sind unbekannt. Der Gemeinsame Operationsraum in Suweida reagierte auf die Ankündigung mit einer Erklärung, in der es hieß: „Dieser Rat ist illegitim und die Erklärung vertritt nur seine Eigentümer und macht sie für alle Komplikationen verantwortlich, die sich aus diesem Treffen ergeben könnten.“ (TNA 23.2.2025) Eine Gruppe militanter Drusen in Suweida hat die Gründung des Suweida-Militärrats bekannt gegeben, einer Koalition lokaler bewaffneter Gruppen, die sich für den Schutz der Region und die Aufrechterhaltung der Sicherheit einsetzen. Der Rat erklärte, seine Mission sei es, Zivilisten und öffentliches Eigentum vor Gewalt und Zerstörung zu schützen und gleichzeitig die Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsfraktionen zu stärken. Er kündigte außerdem Pläne für regelmäßige Treffen an, um Bedrohungen einzuschätzen und entsprechend zu reagieren (LWJ 24.2.2025).
Rijal al-Karama und Liwa' al-Jabal
Die beiden größten militärischen Fraktionen in Suweida erklärten ihre Bereitschaft, sich zu einer militärischen Einheit zusammenzuschließen, die den Kern einer neuen nationalen Armee bilden wird, und lehnten jegliche Fraktions- oder konfessionelle Armee ab (Quds 11.1.2025).
Die alawitische Armee
Mehr als 400.000 Mitglieder der alawitischen Gemeinschaft wurden entlassen und sind vom Sturz al-Assads betroffen, darunter Angehörige der Armee, der Sicherheitsabteilungen, Beamte in Einrichtungen, die dem Verteidigungsministerium angegliedert sind, sowie Mitarbeiter privater Sicherheitsunternehmen und Milizen. Das bedeutet, dass etwa 85 % der alawitischen Haushalte ohne einen Ernährer dastehen werden und innerhalb weniger Monate eine ganze Gemeinschaft von der Armutsgrenze an die Hungergrenze fallen könnte (Quds 11.1.2025). [Details zur Entlassung der ehemaligen Regime-Soldaten und zum Aufbau einer neuen Armee finden sich auch im Kapitel Wehr- und Reservedienst. Details zur alawitschen Minderheit finden sich im Kapitel Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und zum Umgang mit der Minderheit bzw. mit (vermeintlichen) Unterstützern von al-Assad finden sich in den Kapiteln Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad Regimes (seit 8.12.2024).]
6.1. Ausländische Unterstützung bzw. Einmischung - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
[In diesem Kapitel geht es um die militärische Intervention aus dem Ausland. Informationen zur politischen Beziehung Syriens zu anderen Staaten sind dem Kapitel Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Außenpolitische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen.]
Internationale Koalition (Frankreich, USA, etc.)
Die von den USA angeführte Internationale Koalition hat militärische und logistische Verstärkung in den Süden von al-Hasaka in Nord- und Ostsyrien gebracht. Diese Verstärkungen spiegelt die fortgesetzten Bemühungen der internationalen Koalition wider, ihre strategischen und wirtschaftlichen Interessen, insbesondere das Öl, in der Region zu schützen, zusätzlich zum Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) dessen jüngste Bewegungen die Angst vor seiner Rückkehr geschürt haben (Leb24 29.1.2025). Frankreich ist ein aktives Mitglied der von den USA geführten Koalition gegen die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) und unterhält eine Militärpräsenz im Nordosten Syriens. Präsident Macron versicherte im Jänner 2025, dass Frankreich die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) nicht im Stich lassen werde (DS 5.2.2025; vgl. Rudaw 6.1.2025, ANHA 6.1.2025). Nach Angaben eines hochrangigen syrischen Kurdenvertreters werden derzeit Gespräche darüber geführt, ob US-amerikanische und französische Truppen ein Grenzgebiet in Nordsyrien sichern könnten, um den Konflikt zwischen der Türkei und den vom Westen unterstützten syrischen Kurden zu entschärfen (LBCI 8.1.2025). Der französische Präsident Macron forderte die neue syrische Regierung auf, die von Kurden angeführten SDF vollständig in ihren Sicherheitsapparat zu integrieren, und fügte hinzu, dass ihre „starken“ Kämpfer den Sicherheitszielen von Damaskus dienen werden und wiederholte im Februar seine Äußerungen, die SDF nicht im Stich lassen zu wollen (Rudaw 13.2.2025).
Iran
Seit Beginn des Krieges stützte sich die Regierung al-Assads bei Kampfeinsätzen und zur Verteidigung von Gebieten auf die libanesische Hizbollah sowie auf Iran und von Iran unterstützte irreguläre Kräfte. Seit 2011 stellte Iran Militärberater und Kampftruppen des Korps der Iranischen Revolutionsgarden sowie nachrichtendienstliche, logistische, materielle, technische und finanzielle Unterstützung bereit. Er hatte schiitische Milizen bzw. paramilitärische Einheiten finanziert, ausgebildet, ausgerüstet und angeführt, die sowohl aus syrischem als auch aus nicht-syrischem Personal bestehen, hauptsächlich aus Afghanistan, dem Irak und Pakistan (CIA 31.7.2024). Iran soll Milliarden Dollar ausgegeben haben, um al-Assad zu unterstützen. Zu den von Iran entsandten schiitischen Kämpfern gehörten hauptsächlich die Hizbollah (neben anderen Bewegungen aus dem Libanon, dem Irak, Afghanistan und dem Jemen). Seit dem Konflikt mit Israel im Libanon war die Hizbollah stark geschwächt (BBC 10.12.2024). Israel setzt seine Luftangriffe auf iranische Stellungen in Syrien fort, weil Teheran weiterhin versucht, strategische Stellungen und Waffenlager zu halten (VB Amman 9.2.2025).
Israel
Israel hat während des Krieges Hunderte von Luftangriffen gegen mit Iran verbundene Ziele in Syrien durchgeführt, obwohl es solche Angriffe selten zugegeben hat. Seitdem Rebellen al-Assad gestürzt haben, führte Israel Hunderte von Angriffen in ganz Syrien durch. Zu den Zielen gehörten die militärische Infrastruktur Syriens, die Marineflotte und Waffenproduktionsstätten. Israelische Streitkräfte haben außerdem die entmilitarisierte Pufferzone in den Golanhöhen eingenommen. Israel gab an, dass das 1974 geschlossene Abkommen über den Rückzug aus Syrien mit der Machtübernahme durch die Rebellen „geplatzt“ sei. Des Weiteren gab Israel zu, dass seine Truppen an „einigen zusätzlichen Punkten“ jenseits der Pufferzone weiter im Landesinneren von Syrien operieren, betonte jedoch, dass sie „nicht auf Damaskus vorrücken“ (BBC 10.12.2024). Obwohl Israel den Einmarsch in syrisches Staatsgebiet als vorübergehend bezeichnete und mit der Beschlagnahmung von Waffen begründete, zeigt ein Vergleich von Satellitenbildern, die am 20.12.2024 und am 21.1.2025 aufgenommen wurden, den Bau eines neuen israelischen Stützpunktes in der Nähe von Hamidiyah innerhalb nur eines Monats. Auch mehrere Fahrzeuge deuten auf eine dauerhafte Präsenz hin (Arabiya 4.2.2025). Am 29.1.2025 hatte Israels Verteidigungsminister bereits angekündigt, dass die israelischen Stellungen in Syrien auf unbestimmte Zeit im Land bleiben würden (FT 28.1.2025). Das bestätigte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu Ende Februar 2025. Er sagte, dass seine Streitkräfte auf dem syrischen Berg Hermon und in der Pufferzone auf den Golanhöhen „auf unbestimmte Zeit“ bleiben werden. Außerdem wolle Israel der Hay'at Tahrir ash-Sham oder der Neuen Syrischen Armee nicht erlauben, in die Gebiete südlich von Damaskus vorzudringen (Leb24 23.2.2025). Des Weiteren betonte er Israels Verpflichtung, die drusische Gemeinschaft vor Bedrohungen zu schützen (TNA 23.2.2025). Am 3.2.2025 berichtete ein Korrespondent von Al Jazeera, dass die israelischen Streitkräfte sich aus ihren Stellungen in Quneitra, Südsyrien, zurückgezogen haben, nachdem sie wochenlang in der Gegend stationiert waren (AJ 3.2.2025). Der syrische Präsident Ahmad ash-Shara' hat den israelischen Einmarsch verurteilt und gleichzeitig betont, dass die derzeitige Lage im Land „keine neuen Konflikte zulässt“ (AJ 3.2.2025).
Russland
Russland intervenierte 2015 auf Ersuchen der syrischen Regierung und hatte seitdem Luftunterstützung, Spezialeinheiten, Militärberater, private Militärunternehmen, Schulungen, Waffen und Ausrüstung bereitgestellt. Iran und Russland unterstützten auch bei der Bekämpfung der Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und in der Levante (CIA 31.7.2024). Die russische Militärintervention hatte zu einer deutlichen Veränderung des Kräfteverhältnisses auf militärischer, politischer und psychologischer Ebene in Syrien geführt. Die russische Militärmacht, insbesondere die Luftwaffe, hatte einen großen Unterschied im Gleichgewicht der Kämpfe zwischen der bewaffneten Opposition, dem Regime und den iranischen Milizen bewirkt (MEI 20.7.2021). Zwischen den russischen Kräften und iranischen Milizen sowie einigen syrischen Einheiten kam es zu Spannungen und sporadischen Zusammenstößen (MEI 20.7.2021). Seit Russland 2022 den Krieg in der Ukraine führt, waren seine Streitkräfte anderweitig beschäftigt und er konnte seinem syrischen Verbündeten nicht mehr die notwendige Unterstützung bieten. Nach seiner Flucht aus Damaskus wurde al-Assad und seiner Familie in Moskau Asyl gewährt (BBC 10.12.2024). Nach der Machtübernahme durch die islamistische Miliz Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) ist Moskau nun vor allem daran interessiert, seine Militärbasen in Syrien aufrechtzuerhalten (Presse 28.1.2025). Russland hat seinen militärischen Rückzug aus Syrien beschleunigt und Fahrzeuge und Container aus seinem wichtigen Hafen Tartus an der Mittelmeerküste des Landes entfernt. Dies geschah, während russische Beamte „offene Gespräche“ mit der neuen Regierung in Damaskus führten. Der Kreml hatte ursprünglich seinen Wunsch signalisiert, die Kontrolle über den Stützpunkt zu behalten, und im Dezember erklärt, dass er mit den neuen Behörden über die Aufrechterhaltung einer Präsenz dort spreche. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass Moskau nun beschlossen hat, wertvolle Ausrüstung aus dem Hafen zu entfernen. Satellitenbilder zeigen außerdem, dass russische Ausrüstung seit mehreren Wochen vom nahe gelegenen Luftwaffenstützpunkt Hmeimim entfernt wird (BBC 30.1.2025).
Türkei
Die Türkei hatte mehrmals seit 2016 militärisch in Syrien interveniert, um kurdische Kämpfer und den Islamischen Staat zu bekämpfen. Sie unterstützt ausgewählte Oppositionsgruppierungen und hat Pufferzonen in Teilen des syrisch-türkischen Grenzgebiets etabliert. Die Türkei unterhält weiterhin eine beträchtliche Militärpräsenz in Nordsyrien und hat Milizen, wie die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA) ausgebildet und bewaffnet (CIA 31.7.2024). Die SNA untersteht de facto der Autorität der Türkei, ebenso wie die Syrische Interimsregierung (Syrian Interim Government - SIG). Obwohl die Präsenz der Türkei ein gewisses Maß an Stabilität in die Region bringt, gilt ihre Kontrollzone in Nordsyrien als die unsicherste und am brutalsten regierte (BI 27.1.2023). Die SNA ist in Legionen und weiter in Fraktionen unterteilt. Die Fraktionskommandanten folgen dem Kommando der Legionen. Die Anzahl der Fraktionen variiert in den einzelnen Legionen (GCSP 10.2020). Die Türkei unterstützt die Rebellen vor allem zur Eindämmung der Milizen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG), die sie beschuldigt, eine Erweiterung der im Inland verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (Partiya Karkerên Kurdistanê - PKK), [die die Türkei und auch die EU als Terrororganisation gelistet hat Anm.] zu sein (BBC 10.12.2024). Die türkische Armee ist in weiten Teilen Nordsyriens präsent und verfügt nach Angaben von Jusoor for Studies über 125 militärische Stellungen, darunter 12 Basen und 113 Stellungen. Die meisten dieser Stellungen wurden im Anschluss an türkische Militäroperationen eingerichtet, die vermutlich auf nicht deklarierten Vereinbarungen im Rahmen des Astana-Prozesses beruhten (SyrInd 13.3.2024). Der türkische Außenminister sagte am 15.2.2025, sein Land würde seine militärische Präsenz im Nordosten Syriens überdenken, wenn die neue Führung des Landes die PKK eliminieren würde (AP 15.2.2025). Einige Experten gehen davon aus, dass die Großoffensive, die zum Sturz al-Assads geführt hat, nicht ohne die Zustimmung der Türkei erfolgen hätte können, die Türkei bestreitet die führende Oppositionsgruppierung Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) unterstützt zu haben (BBC 10.12.2024).
USA
Nachdem die pro-demokratischen Proteste in Syrien im Jahr 2011 gewaltsam niedergeschlagen wurden, unterstützte der damalige US-Präsident Barack Obama die Opposition gegen al-Assads Herrschaft. Die USA leisteten den ihrer Meinung nach gemäßigten Rebellengruppen militärische Unterstützung und intervenierten militärisch, um die Gruppierung Islamischer Staat (IS) im Jahr 2014 zu bekämpfen. Eine von den USA angeführte globale Koalition führte Luftangriffe durch und entsandte Spezialeinheiten, um der von Kurden angeführten Allianz der Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) bei der Eroberung von Gebieten zu helfen, die einst vom IS im Nordosten gehalten wurden (BBC 10.12.2024). Nach dem Sturz der Assad-Regierung behielten die USA eine militärische Präsenz im Nordosten bei (AGSIW 9.12.2024). Die US-Regierung gab an, Dutzende von Luftangriffen gegen IS-Lager und -Aktivisten in Zentralsyrien durchgeführt zu haben, um sicherzustellen, dass der IS die instabile Lage nicht ausnutzen konnte (BBC 10.12.2024). Ihre Verbindungen zu Oppositionsgruppierungen stellten die USA schon vor Jahren ein (AGSIW 9.12.2024). Mit Stand Dezember 2024 waren die USA mit 2.000 Soldaten vertreten, ursprünglich war die Rede von 900 US-Soldaten (Spiegel 19.12.2024), die hauptsächlich im Nordosten stationiert sind (BBC 10.12.2024). Anfang Februar wurden Pläne des US-Verteidigungsministeriums zum Abzug aller US-Truppen in Syrien bekannt. Der Abzug soll entweder in 30, 60 oder 90 Tagen erfolgen (TNA 5.2.2025; vgl. REU 5.2.2025b).
9. Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
[Derzeit liegen keine ausreichenden Informationen zum Wehrdienst oder der Rekrutierung bzw. zu Streitkräften der aktuellen syrischen Regierung vor. Im Folgenden wird der aktuelle Stand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social-Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformation entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Die Syrische Arabische Armee wurde noch von al-Assad vor seiner Flucht nach Mitternacht am 8.12.2024 per Befehl aufgelöst. Die Soldaten sollten ihre Militäruniformen gegen Zivilkleidung tauschen und die Militäreinheiten und Kasernen verlassen (AAA 10.12.2024). Aktivisten des Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) in Damaskus haben berichtet, dass Hunderte von Regimesoldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie darüber informiert wurden, dass sie entlassen wurden, da das Assad-Regime gestürzt war (SOHR 8.12.2024). Ca. 2.000 syrische Soldaten sind in den Irak geflohen. Einem Beamten aus dem Irak zufolge sollen 2.150 syrische Militärangehörige, darunter auch hochrangige Offiziere, wie Brigadegeneräle und Zollangestellte, in einem Lager in der Provinz al-Anbar untergebracht sein. Die Mehrheit soll nach Syrien zurückkehren wollen (AlMada 15.12.2024). Syrischen Medien zufolge verhandelte die syrische Übergangsregierung mit der irakischen Regierung über die Rückführung dieser Soldaten (ISW 16.12.2024). Am 19.12.2024 begannen die irakischen Behörden damit, die syrischen Soldaten nach Syrien auszuliefern (TNA 19.12.2024). Die Mehrheit der führenden Soldaten und Sicherheitskräften des Assad-Regimes sollen sich noch auf syrischem Territorium befinden, jedoch außerhalb von Damaskus (Stand 13.12.2024) (AAA 10.12.2024). Nach der Auflösung der ehemaligen Sicherheits- und Militärinstitutionen verloren Hunderttausende ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen – vor allem in den Küstenregionen. Zehntausende wurden auch aus staatlichen und zivilen Einrichtungen entlassen, ohne alternative Einkommens- oder Arbeitsmöglichkeiten. Darüber hinaus wurden Mitgliedern der aufgelösten Armee, Polizei und Sicherheitsdienste Umsiedlungsmaßnahmen aufgezwungen, was zu wachsender Unzufriedenheit und Wut in den Reihen dieser Männer führte (Harmoon 17.3.2025).
Nach dem Umsturz in Syrien hat die von Islamisten angeführte Rebellenallianz eine Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen verkündet. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie seien untersagt, teilte die Allianz auf Telegram mit (Presse 9.12.2024). HTS-Anführer ash-Shara' kündigte in einem Facebook-Post an, dass die Wehrpflicht der Armee abgeschafft wird, außer für einige Spezialeinheiten und "für kurze Zeiträume". Des Weiteren kündigte er an, dass alle Gruppierungen aufgelöst werden sollen und über Waffen nur mehr der Staat verfügen soll (CNBC Ara 15.12.2024a; vgl. MEMRI 16.12.2024). Unklar ist, wie eine Freiwilligenarmee finanziert werden soll (ISW 16.12.2024). Auch die Auflösung der Sicherheitskräfte kündigte ash-Shara' an (REU 11.12.2024a). In einem Interview am 10.2.2025 wiederholte ash-Shara', dass er sich für eine freiwillige Rekrutierung entschieden habe und gegen eine Wehrpflicht. Bereits Tausende von Freiwilligen hätten sich der neuen Armee angeschlossen (Arabiya 10.2.2025a; vgl. AJ 10.2.2025a). Wehrpflichtigen der Syrischen Arabischen Armee (Syrian Arab Army - SAA) wurde eine Amnestie gewährt (REU 11.12.2024b). Ahmed ash-Shara' hat versprochen, dass die neue Führung die höchsten Ränge des ehemaligen Militärs und der Sicherheitskräfte wegen Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgen wird. Was dies jedoch für die Fußsoldaten des ehemaligen Regimes bedeuten könnte oder wo die diesbezüglichen Grenzen gezogen werden, bleibt unklar (Guardian 13.1.2025). Die neue Übergangsregierung Syriens hat sogenannte "Versöhnungszentren" eingerichtet, sagte Abu Qasra, neuer syrischer Verteidigungsminister. Diese wurden bereits gut genutzt, auch von hochrangigen Personen, und die Nutzer erhielten vorübergehende Niederlassungskarten. Eine beträchtliche Anzahl habe auch ihre Waffen abgegeben (Al Majalla 24.1.2025). Der Hauptsitz des Geheimdienstes in Damaskus ist jetzt ein "Versöhnungszentrum", wo die neuen syrischen Behörden diejenigen, die dort gedient haben, auffordern, sich zu stellen und ihre Waffen im Geheimdienstgebäude abzugeben. Im Innenhof warten Menschenschlangen darauf, Zettel zu erhalten, die besagen, dass sie sich offiziell ergeben und mit der neuen Regierung versöhnt haben, während ehemalige Aufständische in neuen Uniformen im Militärstil die abgegebenen Pistolen, Gewehre und Munition untersuchen. Ehemalige Offiziere, die sich für die neue Regierung Syriens als nützlich erweisen könnten, beispielsweise, weil sie Informationen über Personen haben, die international gesucht werden, haben wenig zu befürchten, solange sie kooperieren (Guardian 13.1.2025). In diesen "Versöhnungszentren" erhielten die Soldaten einen Ausweis mit dem Vermerk "desertiert". Ihnen wurde mitgeteilt, dass man sie bezüglich ihrer Wiedereingliederung kontaktieren würde (Chatham 10.3.2025). [Weitere Informationen zu "Versöhnungszentren" finden sich auch in den Kapiteln Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Die Rolle der übergelaufenen syrischen Armeeoffiziere in der neuen Militärstruktur ist unklar. Während ihr Fachwissen beim Aufbau einer Berufsarmee von unschätzbarem Wert sein könnte, bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich ihrer Marginalisierung innerhalb der neuen Machtstruktur (DNewsEgy 3.2.2025). Unter al-Assad war die Einberufung in die Armee für erwachsene Männer obligatorisch. Wehrpflichtige mussten ihren zivilen Ausweis abgeben und erhielten stattdessen einen Militärausweis. Ohne einen zivilen Ausweis ist es schwierig, einen Job zu finden oder sich frei im Land zu bewegen, was zum Teil erklärt, warum Zehntausende in den "Versöhnungszentren" in verschiedenen Städten aufgetaucht sind (BBC 29.12.2024). Ehemalige Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter des Assad-Regimes, ca. 4.000 bis 5.000 Männer in Latakia und Tartus, haben sich diesen "Versöhnungsprozessen" entzogen. Einige von ihnen wurden im Rahmen einer landesweiten Kampagne mit täglichen Suchaktionen und gezielten Razzien gefasst, andere jedoch haben sich zu bewaffnetem Widerstand gegen die Übergangsregierung entschlossen (MEI 13.3.2025).
Der Übergangspräsident Ahmed ash-Shara' hat die Vision einer neuen „Nationalen Armee“ geäußert, die alle ehemaligen Oppositionsgruppen einbezieht. Diese Vision beinhaltet einen Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung, bei dem Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeblich die Führung übernehmen soll (DNewsEgy 3.2.2025). Der syrische Verteidigungsminister Abu Qasra kündigte am 6.1.2025 den Beginn von Sitzungen mit militärischen Gruppierungen an, um Schritte zu deren Integration in das Verteidigungsministerium zu entwickeln (Arabiya 6.1.2025b). Hochrangige Beamte des neuen Regimes führten Gespräche über die Eingliederung von Milizen in das Verteidigungsministerium und die Umstrukturierung der syrischen Armee mit Vertretern unterschiedlicher bewaffneter Gruppierungen, wie Fraktionen der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) (MAITIC 9.1.2025). Die Behörden gaben Vereinbarungen mit bewaffneten Rebellengruppen bekannt, diese aufzulösen und in die vereinte syrische Nationalarmee zu integrieren (UNSC 7.1.2025). Die einzige Möglichkeit, eine kohärente militärische Institution aufzubauen, besteht laut Abu Qasra darin, die Gruppierungen vollständig in das Verteidigungsministerium unter einer einheitlichen Struktur zu integrieren. Die Grundlage für diese Institution muss die Rechtsstaatlichkeit sein (Al Majalla 24.1.2025). Es bleibt abzuwarten, wie die neue Armee Syriens aussehen wird und ob sie auf einer anderen Struktur als die Armee des Assad-Regimes basieren wird. Dazu gehören Fragen in Bezug auf Brigaden, Divisionen und kleine Formationen sowie Fragen in Bezug auf die Art der Bewaffnung, ihre Form und die Art der Mission. (AlHurra 12.2.2025). [Details zur neuen syrischen Armee und der Entwaffnung bewaffneter Gruppierungen finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) Anm.]
Die Umstrukturierung des syrischen Militärs hat gerade erst begonnen. Der neue de-facto-Führer hat versprochen, die neue Armee in eine professionelle, auf Freiwilligen basierende Truppe umzuwandeln, um die Professionalität in den Reihen zu fördern und sich von der Wehrpflichtpolitik zu entfernen, die das zusammengebrochene Assad-Regime charakterisierte (TR-Today 8.1.2025). Medienberichten zufolge wurden mehrere ausländische islamistische Kämpfer in hohe militärische Positionen berufen. Ash-Shara' hatte Berichten zufolge außerdem vorgeschlagen, ausländischen Kämpfern und ihren Familien aufgrund ihrer Rolle im Kampf gegen al-Assad die Staatsbürgerschaft zu verleihen (UNSC 7.1.2025).
Syrische Medien berichten, dass die neue Regierung aktiv Personen für die Armee und die Polizei rekrutiert. Damit soll der dringende Bedarf an Kräften gedeckt werden. Neue Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere werden Berichten zufolge durch intensive Programme rekrutiert, die von den traditionellen akademischen und Ausbildungsstandards abweichen. Der Prozess der Vorbereitung von Militär- und Sicherheitskadern wird beschleunigt, um den Bedürfnissen des neuen Staates gerecht zu werden (SCI o.D.). Am 10.2.2025 gab Übergangspräsident ash-Shara' an, dass sich Tausende von Freiwilligen der neuen Armee angeschlossen haben (Arabiya 10.2.2025a). Viele junge Männer ließen sich einem Bericht des syrischen Fernsehsenders Syria TV zufolge für die neue Armee rekrutieren. Insbesondere seien junge Männer in Idlib in dieser Hinsicht engagiert. Die Rekrutierungsabteilung der neuen syrischen Verwaltung in der Provinz Deir ez-Zour gab bekannt, dass wenige Wochen nach der Übernahme der Kontrolle über die Provinz durch den Staat etwa 1.200 neue Rekruten in ihre Reihen aufgenommen wurden. In den den ländlichen Gebieten von Damaskus treten junge Männer vor allem der Kriminalpolizei bei (Syria TV 21.2.2025). Die Rekrutierungsabteilung von Aleppo teilte am 12.2.2025 mit, dass bis zum 15.2.2025 eine Rekrutierung in die Reihen des Verteidigungsministeriums läuft. Dort ist die Aufnahmebedingung für junge Männer, dass sie zwischen 18 und 22 Jahre alt, ledig und frei von chronischen Krankheiten und Verletzungen sein müssen (Enab 12.2.2025). Das syrische Verteidigungsministerium hat am 17.3.2025 mehrere Rekrutierungszentren im Gouvernement Dara'a in Südsyrien eröffnet (NPA 17.3.2025). Das Innenministerium hat seitdem Rekrutierungszentren in allen von der Regierung kontrollierten Gebieten eröffnet (ISW 16.4.2025). Berichten zufolge verlangt die neue Regierung von neuen Rekruten eine 21-tägige Scharia-Ausbildung (FDD 28.1.2025).
Ende Februar 2025 verbreiteten Facebook-Seiten die Behauptung, die Allgemeine Sicherheit habe in Jableh, Banyas und Qardaha Checkpoints eingerichtet, um jeden zu verhaften, der eine Siedlungskarte besitzt. Die Seiten behaupten, dass die Allgemeine Sicherheit die Verhafteten nach Südsyrien verlegt, wo es zu einer Eskalation durch die israelische Besatzung kommt. Die syrische Regierung dementierte die Durchführung von Rekrutierungskampagnen in den Provinzen Latakia und Tartus. Die Rekrutierung basiere weiterhin auf Freiwilligkeit (Syria TV 26.2.2025).
9.2. Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst (Stand 3.12.2024)
In der syrischen Verfassung von 2012 wurde die Wehrpflicht im Artikel 46 festgehalten. Darin stand, dass die Wehrpflicht eine heilige Pflicht ist, die durch Gesetze geregelt wird. Im zweiten Absatz stand, dass die Verteidigung der territorialen Integrität des Heimatlandes und die Wahrung der Staatsgeheimnisse Pflicht eines jeden Bürgers sind (SeG 24.2.2012). Männliche syrische Staatsbürger unterlagen grundsätzlich ab dem Alter von 18 Jahren dem verpflichtenden Wehrdienst für die Dauer von sieben Jahren. Unter 18-Jährige wurden von der syrischen Armee nicht eingezogen (ÖB Damaskus 2023). Im Gesetzesdekret Nr. 30, das 2007 erlassen worden ist, wurde der Wehrdienst gesetzlich geregelt. Die Dauer des Wehrdienstes betrug 24 Monate. Die Wehrpflicht begann am ersten Tag des Monats Jänner des Jahres, in dem der Bürger das achtzehnte Lebensjahr vollendete und endete in dem Jahr, in dem der Wehrpflichtige das zweiundvierzigste Lebensjahr überschritt oder er wurde von der Wehrpflicht befreit (PoS 12.5.2007). Laut Vertrauensanwalt der österreichischen Botschaft in Damaskus betrug die offizielle Wehrdienstzeit 2,5 Jahre. Danach musste man noch Reservedienst leisten. Dieser dauerte seit Ausbruch der Krise im Jahr 2011 oft bis zu sieben oder acht Jahre, sodass viele insgesamt zehn bis zwölf Jahre Wehrdienst leisten mussten (VA der ÖB Damaskus 22.9.2024). Bis vor den Fall des Regimes dauerte die Wehrdienstzeit oft nur mehr 6 oder 6,5 Jahre lang (OrthoPatSYR 22.9.2024).
Die Streitkräfte des Regimes setzten sich aus drei Kategorien von Personal zusammen: 1. freiwillig angeworbene Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, 2. Männer, die zum Militärdienst als Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften eingezogen wurden und 3. diejenigen, die zum Militärdienst einberufen wurden, d. h. syrische Staatsbürger, die das 18. Lebensjahr vollendet und eine Militärdienstakte erhalten hatten, ihren Dienst jedoch aus bildungsbezogenen oder sozialen Gründen aufgeschoben hatten, oder diejenigen, die ihren Pflichtdienst geleistet hatten und später zum Reservedienst einberufen wurden. Angesichts dessen war die syrische Regierung stark auf Reservisten angewiesen, um die Reihen der Streitkräfte zu füllen (Jusoor 1.10.2024). Die türkisch-russische Waffenstillstandsvereinbarung im März 2020 und die anschließende Einstellung größerer Militäroperationen boten dem Assad-Regime die Möglichkeit, Reformen im Militär- und Sicherheitssektor einzuleiten, darunter waren wesentliche Änderungen am Reservedienstsystem. Das Assad-Regime erkannte die Grenzen einer auf Wehrpflichtigen basierenden Armee, insbesondere nach Jahren des Konflikts, und strebte daher den Aufbau einer professionelleren Armee an, die auf Freiwilligendiensten basieren sollte. Zwischen Mitte 2023 und Mitte 2024 wurden mehrere Verwaltungsanordnungen erlassen. Dies markierte den Beginn eines umfassenderen Plans, der darauf abzielte, das syrische Militär in eine „professionelle, fortschrittliche, qualitative Armee“ umzuwandeln, wie es der Generaldirektor der Armee und Streitkräfte formulierte. Einer der ersten Schritte bei dieser Umgestaltung war die Verkürzung der Dauer des Reservedienstes, mit dem letztendlichen Ziel, die Wehrpflicht insgesamt neu zu definieren. Das Regime führte fünf- und zehnjährige Rekrutierungsverträge ein, die wettbewerbsfähige Gehälter und andere Anreize boten, darunter die Befreiung vom Pflichtdienst nach fünf Jahren. Außerdem wurde ein strukturierter Entlassungsplan eingeführt, der in drei Phasen mit einer maximalen Dauer von 24 Monaten unterteilt war (SO 12.8.2024).Im Zusammenhang mit diesen Änderungen hatte das Assad-Regime auch zahlreiche gesetzliche Änderungen am Militärdienstgesetz vorgenommen, das ursprünglich durch das Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 eingeführt wurde. Diese Änderungen waren von entscheidender Bedeutung, um unvorhergesehene Gesetzeslücken zu schließen und die Interessen des Regimes zu erweitern. So wurde beispielsweise im Jahr 2020 das Gesetzesdekret Nr. 31 eingeführt, das es syrischen Auswanderern ermöglichte, eine Barzulage von 5.000 US-Dollar für die Befreiung vom Reservedienst zu zahlen und so dringend benötigte Devisen für das Verteidigungsministerium zu generieren. Durch weitere Änderungen im Jahr 2022 wurden die Kriterien für die Befreiung von der Wehrpflicht bei Behinderung verfeinert und die Bedingungen für Einzelkinder oder ähnliche Fälle geklärt. Im Jahr 2023 führte das Regime altersbasierte Befreiungen ein, die es Personen im Alter von 40 Jahren – und später reduziert auf 38 Jahre – ermöglichten, eine Geldzulage von 4.800 US-Dollar zu zahlen, um dem Reservedienst zu entgehen. Bis 2024 wurden zusätzliche Bestimmungen für Personen mit Teilbehinderungen eingeführt, die es ihnen ermöglichten, eine reduzierte Geldzulage für die Befreiung zu zahlen, was mit den umfassenderen gesetzgeberischen Bemühungen zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen in Einklang steht (SO 12.8.2024). Im September 2024 wurde das Gesetzesdekret Nr. 20 erlassen, dass das Militärgesetz dahingehend abänderte, das Dienstalter für den Reservedienst von 40 auf 38 Jahre herabzusetzen (SANA 1.8.2024). Ende 2023 begann die syrische Regierung mit einer Kampagne zur nicht verpflichtenden Rekrutierung von Soldaten (Jusoor 1.10.2024). Im Freiwilligenvertrag, der am 21.11.2023 erlassen wurde, werden zwei Dienstperioden angeboten: fünf und zehn Jahre (Enab 2.8.2024). Anreize für die Rekrutierung von Freiwilligen sind finanzieller Natur, wie ein Gehalt von bis zu 1.300.000 Syrischen Pfund (SYP) für beide Zeitspannen, zusätzlich zu Bonuszahlungen, wie einem jährlichen Bonus, einem Heiratszuschuss im Wert von 2 Millionen SYP. Bedingungen für den Freiwilligendienst, sind unter anderem, dass der Freiwillige seit fünf Jahren die syrische Staatsangehörigkeit besaß, zum Zeitpunkt der Bewerbung zwischen 18 und 32 Jahre alt war, einen guten Leumund hatte, nicht wegen eines Verbrechens oder eines abscheulichen Verbrechens verurteilt worden war und nicht länger als drei Monate im Gefängnis gesessen hatte (Enab 28.11.2023).
Aufschub und Befreiung
Gemäß Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 konnte der Pflichtwehrdienst in folgenden Fällen verschoben werden:
1. Schüler und Studenten, die an anerkannten öffentlichen oder privaten Schulen, Instituten und Universitäten innerhalb oder außerhalb des Landes studierten, wenn sie ununterbrochen in Ausbildung waren, ein bestimmtes Alter nicht überschritten haben (das Alter variiert je Art der inskribierten Hochschule). In Kriegszeiten konnte der Studienaufschub für alle Syrer durch eine Entscheidung des Oberbefehlshabers aufgehoben werden.
2. Ein Sohn von Eltern oder einem Elternteil von zwei oder mehr wehrpflichtigen Söhnen, unter der Bedingung, dass die Anzahl derjenigen, die den Wehrdienst leisteten, zwei nicht überschreitet und die Anzahl derjenigen, die im aktiven Militärdienst sind, drei nicht überschritt. Die Eltern oder ein Elternteil (im Falle des Todes des anderen Elternteils) konnten den Sohn auswählen, der von der Wehrpflicht befreit werden sollte, solange dies nicht dazu führte, dass er das 37. Lebensjahr überschreitet (PoS 12.5.2007; vgl. VA der ÖB Damaskus 22.9.2024).
3. Eine Person, die nachweislich vorübergehend nicht diensttauglich war.
4. Ein Verurteilter für die Dauer seiner Strafe oder ein Untersuchungshäftling für die Dauer seiner Inhaftierung.
5. Ein Unterhaltspflichtiger, der nachwies, dass er für einen oder mehrere seiner Familienangehörigen sorgte, die keinen anderen Unterhaltspflichtigen hatten (PoS 12.5.2007).
Vom Wehrdienst befreit werden konnten Personen, in folgenden Fällen:
1. Ein Soldat, der eine aktive Dienstzeit von mindestens fünf Jahren abgeleistet hatte.
2. Wer zehn Jahre aktiven Dienst in den Kräften der Inneren Sicherheit geleistet hatte.
3. Personen, die aus medizinischen Gründen nicht diensttauglich waren (PoS 12.5.2007), beispielsweise durch Behinderungen oder durch bestimmte, schwere Krankheiten ab einem gewissen Krankheitsgrad (VA der ÖB Damaskus 22.9.2024).
4. Der Sohn von Eltern, die bereits ein Kind durch Märtyrertod verloren hatten (PoS 12.5.2007).
5. Der einzige Sohn einer Familie ohne weitere Kinder (PoS 12.5.2007; vgl.VA der ÖB Damaskus 22.9.2024)
6. Ein Sohn, dessen Geschwister durch Krankheiten oder Behinderungen daran gehindert waren, für sich selbst zu sorgen.
7. Doppelstaatsbürger, die in dem Land, in dem sie die zweite Staatsbürgerschaft neben der syrischen besitzen, Wehrdienst geleistet hatten (PoS 12.5.2007; vgl. VA der ÖB Damaskus 22.9.2024).
8. Wer die Ausgleichszahlung bezahlt hatte (PoS 12.5.2007).
Eine Ausgleichszahlung in Höhe von 3.000 US-Dollar konnte jener Wehrpflichtige bezahlen, der für den fixen Dienst vorgesehen war (SeG 8.11.2020). Ebenfalls wurde eine finanzielle Ausgleichszahlung von allen syrischen Staatsbürgern und Gleichgestellten akzeptiert, die der Wehrpflicht unterlagen und außerhalb der Arabischen Republik Syrien lebten (PoS 12.5.2007). Die Zahlung variierte je nach Dauer des Auslandsaufenthaltes: 7.000 US-Dollar für Wehrpflichtige, wenn der Wehrpflichtige mindestens vier Jahre vor oder nach Erreichen des wehrpflichtigen Alters im Ausland gelebt hatte, 8.000 US-Dollar, wenn der Wehrpflichtige mindestens drei Jahre, aber weniger als vier Jahre vor oder nach Erreichen des wehrpflichtigen Alters im Ausland gelebt hatte, 9.000 US-Dollar, wenn der Wehrpflichtige mindestens zwei Jahre, aber weniger als drei Jahre vor oder nach Erreichen des wehrpflichtigen Alters im Ausland gelebt hatte, 10.000 US-Dollar, wenn der Wehrpflichtige mindestens ein Jahr, aber weniger als zwei Jahre vor oder nach Erreichen des wehrpflichtigen Alters im Ausland gelebt hatte, 3.000 US-Dollar, wenn der Wehrpflichtige im Ausland geboren wurde und dort oder in einem anderen Land dauerhaft und ununterbrochen bis zum Erreichen des wehrpflichtigen Alters gelebt hatte, 6.500 US-Dollar, wenn der Wehrpflichtige im Ausland geboren wurde und dort mindestens zehn Jahre vor Erreichen des wehrpflichtigen Alters gelebt hatte. Von Letzterem wurden 500 US-Dollar abgezogen für jedes zusätzliche Jahr Aufenthalt im Ausland bis zu einem Maximum von 17 Jahren (SeG 8.11.2020). Diese Ausgleichszahlung war einmalig zu bezahlen. Das Geld, das durch diese Ausgleichszahlungen eingenommen wurde, geht auf das Konto des Verteidigungsministeriums auf der syrischen Zentralbank und wurde in das Jahresbudget übernommen (VA der ÖB Damaskus 22.9.2024). In manchen Fällen von Krankheit waren die betroffenen Personen zwar grundsätzlich tauglich, wurden aber nur im Büro eingesetzt (VA der ÖB Damaskus 22.9.2024). Christliche und muslimische Geistliche konnten weiterhin [Anm.: unter Assad] aufgrund von Gewissensgründen vom Wehrdienst befreit werden. Muslimische Geistliche mussten dafür eine Abgabe zahlen (USDOS 30.6.2024).
Reservedienst
Der Reservedienst wurde im Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 geregelt. Reservekräfte waren zusätzliche Kräfte in den Streitkräften, die aus Offizieren, Unteroffizieren und Angehörigen der Reserve bestanden. Zum Reservedienst zugeteilt wurd, wer den Wehrdienst abgeleistet hatte und die Altersgrenze für die Zuweisung noch nicht überschritten hatte, Wehrdienst in der Streitkraft eines anderen Landes abgeleistet hatte, den aktiven Dienst beendete und die Altersgrenze für den Reservedienst noch nicht überschritten hatte (PoS 12.5.2007).
2007 wurde das Gesetzesdekret Nr. 30 des Wehrdienstgesetzes erlassen, in dem die Ausnahmen vom Reservedienst geregelt sind. Eine Befreiung konnte gewährt werden, wenn eine dauerhafte gesundheitliche Untauglichkeit vorlag, für die verbleibenden Kinder eines oder beider Elternteile, die ein Kind durch Märtyrertod verloren hatten, für den einzigen Sohn von Eltern, die sich nicht selbst versorgen konnten und für den Vater eines Kindes, das den Märtyrertod erlitten hatte (PoS 12.5.2007). Im Jahr 2020 kam es zu einer Anpassung dieses Dekrets, wobei zur Befreiung noch hinzugefügt wurde, wer seinen Wohnsitz dauerhaft und seit mindestens einem Jahr außerhalb Syriens hatte und eine Barentschädigung von 5.000 US-Dollar bezahlte (SeG 8.11.2020). Zwischen Mitte 2023 und Mitte 2024 erließ die Armee des Regimes mehrere Verwaltungsanordnungen, um die Beibehaltung verschiedener Kategorien von Reservesoldaten zu beenden. Bis 2025 rechnete das Regime mit der Entlassung von etwa 152.000 Soldaten aus dem Reservedienst. Dieser Plan sah Bestimmungen für freiwillige Soldaten vor, wie z. B. eine fünfjährige Befreiung vom Reservedienst nach der Entlassung, die Möglichkeit, ein Jahr lang ununterbrochen oder mit Unterbrechungen Reservedienst zu leisten, und eine vollständige Befreiung vom Reservedienst für diejenigen, die Zehnjahresverträge abschlossen (SO 12.8.2024). Im September 2024 wurde das Gesetzesdekret Nr. 20 erlassen, dass das Militärgesetz dahingehend abänderte, dass das Dienstalter für den Reservedienst von 40 auf 38 Jahre herabsetzt und sodass man nach Zahlung einer Ausgleichsgebühr vom Reservedienst befreit war, wenn man nach ärztlicher Untersuchung eine Mindestinvalidität oder Teilinvalidität (mit der man trotzdem wehrdiensttauglich ist) feststellt (SANA 1.8.2024). Die syrische Regierung schränkte den Reservedienst ein, sodass er nicht mehr unbefristet war, sondern ab 1.7.2024 in drei Phasen bis Anfang 2026 auslaufen sollte. Das Regime behielt sich jedoch die Möglichkeit vor, die Dauer des Reservedienstes je nach Einstellungsquote zu ändern (Jusoor 1.10.2024).
Gemäß der Gesetzesnovelle Art 74 und 97 musste eine Strafe bezahlen, wer das 43. Lebensjahr ohne Ableistung des Wehrdienstes und ohne gesetzliche Befreiung erreichte bzw. kann sein Vermögen einbezogen werden. Um im Rahmen dieses Gesetzes eine Strafe zu erlassen oder Vermögen zu beschlagnahmen, brauchte es ein Präsidialdekret. Hin und wieder wurde bereits ein solches erlassen und vollstreckt. Das Dekret galt immer nur für kurze Zeit. Meistens ging es um eine bestimmte Person (VA der ÖB Damaskus 22.9.2024).
Laut Aussage des Vertrauensanwalts der österreichischen Botschaft in Damaskus wurde im Rahmen des Wehrpflichtgesetzes (Artikel 97) bisher noch kein Eigentum von Kriegsdienstverweigerern oder dessen Familien beschlagnahmt. Diese gesetzliche Regelung galt nur für reguläre Soldaten, nicht für Wehrpflichtige. Wenn Berufssoldaten desertierten, wurden sie, wenn sie aufgegriffen wurden, festgenommen und ihr Eigentum beschlagnahmt (VA der ÖB Damaskus 22.9.2024).
Spezialeinheiten und regierungsnahe Milizen
Die Spezialeinheiten waren reguläre Einheiten der Syrischen Arabischen Armee (Syrian Arab Army - SAA). Sie wurden aus anderen regulären Einheiten der SAA rekrutiert. Auch Wehrpflichtige und Reservisten konnten für den Dienst in einer Spezialeinheit eingeteilt werden. Die meisten syrischen Soldaten zogen es vor, nicht den Spezialeinheiten beizutreten, da die Ausbildung in diesen Einheiten intensiv und hart war (DIS 4.2023).
Bei der Rekrutierung von Freiwilligen konkurrierte die SAA mit ihren Verbündeten, Russland und Iran, die Mitglieder für ihre Milizen anwerben wollten und dafür bessere finanzielle und Sicherheitsprivilegien versprechen. Die 47. Brigade in Hama war beispielsweise ein wichtiges Rekrutierungszentrum für iranische Milizen, in dem denjenigen, die sich dort melden, eine vollständige Befreiung vom Pflichtdienst in den Streitkräften des Regimes angeboten wurde, wenn sie nur anderthalb Jahre dienten. Danach durften sie aus dem Dienst entlassen werden. Ebenso bietet Special Missions for Protection and Security Guards, ein syrisches Unternehmen, das für Russland arbeitete, regelmäßig Stellen als Wächter für Ölanlagen an. Im Gegenzug erhielten die Bewerber angenehme Arbeitszeiten, eine Sicherheitskarte und eine Normalisierung des rechtlichen Status derjenigen, die ihren Pflichtdienst nicht abgeleistet hatten (Jusoor 1.10.2024). Der Vertrauensanwalt der österreichischen Botschaft in Syrien gab an, dass der Dienst in einer regierungsnahen Miliz nicht als Wehrdienstzeit anerkannt wurde. Die regierungsnahen Milizen bestanden zu fast 50 % aus Reservisten. Bei der von Russland angeführten 5. Brigade beispielsweise bekamen die Soldaten 800 US-Dollar als Gehalt (VA der ÖB Damaskus 22.9.2024).
Amnestien
Am 22.9.2024 wurde das Präsidialdekret Nr. 27 erlassen, das eine Amnestie für Verbrechen, die vor diesem Datum begangen wurden, ermöglichte, darunter auch für Fahnenflucht nach innen und außen, wie in den Artikeln 100 und 101 des Militärstrafgesetzbuches definiert. Wie bei früheren Dekreten waren jedoch Personen, die untergetaucht oder auf der Flucht waren, von diesem Dekret ausgeschlossen, es sei denn, sie stellten sich innerhalb von drei Monaten (bei interner Fahnenflucht) oder vier Monaten (bei externer Fahnenflucht). Das Dekret nahm jedoch die Artikel 102 und 103 des Militärstrafgesetzbuches aus, die sich mit „Überlaufen zum Feind“ und „Verschwörung zum Überlaufen“ befassten und beide mit dem Tod bestraft werden konnten. Das Regime stufte Militärangehörige, die übergelaufen waren, um sich den Oppositionskräften anzuschließen, nach diesen Artikeln ein. Darüber hinaus fielen Artikel wie 137 bis 150, die lange Haftstrafen oder die Todesstrafe vorsahen, nicht in den Geltungsbereich dieser Amnestie. In der Praxis waren Personen, die von Sicherheitsbehörden gesucht wurden, von den Amnestien ausgeschlossen, da diese Behörden außerhalb der gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Aufsicht agierten. Staatsanwälte besuchten keine Sicherheitsabteilungen, um festzustellen, ob Inhaftierte für eine Amnestie in Frage kamen, und beschränkten ihre Aufsicht auf offizielle Gefängnisse und Haftanstalten (OSS 5.11.2024).
12. Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
[Im Folgenden wird der aktuelle Informationsstand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social-Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformation entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Die sunnitischen Muslime machen die Mehrheit der Bevölkerung des Landes aus. Obwohl die offiziellen Bevölkerungsstatistiken keine Angaben zu Religion oder ethnischer Zugehörigkeit enthalten, sind laut dem Bericht des US-Außenministeriums über Religionsfreiheit aus dem Jahr 2022 74 % der Bevölkerung Sunniten, mit einer vielfältigen ethnischen Mischung aus mehrheitlich Arabern, Kurden, Tscherkessen, Tschetschenen und einigen Turkmenen. Sunniten sind in den meisten syrischen Städten und Dörfern vertreten, mit bemerkenswerten Konzentrationen in Damaskus, Aleppo und Homs. Neben den Sunniten gibt es weitere islamische Gruppen, darunter Alawiten, Ismailiten und andere schiitische Sekten, die nach Schätzungen des US-Außenministeriums zusammen 13 % der Bevölkerung ausmachen. Die Vielfalt Syriens beschränkt sich nicht auf die konfessionelle Dimension, sondern erstreckt sich auf zahlreiche ethnische Gruppen wie Kurden, Armenier, Turkmenen, Tscherkessen und andere. Araber sind die überwältigende Mehrheit in Syrien, gefolgt von Kurden (BBC 12.12.2024). Die Übergangsregierung in Syrien will sich nach Aussagen ihres Außenministers ash-Shaybani für die Inklusion aller Bevölkerungsgruppen im Land einsetzen. Niemand sollte aufgrund seiner Herkunft, seines sozialen oder religiösen Hintergrunds oder einer Zugehörigkeit zu bestimmten Bevölkerungsgruppen bestraft werden, sagte er beim Weltwirtschaftsforum in Davos (Zeit Online 23.1.2025). Demografische Daten für Syrien sind unzuverlässig, und die derzeitigen Standorte von Minderheitengemeinschaften sind aufgrund der erheblichen Umwälzungen, die das Land unter der Herrschaft von Bashar al-Assad erlebte, ähnlich schwer zu ermitteln (MRG 1.2025).
Auf folgender Karte von France 24 ist die ethnische und religiöse Zusammensetzung Syriens dargestellt:
FR24 26.12.2024a
Obwohl die Zahlen nicht überprüft werden können, wird geschätzt, dass weit über 500.000 Menschen getötet wurden und über zwölf Millionen innerhalb Syriens oder ins Ausland vertrieben wurden, darunter Alawiten, Christen (einschließlich Armenier und Assyrer), Drusen, Ismailiten, Kurden, Turkmenen, Zwölfer-Schiiten, Jesiden und andere. Al-Assads zynische Mobilisierung von Ängsten innerhalb der Gemeinschaft vor dem Hintergrund des wachsenden Einflusses extremistischer Elemente innerhalb der syrischen Oppositionskräfte führte zu einer zunehmend konfessionell geprägten Landschaft – beschleunigt durch die Vertreibung von Minderheiten durch militante Gruppen in Gebieten, die unter ihrer Kontrolle standen. Infolgedessen hat sich die Demografie des Landes neu geordnet, wobei sich die religiösen Minderheiten in den von der Regierung kontrollierten Gebieten in Zentral- und Südsyrien konzentrieren, während die Bevölkerung im Norden nun größtenteils sunnitisch ist (MRG 1.2025).
Tatsächlich kam es bei dem rasanten Vormarsch auf Damaskus Berichten zufolge nicht zu Racheakten oder Gewalttaten. In seiner ersten Rede in Damaskus trat ash-Shara' ebenfalls mäßigend auf und mahnte den Übergang vom Kampf zum Aufbau der Institutionen an (Rosa Lux 17.12.2024). Insbesondere Alawiten und Christen sind besorgt, dass die Zukunft des neuen Syriens für ihre Gemeinschaften, von denen viele die Revolution im Jahr 2011 und den anschließenden 13-jährigen Bürgerkrieg ablehnten, nicht tolerant sein könnte (Independent 12.12.2024). Von Anfang an zeigten die neuen Behörden bewusst die Absicht, eine Abkehr von den spaltenden Praktiken ihrer Vorgänger zu signalisieren. In Aleppo nahm Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) Kontakt zu prominenten christlichen Führern und Geistlichen verschiedener Konfessionen auf, um die angespannten Beziehungen zu verbessern und ein Gefühl der Sicherheit zu fördern. Diese Treffen waren nicht oberflächlich, sondern beinhalteten Diskussionen über konkrete Missstände, wie die Ungerechtigkeiten, mit denen Christen in Jisr ash-Shughur ein Jahr zuvor konfrontiert waren. Einige dieser Missstände wurden inzwischen angegangen, hauptsächlich durch Rechenschaftspflicht und die Rückgabe von Eigentum an die rechtmäßigen Eigentümer. Dies ist ein beispielloser Schritt, der das Verständnis der Führung für die Notwendigkeit von Inklusion unterstreicht, wenn auch sorgfältig gesteuert (AC 20.12.2024). Anderen Berichten zufolge gab es durchaus gewaltsame Übergriffe, Morde und andere Racheakte von HTS-Kämpfern gegen Andersgläubige (National 6.1.2025). Einem libanesischen Zeitungsbericht zufolge, der Betroffene zitiert, sollen vor allem Nachbarn und Bekannte Racheakte an Andersgläubigen verübt haben. Viele Angehörige verschiedener religiöser Minderheiten sind in den Libanon geflohen (Nahar 1.1.2025).
Ash-Shara' hat Befehle erlassen, Kreuze an Kirchen zu lassen und Weihnachtsdekoration zu schützen und die schiitischen Schreine zu respektieren sowie Bars und Lokale in Ruhe zu lassen, in denen Frauen und Männer miteinander tanzten. Das ist anders als in Idlib, wo solcher vermeintlicher Verderbtheit Schuldige, getötet, bekehrt oder vertrieben und ihre Räumlichkeiten, einschließlich Kirchen, geschlossen würden (Economist 14.1.2025). HTS-Beamte haben umfangreiche Kontaktkampagnen mit Vertretern aller religiösen Glaubensgemeinschaften gestartet, und die christlichen und drusischen Gemeinschaften in ganz Westsyrien scheinen überwiegend in Frieden zu leben. Nur in den alawitischen Gemeinden hat die Jagd nach Kriminellen zu wiederholten Verstößen gegen Zivilisten geführt. Diese werden als Einzelfälle deklariert (MEI 21.1.2025). Als christliche Führer von Problemen berichteten - wie dem Auftauchen einiger islamistischer Prediger, die versuchten, Christen in der Altstadt von Damaskus zu bekehren - habe die neue Regierung schnell gehandelt, um die Ruhe wiederherzustellen (Arabi21 3.2.2025).
Ash-Shara' hat erklärt, dass weder die Kurden noch die Drusen unter dem Vorwand der Angst vor der islamischen Mehrheit Syriens auf Autonomie hinarbeiten dürfen. Er verlangt von ihnen, sich in der neuen Ordnung einzugliedern und ihre Waffen niederzulegen. Die Kurden sollen keine unabhängigen oder individuellen Beziehungen zu ausländischen Akteuren unterhalten (Akhbar 31.12.2024).
Laut Beobachtern hat Iran nach dem Sturz des Regimes eine groß angelegte Desinformationskampagne gestartet, die primär darauf abzielt, religiöse Konflikte in Syrien zu schüren und damit die fragile Lage in dem Land zu destabilisieren. Dabei werden in den sozialen Netzwerken massenhaft falsche oder irreführende Berichte von Gewalttaten gegen Schiiten, Alawiten und Christen verbreitet, die angeblich von Kämpfern der islamistischen Miliz Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) verübt wurden. Dass es tatsächlich iranische Akteure sind, die diese Berichte streuen, lässt sich in den wenigsten Fällen nachweisen. Doch die schiere Anzahl von Postings lässt darauf schließen, dass es sich um eine organisierte Kampagne handelt (NZZ 8.1.2025). Auch Enab Baladi berichtet von irreführenden Videos, die in sozialen Medien verbreitet werden, um Zwietracht zu säen und die Sicherheitslage zu gefährden (Enab 10.1.2025).
Obwohl der Rebellenführer mit dem Versprechen angetreten ist, das gesamte syrische Volk zu vertreten, sitzt in der Interimsregierung weder ein Alawit noch ein Schiit, noch ein Druse oder ein Christ (NZZ 24.1.2025). Zudem gab es in den Wochen nach dem Umsturz immer wieder Berichte von Übergriffen gegen diese Minderheiten (ORF 27.1.2025). In einem Interview mit dem Economist versprach ash-Shara', dass nach Ablauf einer dreimonatigen Frist, Anfang März, eine breitere und vielfältigere Regierung etabliert werde, an der alle Teile der Gesellschaft teilhaben werden. Das Auswahlverfahren wird auf Kompetenz und nicht auf ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit basieren (Economist 3.2.2025).
Eines der drängendsten Probleme sind nicht sektiererisch motivierte Angriffe, sondern vielmehr der undurchsichtige Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben (von denen die meisten aufgrund der Natur des Regimes Alawiten sind) (MEI 21.1.2025). [Weiterführende Informationen zu Übergriffen etc. auf ethnische oder religiöse Minderheiten finden sich in den Kapiteln Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024) und Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
Religiöse Minderheiten
Christen
Syrien war ein wichtiges kulturelles Zentrum für das Christentum, mit Dutzenden von Kirchen und Klöstern. Vor 2011 lebten 2,2 Millionen Christen (ca. 10 % der syrischen Bevölkerung) in Syrien (BBC 12.12.2024). Viele haben al-Assad unterstützt oder sind aus Angst vor islamistischen Aufständischen geflohen (AP 15.12.2024a). Die amerikanische Nichtregierungsorganisation Open Doors schätzt, dass nur noch 3 %, also etwa 638.000, übrig geblieben sind (BBC 12.12.2024). Der Patriarch der syrischen orthodoxen Kirche schätzt, dass noch ca. 500.000 Christen im Land leben (OrthoPatSYR 22.9.2024). Die meisten Christen leben noch in den Städten Damaskus, Aleppo, Homs, Hama, Latakia und den umliegenden Gebieten sowie in der Provinz al-Hasaka im Nordosten des Landes. Sie sind auf mehrere Konfessionen verteilt, darunter orthodoxe, katholische und protestantische (BBC 12.12.2024). Die Christen in Syrien werden oft beschuldigt, das frühere Regime unterstützt zu haben. Tatsächlich betrachteten viele von ihnen al-Assad als das kleinere Übel, nachdem radikale islamistische Gruppen in der bewaffneten Revolte die Oberhand gewonnen hatten. Aber es gab auch viele Christen, die sich dem Aufstand anschlossen und später getötet oder ins Exil gezwungen wurden (Spectator 2.2.2025). Christen konnten sich aufgrund ihrer Präsenz in städtischen Zentren, in denen schwere Kämpfe stattfanden, und in den vom Islamischen Staat (IS) überrannten Regionen im Nordosten des Landes weniger gut aus dem Konflikt heraushalten. In von der Opposition kontrollierten Gebieten verbargen Christen ihre religiöse Identität und kleideten sich muslimisch, um nicht aufzufallen. Die Angst vor extremistischen Gruppen war ein zentraler Faktor für die Auswanderung von Christen aus Syrien (MRG 1.2025).
Ash-Shara' selbst, sagte, dass die Übergangsregierung gute Kontakte zu Christen und Drusen unterhalten würde, die mit ihnen gemeinsam gegen die Syrische Arabische Armee (Syrian Arab Army - SAA) gekämpft hatten (MEMRI 16.12.2024). Christliche Autoritäten sagten am 16.12.2024 in einem Interview, dass sie bisher, abgesehen von den medialen Versprechungen der HTS, wenig in der Umsetzung beobachten konnten. Bisher hatten sie nur mit einem Militärkommandanten gesprochen, sonst mit keinem offiziellen Vertreter der Interimsregierung bzw. der führenden Gruppierungen (AAA 16.12.2024). Am 31.12.2024 traf sich ash-Shara' schließlich mit hochrangigen christlichen katholischen, orthodoxen und anglikanischen Geistlichen in Damaskus (AJ 31.12.2024a; vgl. Croix 2.1.2025). Dabei sicherte er den Christen zu, dass sie unbehelligt im Land bleiben und ihre Religion frei ausüben können (VN 2.1.2025). Christen, die bereits unter der HTS-Regierung gelebt haben, geben an, dass sie zu Beginn der Herrschaft der Gruppierung diskriminiert wurden, beispielsweise durch Beschlagnahmung ihres Eigentums und durch Verbote ihre religiösen Rituale zu praktizieren. Erst in den letzten zwei Jahren vor al-Assads Sturz hat die HTS sich geändert und der christlichen Gemeinschaft mehr Freiheiten gegeben (BBC 18.12.2024).
Die Zusicherung der neuen Regierung, die Religionsfreiheit zu respektieren, betrachten viele Christen mit Skepsis, wobei regional große Unterschiede bestehen. Aus manchen syrischen Regionen werden vereinzelte Einschränkungen der Religionsfreiheit für Christen durch Islamisten gemeldet. In einigen Orten hätten radikale Gruppen zum Beispiel getrennte Sitzplätze für Frauen und Männer in öffentlichen Verkehrsmitteln oder die Pflicht zur Verschleierung für Frauen durchsetzen können. Den Erfolg dieser Maßnahmen führen die Beobachter bisher noch auf das Fehlen einer einheitlichen Verwaltung nach dem Machtwechsel zurück (ACN 3.2.2025). Nach dem Sturz von al-Assad schossen unbekannte Bewaffnete auf die griechisch-orthodoxe Erzdiözese in Hama und versuchten Kultstätten zu zerstören (SOHR 19.12.2024; vgl. SNHR 19.12.2024). Kurz vor Weihnachten wurde ein Christbaum in einer mehrheitlich von Christen bewohnten Stadt in Zentralsyrien von maskierten Männern angezündet. Es kam zu Protesten in mehreren Landesteilen. Die HTS gab bekannt, dass ausländische Kämpfer wegen des Vorfalls festgenommen worden seien und versicherte, dass der Baum wiederhergestellt werden würde (BBC 24.12.2024). Die HTS hat versucht in den von ihr kontrollierten Gebieten ein gewisses Maß an Toleranz gegenüber bestimmten Minderheiten, insbesondere Christen, zu zeigen, im Vergleich zu der mit al-Qaida verbundenen Gruppierung, aus der sie hervorgegangen ist. Seit der Machtübernahme in Damaskus und weiten Teilen Syriens im Dezember 2024 hat die Gruppe im Allgemeinen Zurückhaltung bei der Behandlung christlicher und schiitischer bzw. alawitischer Denkmäler und Gemeinden gezeigt (FR24 13.12.2024). [Weitere Informationen über den Umgang mit Minderheiten, wie Christen, finden sich in den Kapiteln Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024) und Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
In Damaskus haben sich lokale christliche Freiwillige zum Schutz christlicher Viertel bewaffnet und an Straßenecken aufgestellt (Spectator 2.2.2025).
Schiitische Gruppierungen
Syrien ist das Hauptzentrum der Nizari-Ismaili-Gemeinschaft im Nahen Osten, die sich selbst als die zweitgrößte schiitische Gruppe nach den Zwölfer Schiiten betrachtet. Die Ismailiten zählen etwa 250.000 Menschen und machen 1 % der Gesamtbevölkerung Syriens aus. Sie leben in der Stadt Salamiya, 30 Kilometer östlich von Hama, und sind auch in einer Reihe von Städten und Dörfern in der Umgebung von Hama vertreten, wie Masyaf, Qadmous und Nahr al-Khawabi (BBC 12.12.2024).
Für die Ismailiten von Salamiya verlief der Machtwechsel bemerkenswert reibungslos, da sich die Stadt ohne Gewalt ergab. Diese kooperative Übergabe spiegelt die langjährigen Spannungen zwischen der ismailitischen Gemeinschaft und dem Assad-Regime wider, das sie im Laufe der Jahre an den Rand gedrängt hatte (AC 20.12.2024).
Der syrische Verteidigungsminister Abu Qasra sagte, dass Schiiten ihre Rechte innerhalb der vom Staat festgelegten Regeln ausüben können. Sie seien "Teil der Mission" des "neuen Syriens" (MEMRI 21.1.2025). Weiters sagte er, dass die schiitischen Gemeinschaften in Syrien – ob in Nubul, Zahra, Sayyida Zainab oder anderen Gebieten – Teil des sozialen Gefüges Syriens sind. Es liege in der syrischen Verantwortung – nicht in der Irans – ihre Rechte zu gewährleisten und sie als syrische Bürger zu schützen (Al Majalla 24.1.2025).
Alawiten
Der Alawismus ist eine schiitische Sekte des Islam. Das Wort 'Alawi - علوي bedeutet „Anhänger von Ali“, einem Cousin und Schwiegersohn des Propheten Mohammed. Nach Angaben von Reuters stellen die Alawiten in Syrien mit 10 % der Gesamtbevölkerung die größte religiöse Minderheit dar. Die Alawiten sind seit dem 12. Jahrhundert n. Chr. in Syrien ansässig und leben vor allem an der Mittelmeerküste, in den Städten Latakia und Tartus (BBC 12.12.2024). Dem Alawismus gehören ca. 2-3 Millionen Syrer an (AlMon 11.1.2025). Die Alawiten wurden erst 1932 offiziell als Muslime anerkannt (TWI 31.12.2024).
Der alawitischen Minderheit wird unterstellt, dass sie von Assads Regime unterstützt wurde, weil auch er und seine Familie Alawiten sind (PBS 16.12.2024). Unter al-Assad arbeiteten mehr als 80 % der Alawiten für den Staat, sie stellten den Großteil der Armee und des Geheimdienstoffizierskorps, die meisten leitenden Regierungsbeamten und die meisten Führungskräfte in der öffentlichen Industrie. Während des Bürgerkriegs erhielten die Frauen und Kinder getöteter alawitischer Soldaten öffentliche Jobs, um ihre Verluste auszugleichen, wodurch die Zahl derer, die ihren Lebensunterhalt dem Staat und der Familie al-Assad verdankten, noch weiter anstieg (TWI 31.12.2024). Die alawitischen Gemeinschaften besetzten zwar überproportional viele Schlüsselpositionen im Regime, gehören aber auch zu den ärmsten in Syrien (Independent 12.12.2024). Abgesehen von den Familienangehörigen al-Assads und seinen Anhängern litt die alawitische Minderheit unter Armut (PBS 16.12.2024). Die Familie al-Assad verließ sich auf die Alawiten, die seit ihrer Machtübernahme im Jahr 1970 viele Führungspositionen im Regime innehatten. In vielen Berichten wurde darauf hingewiesen, dass sie in früheren Kriegsjahren überproportional häufig vom Assad-Regime zur Wehrpflicht eingezogen wurden. Die Schätzungen gehen zwar auseinander, aber alle stimmen darin überein, dass in diesem Konflikt mindestens Zehntausende Alawiten getötet wurden (Independent 12.12.2024). In den nach dem Sturz des Regimes zurückgelassenen Geheimdienstdokumenten soll auch eines gefunden worden sein, dass die Hinrichtung von 2.459 alawitischen Soldaten anordnete. Der Grund für die Hinrichtung war die Nichteinhaltung militärischer Befehle. Den Familien soll mitgeteilt worden sein, dass die Soldaten auf dem Schlachtfeld gefallen seien. Das Dokument, das auf den 1.3.2015 datiert, soll auch beinhalten, dass damals 1.796 Soldaten inhaftiert wurden und ihren Familien mitgeteilt wurde, sie seien entführt worden (AlHurra 15.12.2024b). Die neue Regierung soll Berichten zufolge eine Liste mit 250 Namen angelegt haben - die Mehrheit davon Alawiten - welche die neue Regierung als Kriminelle betrachtet, die verhaftet und strafrechtlich verfolgt werden sollten. In Einzelheiten über laufende Treffen mit alawitischen Würdenträgern in großen Städten oder an der syrischen Küste sagt das neue Regierungsteam, dass die Alawiten ihre Loyalität für die neue Regierung unter Beweis stellen und Verbindungen zu al-Assads Unterstützer abbrechen müssen (Akhbar 31.12.2024). Obwohl die neue Regierung es auf ehemalige Regierungsbeamte und Soldaten abgesehen hat, sind die alawitischen Stadtviertel von Angst erfüllt, aufgrund beunruhigender Berichte über Morde und Verschwindenlassen in diesen Gebieten (AlMon 11.1.2025).
Syrienexperte Fabrice Balanche glaubt, dass ash-Shara' unter dem Vorwand, eine „Entba'athifizierung“ innerhalb der Armee und der Regierung durchzuführen, mit ziemlicher Sicherheit einen „Entalawitisierungsprozess“ einleiten wird. Das bedeutet, dass die alawitische Küstenregion ihre Bestimmung als Zufluchtsort wiederentdecken muss. Viele Alawiten, die in Damaskus, Homs und den umliegenden Gebieten im Landesinneren leben, werden sich wahrscheinlich gezwungen sehen, in ihre Heimat zurückzukehren – auf Grundstücke, die sie nicht nur als Urlaubsdomizile, sondern auch als Absicherung für die Zukunft angelegt haben. Wenn sie in anderen Teilen Syriens bleiben, könnte ihr Leben angesichts der Rückkehr vertriebener, potenziell rachsüchtiger Sunniten schnell schwierig und sogar gefährlich werden. Viele Mitglieder der neuen sunnitischen Führung in Damaskus und ihre Anhänger tragen vermutlich ein Erbe religiöser und sozialer Feindseligkeit gegenüber den Alawiten im Allgemeinen in sich. Die Sekte könnte einer kollektiven Bestrafung ausgesetzt sein, selbst jene Alawiten, die sich al-Assad widersetzt haben, anstatt ihm zu helfen (TWI 31.12.2024). Diese Meinung stützen Berichte von "The National", wonach am 6.1.2025 eine Kampagne zur Ergreifung von Regimegegnern intensiviert wurde, obwohl die Befürchtung besteht, dass es zu sektiererischer Vergeltung kommen könnte, die den Staatsaufbau untergraben würde. In den Wochen nach dem Umsturz haben Mitglieder der alawitischen Gemeinschaft in den sozialen Medien Videos veröffentlicht, die angeblich HTS-Mitarbeiter zeigen, wie sie junge alawitische Männer in Homs und Umgebung sowie in der bergigen Küstenregion schlagen und mit Füßen treten. HTS-geführte Formationen sollen bei den Übergriffen etwa 75 Alawiten getötet haben, darunter mehrere Frauen (National 6.1.2025). In der Umgebung von Latakia und Tartus hat HTS Operationen durchgeführt, um Reste des Regimes gefangen zu nehmen, und ist dabei gelegentlich mit Soldaten der Armee zusammengestoßen, die ihre Waffen nicht niedergelegt hatten (Economist 8.1.2025). In Homs, einer mehrheitlich von Sunniten bewohnten Stadt, in die al-Assad massenhaft Alawiten umsiedelte, fordern aus dem Norden zurückkehrende Sunniten gewaltsam ihre Häuser zurück (Economist 14.1.2025).
Die neue Regierung verzichtete darauf, den Alawiten gezielte Zusicherungen zu geben, und verankerte stattdessen ihre Botschaften von Gerechtigkeit und Versöhnung in breiter gefassten Erklärungen. Die neuen Behörden betonten, dass niemand ohne ein ordnungsgemäßes Verfahren und eindeutige Beweise für ein Fehlverhalten mit Vergeltung rechnen müsse. Der Einsatz von Rebellen in Latakia und den umliegenden Bergen erfolgte ohne nennenswerte Gewalt, mit ausdrücklichen Anweisungen, öffentliches Eigentum zu schützen und Vergeltungsangriffe zu verhindern. Solche Maßnahmen deuten darauf hin, dass man versucht, die Angst der Alawiten vor einer Kollektivstrafe zu mildern – eine Gemeinschaft, die durch ihre historische Verbindung mit dem Assad-Regime belastet ist (AC 20.12.2024). The Economist schreibt, dass HTS – eine Gruppe, die von den Alawiten einst als existenzielle Bedrohung angesehen wurde – heute von ihnen oft als die einzige Kraft angesehen wird, die sie vor Extremisten schützen kann. Die Gruppierung aber ist damit beschäftigt, Damaskus zu regieren (Economist 8.1.2025). Anfang Februar wurde der Oberste Alawitische Islamische Rat in Syrien und der Diaspora gegründet, dessen Ziel es ist, sicherzustellen, dass die alawitische Gemeinschaft ein authentischer Teil des syrischen Gefüges ist. Er soll bis zum Ende der Übergangsphase und der Errichtung eines verfassungsmäßigen Staates bestehen. Der Rat soll vom Mufti von Latakia geleitet werden und sich aus 130 Scheichs aus verschiedenen Gouvernements zusammensetzen (Akhbar 4.2.2025).
Alawiten sagen, dass sie seit dem Sturz al-Assads am 8.12.2024 religiös motivierten Angriffen ausgesetzt sind, während die neuen Behörden angaben, dass sie versuchen, die Ängste zu zerstreuen und sich verpflichten, Täter von Verbrechen zu verfolgen, und versprechen, die Sicherheit für Minderheiten wieder herzustellen (FR24 6.2.2025). The Economist erkennt kaum Anzeichen für eine Vergeltung durch HTS gegen die Alawiten. Nach dem Sturz des Assad-Regimes kam es zu einem Sicherheitsvakuum im Gebiet der Alawiten, das durch Rebellengruppierungen, von denen einige von der Türkei unterstützt werden, gefüllt wurde, die sich mit Plünderungen und Entführungen gerächt haben. Dutzende Männer, darunter Studenten ohne Verbindungen zum alten Regime, wurden von solchen Gruppierungen festgenommen, die undiszipliniert sind und sich selten zu erkennen geben. Einheimische berichten, dass HTS-Beamte zwar Verständnis zeigen, aber auch sagen, dass sie keine Ahnung haben, wer die Täter sind (Economist 8.1.2025). Kurz nach dem Sturz des Assad-Regimes kam es zu Vorfällen gegen religiöse Heiligtümer, wie Schreine der alawitschen Gemeinschaft in der Provinz Hama (SOHR 19.12.2024). Ende Dezember 2024 kam es daraufhin zu Protesten in Aleppo (DW 28.12.2024). Seit al-Assads Sturz wurden Aktivisten und Beobachtern zufolge Dutzende Syrer bei Racheakten getötet, die überwiegende Mehrheit von ihnen aus der Minderheit der Alawiten (AP 26.12.2024). Telegram-Kanäle, die vom Iran unterstützte irakische Milizen unterstützen, berichteten von Angriffen auf alawitische Bevölkerungsteile durch dschihadistische Gruppierungen. Alawitische Scheichs verurteilen Raubmord an Gemeinschaftsmitgliedern, fordern das Militäreinsatzkommando auf, Mörder hinzurichten und Räte zum Schutz alawitischer Gebiete zu bilden. Auf dschihadistischen, teilweise der HTS-nahestehenden Social-Media-Kanälen wird gegen Alawiten gehetzt, ihnen gedroht und eine Amnestie für Alawiten verurteilt (MEMRI 17.12.2024). Seit al-Assads Sturz ist es immer wieder zu sektiererischer Gewalt gekommen, aber nicht annähernd in dem Ausmaß, wie es nach fast 14 Jahren Bürgerkrieg, bei dem schätzungsweise eine halbe Million Menschen getötet wurden, befürchtet wurde (AP 26.12.2024). Es haben sich Berichte über Beleidigungen, Schikanen, Razzien, Verschleppungen und Morde in den sozialen Medien gehäuft. Videos, die angeblich zeigen, wie HTS-Kämpfer Alawiten demütigen, schlagen oder zu Gewalt gegen Alawiten anstiften, kursieren ohne Überprüfung. Von offizieller Seite werden die Vorfälle als Einzelfälle deklariert und erklärt, dass keine Unterschiede zwischen den Gemeinschaften gemacht und zu allen guten Beziehungen unterhalten werden. Das Problem seien diejenigen, die ihren Status nicht geregelt oder Waffen versteckt haben. Andere hätten nichts zu befürchten. Das Problem sei, dass ein Klima der Angst durch die Verbreitung gefälschter Videos geschürt werde (FR24 13.1.2025). Das Middle East Institute schreibt, dass es Gerüchte über religiös motivierte Übergriffe auf Minderheiten durch die neuen Streitkräfte gäbe und diese Gerüchte einerseits durch gefälschte Kampagnen für al-Assad und andererseits durch real stattgefundene Übergriffe in diesen Gemeinschaften angeheizt werden. Viele dieser Gerüchte lassen sich nicht überprüfen, während andere von Faktenprüfungsorganisationen schnell widerlegt werden. Es wird argumentiert, dass viele der bestätigten Verstöße eher auf mangelnde Professionalität bei der Festnahme gesuchter Personen als auf explizit sektiererische Motive zurückzuführen scheinen. Viele Verbrechen werden von Banden und Zivilisten begangen, die nicht mit der neuen Regierung verbunden sind, während einige einfache Soldaten und lokale Befehlshaber an sektiererisch motivierten Schikanen und Entführungen alawitischer Zivilisten beteiligt waren. Kriminelle Banden und Einzelpersonen suchen auch in dieser neuen Ära nach Sicherheits- und Verwaltungslücken, die sie ausnutzen können, was zu vielen Verstößen führt, die eindeutig nicht religiös motiviert sind. Andere, stärker sektiererisch motivierte Verbrechen, die sowohl von Einzelpersonen als auch von Sicherheitskräften begangen wurden, scheinen andere Beweggründe zu haben, wie Vergeltung, was vor allem in Homs und Teilen von Hama ein Problem darstellte, wo lokale Sunniten aus Städten, die Massaker durch benachbarte alawitische Milizen erlitten hatten, Racheakte verübten (MEI 21.1.2025). Angesichts der anhaltenden Repressalien waren zahlreiche Alawiten, die in gemischten Provinzen wie Homs und Hama lebten, gezwungen, in die relative Sicherheit der Küstendörfer zurückzukehren (FR24 6.2.2025).
Am Jahrestag des berüchtigten Massakers von Hama verzeichnete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte die Hinrichtung von zehn Mitgliedern der alawitischen Glaubensgemeinschaft in der Provinz Hama. Hinter den Hinrichtungen soll eine Gruppierung namens Ansar as-Sunna stecken (SOHR 2.2.2025). Seit dem Sturz von Assad sind die Spannungen vor dem Hintergrund konfessioneller Angriffe auf die Alawiten, die Syrien mehr als 50 Jahre lang unter der Familie Assad regiert haben, eskaliert (SOHR 10.3.2025a). An der syrischen Küste und im Latakia-Gebirge kam es Anfang März 2025 zu Liquidierungsaktionen auf sektiererischer und regionaler Basis, bei denen Hunderte von Bürgern, darunter Frauen und Kinder, getötet wurden. Sicherheitskräfte, Mitglieder des Verteidigungsministeriums und die mit ihnen verbündeten Kräfte begingen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen (SOHR 10.3.2025b). Die meisten der Getöteten scheinen der alawitischen Gemeinschaft anzugehören (SOHR 10.3.2025a; vgl. TWI 10.3.2025), die vor allem in den Küstenprovinzen, einschließlich der Städte Latakia und Tartus, lebt. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass bei diesen Zusammenstößen Hunderte von Zivilisten getötet wurden. Anwohner der Küstenregion berichteten, dass viele Häuser alawitischer Familien geplündert und niedergebrannt wurden (SOHR 10.3.2025a). Unter den von Aufständischen des ehemaligen Regimes Getöteten, befanden sich Sunniten, Christen, aber auch Alawiten (TWI 10.3.2025). [Weitere Informationen zum Umgang mit Alawiten, Racheakten, Übergriffen etc. finden sich in den Kapiteln Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024) und Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024). Informationen zu den Vorfällen im März 2025 fiden sich darüber hinaus im Kapitel Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
Drusen
Die Drusen, die sich selbst als „Monotheisten“ bezeichnen, was bedeutet, dass sie an nur einen Gott glauben, machen 3 % der syrischen Bevölkerung aus, also etwa 700.000 Menschen. Es wird angenommen, dass sich die drusische Sekte während der fatimidischen Periode im 10. Jahrhundert vom Ismailismus abgespalten hat, aber einige Gelehrte betrachten sie als eigenständigen, unabhängigen Glauben. Die Geschichte der Drusen in Syrien reicht etwa tausend Jahre zurück. Sie spielten eine wichtige Rolle im Kampf gegen die französische Besatzung Syriens, lehnten die Gründung des drusischen Staates ab und lösten 1925 die Große Syrische Revolution aus. Die Mehrheit der Drusen lebt in den Städten Suweida, Salkhad, Shahba und Qarya in Jabal al-Arab, Jaramana bei Damaskus und Majdal Shams auf dem besetzten syrischen Golan (BBC 12.12.2024). Die drusische Gemeinschaft Syriens, die größtenteils im südlichen Gouvernement Suweida lebt, versuchte, sich in dem Konflikt neutral zu verhalten, da sie eine direkte Konfrontation mit der Assad-Regierung oder ihren sunnitischen Nachbarn vermeiden wollte. Das Verhältnis der Gemeinschaft zur ehemaligen Regierung blieb jedoch aufgrund von Meinungsverschiedenheiten in Fragen der Wehrpflicht und des Selbstschutzes angespannt. Drusen wurden während der Besetzung Nordsyriens durch den Islamischen Staat (IS) auch regelmäßig zur Zielscheibe (MRG 1.2025).
Gesten zur Beseitigung von Missständen wurden von der Interimsregierung gegenüber der drusischen Gemeinschaft im Gebiet Jabal al-Summaq im Gouvernement Idlib gemacht, wo die HTS-Führung mit Vertretern zusammenarbeitete, um Vertrauen wiederherzustellen und sicherzustellen, dass ihre Gemeinschaften nicht ins Visier genommen wurden. Darüber hinaus führten die Anführer am 17.12.2024 Gespräche mit prominenten Persönlichkeiten der drusischen Gemeinschaft in Suweida und Jabal al-Arab und versicherten ihnen Sicherheit und zukünftige Inklusion (AC 20.12.2024). Der Anführer der drusischen Gemeinschaft in Suweida sagte, dass die Drusen mit der neuen Führung in Syrien zusammenarbeiten würden, er jedoch die Übergabe der Waffen der örtlichen Milizen ablehne, solange es keine neue Verfassung bzw. Regierung gäbe, die alle Glaubensrichtungen und Gemeinschaften vertrete und keine Gewaltenteilung eingeführt sei (MAITIC 9.1.2025). Im August 2023 brachen in Suweida, wo überwiegend Drusen leben, Proteste für bessere öffentliche Dienstleistungen aus, die sich schnell zu Forderungen nach al-Assads Abgang ausweiteten. Schon vor seinem Sturz forderten die Einwohner Suweidas einen säkularen Staat, der die Rechte von Minderheiten verankert. Die Demonstranten sagten, dass ihre Forderungen nach verbesserten öffentlichen Dienstleistungen und einem säkularen Staat trotz der neuen Führung in Damaskus unverändert blieben. Al-Assads Sturz hat die Forderungen nach einem drusischen Staat gedämpft, aber lokale religiöse Persönlichkeiten, Milizenführer und Demonstranten sagen, dass sie froh sind, der neuen Regierung ein Dorn im Auge zu sein (Guardian 30.1.2025).
Jesiden
Es gibt eine sehr kleine Anzahl von Jesiden, die eine 4.000 Jahre alte Religion praktizieren. Jesiden sprechen den kurdischen Dialekt Kurmanji. Einige identifizieren sich ethnisch als Kurden, während andere sich als Jesiden mit einer eigenen ethnischen Identität betrachten (MRG 1.2025). Jesiden leben in der Stadt und den Dörfern von al-Hasaka, Aleppo und dem Umland sowie in 'Afrin. Obwohl es keine aktuellen offiziellen Zahlen über die Anzahl der Jesiden in Syrien gibt, schätzt die Jesidische Union in 'Afrin, dass es noch etwa 2.000 Jesiden in 'Afrin gibt, im Vergleich zu etwa 50 bis 60.000 vor 2011 (BBC 12.12.2024). Ihre Zahl in Syrien ist im Laufe der Jahre vor allem aufgrund der Assimilation an den Islam zurückgegangen. Nach den brutalen Angriffen des Islamischen Staats (IS) auf die jesidische Gemeinschaft im benachbarten Irak ab 2014 floh die Mehrheit der syrischen Jesiden aus ihren Häusern (MRG 1.2025).
Murshidiya
Im ländlichen Latakia und einigen Dörfern im Westen von Homs und Hama gibt es die Murshidiya-Sekte, die 1923 von Salman al-Murshid gegründet wurde. Der Volksmund sagt, die Murshidiya sei aus der alawitischen Sekte hervorgegangen, habe aber einen unabhängigen religiösen Weg eingeschlagen. Die Murshidiya ist eine relativ geschlossene Sekte, die es vorzieht, ihre religiösen Vorstellungen nicht öffentlich zu machen. Ihre Anhänger feiern einen einzigen Feiertag, das „Fest der Freude an Gott“, das jährlich im August stattfindet und als Ausdruck der geistigen Einheit gilt. Der Gründer der Sekte, Salman al-Murshid, wurde 1946 während der Herrschaft des syrischen Präsidenten Shukri al-Qutli hingerichtet, weil ihm vorgeworfen wurde, Verbrechen begangen zu haben, und er behauptet habe göttlich zu sein (BBC 12.12.2024).
Juden
Fast die gesamte jüdische Bevölkerung, die vor der Gründung Israels im Jahr 1948 etwa 40.000 Menschen zählte, ist ausgewandert, sodass 2007 schätzungsweise nur noch 100 bis 200 Juden übrig waren, die sich auf Damaskus und Aleppo konzentrierten. Zum Zeitpunkt des Sturzes des Assad-Regimes im Jahr 2024 sollen nur noch wenige Juden im Land verblieben sein. Während jüdische Gruppen bereits in den 1880er-Jahren angefangen haben, sich auf dem Land in den Golanhöhen niederzulassen, begann eine kontinuierlichere jüdische Präsenz, nachdem Israel das Gebiet nach dem Sechstagekrieg 1967 besetzt hatte. Diese Präsenz wuchs, als Israel 1981 die Golanhöhen annektierte, obwohl die Vereinten Nationen sich weigerten, den neuen Status des Gebiets anzuerkennen, und die Golanhöhen völkerrechtlich unter syrischer Souveränität blieben (MRG 1.2025).
Ethnische Minderheiten
Armenier
Armenier aus dem historischen Armenien sind ebenfalls Teil des syrischen Nationalgefüges. 1915 wanderten sie in großer Zahl aus, um den Massakern der osmanischen Armee zu entkommen. Die meisten Armenier bekennen sich zum Christentum und haben ihre eigene Sprache. Vor 2011 wurde ihre Zahl in Syrien auf etwa 100.000 geschätzt, von denen mehr als 60.000 in Aleppo lebten, während sich die anderen auf die Städte Kasab, Qamishli, Yaqoubia, 'Ain al-'Arab, Deir ez-Zour und die Hauptstadt Damaskus verteilten. Seit 1928 sind Armenier in der syrischen Legislative vertreten, und Syrien ist nach dem Libanon das zweite arabische Land, das den Völkermord an den Armeniern anerkennt. Der Krieg hat sich auf die armenische Präsenz im Land ausgewirkt. 2015 erreichte die Zahl der syrisch-armenischen Flüchtlinge in Armenien mehr als 15.000 (BBC 12.12.2024). Armenier sind Christen verschiedener Konfessionen (MRG 1.2025).
Turkmenen
Turkmenen kamen im 11. Jahrhundert nach Syrien, Irak und Iran. In Syrien leben Turkmenen, die der türkischen Ethnie angehören, vor allem im Norden, in der turkmenischen Bergregion von Latakia nahe der türkischen Grenze, sowie in Aleppo, Idlib, Homs, Tartus und der Gegend um Damaskus. Es gibt keine genauen Statistiken über die Anzahl der Turkmenen, aber man schätzt, dass es zwischen 1,5 und 3,5 Millionen sind. Unter al-Assads Herrschaft war es den Turkmenen verboten, ihre eigene turkmenische Sprache zu schreiben oder zu sprechen und ihre ethnische Identität wurde von der gestürzten Assad-Regierung nicht anerkannt (BBC 12.12.2024). Sie sind größtenteils sunnitische Muslime (MRG 1.2025).
Tscherkessen
Die Tscherkessen, deren Ursprünge im Kaukasus liegen, kamen 1878 nach Syrien und siedelten sich hauptsächlich in drei Gebieten an: im Gouvernement Quneitra, in dem sie vor der israelischen Besetzung des Golan in der Mehrzahl lebten, in Aleppo, in der Stadt Damaskus und in einigen Dörfern am Stadtrand. Die Tscherkessen sind sunnitische Muslime (BBC 12.12.2024).
[Informationen zu den Kurden finden sich im Kapitel Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Kurden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
[…]"
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Identität des Beschwerdeführers steht fest, da er der belangten Behörde u. a. einen syrischen Personalausweis im Original vorlegen konnte (AS 214).
Die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur alawitischen Glaubensgemeinschaft in seinem Herkunftsstaat verneinte die belangte Behörde, da er auf grundlegende Fragen zu Glaubensgrundsätzen – vor allem zur Unterscheidung gegenüber dem in Syrien mehrheitlich praktizierten sunnitischen Islam – keine Antworten geben konnte bzw. erhebliche Wissenslücken zeigte (AS 37 f.). Das erkennende Gericht teilt – nach eigener Durchsicht der Fragestellungen und des Antwortverhaltens – diese Einschätzung jedenfalls insoweit, als die festgestellten Defizite gegen eine persönliche Verbundenheit mit den religiösen Werten sowie gegen eine aktive Religionsausübung sprechen, was im Übrigen auch dem Standpunkt des Beschwerdeführers entspricht, wenn er selbst wiederholt von sich behauptet, zwar Alawit, aber nicht religiös zu sein (AS 38; AS 253). Nicht reicht dies jedoch unter den gegebenen Rahmenbedingungen hin, um eine Zuordnung des Beschwerdeführers zum Alawitentum kategorisch zu verneinen. Zunächst gibt das erkennende Gericht den im Herkunftsstaat (lange Zeit) vorherrschenden Bürgerkriegszustand zu bedenken, der wesentlich durch konfessionelle Gegensätze geprägt ist. In einem solchen Umfeld wird religiöse Zugehörigkeit häufig als kollektives Identitätsmerkmal wahrgenommen, das über die persönliche Glaubenspraxis hinausreicht. Die Schwelle für die Annahme einer religiösen Zuschreibung ist daher herabgesetzt, da Menschen nicht (nur) aufgrund individueller Religiosität, sondern (auch) aufgrund äußerer Merkmale, beispielsweise Name, Familie oder Herkunft, einer bestimmten Konfession zugeordnet und unter diesem Vorzeichen gegebenenfalls zur Zielscheibe von Verfolgung werden (können). Vor diesem Hintergrund können vorhandene Wissenslücken zu Glaubensfragen nicht ohne Weiteres zur pauschalen Verneinung einer Religionszugehörigkeit führen. Entscheidend ist vielmehr, ob der Beschwerdeführer unter den im Herkunftsstaat maßgeblichen Verhältnissen plausibel dieser Religionsgemeinschaft zugeschrieben werden kann. Das erkennende Gericht hegt einerseits deshalb keine Zweifel an der behaupteten Zugehörigkeit, weil der Beschwerdeführer diese im Verfahren gleichbleibend angegeben hat und der diesbezüglichen Prägung somit ein stringentes Tatsachenvorbringen zugrundeliegt (AS 7; AS 33 ff.; AS 244; OZ 7, S. 6 ff.; OZ 10, S. 5 ff.). Andererseits führte der Beschwerdeführer nachvollziehbar aus, dass sich anhand des Erkennungscodes in seinem Personalausweis, insbesondere des Eintragungsortes " XXXX " unter der Ziffer XXXX , eine Herkunftsregion (Homs-Umgebung) ableiten lässt, in der syrische Alawiten geografisch hauptsächlich verortet sind (die Alawiten leben überwiegend im westlichen Syrien in einem zusammenhängenden Streifen entlang der Mittelmeerküste, der sich von der türkischen Grenze im Norden [Region Latakia] über Tartus bis in die Umgebung von Homs und teilweise Hama erstreckt). Im hier maßgeblichen Kontext kann dieser Umstand daher als Kriterium herangezogen werden, um den Beschwerdeführer als Alawiten zu identifizieren. Schließlich wird diese Einschätzung durch das in der mündlichen Verhandlung am 02.05.2025 vorgelegte und angeblich vom Ortsbürgermeister von XXXX stammende Schreiben (OZ 12) untermauert, das zwar lediglich als Fotodatei aufliegt und daher nicht auf seine Echtheit hin überprüft werden kann, dessen Inhalt jedoch mit der dargestellten Indizienlage übereinstimmt und die behauptete Zugehörigkeit zum Alawitentum weiter stützt. Insgesamt erachtet das erkennende Gericht die behauptete Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur alawitischen Religionsgemeinschaft daher als glaubhaft, geht aber entsprechend seiner eigenen Angaben davon aus, dass diese bloß nomineller Natur ist und ihr keine ausgeprägte Glaubensüberzeugung, geschweige denn -praxis zugrundeliegt.
Die Feststellungen zur Herkunft des Beschwerdeführers und seinen persönlichen und familiären Lebensumständen im Herkunftsstaat sowie seinen Familienverhältnissen und den aktuellen Lebensumständen seiner Familie beruhen auf den insoweit stringenten Angaben seiner Person im Verfahren erster Instanz, im Beschwerdeschriftsatz und in den mündlichen Verhandlungen am 11.10.2024 und 12.09.2025 (siehe AS 2 ff; AS 29 ff; AS 244; OZ 7, S. 5 ff; OZ 10, S. 5) sowie auf den aus dem gesamten Akteninhalt ersichtlichen Beweismitteln (AS 51 ff. iVm AS 29; Beilagen zu den OZ 7 und 10). Substantielle Zweifel an seinen diesbezüglichen Angaben bestehen – soweit sie dem Kern der Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen an späterer Stelle nicht widersprechen (Punkt 2.2.) – nicht.
Der Eintragungsort im Personalausweis und die näheren Modalitäten zum Freikauf vom syrischen Pflichtwehrdienst ergeben sich aus den im Aktenbestand einliegenden diesbezüglichen Bescheinigungsmitteln (AS 43, 45 und 47 iVm AS 29 und 10; AS 83). Das erkennende Gericht übersieht nicht, dass hinsichtlich der angeführten Beweismittel keine Dokumentenprüfung aktenkundig ist, es geht jedoch mangels gegenteiliger Hinweise für das vorliegende Verfahren im Zweifel von der Authentizität und Richtigkeit des bezeugten Inhalts aus.
Die Feststellungen zu seiner Ausreise aus Syrien und zur Reiseroute ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers (AS 30; OZ 7, S. 7) und der Zeitpunkt der Asylantragstellung aus der Dokumentation im Verwaltungsakt (siehe AS 2).
Die aktuellen Machtverhältnisse in der Heimatregion des Beschwerdeführers ergeben sich aus den tagesaktuellen Kartenauszügen (siehe https://syria.liveuamap.com/).
Dass der Beschwerdeführer während des syrischen Bürgerkriegs an keinen Kampfhandlungen teilnahm, entspricht seiner eigenen Behauptung (AS 33).
Dass der Beschwerdeführer in Österreich strafrechtlich unbescholten ist, ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug (OZ 2).
Dass der Beschwerdeführer über allfällige familiäre Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet verfügt, lässt sich dem gesamten Aktenbestand nicht entnehmen.
2.2. Zu den Fluchtgründen:
Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylweber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der aufgrund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert.
Das erkennende Gericht teilt die Auffassung der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat keinen asylrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt war und bei seiner Rückkehr solche nicht zu befürchten hätte.
Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer sein Vorbringen im Wesentlichen auf Probleme im Zusammenhang mit dem früheren Assad-Regime stützt, das nach dessen Zusammenbruch im Dezember 2024 nicht mehr existiert und daher ohnehin keine aktuelle Gefährdung mehr begründen kann, ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer auch im Hinblick auf die vorgetragenen Fluchtgründe nicht als glaubwürdig einzustufen ist. Sein Fluchtvorbringen erweist sich in seiner Gesamtheit als nicht stringent, im Übrigen zeigt es sich in wesentlichen Teilen als widersprüchlich, gesteigert und nicht nachvollziehbar, sodass von einem tatsächlich erlebten Verfolgungsgeschehen in keiner Weise auszugehen ist.
Das erkennende Gericht stützt dieses Ergebnis auf nachfolgende Erwägungen:
Schon im Aufbau zeigen sich deutliche Unstimmigkeiten in seinem Vorbringen. So stützte er seine Rückkehrbefürchtungen in der behördlichen Einvernahme am 24.05.2023 ausschließlich auf eine angebliche Gefährdung infolge einer drohenden Zwangsrekrutierung durch die Nationalen Verteidigungskräfte sowie auf eine angebliche Bedrohung durch Sunniten (siehe AS 33 ff.), während er im Beschwerdeschriftsatz seine Befürchtungen im Hinblick auf den syrischen Staat zusätzlich mit seiner ehemaligen Beschäftigung als Tontechniker im Zusammenhang brachte (siehe AS 252). In der mündlichen Verhandlung am 11.10.2024 erwähnte der Beschwerdeführer sodann etwaige Rückkehrhindernisse vor diesem Hintergrund nur beiläufig, indem er in einem Nebensatz lediglich auf die angeblichen Bedrohungen durch Sunniten Bezug nahm, anstatt seine Medientätigkeit – wie zuvor – ausschließlich zur Begründung einer staatlichen Verfolgung heranzuziehen (OZ 7, S. f.: Rl: Wo haben Sie nach lhrer Rückkehr aus Katar gelebt und wie lange? P: […] Dort gab es Probleme wegen der Glaubenszugehörigkeit, weil sie jeden Alaviten als Befürworter des syrischen Regimes zählen. Deshalb gab es auch Drohungen, besonders, weil ich im Medienbereich tätig war, habe sie mich als Befürworter des Regimes gezählt."), während er in der mündlichen Verhandlung am 02.05.2025 wiederum beide Aspekte gänzlich unerwähnt ließ. Stattdessen stützte er sein Vorbringen ausschließlich auf eine angebliche Gruppenverfolgung von Alawiten (OZ 10, S. 5 ff.). Zwar war sein beruflicher und religiöser Hintergrund teilweise schon in die Begründung der persönlichen Droherlebnisse mit Sunniten eingeflossen, jedoch wäre gerade in der mündlichen Verhandlung am 02.05.2025 zu erwarten gewesen, dass der Beschwerdeführer erneut auf diese angeblichen Drohungen oder seine Medientätigkeit Bezug nimmt, da sich die politischen Verhältnisse im Herkunftsstaat (mit dem Sturz des Assad-Regimes und der Machtübernahme durch die HTS) zwischenzeitlich derart verändert hatten, dass diesen Themenkomplexen – zumindest aus subjektiver Sicht – eine gesteigerte Relevanz zugekommen wäre. Umso schwerer wiegt daher, dass der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang zwar eine nachteilige Betroffenheit von der Lageänderung als Alawit seitenweise thematisierte (OZ 10, S. 5 ff.), die angeführten zentralen Aspekte seines vorangehenden Vorbringens jedoch nicht inhaltlich weiterführte, sondern sich bloß vage auf seine bisherigen Angaben bezog (OZ 10, S. 6: RI: Haben sich zwischen der letzten Verhandlung und der heutigen Verhandlung neue Asylgründe ergeben? P: Es sind die Gründe, die ich bereits genannt habe und die Ereignisse die in Syrien vorkommen.") – was eine substanzielle Auseinandersetzung mit diesen Sachverhaltselementen keinesfalls ersetzen kann. Angesichts seines überdurchschnittlichen Bildungshintergrundes und der daraus zu unterstellenden Fähigkeit, politische Entwicklungen und deren Bedeutung für die eigene Situation zu erfassen, wäre jedoch naheliegend, dass er die veränderten Verhältnisse und die potenzielle Relevanz seines bisherigen Fluchtvorbringens erkannt und in seine Angaben integriert hätte, geht man davon aus, dass die geschilderten Ereignisse tatsächlich einen Ausreisegrund dargestellt hätten. Dass er dies unterließ, verdeutlicht die mangelnde Stringenz des Gesamtvorbringens. Bereits die Grobdarstellung seines Fluchtgeschehens erweist sich dadurch als uneinheitlich, was sich bereits nachteilig auf die Glaubhaftmachung auswirkt.
Im Weiteren zeigen sich zahlreiche Ungereimtheiten im Parteivorbringen, die die Zweifel an der ganzheitlichen Glaubhaftigkeit bestätigen:
Zutreffend hebt die belangte Behörde in ihren beweiswürdigenden Überlegungen hervor, dass der Beschwerdeführer in der behördlichen Einvernahme zunächst angegeben hatte, die erste der behaupteten Bedrohungen durch Sunniten habe etwa im Februar 2017 stattgefunden und die zweite nach der Geburt seiner Tochter (AS 34: "VP: Im Jahr 2017 als ich in XXXX gelebt habe, gab es mehrere Telefonbedrohungen, die ich bekommen habe. Es wurde mir am Telefon gesagt, wir werde euch Alewiten töten. Bashar Alassad kann euch nicht beschützen und ich wurde beschimpft. Das war die erste telefonische Bedrohung, ca. Februar 2017 und die zweite Bedrohung erhielt, nachdem meine Tochter geboren worden ist."). Nachdem ihm jedoch das Geburtsdatum der Tochter vorgehalten worden war (16.02.2016), änderte er seine Angaben spontan dahin ab, dass die zweite Bedrohung lediglich zwei Tage nach der ersten erfolgt sei (ebd: "LA: Wann war nun die zweite Bedrohung? VP: Das war zwei Tage nach der ersten Bedrohung."). Auf Nachfrage der behördlichen Organwalterin, weshalb er diesen zeitlichen Ablauf nun so genau angeben könne, reagierte der Beschwerdeführer ausweichend und wiederholte lediglich seine vorherige Antwort (ebd: "LA: Warum wissen Sie nun das so genau? VP: Ca. zwei Tage nach der ersten Bedrohung gab es die zweite telefonische Bedrohung und wir zogen nach XXXX ."). Dieses Antwortverhalten unterstreicht, dass er sich des bestehenden Widerspruchs bewusst war und versuchte, durch eine situativ angepasste Darstellung einer inhaltlichen Klärung des Vorhalts auszuweichen.
Ferner zeigt sich ein Widerspruch darin, dass der Beschwerdeführer zunächst auch nach seinem Wegzug nach XXXX von fortgesetzten Drohungen durch Sunniten berichtete (AS 34: "VP: Nein, aber als wir in XXXX waren, gab es Bedrohungen. Zwischen 7 und 8 Drohungsanrufe. Das war immer das Gleiche, wie bei den ersten zwei Anrufen, sie sagten mir, dass sie mich beobachten, ihr (Anmerkung. die Alewiten) habt uns getötet und wir werden euch alle umbringen. […]"), im späteren Verlauf jedoch von dieser Darstellung abrückte und erklärte, entsprechende Bedrohungen hätten sich ausschließlich in XXXX bzw. Homs ereignet (AS 38: "LA: Warum gaben Sie dann an, dass Sie nach der Geburt Ihres Sohnes ausgereist sind, da Sie von den Sunniten bedroht worden sind? VP: Ich habe das gesagt, da ich telefonisch von den Sunniten bedroht worden bin, das war, als ich in Homs in XXXX gelebt habe.").
Weitere erhebliche Widersprüche ergeben sich daraus, dass der Beschwerdeführer anfänglich in der behördlichen Einvernahme noch angab, von Sunniten ausgehende Bedrohungen auch in Damaskus bzw. XXXX erhalten zu haben (AS 31: "LA: Warum reisten Sie zu einem Zeitpunkt aus Syrien aus, als Ihre Frau schwanger war? VP: Weil ich von den Sunniten mit dem Tod telefonisch bedroht wurde, meine Freunde und Nachbarn waren Christen."), diese Darstellung im weiteren Verlauf der Befragung jedoch bestritt (AS 38: LA: Gab es nun in XXXX Bedrohungen durch die Sunniten? VP: Nein, nicht von den Sunniten."), um später im Beschwerdeschriftsatz wiederum erneut Selbiges vorzubringen (AS 253: "[...]Das BFA hat verkannt, dass der BF nicht nur in XXXX sondern auch in XXXX und XXXX mehrmals von sunnitischer Seite bedroht und von staatlicher Seite nicht geschützt wurde.[…]").
Bemerkenswert ist auch, dass der Beschwerdeführer zunächst in der mündlichen Verhandlung am 11.10.2024 – im Rahmen einer thematisch nicht unmittelbar einschlägigen Fragestellung – sein berufliches Engagement beim staatlichen Nachrichtensender als Begründung für die von Sunniten ausgehenden Drohungen anführte (OZ 7, S. 6 f.), während er auf spätere, eindeutige Nachfrage in diese Richtung (weshalb gerade er bedroht worden sein soll) diesen Aspekt gänzlich unerwähnt ließ und stattdessen – entsprechend seiner ursprünglichen Darstellung (siehe AS 34 f.; AS 254) – ausschließlich auf seinen religiösen Hintergrund verwies (OZ 7, S. 9). Dass der Beschwerdeführer einen wesentlichen Umstand spontan in einem thematisch unpassenden Zusammenhang erwähnt, ihn aber nicht mehr anspricht, als er direkt danach gefragt wird, ist nicht nachvollziehbar.
Im Zusammenhang mit seiner in der mündlichen Verhandlung am 11.10.2024 geschilderten Gefährdungslage in Damaskus bzw. XXXX ist festzuhalten, dass seine dortigen Ausführungen zum Schusswaffengebrauch im Rahmen einer Checkpoint-Kontrolle (siehe OZ 7, S. 7 und 10) ein gänzlich neues Vorbringen darstellen. Weder gegenüber dem BFA (AS 36) noch im Beschwerdeschriftsatz (AS 244 ff.) wurde Vergleichbares behauptet, der Beschwerdeführer steigerte sohin sein Fluchtvorbringen, obwohl er im vorangehenden Verfahrensstadium hinreichend Gelegenheit zur Äußerung hatte. Schon dieser Umstand weckt Zweifel an der diesbezüglichen Glaubwürdigkeit, da jedenfalls zu unterstellen ist, dass ein tatsächlich verfolgter Fremder bestrebt ist, umfassend gegenüber sämtlichen im Asylverfahren zuständigen Stellen auszusagen. Dass relevantes Vorbringen schlechthin „angespart“ wird, um dieses erst in der mündlichen Verhandlung darzulegen, ist angesichts dessen, dass ein solches Vorgehen nicht zuletzt auch grob unvernünftig, mithin einem durchschnittlich vernunftbegabten Antragsteller nicht zu unterstellen wäre, nicht nachvollziehbar. Gerade im Hinblick auf einen behaupteten Schusswaffengebrauch erscheint es – angesichts der damit typischerweise verbundenen hohen Drohintensität – bemerkenswert, dass eine entsprechende Schilderung in früheren Aussagen gänzlich ausblieb, sind Ereignisse dieser Art doch unter derart prägenden Erlebnissen einzuordnen, dass sie einem unmittelbar Betroffenen auch nach längerer Zeit in lebhafter Erinnerung bleiben und daher regelmäßig spontan geschildert werden können, wobei auch nicht übersehen werden darf, dass der Beschwerdeführer zunächst in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich von einer Schussabgabe in Richtung seiner Person sprach (OZ 7, S. 7: "P: […] Ich wurde unter Druck gesetzt und einmal wurde an einem Checkpoint auch auf mich geschossen. […]), während er diese Darstellung später wiederum merklich abschwächte (OZ 7, S. 10: "P: Meistens bin ich wegen den Vorfällen an den Checkpoints aus Syrien ausgereist. Einmal haben sie mich an einem Checkpoint angegriffen und aus dem Taxi rausgeholt und um mich herum mit der Waffe abgefeuert, nur, weil ich mit ihnen reden wollte."), mithin er sich auch in diesem Zusammenhang widersprüchlich verantwortete.
Insofern der Beschwerdeführer gegenüber dem erkennenden Gericht monierte, er wäre in der behördlichen Einvernahme am 24.05.2023 vom Dolmetscher unter Zeitdruck gesetzt worden (OZ 7; S. 5: "RI: Wie würden Sie die Situation bei Ihrer Einvernahme vor dem BFA einschätzen? Haben Sie die Dolmetscher immer verstanden und konnten Sie alles vorbringen? P: Der Dolmetscher hat mich angeschrien und hat gesagt, dass wir das schnell erledigen, weil noch 4 weitere Personen auf ihr Interview warten. Das hat mich gestresst und nervös gemacht."), so ist diese Behauptung vor dem Hintergrund dessen, dass die Amtshandlung rund dreieinhalb Stunden dauerte und die (penibel und anstandslos geführte) Niederschrift 16 Seiten umfasst (AS 27 und 43), nicht nachvollziehbar. Zudem ist hervorzuheben, dass das Protokoll der Niederschrift vom Beschwerdeführer auf jeder Seite unterzeichnet wurde (AS 27 ff.), die wörtliche Übersetzung des gesamten Inhalts dokumentiert ist und er ausdrücklich bestätigte, den Dolmetscher einwandfrei verstanden sowie keine Einwände gegen die Einvernahme zu haben (AS 41). Darüber hinaus hätte ein derart wesentlicher Einwand bereits im Beschwerdeschriftsatz am 17.07.2023 erhoben werden können (AS 245 ff.). Dass er dies erst in der mündlichen Verhandlung am 11.10.2024 tat, legt vielmehr nahe, dass es sich um ein nachgeschobenes Rechtfertigungselement handelt, um Ungereimtheiten im Parteivorbringen vorsorglich ausräumen zu können. Gemäß § 15 AVG liefert eine gemäß § 14 AVG aufgenommene Niederschrift, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden, über Verlauf und Gegenstand der Amtshandlung vollen Beweis, wobei der Gegenbeweis der Unrichtigkeit zulässig bleibt. Der Beschwerdeführer vermochte diesem vollen Beweiswert jedoch nicht substantiiert entgegenzutreten, zumal die behördliche Niederschrift keinerlei Auffälligkeiten aufweist, sondern vielmehr auf eine sorgfältig geführte Amtshandlung schließen lässt. Auch ist kein Eigeninteresse des Dolmetschers ersichtlich, in der vom Beschwerdeführer behaupteten Weise gehandelt zu haben. Auch dieses Vorbringen schadet der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und ist der Beschwerdeführer offenbar bemüht, etwaige Widersprüche auf eine fehlerhafte oder schlechte Übersetzung zu schieben.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers, ihm habe eine Zwangsrekrutierung durch die Nationalen Verteidigungskräfte gedroht, konnte anhand der herangezogenen Länderinformationen nicht objektiviert werden. Nach den vorliegenden Erkenntnissen erfolgten Rekrutierungen durch diese Einheit regelmäßig auf freiwilliger Basis; Hinweise auf ein systematisches oder erzwungenes Einziehen von (insbesondere erwachsenen) Personen bestanden nicht. Eine Rekrutierung des Beschwerdeführers war auch schon wegen seines zum damaligen Zeitpunkt (2017) fortgeschrittenen Alters (39 Jahre) wenig plausibel, da Einziehungen dieser Art nur bei erheblichem Personalbedarf erfolgen, was zum angegebenen Zeitpunkt angesichts der militärischen Lage – erhebliche Gebietsgewinne und ein klarer Vormarsch der Regimekräfte – nicht gegeben war. Auch sein übriges, in diesem Zusammenhang stehendes Vorbringen bietet keine nachvollziehbare Grundlage für eine tatsächliche Zwangsrekrutierungsgefahr: Nach eigenen Angaben hatte er sich bereits 2011 von der Wehrpflicht freigekauft, konnte sich wiederholt und ungehindert innerhalb des syrischen Staatsgebiets fortbewegen und lebte zudem noch etwa fünf Jahre nach dem behaupteten Rekrutierungsversuch unbehelligt im Herkunftsstaat. Seine Behauptung, er habe sich seit 2018 aus Angst ausschließlich in XXXX aufgehalten, wurde im Verfahren durch seine eigene Vorlage des in Homs am 17.12.2019 ausgestellten Führerscheins und sein diesbezügliches Antwortverhalten als objektivierte Falschaussage widerlegt (OZ 7, S. 11 iVm AS 10). Diese Umstände sprechen insgesamt deutlich gegen die Glaubhaftigkeit seines diesbezüglichen, aber auch generellen Vorbringens, zumal bei einem tatsächlich drohenden Zwangsrekrutierungsversuch – erst recht aber im Falle einer mit der Verweigerung der Rekrutierung einhergehenden Tötungsabsicht – nicht zuletzt zu erwarten gewesen wäre, dass der Beschwerdeführer den frühestmöglichen Zeitpunkt genutzt hätte, um sein Herkunftsland zu verlassen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer auch den vermeintlichen Verfolgerakteur nicht stimmig wiederzugeben vermochte. Im Beschwerdeschriftsatz spricht er ausschließlich von der Miliz "Quwat al-Ridha" (AS 245 ff.), bei der es sich laut Suchmaschinenabfrage um eine Hisbollah-nahe Formation handelt. Dies steht aber in unauflöslichem Gegensatz zu seinen übrigen Angaben, in denen er die Verfolgung durchwegs den – strukturell unabhängigen – Nationalen Verteidigungskräften zuschreibt.
Insgesamt gelangt das erkennende Gericht daher zum (Zwischen-)Fazit, dass der Ansicht des BFA beizutreten ist und der Beschwerdeführer außer Stande war, ein asylrelevantes Bedrohungsszenario glaubhaft zu machen. Weder geht das erkennende Gericht davon aus, dass er in der Vergangenheit mit einem solchen jemals konfrontiert war noch, dass ihm ein solches hinkünftig drohen könnte. Mangels anderer objektivierbarer Migrationsmotive geht das erkennende Gericht auf Basis der voranstehenden Würdigung davon aus, dass auch die im Herkunftsstaat vom Beschwerdeführer vollzogenen Wohnsitzwechsel – angesichts der fehlenden (Vor-)Verfolgung – ausschließlich von wirtschaftlichen Erwägungen getragen waren.
Zur behaupteten Gruppenverfolgung syrischer Alawiten:
Nach dem LIB (Version 12, 08.05.2025) stellen die Alawiten in Syrien mit rund zehn Prozent der Gesamtbevölkerung die größte religiöse Minderheit dar. Sie sind seit dem 12. Jahrhundert n. Chr. in Syrien ansässig und leben vor allem an der Mittelmeerküste, insbesondere in den Städten Latakia und Tartus (BBC 12.12.2024). Dem Alawismus gehören etwa zwei bis drei Millionen Syrer an (AlMon 11.1.2025). Der alawitischen Minderheit wird unterstellt, das Assad-Regime unterstützt zu haben, da auch die Familie Assad diesem Glauben angehört (PBS 16.12.2024). Unter Bashar al-Assad arbeiteten mehr 80 % der Alawiten im Staatsdienst; sie stellten den Großteil der Armee- und Geheimdienstoffiziere und besetzten viele Führungspositionen. Zugleich gehörte ein erheblicher Teil der Gemeinschaft zu den ärmsten Bevölkerungsschichten Syriens (TWI 31.12.2024; Independent 12.12.2024). Während des Bürgerkrieges wurden Alawiten überproportional oft eingezogen und erlitten hohe Verluste, Schätzungen zufolge wurden Zehntausende getötet (Independent 12.12.2024). Syrienexperte Fabrice Balanche meint, dass ash-Shara’ unter dem Vorwand, eine "Entba‘athifizierung" durchführen zu wollen, einen "Entalawitisierungsprozess" einleiten wird, weshalb viele Alawiten, die in Damaskus, Homs und den umliegenden Gebieten im Landesinneren leben, sich wahrscheinlich gezwungen sehen, in ihre Heimat zurückzukehren (TWI 31.12.2024). Nach dem Sturz des Assad-Regimes am 08.12.2024 kam es zu einer Welle religiös motivierter Angriffe gegen Alawiten, insbesondere in Homs, Hama sowie an der Küste in Latakia und Tartus. Verschiedene Berichte dokumentieren Übergriffe, Plünderungen, Entführungen, Verschleppungen und Tötungen von Alawiten (SOHR 10.3.2025a/b; National 6.1.2025; FR24 6.2.2025). Die neue Regierung erklärte, sie wolle Vergeltungsakte verhindern und Sicherheit für Minderheiten wiederherstellen (FR24 6.2.2025). Berichten zufolge wurden in der Umgebung von Latakia und Tartus Operationen gegen Reste des Regimes geführt, und in Homs kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen um Wohnraum zwischen zurückkehrenden Sunniten und dort lebenden Alawiten (Economist 8.1.2025; 14.1.2025). Gleichzeitig zeigen andere Quellen, dass es Bemühungen gab, Racheakte einzudämmen und Vertrauen gegenüber der alawitischen Gemeinschaft wiederherzustellen (AC 20.12.2024; FR24, 13.1.2025).
Der "EUAA: Country Focus: Syria (July 2025)" beschreibt in Kapitel 2.4.2. ("Alawites") auf den S. 43 ff. im Wesentlichen eine regional und zeitlich begrenzte Gewalteskalation gegen Angehörige der alawitischen Gemeinschaft im Zeitraum März 2025: Vom 6. bis 10. März 2025 kam es demnach in mehreren Gouvernements – insbesondere Latakia, Tartus, Homs und Hama – zu Angriffen und Vergeltungsakten, bei denen laut SNHR 1.334 Menschen getötet wurden. Davon wurden 887 Zivilisten und entwaffnete Kämpfer aus den Überresten pro-Assad-naher Gruppen von Sicherheitskräften, die formell dem Verteidigungsministerium unterstellt sind, jedoch mit relativer Eigenständigkeit sowie in Kooperation mit lokalen bewaffneten Zivilgruppen operierten, getötet. Etwa 445 Personen (darunter 231 Zivilisten und 214 Angehörige der Sicherheitskräfte) wurden von pro-Assad-Überresten getötet. Rund 51 000 Personen wurden vertrieben. Die Gewalt sei überwiegend sektiererisch motiviert gewesen und habe sich gegen Zivilisten gerichtet. An den Übergriffen seien unter anderem Fraktionen der Syrian National Army (SNA) und ausländische Kämpfer beteiligt gewesen, während Einheiten des General Security Service (GSS) laut Bericht "vergleichsweise diszipliniert" agiert hätten. Seit Anfang 2025 werden zudem wöchentlich Morde und Entführungen von Alawiten gemeldet, häufig durch "unbekannte Bewaffnete" oder "maskierte Männer". Zwischen Januar und April 2025 registrierte das SNHR 361 außergerichtliche Tötungen in den Gouvernements Homs und Hama, überwiegend in alawitisch bewohnten Gebieten. Auch nach der Eskalation im März kam es zu gezielten Angriffen in Latakia, Tartus und Homs. Das SJAC bewertete viele dieser Taten als sektiererisch motiviert, getragen vom Pauschalvorwurf, alle Alawiten seien mitschuldig an den Verbrechen des Assad-Regimes. Besonders betroffen waren Viertel der Stadt Homs, wo sich die Gewalt fortsetzte und die Behörden vereinzelt beschuldigt wurden, die Tötungen zu dulden.
Die "EUAA: Interim Country Guidance: Syria (June 2025)" bewertet die Gefährdungslage der Alawiten im landesweiten Kontext. Sie stellt fest, dass die bloße Zugehörigkeit zur alawitischen Gemeinschaft in der Regel nicht ausreicht, um eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zu begründen (EUAA Interim Country Guidance: Syria, Juni 2025, S. 46). In der individuellen Beurteilung, ob für den Antragsteller eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Verfolgung besteht, sind vielmehr einzelne Risikofaktoren zu berücksichtigen. Die EUAA weist demgemäß darauf hin, dass Alawiten insbesondere dann einem erhöhten Risiko ausgesetzt sein können, wenn ihnen eine oppositionelle Haltung gegenüber der Übergangsregierung oder eine Nähe zum früheren Assad-Regime zugeschrieben wird. Ein weiteres Risiko besteht in Regionen, in denen die Kontrolle der Übergangsregierung schwach oder umstritten ist – vor allem in Latakia, Tartus, Homs und Hama (ebd., S. 47).
Die "EUAA: Country Focus: Syria (July 2025)" zeichnet zwar ein auf den ersten Blick dramatischeres Bild, indem er detaillierte Zahlen zu Tötungen, Vertreibungen und sektiererisch motivierten Übergriffen gegen Alawiten im Zeitraum zwischen Jänner und April 2025 liefert. Dies führt jedoch nicht zu einer Korrektur der Leitlinien der Interim Country Guidance. Nach hg. Ansicht haben die dokumentierten Vorfälle keinen flächendeckenden Aussagewert für ganz Syrien, sondern sind als regionale und zeitgebundene Eskalationen im Kontext der Machtverschiebungen nach dem Sturz des Assad-Regimes zu verstehen. Die Interim Country Guidance selbst geht gerade von einer geografisch differenzierten Risikoeinschätzung aus und verlangt eine einzelfallbezogene Prüfung. Aus einer harmonisierenden Gesamtbetrachtung ergibt sich daher, dass Alawiten in bestimmten Regionen Syriens und aufgrund bestimmter Merkmale zwar einem erhöhten Risiko ausgesetzt sein können, die pauschale Annahme einer Gruppenverfolgung jedoch nicht gerechtfertigt ist. Maßgeblich bleiben laut der angeführten Berichte die regionale Herkunft des Antragstellers, eine allfällige persönliche Politisierung und etwaige wahrgenommene Loyalität zum früheren Regime.
Nach den getroffenen Erwägungen liegen beim Beschwerdeführer keine risikoerhöhenden Merkmale vor bzw. mangelt es seinen Angaben an belastbaren diesbezüglichen Anhaltspunkten. Zunächst ist – basierend auf den bisherigen Erwägungen – festzuhalten, dass eine Vorverfolgung nicht festgestellt werden konnte. Der Beschwerdeführer stützte seine Furcht vor Verfolgung zuletzt in der mündlichen Verhandlung am 02.05.2025 ausschließlich auf die allgemeine Berichtslage zur Situation der Alawiten in Syrien, ohne einen persönlichen Bezug oder konkrete individuelle Umstände darzutun, wobei die Darstellung eingangs einen übertreibend-dramatisierten Charakter annahm (OZ 10, S. 7: "RI: Was sollte Ihnen dabei drohen? P: In jetziger Zeit ist es eine Straftat Alawit zu sein. Das erinnert mich an die Juden in der Nazizeit, die Leute werden gekündigt, getötet, beleidigt und geschlagen, weil ihnen vorgeworfen wird Ungläubiger zu sein, da sie Alawiten sind. Früher haben sie auch so gedacht, sie haben sich aber nicht getraut das laut zu sagen. Momentan sind die Machthaber aus dem IS, der AL NUSRA Front und AL-Qaida und stehen auf der Liste der internationalen Terroristen. Jede Person, die ein bisschen von ihrem Glauben entfernt bleibt, wird getötet. Alle Terroristen aus der ganzen Welt befinden sich jetzt in Syrien und wurden in verschiedenen Gruppierungen aufgenommen. Es gibt Uiguren, Tschetschenen, Afghanen und Pakistaner, die auf der Seite der Regierung kämpfen. Offiziell hat die Regierung selbst angekündigt, dass ca. 200.000 ausländische Kämpfer in Syrien sind, die so zu sagen in die neue syrische Armee integriert worden sind. Diese bedrohen jedoch die Alawiten, die Drusen, Christen und die Kurden. Sie bedrohen die Alawiten, weil sie meinen, dass der Kopf des vormaligen Regimes Alawit war und weil die Alawiten Ungläubige sind."). Zwar ließ der Beschwerdeführer eine ablehnende Haltung gegenüber der Übergangsregierung erkennen, indem er sie pauschal dem terroristischen Milieu zuordnete (ebd: "P: […] Momentan sind die Machthaber aus dem IS, der ALNUSRA Front und AL-Qaida und stehen auf der Liste der internationalen Terroristen […] "), doch lässt sich daraus keine gefestigte oppositionelle Gesinnung ableiten. Hierfür wäre vielmehr erforderlich, dass eine solche Haltung nach außen erkennbar geworden wäre, die den Beschwerdeführer darüber hinaus nachvollziehbar als gegenüber der Übergangsregierung feindlich erscheinen lassen könnte. Der Beschwerdeführer hat jedoch weder eine öffentliche oder exilpolitische Betätigung behauptet noch liegen Anhaltspunkte vor, dass er aufgrund seiner Meinungsäußerungen als Gegner der Übergangsregierung in Erscheinung getreten wäre. Ebenso wenig war er nach eigenen Angaben als pro-Assad-Anhänger identifizierbar, vielmehr schilderte er selbst – sowohl in Bezug auf sich selbst als auch hinsichtlich seiner Familie – ein distanziertes Verhältnis zum früheren Regime (AS 244: " […] Da der BF dem Regime oppositionell gesinnt ist, weigerte er sich, an solchen Produktionen mitzuarbeiten. […]; OZ 7, S. 12: "Fragen RV: Welche politische Einstellung in Bezug auf Syrien haben Sie konkret? P: Meine Meinung zu den Ereignissen in Syrien ist, dass es der größte Fehler von Seiten des syrischen Regimes war mit den Demonstrationen mit so viel Gewalt und Tötung umzugehen. Es war genauso auch der größte Fehler von den Leuten, dass sie Waffen getragen haben, um sich zu der politischen Situation auszudrücken. Man hat während des Krieges gesehen, dass es kein Gesetz in Syrien gibt. Es gilt alles so, dass du entweder auf meiner Seite oder gegen mich stehst. Man kann seine logische Meinung nicht frei ausdrücken. RV: Welche Meinung vertritt Ihre Familie, ihre Eltern, ihre Brüder? P: Meine Eltern sind verstorben, meine Brüder vertreten auch dieselbe Meinung wie ich. Wir sind aber seit langem daran gewöhnt und es wurde uns auch immer wieder gesagt, dass wir uns zu der Sache nicht äußern und darüber nicht reden sollen.). Auch ist nicht ersichtlich, inwieweit ihn seine frühere Beschäftigung als Tontechniker für den staatlichen Nachrichtensender einem der genannten Risikoprofile entsprechend exponieren könnte, zumal er laut eigenen Angaben die Mitwirkung an der Verbreitung propagandistischer TV-Inhalte ohnehin abgelehnt hat und auch sonst nicht ersichtlich ist, inwieweit seine Tätigkeit nach außen überhaupt wahrnehmbar gewesen wäre. Im Übrigen ist seine maßgebliche Herkunftsregion in Damaskus zu verorten. Nach den referenzierten EUAA-Berichten bestehen dort aufgrund der stabilen Kontrolle der Übergangsregierung bzw. starken Präsenz staatlicher Sicherheitskräfte keine Anhaltspunkte für systematische oder gezielte Übergriffe auf Alawiten. Das Risiko konfessionell motivierter Gewalt betrifft laut EUAA primär Regionen mit umstrittener oder schwacher Verwaltungskontrolle, insbesondere Latakia, Tartous, Homs und Hama, nicht aber die Hauptstadtregion. Das erkennende Gericht übersieht zwar nicht, dass der in den Länderfeststellungen maßgeblich referenzierte Syrienexperte Fabrice BALANCHE im Dezember 2024 noch von der Möglichkeit eines "Entalawitisierungsprozesses" und einer Rückverlagerung der alawitischen Bevölkerung an die Küste sprach, nach hg. Überzeugung stellte dies aber eine spekulative Einschätzung zum Zeitpunkt des unmittelbaren Machtwechsels dar, die zudem anhand der jüngeren EUAA-Berichte von Juni und Juli 2025 nicht bestätigt werden konnte. Nach diesen ergibt sich für Damaskus gerade kein Hinweis auf eine kollektive oder gezielte Verfolgung von Alawiten, was sich nach hg. Ansicht auch schlüssig daraus erklären lässt, dass es sich bei Damaskus um eine Millionenstadt handelt, deren Bevölkerung sich durch eine größere konfessionelle und soziale Heterogenität auszeichnet, und wo daher – auch angesichts der hohen Bevölkerungsdichte – nachvollziehbar von einer deutlich verminderten Wahrscheinlichkeit individueller Gefährdung ausgegangen werden kann.
Zusammenfassend fehlt es beim Beschwerdeführer – unter Berücksichtigung der fehlenden individuellen Exponiertheit und seiner Herkunft aus Damaskus bzw. Jaramana – an persönlich gefahrerhöhenden Umständen im Sinne der EUAA-Leitlinien. Eine asylrelevante Verfolgungsgefahr ist daher nicht ersichtlich.
Das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers ist folglich nicht dazu geeignet, eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen.
2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Die getroffenen Länderfeststellungen beruhen auf den Länderinformationsblättern der Staatendokumentation zu Syrien, Version 11 (27.03.2025) und Version 12 (08.05.2025), welche dem Beschwerdeführer einerseits mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 11.10.2024 und andererseits im Wege eines Parteiengehörs, jeweils mit dem Hinweis der Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme, übermittelt wurden. Fallgegenständlich erweisen sich die herangezogenen länderspezifischen Quellen – insbesondere in Zusammenschau mit den ebenso ins Verfahren eingeführten Berichten "EUAA: Country Focus: Syria" (Stand Juli 2025) und "EUAA: Interim Country Guidance: Syria" (Stand Juni 2025) – als ausreichend, um eine abschließende Beurteilung der individuellen Situation des Beschwerdeführers im Lichte der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat qualifiziert vornehmen zu können. Die getroffenen Feststellungen ergeben sich im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu. Der Beschwerdeführer hat im Rahmen eines Parteiengehörs die aktuelleren Länderberichte zur Kenntnis genommen, ist diesen jedoch in seiner Stellungnahme vom 29. und 30.10.2025 nicht konkret und substantiiert entgegengetreten. Seine Ausführungen beschränken sich im Wesentlichen auf eine Wiederholung seines bisherigen Vorbringens (unter Betonung seiner angeblichen Asylrelevanz) sowie auf die Wiedergabe von vier Onlineartikeln (Deutsche Welle, der Standard, Reuters, Puls24), die im Kern die Situation der alawitischen Minderheit in Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes beschreiben, wobei ein Beitrag die Lage der Frauen gesondert behandelt. Ein nachvollziehbarer Bezug zu den maßgeblichen Umständen des vorliegenden Einzelfalls wird jedoch zu keinem Zeitpunkt hergestellt. Vielmehr beziehen sich die zitierten Artikel auf denselben Berichtszeitraum wie die bereits übermittelten Quellen bzw. sind nicht aktueller als diese. Darüber hinaus weisen sie im Wesentlichen denselben Aussagegehalt auf. Ihren Darstellungen liegt eine Zusammenstellung einzelner Fallberichte zugrunde, die jeweils zu einem Artikel verdichtet wurden und deren Kernaussagen bereits in den angeführten EUAA-Berichten umfassend berücksichtigt sind. Daher ergeben sich weder wesentliche neue Erkenntnisse gegenüber den übermittelten (und hier maßgeblich herangezogenen) Länderberichten noch wird ein konkreter Bezug zum individuellen Fall des Beschwerdeführers überhaupt ersichtlich.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten:
§ 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der geltenden Fassung lautet:
"Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.
(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (§ 5 BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist.
(4b) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet.
(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt."
Nach Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gegenständlicher Antrag war nicht wegen Drittstaatensicherheit (§ 4 AsylG), des Schutzes in einem EWR-Staat oder der Schweiz (§ 4a leg. cit.) oder Zuständigkeit eines anderen Staates (§ 5 leg. cit.) zurückzuweisen. Ebenso liegen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Asylausschlussgründe vor, weshalb der Antrag des Beschwerdeführers inhaltlich zu prüfen ist.
Unter "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (vgl. das Erk. des VwGH vom 23.2.2016, Zl. Ra 2015/20/0113, mwN). Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. das Erk. des VwGH vom 28.5.2009, Zl. 2008/19/1031, mwN). Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen (vgl. das Erk. des VwGH vom 15.3.2016, Zl. Ra 2015/01/0069).
Vorauszuschicken ist Folgendes:
Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zur Prüfung, ob einem Asylwerber in seiner Heimatregion mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht, zunächst die maßgebliche Herkunftsregion zu bestimmen (VwGH 25.08.2022, Ra 2021/19/0442). Unter "Heimatregion" ist jenes Gebiet zu verstehen, zu dem der Asylwerber die stärksten Bindungen aufweist. Maßgebliche Kriterien sind insbesondere Ort der Geburt und des Aufwachsens, Aufenthaltsdauer, Alter, familiäre und soziale Bindungen sowie die Frage, ob ein Ortwechsel auf eigenen Entschluss oder zwangsweise (innere Vertreibung) erfolgte (VwGH 29.02.2024, Ra 2023/18/0370-13; VwGH 30.04.2021, Ra 2021/19/0024; VwGH; VwGH 27.06.2016, Ra 2016/18/0055).
Der Beschwerdeführer wurde 1978 in Homs geboren und brachte dort seine gesamte Kindheit und Jugend bis zum Abschluss der Schulausbildung zu. Nach Beendigung seines Studiums im Ausland hielt er sich noch zweimal für begrenzte Zeiträume (sechs und drei Monate) in Homs auf. In Damaskus (bzw. Umland) lebte er rund elf Jahre (1998 – 1999; 2011 – 2017 und 2018 – 2022), wo er auch berufstätig war, seine Ehefrau kennenlernte und heiratete, seine beiden Kinder auf die Welt kamen sowie ein Bruder lebt. Damaskus (bzw. XXXX in unmittelbarer städtischer Umgebung) war auch sein letzter Wohnsitz vor der Ausreise.
Die Behauptung des Beschwerdeführers, wonach der Umzug nach Damaskus bzw. XXXX (Ende 2017/Anfang 2018) auf einen Zwang durch Verfolgung zurückzuführen sei, wurde im Verfahren als nicht glaubhaft beurteilt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass dieser Ortswechsel auf den Wunsch nach Verbesserung der sozioökonomischen Situation zurückzuführen war. Ein Zustand innerer Vertreibung liegt somit nicht vor.
Bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung ist zu berücksichtigen, dass die in Homs (bzw. Umgebung) verorteten Geschwister zwar weiterhin eine familiäre Verbindung darstellen, die entscheidenden Bindungen jedoch in Damaskus begründet wurden. Dort gründete der Beschwerdeführer seine eigene Familie, war berufstätig und lebte über einen längeren Zeitraum hinweg als selbstständiger Erwachsener. Damit hat er in Damaskus in einem Maße "Fuß gefasst", das jene in seiner Geburtsstadt Homs deutlich überwiegt.
Zusammengefasst ist daher Damaskus bzw. XXXX als maßgebliche Herkunftsregion heranzuziehen.
Zum Fluchtvorbringen:
Wie im Zuge der Beweiswürdigung bereits ausgeführt, geht das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der drohenden Verfolgung durch das syrische Regime aufgrund der geänderten Machtverhältnisse schon von Vornherein ins Leere. Darüber hinaus scheiterte er an der Glaubhaftmachung einer individuell auf seine Person bezogenen Verfolgung.
Nach der "EUAA: Interim Country Guidance: Syria (June 2025)" bestehen beim Beschwerdeführer auch keine individuell gefahrerhöhenden Merkmale, die über die allgemeine Lage der alawitischen Minderheit hinaus eine asylrelevante Gefährdung im Herkunftsstaat begründen könnten. Seine ablehnende Haltung gegenüber der Übergangsregierung blieb ohne erkennbare Manifestation nach außen, eine oppositionelle Betätigung oder Nähe zum früheren Regime ist nicht ersichtlich. Auch seine Herkunft aus Damaskus, wo keine systematischen Übergriffe auf Alawiten festgestellt werden konnten, spricht gegen eine maßgebliche Verfolgungswahrscheinlichkeit.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die präventive Gewährung von Asyl, um denkmöglichen künftigen Entwicklungen vorzubeugen, nicht vorgesehen ist, sondern hat das BVwG (sowie das BFA) stets nach aktueller Sach- und Rechtslage zu entscheiden.
Abschließend ist noch festzuhalten, dass alleine aufgrund der instabilen und unsicheren Lage in Syrien nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt werden kann, weil hier der Konnex zu einem Verfolgungsgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht gegeben ist. Dem Beschwerdeführer wurde jedoch ohnehin der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
Im Ergebnis ist keine (drohende) Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG ersichtlich, weshalb die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen.
Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
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