JudikaturBFG

RV/5100597/2024 – BFG Entscheidung

Entscheidung
20. Oktober 2025

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf.***, vertreten durch ***V.***, über die Beschwerde vom 5. Juni 2024 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 3. Mai 2024, Ordnungsbegriff: ***OB***, betreffend erhöhte Familienbeihilfe nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

I. Der angefochtene Bescheid wird - soweit er die Zeiträume Februar 2023 bis Mai 2023 umfasst - gemäß § 279 BAO aufgehoben und die Beschwerde wird hinsichtlich der vom angefochtenen Bescheid umfassten Zeiträume Oktober 2019 bis Jänner 2023 gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 3. Mai 2024 wies das Finanzamt den Antrag der Beschwerdeführerin (Bf.) vom 25. April 2024 auf Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe hinsichtlich der Zeiträume Oktober 2019 bis Mai 2023 ab, weil das Sozialministeriumsservice bei ihrem am ***2019 geborenen Sohn ***K.*** erst ab Juni 2023 eine erhebliche Behinderung im Sinne des § 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) von 50 v. H. festgestellt habe.

Dagegen richtet sich die über FinanzOnline eingebrachte Beschwerde vom 5. Juni 2024, in der zur Begründung im Wesentlichen vorgebracht wurde, dass der Sohn der Bf. an kongenitaler Myopathie im Rahmen eines RYRl-Syndroms leide. Dabei handle es sich um eine genetische Grunderkrankung (Veränderung im RYRl-Gen) und somit um eine seit Geburt bestehende umfassende Einschränkung der motorischen Fähigkeiten. Dennoch habe die belangte Behörde den Antrag auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe für den Zeitraum Oktober 2019 bis Mai 2023 abgewiesen, weil laut Gutachten des Sozialministeriumservice der Grad der Behinderung von 50% erst ab Juni 2023 bescheinigt worden sei. Der Beschwerdeführerin sei dieses Gutachten nicht übermittelt worden, sodass ihr Recht auf Parteiengehör verletzt worden sei und derzeit nur vermutet werden könne, dass die willkürliche Festlegung auf Juni 2023 auf einem Ambulanzbrief des ***KH1*** vom 23. Juni 2023 und 8. September 2023 beruhe, mit dem die genetische Ursache erstmals bestätigt worden sei. Nun könne aber jener Zeitpunkt, an dem die genetische Ursache der Diagnose endgültig abgeklärt werde, keine Auswirkungen auf die Voraussetzungen des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 haben, der auf eine andauernde Funktionsbeeinträchtigung abstelle, die selbstverständlich auch schon vor der genetischen Untersuchung vorgelegen sei, seien es doch die auffallende Muskelschwäche und motorischen Einschränkungen gewesen, die überhaupt erst zur genetischen Abklärung Anlass gegeben hätten.Auch wenn die belangte Behörde grundsätzlich an das Gutachten des Sozialministeriumservice gebunden sei, habe sie es doch auf Vollständigkeit und Schlüssigkeit zu prüfen. Aufgrund der aktenkundigen Tatsache, dass sich der Antrag der Beschwerdeführerin auf eine seit Geburt bestehende Erkrankung stütze, hätte die belangte Behörde die willkürliche Festlegung des GdB von 50% auf Juni 2023 hinterfragen bzw. der Beschwerdeführerin Gelegenheit geben müssen, die Schlüssigkeit des Gutachtens substantiiert zu widerlegen, was jedoch nicht der Fall gewesen sei, weshalb frühere Ambulanzberichte mit derselben Diagnose (z.B. vom Feb. 2023) unbeachtet geblieben seien.

Der Beschwerde beigefügt wurde ein Gutachten einer allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten ärztlichen Sachverständigen vom 2. Mai 2024 zu einer beim Landesgericht Linz anhängigen Sozialrechtsangelegenheit.

Das Finanzamt gab in der Folge mit Beschwerdevorentscheidung vom 23. Juli 2024 der Beschwerde teilweise Folge, da laut einem weiteren Gutachten des Sozialministeriumservice vom 15. Juli 2024 beim Sohn der Bf. eine erhebliche Behinderung im Sinne des FLAG 1967 ab Februar 2023 festgestellt worden sei.

Mit Schriftsatz vom 22. August 2023 beantragte die Bf. die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht. In Ergänzung zur Beschwerde wurde im Vorlageantrag im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:1. Im Rahmen des Beschwerdevorentscheidungsverfahrens habe die belangte Behörde ein neues Gutachten des Sozialministeriumservice eingeholt. In diesem Gutachten vom 15. Juli 2024 werde lediglich ausgeführt, dass der Grad der Behinderung von 50% rückwirkend mit Februar 2023 anzunehmen sei, da ein Befundbericht des ***KH1*** (******) über einen ambulanten Besuch am 18. Februar 2023 vorliege, jedoch keine ärztlichen Befunde zu einem früheren Zeitpunkt.

2. Der Sohn der Beschwerdeführerin leide an einer genetisch bedingten Krankheit (RYR1-assoziierte kongenitale Myopathie). Dieser Gendefekt äußere sich vor allem in einer fortschreitenden Muskelschwäche und Hypotonie. Charakteristisch für diese Erkrankung sei der progrediente Charakter der muskulären Schwäche und Gedeihstörung.

3. Die behandelnde Oberärztin des ***KH1***, auf dessen Ambulanzbericht vom Februar 2023 der Sachverständige des Sozialministeriumservice die rückwirkende Anerkennung des GdB von 50% stütze, habe bestätigt, dass der Sohn der Beschwerdeführerin erstmals im Jahr 2023 in der neuropädiatrischen Ambulanz untersucht worden sei - weil die motorischen Entwicklungsstufen nur verzögert erreicht worden seien und die motorische Entwicklung auffällig und nicht altersgemäß gewesen sei.Darüber hinaus werde auch bestätigt, dass es sich bei der Erkrankung um eine angeborene, genetische Störung handle, die von Geburt an mit einer chronischen, langsam progredienten Muskelerkrankung (in Form einer proximal betonten Muskelschwäche) einhergehe.

4. Es sei bereits in der Beschwerde vom 05. Juni 2024 darauf hingewiesen worden, dass die Voraussetzungen des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 auf die andauernde Funktionsbeeinträchtigung abstellen würden und nicht auf jenen Zeitpunkt, an dem erstmals eine endgültige Diagnose gestellt werden könne. Im Gutachten des Sozialministeriumservice vom 15. Juli 2024 werde aber die Frage, ab wann es aufgrund der verzögerten motorischen Entwicklung von ***K.*** tatsächlich zu Funktionsbeeinträchtigungen im Ausmaß eines GdB von 50% gekommen sei, überhaupt nicht behandelt bzw. gebe es keine Ausführungen dazu, ob vor dem Februar 2023 auch Funktionsbeeinträchtigungen vorgelegen seien, die eventuell die 50%-Grenze nicht erreichen würden.

5. Der Behinderungsgrad hänge selbst bei einem gleichbleibenden Krankheitsbild auch vom Alter des Kindes ab; das Ausmaß eines Entwicklungsrückstandes stelle sich je nach Alter des Kindes unterschiedlich dar, weshalb das Ausmaß eines Entwicklungsrückstandes immer im Vergleich zum Entwicklungsstand gleichaltriger gesunder Kinder zu sehen sei (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg.), FLAG, 2. Auflage (2020), § 8, Rz 10 - 35). Zu diesem Themenkreis enthalte das Gutachten des Sozialministeriumservice vom 15. Juli 2024 aber überhaupt keine Ausführungen. Es gebe keine Analyse, ab welchem Alter bei einem gesunden Kind welche motorischen Fähigkeiten normalerweise vorliegen würden und wie sich eine langsam fortschreitende Muskelschwäche auf die Entwicklung des Kindes auswirke.Die Tatsache, dass erstmals im Februar 2023 eine Untersuchung von ***K.*** erfolgt sei, bedeute nicht, dass auch die Funktionsbeeinträchtigung erstmals im Februar 2023 aufgetreten sei. Vielmehr sei gerade der Entwicklungsrückstand im motorischen Bereich der Grund gewesen, warum der Sohn der Beschwerdeführerin im Krankenhaus untersucht worden sei.

6. Die Beschwerdeführerin habe beim behandelnden Kinderarzt sowie bei den Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen immer wieder auf die verzögerte motorische Entwicklung ihres Sohnes hingewiesen; leider seien diese Symptome aber nicht befundmäßig oder im Mutter-Kind-Pass festgehalten worden, sodass keine früheren Befunde vorhanden seien.Dies bedeute aber nicht zwangsläufig, dass auch die Funktionsbeeinträchtigung im Ausmaß von 50% erst ab diesem willkürlichen Zeitpunkt der diagnostischen Erstabklärung vorgelegen sei.Bei der Erkrankung von ***K.*** handle es sich nicht um eine plötzlich auftretende Verschlechterung des Gesundheitszustandes, sondern um eine langsam voranschreitende Muskelschwäche, die dazu führe, dass das Kind im Bereich der Oberarme/Oberschenkel/oberer Thorax keine Stabilität entwickle, so dass er nur mit äußerster Anstrengung wenige Stiegen steigen könne, zu wenig kaue, Schluckprobleme habe, schnell außer Atem komme und ermüde und bei jeder noch so geringen körperlichen Anstrengung in Atemnot gerate.Ein erfahrener Arzt könne aufgrund des Krankheitsbildes im Vergleich zum Entwicklungsstand eines gesunden Kindes sicherlich festlegen, ab welchem Alter es mit diesen Symptomen tatsächlich zu Beeinträchtigungen im Ausmaß von 50% gekommen sei - allerdings fehle diese Feststellung im Gutachten des Sozialministeriumservice.

7. Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 seien zwingend durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice nachzuweisen. Die belangte Behörde und auch das Bundesfinanzgericht seien grundsätzlich an die Feststellungen dieses Gutachtens gebunden; allerdings seien sie sehr wohl berechtigt, die Vollständigkeit und Schlüssigkeit des Gutachtens zu hinterfragen.Insbesondere das Bundesfinanzgericht habe die Beweiskraft (iSv Nachvollziehbarkeit und Schlüssigkeit) des Gutachtens zu prüfen und erforderlichenfalls für eine Ergänzung zu sorgen (VwGH 13.12.2012, 2009/16/0325).Vor dem Hintergrund, dass das Gutachten des Sozialministeriumservice vom 15. Juli 2024 jede Auseinandersetzung mit der Frage des Zeitpunktes des tatsächlichen Vorliegens einer Funktionsbeeinträchtigung im Ausmaß von 50% vermissen lasse, und somit die rückwirkende Einschätzung des Behinderungsgrades von 50% willkürlich erfolgt sei, werde eine Gutachtensergänzung unumgänglich sein.

Das Finanzamt legte die Beschwerde samt den Verfahrensakten mit Vorlagebericht vom 13. September 2024 dem Bundesfinanzgericht vor.

In der mündlichen Verhandlung am 8. Mai 2025 stellte die Bf. die Vorlage eines weiteren ärztlichen Gutachtens in Aussicht und verzichtete auf die Fortführung der mündlichen Verhandlung.

Im weiteren Verfahren wurde daraufhin eine Stellungnahme der behandelnden Oberärztin des ***KH1***, vom 26. Juni 2025 betreffend "Ansuchen um erhöhte Familienbeihilfe rückwirkend bis zur Geburt" sowie ein Ambulanzbrief vom 26. Juni 2025, ***KH1***, ambulanter Besuch am 10. Juni 2025, vorgelegt.

In der genannten Stellungnahme vom 26. Juni 2025 heißt es auszugsweise:

"[…]Ansuchen um erhöhte Familienbeihilfe rückwirkend bis zur Geburt

Sehr geehrte Damen und Herren!

Bei meinem Patienten, **************, wurde im Alter von 3 1/2 Jahren in unserer neuropädiatrischen Ambulanz eine kongenitale Myopathie bei RYR1-Genetik diagnostiziert. Es handelt sich dabei um eine seltene progrediente Muskelerkrankung, die vor allem die proximalen Muskelanteile im Hüft-, Bein- und Schultergürtelbereich betrifft und zu einer allgemeinen Muskelschwäche führt.Zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung im Juni 2023 waren bereits deutliche Hinweise für eine Muskelschwäche zu sehen, die im Verlaufe schlechter geworden ist. Rückblickend gab es bereits im Säuglingsalter Probleme, die sich sowohl auf die Körpermotorik, als auch auf die Schluckmotorik bezogen haben. Immer wieder wurden Schluckschwierigkeiten mit Hustenattacken sowie Affektkrämpfe auffällig. Zudem war eine gewisse motorische Trägheit bei ***K.*** beobachtet worden mit häufiger Verwendung des Rutschautos und wenig Anreiz zum Krabbeln oder Gehen. Trotzdem wurden die Grenzsteine der Entwicklung im Laufen mit etwa 15-16 Monaten noch im Normbereich erworben. Das Gangbild von ***K.*** war für die Eltern aber immer auffällig und wurde auch zunehmend etwas schlechter.

Bei der RYR1-kongenitalen Myopathie (Central Core Disease) handelt es sich eindeutig um eine genetische Ursache, die sich im Verlauf langsam verschlechtert, zwischenzeitlich auch stabile Phasen hat. Regelmäßige neuropädiatrische Kontrollen sind notwendig, da durch die ausgeprägte Muskelhypotonie und -schwäche insbesondere Skelettveränderungen wie Skoliose und Hüftluxation aber auch Schluckstörung und Atemprobleme rechtzeitig behandelt werden müssen. Hilfsmittelversorgung und bei Bedarf interdisziplinäre Maßnahmen müssen somit rechtzeitig in die Wege geleitet werden.Ein besonderes Risiko ist bei dieser Erkrankung die maligne Hyperthermie, die im Sinne von Narkosezwischenfällen schwerwiegend sein kann, weswegen auch ein Notfallpass ausgestellt wurde.

Aus medizinischer Sicht ist im Fall meines Patienten die Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe rückwirkend bis zur Geburt jedenfalls gerechtfertigt, da eine spätere Diagnosestellung nicht bedeutet, dass keine klinischen Auffälligkeiten vorhanden waren, viel mehr wurden bereits vorhandene klinische Symptome nicht richtig eingeordnet und erkannt. Dies war bei meinem Patienten, ***K.***, der Fall, da die Eltern schon früher auf Abklärungen gedrängt hatten, in ihrer Sorge aber lange nicht ernst genommen wurden, weshalb sie von sich aus einen Termin an unserer neuropädiatrischen Ambulanz erbeten haben.

Ich bitte dringend um positive Erledigung des Ansuchens.

Bei Fragen stehe ich gerne zur Verfügung."

Aufgrund der Vorlage der angeführten Beweismittel beauftragte das Bundesfinanzgericht das Finanzamt gemäß § 269 Abs. 2 BAO, ein die bisherigen Gutachten ergänzendes ärztliches Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) zur Frage einzuholen, ob und ab welchem Zeitpunkt im Zeitraum ab der Geburt im Oktober 2019 bis einschließlich Jänner 2023 beim Kind der Bf. eine erhebliche Behinderung iSd § 8 Abs. 5 FLAG 1967 (Grad der Behinderung mindestens 50 v.H.) vorlag.

In der Folge wurde ein weiteres ärztliches Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Aktengutachten vom 11. September 2025, VOB: ***GA3***) zur Feststellung des Zeitpunktes des Eintritts einer erheblichen Behinderung iSd § 8 Abs. 5 FLAG 1967 erstellt.Mit Beschluss vom 16. September 2025 gab das Bundesfinanzgericht der Bf. die Gelegenheit, zum Letztgutachten Stellung zu nehmen. Eine Äußerung der Bf. unterblieb.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Das Bundesfinanzgericht sieht es aufgrund der ärztlichen Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) vom 15. Juli 2024, VOB: ***GA2***, und vom 11. September 2025, VOB: ***GA3***, als erwiesen an, dass beim Kind ***K.***, VNR: ********, hinsichtlich der beschwerderelevanten Zeiträume Oktober 2019 bis Jänner 2023 ein Grad der Behinderung von 30 v.H. und hinsichtlich der Zeiträume Februar 2023 bis Mai 2023 ein Grad der Behinderung von 50 v.H. und somit eine erhebliche Behinderung im Sinne des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 vorliegt.

2. Beweiswürdigung

Der Verfahrensgang und der dargestellte Sachverhalt ergeben sich aus den vom Finanzamt vorgelegten Verwaltungsakten, aus dem nachstehend angeführten ärztlichen Sachverständigengutachten sowie aus den Angaben und Vorbringen der beschwerdeführenden Partei.

Der Grad der Behinderung ist vor der Beschwerdevorlage an das Bundesfinanzgericht durch folgende ärztliche Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle OÖ (Sozialministeriumservice) festgestellt worden:3. Dezember 2023, VOB: ***GA1***; GdB 50 v. H. ab 06/2023, und15. Juli 2024, VOB: ***GA2***; GdB 50 v. H. ab 02/2023

Im zuletzt angeführten Sachverständigengutachten (Aktengutachten) vom 15. Juli 2024 heißt es (auszugsweise):

"[…]

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):***Dr1***, FÄ f. AM vom 2.5.2024: Pflegegeldgutachten Landesgericht:Befundbericht ***KH1*** ******/Abt, f. Kinder- und Jugendheilkunde - ambulanter Besuch am 18.02.2023:Diagnose: kongenitale Myopathie, proximale Muskelschwäche im Rahmen der Grunderkrankung, grenzwertige Dystrophie (BMI 14,94).

Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel:laufende Ergotherapie, Physiotherapie, Logopädie Reha-Buggy

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

 

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:Leiden in Pkt. 1 bestimmt den Gesamtgrad von 50 %.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:Keine Befundänderung gegenüber der Letztuntersuchung, daher weiterhin Beurteilung mit 50 %

Stellungnahme zu Vorgutachten:Der Gesamtgrad der Behinderung bleibt gleich bei 50 %.

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 6 Monate andauern:ja

GdB liegt vor seit: 02/2023

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:Befundbericht ***KH1*** ******/Abt, f. Kinder- undJugendheilkunde - ambulanter Besuch am 18.02.2023

Davor sind keine ärztlichen Befunde vorhanden.

 

Gutachten erstellt am 15.07.2024 von ***Dr2***

Gutachten vidiert am 19.07.2024 von ***Dr3***"

Im bereits erwähnten Letztgutachten (Aktengutachten vom 11. September 2025, VOB: ***GA3***) heißt es auszugsweise:"[…]

[...]

 

[…]

 

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor: Rückwirkende Anerkennung GdB 30% ab Geburt entsprechend der beschriebenen Auffälligkeiten jedoch ohne erhebliche Einschränkungen.Rückwirkende Anerkennung GdB 50% wie bereits im Vorgutachten festgestellt ab Vorliegen aussagekräftiger Fachbefunde - ab 02/2023 aufgrund ab diesem Zeitpunkt beschriebener proximaler Muskelschwäche im Rahmen der Grunderkrankung und grenzwertiger Dystrophie (BMI 14,94).Der GdB von 50% wird ab diesem Zeitpunkt nicht alleine aufgrund der Einschränkungen sondern insbesondere auch aufgrund des therapeutischen Aufwandes dazu und der ab diesem Zeitpunkt regelmäßigen Verlaufskontrollen entsprechend der EVO festgestellt.

[…]

Gutachten erstellt am 11.09.2025 von ***Dr4*** Gutachten vidiert am 16.09.2025 von ***Dr3***"

Im Beschwerdefall ist unstrittig, dass für die Bf. für die Zeiträume ab Februar 2023 aufgrund der erheblichen Behinderung ihres Sohnes im Sinne des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 ein Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe besteht.Strittig ist, ob ein Anspruch auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung auch für die Zeiträume ab der Geburt ihres Sohnes im Oktober 2019 bis einschließlich Jänner 2023 besteht.

In den medizinischen Sachverständigengutachten nach der Einschätzungsverordnung (Aktengutachten) vom 15. Juli 2024 und 11. September 2025 stellten die Gutachter beim Sohn der Bf. als Ergebnis der durchgeführten Begutachtung die dort näher angeführten Funktionseinschränkungen fest. Der Grad der Behinderung wurde ab Februar 2023 mit 50 v. H. bestimmt. Dass es sich beim Sohn der Bf. um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wurde in den erwähnten Gutachten nicht festgestellt.

Die medizinischen Sachverständigen haben sämtliche von der Bf. vorgelegten Befunde und Unterlagen berücksichtigt.Sie stützten die rückwirkende Anerkennung des Grades der Behinderung von 50 v.H. mit Februar 2023 auf den "Befundbericht ***KH1*** ******/Abt, f. Kinder- und Jugendheilkunde - ambulanter Besuch am 18.02.2023" und stellten fest, dass für die Zeiträume davor keine ärztlichen Befunde vorhanden sind. Im Letztgutachten ist dazu auch angeführt, dass der GdB von 50% ab diesem Zeitpunkt nicht alleine aufgrund der Einschränkungen sondern insbesondere auch aufgrund des therapeutischen Aufwandes dazu und der ab diesem Zeitpunkt regelmäßigen Verlaufskontrollen entsprechend der EVO festgestellt worden sei.

Auch die Bf. räumt etwa im Vorlagebericht unter Punkt 6. ein, dass sie zwar beim behandelnden Kinderarzt sowie bei den Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen immer wieder auf die verzögerte motorische Entwicklung ihres Sohnes hingewiesen habe, die Symptome aber nicht befundmäßig oder im Mutter-Kind-Pass festgehalten worden seien, sodass keine früheren Befunde vorhanden seien.

Nach dem eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung in § 8 Abs. 5 FLAG 1967 ist eine "erhebliche Behinderung" nicht nach der zugrundeliegenden Ursache, sondern nach der vorhandenen Funktionsbeeinträchtigung zu beurteilen. Auch nach § 1 der Einschätzungsverordnung ist unter Behinderung die "Auswirkung" der Funktionsbeeinträchtigung zu verstehen und ist das Ausmaß dieser Auswirkungen als Grad der Behinderung zu beurteilen.

Im Beschwerdefall steht außer Streit, dass beim Sohn der Bf. eine angeborene, genetisch bedingte, langsam progrediente Muskelerkrankung (RYR1-assoziierte kongenitale Myopathie) vorliegt, die mit einer proximal betonten Muskelschwäche einhergeht und bei der auch ein erhöhtes Risiko für eine maligne Hyperthermie (schwere Narkosezwischenfälle) besteht.

Dies ändert jedoch nichts daran, dass sich der Grad der Behinderung auch hinsichtlich seiner zeitlichen Festlegung, also ab wann der jeweilige Grad der Behinderung vorliegt, nicht nach der ursprünglichen Ursache, sondern nach der jeweils (je nach Alter) vorhandenen Beeinträchtigung richtet. Die angeborene Erkrankung ist daher nicht dem Eintritt einer bereits erheblichen Behinderung gleichzuhalten (vgl. auch BFG 12.5.2021, RV/3100566/2020).

Der Argumentation der Bf., das Gutachten des Sozialministeriumservice vom 15. Juli 2024 lasse jede Auseinandersetzung mit der Frage des Zeitpunktes des tatsächlichen Vorliegens einer Funktionsbeeinträchtigung im Ausmaß von 50% vermissen und somit sei die rückwirkende Einschätzung des Behinderungsgrades von 50% willkürlich erfolgt, kommt daher keine Berechtigung zu.

Der Verwaltungsgerichtshof stellte im Erkenntnis VwGH 2.7.2015, 2013/16/0170, fest, dass eine Behinderung iSd § 8 Abs. 5 FLAG 1967 mit einen Grad von mindestens 50 v.H. durchaus die Folge einer Krankheit sein könne, die schon seit längerem vorliege (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiere. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führe, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. aufweise, sei der Tatbestand des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 erfüllt. Mithin komme es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußere, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend) einer Behinderung führe. Maßgeblich sei der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintrete, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. erreiche (vgl. auch VwGH 20.11.2014, Ra 2014/16/0010, VwGH 30.03.2017, Ra 2017/16/0023).

Die Bf. steht auf dem Standpunkt, dass ein erfahrener Arzt aufgrund des Krankheitsbildes im Vergleich zum Entwicklungsstand eines gesunden Kindes sicherlich festlegen könne, ab welchem Alter es mit diesen Symptomen tatsächlich zu Beeinträchtigungen im Ausmaß von 50% gekommen sei, und rügt, dass eine solche Feststellung im Gutachten des Sozialministeriumservice fehle. Es gebe keine Analyse, ab welchem Alter bei einem gesunden Kind welche motorischen Fähigkeiten normalerweise vorliegen würden und wie sich eine langsam fortschreitende Muskelschwäche auf die Entwicklung des Kindes auswirke.

Dem ist entgegenzuhalten, dass die Parteien die Möglichkeit haben, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde oder dem Verwaltungsgericht aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl. VwGH 4.7.2016, Ra 2016/04/0057). Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des VwGH, dass durch die Vorlage von Privatgutachten oder weiterer Befunde die Schlüssigkeit der vom Sozialministeriumservice eingeholten Gutachten widerlegt werden könnte (z.B. VwGH 22.12.2011, 2009/16/0307).

Die Bf. nahm im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht diese Möglichkeit wahr und legte eine Stellungnahme der behandelnden Oberärztin des ***KH1***, vom 26. Juni 2025, die auch im Letztgutachten des Sozialministeriumservice berücksichtigt wurde, vor.Die Stellungnahme zeigt jedoch nicht auf, dass der ärztliche Sachverständige des Sozialministeriumservice im Letztgutachten vom 11. September 2025 zum Ergebnis hätte kommen müssen, dass beim Sohn der Bf. bereits in den Zeiträumen vor Februar 2023 eine erhebliche Behinderung im Sinne des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 vorlag. Das Letztgutachten steht nicht im Widerspruch zu den in der Stellungnahme dargestellten Beeinträchtigungen, da im Gutachten die Progredienz der bereits im Säuglingsalter vorhandenen Symptome sowie die Beeinträchtigung der Körpermotorik (Koordinations- und Balanceunsicherheit) als "Ergebnis der durchgeführten Begutachtung" auch angeführt sind.

Das Ausmaß der Funktionseinschränkungen kann sich bei einem langsam progedienten Verlauf der Muskelerkrankung abhängig vom Alter des Kindes verschieden darstellen, da die jeweils zu beherrschenden und erwarteten Fähigkeiten des Kindes sich altersbedingt voneinander unterscheiden. In der vorgelegten ärztlichen Stellungnahme vom 26. Juni 2025 ist etwa auch angeführt, dass vom Kind der Bf. die Grenzsteine der Entwicklung im Laufen mit etwa 15-16 Monaten noch im Normbereich erworben worden seien.

Liegen keine aussagekräftigen Befunde für bestimmte vergangene Zeiträume vor, ist es einem Gutachter in der Regel nicht möglich, für solche Zeiträume das Vorliegen einer erheblichen Behinderung festzustellen. Ein Sachverständiger kann in derartigen Fällen lediglich auf Grund von Indizien in Verbindung mit seinem spezifischen Fachwissen Rückschlüsse ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine erhebliche Behinderung im Sinne des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 eingetreten ist.

Vor diesem Hintergrund ist es jedoch nicht als unschlüssig anzusehen, dass sich die medizinischen Sachverständigen des Sozialministeriumservice auf die von der Bf. vorgelegten Befunde stützten und eine rückwirkende Anerkennung des Gesamtgrades der Behinderung von mindestens 50 v.H. nicht erst mit der Erstbegutachtung am 22. November 2023 annahmen, sondern aufgrund des vorgelegten "Befundberichts ***KH1*** ******/Abt, f. Kinder- und Jugendheilkunde - ambulanter Besuch am 18.02.2023" mit Februar 2023.

Die Sachverständigen im Sozialministeriumservice bezogen bei ihrer Diagnoseerstellung bzw. für die Feststellung der erheblichen Behinderung neben ihrem Fachwissen alle vorgelegten Befunde ein, sodass sich die Sachverständigengutachten auch als vollständig erweisen.

Auch das Bundesfinanzgericht sieht es daher als erwiesen an, dass beim Sohn der Bf. für die Zeiträume Oktober 2019 bis Jänner 2023 ein Grad der Behinderung von 30 v.H. und für die Zeiträume ab Februar 2023 ein Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H. und somit eine erhebliche Behinderung im Sinne des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 vorliegt.

3. Rechtslage

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a Familienlastenausgleichsgesetz 1967 - FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

Der einer Person zustehende Betrag an Familienbeihilfe bestimmt sich gemäß § 8 Abs. 1 FLAG 1967 nach der Anzahl und dem Alter der Kinder, für die ihr Familienbeihilfe gewährt wird, und wird danach abgestuft im § 8 Abs. 2 FLAG 1967 näher festgelegt.

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist.

Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als sechs Monaten. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom 18. August 2010, BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens alle fünf Jahre neu festzustellen, wenn nach Art und Umfang eine mögliche Änderung zu erwarten ist (§ 8 Abs. 5 FLAG 1967).

Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) dem Finanzamt Österreich durch eine Bescheinigung auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die Kosten für dieses ärztliche Sachverständigengutachten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen. Das ärztliche Sachverständigengutachten ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) gegen Ersatz der Kosten aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen an die antragstellende Person zu übermitteln, eine Übermittlung des gesamten ärztlichen Sachverständigengutachtens an das Finanzamt Österreich hat nicht zu erfolgen. Der Nachweis des Grades der Behinderung in Form der Bescheinigung entfällt, sofern der Grad der Behinderung durch Übermittlung der anspruchsrelevanten Daten durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) aufgrund des Verfahrens nach § 40 des Bundesbehindertengesetzes (BBG), BGBl. Nr. 283/1990, zur Ausstellung eines Behindertenpasses, nachgewiesen wird (§ 8 Abs. 6 FLAG 1967).

Gemäß § 10 Abs. 1 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe, abgesehen von den Fällen des § 10a, nur auf Antrag gewährt; die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) ist besonders zu beantragen.

Nach Absatz 2 der bezeichneten Gesetzesstelle wird die Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

Die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) werden höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt. In Bezug auf geltend gemachte Ansprüche ist § 209 Abs. 3 der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961, anzuwenden.Für einen Monat gebührt Familienbeihilfe nur einmal (§ 10 Abs. 3 und 4 FLAG 1967).

Unter Behinderung im Sinne der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, ist nach deren § 1 die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 2 Abs. 1 der Einschätzungsverordnung sind die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt.

4. Rechtliche Beurteilung

Strittig ist im Beschwerdefall, ob für die Bf. in den vom angefochtenen Bescheid umfassten Zeiträumen ein Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe (§ 8 Abs. 4 FLAG 1967) besteht, weil ihr Sohn erheblich behindert im Sinne des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 ist.

Der gesetzlich festgelegte Anspruchszeitraum für die Familienbeihilfe ist, wie sich dies den Regelungen des § 10 Abs. 2 und 4 FLAG 1967 entnehmen lässt, der Monat.

Der Spruch des angefochtenen Bescheides umfasst die Anspruchszeiträume Oktober 2019 bis einschließlich Mai 2023.

Voraussetzung für die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe ist das Vorliegen einer erheblichen Behinderung im Sinne des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 mit einem Grad von mindestens 50 v.H.

Den Zeitpunkt des Eintritts einer erheblichen Behinderung hat die belangte Behörde in der Beschwerdevorentscheidung aufgrund des ihr vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 15. Juli 2024, VOB: ***GA2***, mit Februar 2023 angenommen.

Durch die Bestimmung des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 hat der Gesetzgeber die Feststellung des Grades der Behinderung der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und können von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen (VfGH 10.12.2007, B 700/07). Daraus folgt, dass de facto eine Bindung an die Feststellungen der im Wege des Bundessozialamtes (Sozialministeriumservice) erstellten Gutachten gegeben ist. Die Tätigkeit der Behörden hat sich daher im Wesentlichen auf die Frage zu beschränken, ob die Gutachten als schlüssig, vollständig und nicht einander widersprechend anzusehen sind (z.B. VwGH 27.9.2012, 2010/16/0261 mit Hinweis auf VwGH 29.9.2011, 2011/16/0063, und VwGH 22.12.2011, 2009/16/0307; Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 8 Rz 29).

Auch das Bundesfinanzgericht hat somit für seine Entscheidung die vorliegenden ärztlichen Sachverständigengutachten heranzuziehen, sofern diese als vollständig und schlüssig anzusehen sind.

Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen zur Beweiswürdigung (Punkt 2.) ergibt erachtet das Bundesfinanzgericht nach eingehender Befassung mit den vorliegenden Gutachten die darin getroffenen Feststellungen als vollständig, schlüssig und nachvollziehbar.

Die belangte Behörde hat sich daher zu Recht an den in den Gutachten vom 15. Juli 2024, VOB: ***GA2*** und vom 11. September 2025, VOB: ***GA3***, enthaltenen Zeitpunkt gehalten, zu dem das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen des Sohnes der Bf. einen Grad von 50 v.H. erreicht habe.

Aus den dargestellten Gründen war daher spruchgemäß zu entscheiden.

5. Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.Das vorliegende Erkenntnis beruht im Wesentlichen auf der Beweiswürdigung, ob und in welchen Zeiträumen beim Kind der Bf. eine erhebliche Behinderung im Sinne des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 vorliegt.Weder die im Rahmen der freien Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen noch die einzelfallbezogene rechtliche Beurteilung weisen eine Bedeutung auf, die über den Beschwerdefall hinausgeht.Die Revision ist daher gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Linz, am 20. Oktober 2025